Arbeitsgericht Wiesbaden

Urteil vom - Az: 7 Ca 2411/04

Zur betriebsbedingten Kündigung

Wird die Kündigung auf die künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, so kann sie ausgesprochen werden, wenn die betrieblichen Umstände greifbare Formen angenommen haben und eine vernünftige, betriebswirtschaftliche Betrachtung die Prognose rechtfertigt, das bis zum Auslaufen der einzuhaltenden Kündigungsfrist eine geplante Maßnahme durchgeführt worden ist und der Arbeitnehmer somit entbehrt werden kann.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf EUR 14.700,00 festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung der Beklagten vom 31. August 2004.

Der 64-jährige Kläger war in den Jahren 1963 bis 1973 bei der Beklagten beschäftigt und ist seit dem Jahr 1982 wieder bei der Beklagten tätig. Zuletzt bezog er eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von EUR 4.900,00.

Die Beklagte stellte am 29. Juli 2005 aufgrund von Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit beim Amtsgericht Wiesbaden einen Insolvenzantrag. Zu diesem Zeitpunkt konnten die Juli-Gehälter der Mitarbeiter nicht mehr gezahlt werden. In der Folgezeit bemühte sich die Geschäftsführung der Beklagten darum, die Insolvenzlage zu beseitigen und eine anständige Abwicklung des Unternehmens bzw. des Betriebes zu erreichen. Der Beklagten gelang es dabei, im Rahmen eines Stillhalteabkommens, Banken und weitere Großgläubiger zu Stundungen und Teilforderungsverzichten zu überzeugen. Basis des Stillhalteabkommens war dabei, dass die Beklagte ihren Betrieb zum 31. März 2005 einredelos stilllegt, damit die Entstehung weiterer Verbindlichkeiten unterbleibt. Vor diesem Hintergrund traf die Beklagte am 31. August 2004 die unternehmerische Entscheidung, den Betrieb spätestens mit Ablauf des 31. März 2005 stillzulegen und die zwischen den gemeinsamen Betrieben und den Arbeitnehmern bestehende Betriebs- und Produktionsgemeinschaft aufzulösen.

Zu diesem Zeitpunkt verhandelte die Geschäftsführung der Beklagten bereits mit dem Betriebsrat über die beabsichtigte Stilllegung sowie die damit verbundenen Kündigungen. Zwischen den Betriebspartnern bestand nach intensiver Verhandlung Einigkeit darüber, dass die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung zu einem Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses aller beschäftigten Arbeitnehmer führen und damit eine Kündigung von deren Arbeitsverhältnissen zum 31. Dezember 2004 bzw. 31. März 2005 nach sich ziehen würde. Darüber hinaus hat der bei der Beklagten für das Personal zuständige Mitarbeiter ... dem Betriebsrat am 31. August 2004 noch einmal individuell gesondert bezüglich eines jeden Mitarbeiters bzw. einer Mitarbeiterin gem. §§ 102 bzw. 103 Betriebsverfassungsgesetz angehört, wobei dieser mit dem Betriebsrat jeweils auf die Person des betroffenen Mitarbeiters, insbesondere auch auf die Personaldaten und die jeweils einschlägige Kündigungsfristen einging.

Der Betriebsrat der Beklagten stimmte mit Schreiben vom 31. August 2004 den mit der Betriebsstilllegung verbundenen Kündigungen zu. Diesem Schreiben war eine Personalliste sämtlicher zu diesem Zeitpunkt noch beschäftigter Arbeitnehmer beigefügt. Diesbezüglich wird auf das Schreiben vom 31. August 2004, Blatt 94 ff der Akte, Bezug genommen.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 31. August 2004, welches dem Kläger noch am selben Tag übergeben wurde. Ebenfalls kündigte die Beklagte am 31. August 2004 mit Ausnahme der Mitarbeiterin ..., sämtliche Arbeitsverhältnisse am 31. August 2004. Das Arbeitsverhältnis der Frau ... konnte zu diesem Zeitpunkt nicht gekündigt werden, da sich diese in Elternzeit befand und zunächst das Zustimmungsverfahren nach § 18 Bundesgelderziehungsgesetz beim Regierungspräsidium Darmstadt eingeholt werden musste.

Am 2. September 2004 schlossen die Beklagte und der Betriebsrat der Beklagten eine Betriebsvereinbarung/Sozialplan ab. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Vereinbarung vom 2. September 2004, Blatt 5 ff der Akte, verwiesen. Am 7. September 2004 zog die Beklagte den gestellten Insolvenzantrag zurück. Daraufhin zahlte die Beklagte umgehend und vereinbarungsgemäß die rückständigen Gehälter für die Monate Juli und August 2004 vollständig und das Septembergehalt 2004 pünktlich zum 30. September 2004.

Nach Abschluss des Sozialplans und der Zustimmung des Betriebsrates zu den Kündigungen kam es in dem Betrieb der Beklagten zu Gerüchten, hinsichtlich eines millionenschweren "Georgien-Projekts". Hintergrund dieses Projekts ist eine Anfrage eines US-Auftraggebers am 30. September 2004 bezüglich der Planung von Grenzstationen in Georgien. Anlässlich dieser Anfrage fand in der Zeit vom 9. bis 13. November 2004 eine Informationsreise von externen Mitarbeitern der Beklagten statt. Über das Projekt sowie über die Informationsreise wurde die Belegschaft der Beklagten im Rahmen einer Betriebsinformationsveranstaltung am 22. November 2004 informiert. In der weiteren Folgezeit gab es Verhandlungen zwischen dem Betriebsrat und der Beklagten. Letztlich erklärte der Betriebsrat am 13. Dezember 2004 die Anfechtung bzw. den Widerruf seiner Zustimmung zur betriebsbedingten Kündigung der Mitarbeiter aus Anlass der beabsichtigten Betriebsstillegung.

Im Betrieb der Beklagten waren zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung 21 Arbeitnehmer beschäftigt.

Mit bei Gericht am 20. September 2004 eingegangener Klage, der Beklagten am 6. Oktober 2004 zugestellt, wendet sich der Kläger gegen die Kündigung der Beklagten vom 31. August 2004.

Der Kläger ist der Ansicht, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Er behauptet, die Beklagte habe ihre Zusage nicht eingehalten, nur noch die in der Betriebsvereinbarung vom 2. September 2004 unter Vorbemerkung aufgeführten Projekte fertigzustellen. Vielmehr habe die Beklagte neue Aufträge angenommen. Der Kläger geht daher davon aus, dass die Beklagte zielgerichtet einen Betriebsübergang plane. Ferner stünde aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte mit dem US-Auftraggeber unter Angabe einer konkreten Vertragsnummer korrespondiere fest, dass dieser Vertrag bereits abgeschlossen sei. Dieses Projekt sei mit ca. 3 Jahren Abwicklungszeit angegeben. Auch die Aktivitäten bezüglich des Projekts ... sowie das Projekt ... würden beweisen, dass die Beklagte entgegen ihren Bekundungen und entgegen der Betriebsvereinbarung weitere Projekte bzw. weitere Aufträge zur Durchführung angenommen habe. Darüber hinaus rügt der Kläger, dass die Beklagte ihrer Anzeigepflicht wegen Massenentlassungen gem. § 17 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz gegenüber der Agentur für Arbeit nicht rechtzeitig nachgekommen sei.

Darüber hinaus ist der Kläger der Ansicht, die Betriebsratsanhörung sei aufgrund der erfolgten Anfechtung der Zustimmung zur Kündigung nicht ordnungsgemäß erfolgt.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch das Kündigungsschreiben der Beklagten vom 31. August 2004 nicht aufgelöst wurde.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, nach § 1 Abs. 5 KSchG sei eine gesetzliche Vermutung zugunsten der Beklagten eingetreten. Diese habe der Kläger nicht widerlegt. Sie behauptet, die Beklagte und der Betriebsrat der Beklagten hätten sich am 31. August 2004 auf einen Interessenausgleich geeinigt. In diesem seien sämtliche zu kündigenden Arbeitnehmer der Beklagten und somit auch der Kläger namentlich bezeichnet.

Darüber hinaus sei die Kündigung aufgrund der Unternehmerentscheidung, den Betrieb spätestens am 31. März 2004 stillzulegen und deren Umsetzung sozial gerechtfertigt. Sie behauptet, nach der Informationsveranstaltung sowie nach der Informationsreise habe die Beklagte dem US-Auftraggeber am 24. November 2004 verbindlich mitgeteilt, dass Projekt nicht ausführen zu können. Schließlich ist die Beklagte der Ansicht, die vom EuGH vorgenommene Auslegung der Richtlinie hinsichtlich der Massenentlassungsanzeige könne auf die vorliegende Kündigung nicht angewendet werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des gegenseitigen Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

I.

Die Kündigung der Beklagten vom 31. August 2004 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Wirkung zum 31. März 2005 aufgelöst. Die Kündigung der Beklagten ist durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Die Kündigung ist auch nicht wegen des Überganges eines Betriebes im Sinne des § 613 a Abs. 4 BGB ausgesprochen worden. Sie hat daher das Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf der durch die in Lauf gesetzten Kündigungsfrist aufgelöst.

Zwar kommt der Beklagten vorliegend nicht die Vermutungswirkung nach § 1 Abs. 5 KSchG zugute, denn die Beklagte hat nicht dargelegt, dass vorliegend ein Interessenausgleich im Sinne des § 1 Abs. 5 KSchG geschlossen wurde. Die mit Namensliste versehene Zustimmung des Betriebsrates mit Schreiben vom 31. August 2004 stellt keinen Interessenausgleich dar. Denn insoweit fehlt es bereits an dem für den Interessenausgleich erforderlichen Schriftformerfordernis. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob das Schreiben des Betriebsrates inhaltlich einem Interessenausgleich genüge tut, jedenfalls haben lediglich die Betriebsratsmitglieder unterschrieben. Zur Wahrung der Schriftform hätte es jedoch der Unterschrift sowohl seitens des Arbeitgebers wie des Betriebsrates auf einer Urkunde bedurft. Dies liegt nicht vor.

Die Kündigung ist dennoch durch dringende betriebliche Erfordernisse nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich frei in seiner Entscheidung, ob er seine unternehmerische Tätigkeit fortsetzen oder durch Stilllegung seines Betriebes aufgeben will. Wird ein Betrieb stillgelegt und entfällt damit das Bedürfnis für die Beschäftigung von Arbeitnehmern überhaupt, dann sind die deshalb ausgesprochenen Kündigungen durch dringende betriebliche Erfordernisse sozial gerechtfertigt (vgl. BAG Urteil vom 19. Juni 1991, Az: 2 AZR 127/91 mit weiteren Nachweisen). Unter Betriebsstilllegung ist die Auflösung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Weiterverfolgung des bisherigen Betriebszwecks dauernd oder für eine ihrer Dauer unbestimmten wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne aufzuheben. Der Arbeitgeber ist jedoch nicht gehalten, eine Kündigung erst nach Durchführung der Stilllegung auszusprechen. Neben der Kündigung wegen erfolgter Stilllegung kommt auch eine Kündigung wegen beabsichtigter Stilllegung in Betracht. Wird die Kündigung auf die künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, so kann sie ausgesprochen werden, wenn die betrieblichen Umstände greifbare Formen angenommen haben und eine vernünftige, betriebswirtschaftliche Betrachtung die Prognose rechtfertigt, das bis zum Auslaufen der einzuhaltenden Kündigungsfrist eine geplante Maßnahme durchgeführt worden ist und der Arbeitnehmer somit entbehrt werden kann (ständige Rechtsprechung seit BAGE 6, 1, 3 ff = AP Nr. 1 § 1 KSchG betriebsbedingte Kündigung).

Abweichendes kann nur dann gelten, wenn die Schließung als unternehmerische Entscheidung offensichtlich unvernünftig und willkürlich erscheint. Derartiges hat im Streitfall der Arbeitnehmer darzulegen (BAG Urteil vom 17. Oktober 1980 EzA § 1 KSchG betriebsbedingte Kündigung Nr. 15). Geht man vorliegend von einer Betriebsstilllegung aus, dann ist unvernünftiges und willkürliches Handeln nicht erkennbar. Die Stilllegungsabsicht im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation im Juli 2004 stellt einen sachlichen und plausiblen Anlass dar, die Geschäftstätigkeit vollständig zu beenden. Eine hierauf gestützte Entscheidung wird auf Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit seitens der Arbeitsgerichte nicht geprüft.

Vorliegend haben sich dringende betriebliche Gründe für die beabsichtigte Betriebsstilllegung konkret und greifbar zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung abgezeichnet. Es ist davon auszugehen, dass bei vernünftiger betriebswirtschaftlicher Betrachtung zu erwarten war, dass das Beschäftigungsbedürfnis spätestens zum Ende der Kündigungsfrist wegfallen würde. Unstreitig hat die Beklagte am 31. August 2004 die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Betrieb stillzulegen. Unstreitig hat sie - mit Ausnahme der in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmerin ... - allen zu diesem Zeitpunkt noch beschäftigten Arbeitnehmern gekündigt. Eine andere Beurteilung ist auch nicht durch die von dem Kläger vorgebrachten später vermeindlich akquirierten Projekte gerechtfertigt. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung für die Sozialwidrigkeit bzw. für die soziale Rechtfertigung der Kündigung ist der Zugang der Kündigungserklärung. Unstreitig bestanden zu diesem Zeitpunkt lediglich die in der Betriebsvereinbarung noch aufgeführten Projekte. Vordringliches Ziel war hierbei, die Abwicklung dieser Projekte zum Ende der Kündigungsfrist. Nach unstreitigem Vortrag der Beklagten ist die Anfrage des US-Auftraggebers erst am 30. September 2004 erfolgt, mithin nach der unternehmerischen Entscheidung, den Betrieb stillzulegen und mithin auch nach dem Ausspruch der hier streitgegenständlichen Kündigung. Auch die weiteren aufgeführten Projekte, die erst nach Ausspruch der Kündigungen angenommen und abgewickelt wurden, vermögen einer Betriebsstilllegung bzw. einer beabsichtigten Betriebsstilllegung nicht entgegenzustehen. Somit lagen bei Zugang der Kündigung dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG vor.

Die Kündigung ist auch dann nicht wegen Betriebsübergang nach § 613 a Abs. 4 Satz 2 BGB oder wegen Umgehung dieser Norm unwirksam. Dies gilt selbst dann, wenn es nach Ausspruch der Kündigung tatsächlich zu einem Betriebsübergang gekommen sein sollte.

Die Stilllegung eines Betriebes schließt grundsätzlich dessen späteren rechtsgeschäftlichen Übergang auf einen Dritten aus. Ein bereits stillgelegter Betrieb kann nicht mehr übergehen, Kündigungen können als dann nicht wegen eines späteren Betriebsübergangs unwirksam sein im Sinne des § 613 a Abs. 4 BGB. Denn wegen eines Betriebsüberganges im Sinne dieser Vorschrift wird eine Kündigung dann ausgesprochen, wenn der Betriebsübergang die überwiegende Ursache der Kündigung bildet. Der Betriebsübergang muss daher der Beweggrund für die Kündigung gewesen sein (ständige Rechtsprechung des BAG, vergl. Urteil vom 26. Mai 1983). Fehlt es an einem Übergang können diese Voraussetzungen naturgemäß nicht gegeben sein. Dies ist nur dann anders, wenn eine dem äußeren Anschein nach vorliegende Betriebsschließung in Wahrheit nur vorgespielt worden ist, um den Übergang des Betriebs auf einen Dritten zu verschleiern. Wird erst nach Ausspruch der Kündigung eine Betriebsveräußerung in Erwägung gezogen und durchgeführt, liegt eine Kündigung wegen Betriebsübergang nicht vor. Kommt es trotz zunächst endgültig geplanter Betriebsstillegung nach Ausspruch der Kündigung gleichwohl noch zu einer Betriebsveräußerung, so kann die Unwirksamkeit der Kündigung jedenfalls für die Zeit nach Inkrafttreten des § 613 a Abs. 4 BGB auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Umgehung des § 613 a Abs. 1 BGB hergeleitet werden. Diese Vorschrift enthält eine Konkretisierung des allgemeinen Umgehungsversuchs für die Fälle der Arbeitgeberkündigung. Durch die strengen Anforderungen, die die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an eine Kündigung wegen Betriebsstilllegung stellt, wird die Kontrolle vorweggenommen, ob die Kündigung im Hinblick auf die spätere Betriebsveräußerung auf einer Umgehung des § 613 a Abs. 1 BGB beruht. Voraussetzung für eine solche Kündigung, nämlich das der Arbeitgeber ernstlich und endgültig entschlossen sein muss, den Betrieb stillzulegen, und diese Absicht auch nachweisen muss, schließt Manipulationen in Form von Scheinstilllegungen, d. h. kurzfristigen Betriebseinstellungen mit anschließender Betriebsveräußerung, jedenfalls für den Geltungsbereich des § 1 Abs. 2 KSchG im Regelfall aus, zumal für die beabsichtigte Stilllegung schon "greifbare Formen" vorliegen müssen. Sind diese Voraussetzungen aber gegeben, dann kann die Betriebsveräußerung nicht gleichzeitig tragender Grund für die Kündigung im Sinne des § 613 a Abs. 4 Satz 1 BGB gewesen sein. Durch diese Norm hat der Gesetzgeber die Umgehung des § 613 a Abs. 1 BGB bei Arbeitgeberkündigungen konkretisiert und von der Erfüllung dieses Tatbestandes abhängig gemacht.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Kündigung vom 31. August 2004 auch nicht wegen eines vermeintlichen Betriebsüberganges unwirksam. Insoweit fehlt bereits jeglicher Tatsachenvortrag des Klägers, dass die Kündigung am 31. August 2004 wegen eines späteren Betriebsüberganges ausgesprochen worden ist. Selbst unter Berücksichtigung des Vortrages des Klägers, dass die Beklagte einen Betriebsübergang offensichtlich plane, ist nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen bereits bei Ausspruch der Kündigungen vorlagen. Denn unstreitig hat der US-Auftraggeber das sogenannte "Georgien-Projekt" erst am 30. September 2004 abgerufen. Demzufolge sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass bereits vor dem 31. August 2004 die Beklagte einen Betriebsübergang geplant habe. Eine Unwirksamkeit der Kündigung aus diesem Grund kommt daher nicht in Betracht.

Es bedarf daher auch keiner gerichtlichen Klärung, ob die Beklagte tatsächlich zu einem späteren Zeitpunkt einem Betriebsübergang geplant bzw. ernsthaft in Erwägung gezogen oder diesen gar vollzogen hat, denn die Wirksamkeit der hier streitgegenständlichen Kündigung bliebe davon unberührt. Wie bereits ausgeführt, ist entscheidungserheblich allein der Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung. Möglicherweise könnte der Kläger einen Wiedereinstellungsanspruch gegen den neuen Betriebsinhaber geltend machen, dies ist aber vorliegend nicht streitgegenständlich.

Die Kündigung ist auch nicht wegen nichtordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrates unwirksam. Der Kläger hat insoweit lediglich gerügt, dass die Betriebsratsanhörung nicht ordnungsgemäß erfolgt sei, da der Betriebsrat später die erteilte Zustimmung widerrufen bzw. angefochten hat. Dies ist jedoch für das Anhörungsverfahren nach § 102 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz unerheblich. Nach § 102 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören und es sind ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Hierzu zählen Angaben zur Person des betroffenen Arbeitnehmers, zu Art und Zeitpunkt der Kündigung sowie die Mitteilung der Tatsachen, die nach Auffassung des Arbeitgebers die Kündigung rechtfertigen (vgl. BAG Urteil vom 14. August 1986, Az: 2 AZR 683/85/BAG Urteil vom 29. März 1990, AP Betriebsverfassungsgesetz 1972 § 102 Nr. 56). Hingegen ist die Zustimmung des Betriebsrates weder erforderlich noch Wirksamkeitsvoraussetzung für ein ordnungsgemäßes Anhörungsverfahren. Unstreitig hat die Beklagte über ihren für das Personal zuständigen Mitarbeiter ... den Betriebsrat neben der bereits umfassenden Information des Betriebsrates im Rahmen der Betriebsvereinbarung und des Sozialplans mündlich hinsichtlich jedes Arbeitnehmers ergänzend angehört. Nachdem die Beklagte zur Betriebsratsanhörung substantiiert vorgetragen hat, wäre es im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast Sache des Klägers gewesen, konkret zu beanstanden, in welchen Punkten er die Betriebsratsanhörung für fehlerhaft hält. Der Vortrag des Klägers lässt solche Fehler nicht erkennen.

Schließlich ist die Kündigung auch nicht wegen Verstoßes gegen § 17 Abs. 1 KSchG unwirksam. Nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er in einem Betrieb mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als fünf Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Nach § 18 KSchG werden Entlassungen, die nach § 17 KSchG anzuzeigen sind, vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit nur mit Zustimmung der Landesagentur für Arbeit wirksam.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht ist für die Anzeigepflicht nicht die Beschäftigungszahl zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs, sondern in dem der tatsächlichen Vollziehung der Entlassung maßgebend (vgl. BAG Urteil vom 24. Februar 2005, Az. 2 AZR 207/04, JURIS, mit weiteren Nachweisen). Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung ist vorliegend davon auszugehen, dass grundsätzlich eine Anzeigepflicht der Beklagten bestand. Bereits zum Ausspruch der Kündigungen war eine Arbeitnehmerzahl von 21 gegeben. Dennoch ist die Kündigung rechtswirksam. Ein Verstoß gegen § 17 KSchG führt nach § 18 KSchG nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, sondern führt lediglich zu einer unabhängig von der privatrechtlichen Wirksamkeit der Kündigung eintretenden Entlassungssperre (vgl. BAG Urteil vom 18. September 2003, Az: 2 AZR 79/02).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EuGH vom 27. Januar 2005. Aus diesem folgt nicht unmittelbar, dass "Entlassungen" im Sinne von §§ 17, 18 KSchG ebenfalls die Kündigungserklärung meint.

Die Entscheidung des EuGH beschränkt sich auf die Auslegung der Richtlinie 98/95/EG des Rates vom 20.07.1998. Die Richtlinie ist nicht unmittelbar anzuwenden. In diesem Sinne erfolgt die Auslegung der Richtlinie durch den EuGH autonom. Eine andere Frage ist es, ob der Begriff Entlassung gem. §§ 17, 18 KSchG aufgrund der Entscheidung des EuGH im gleichen Sinne auszulegen ist.

Richtlinien kommt grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung zu. Richtlinien wenden sich nach Artikel 249 Abs. 3 EG an die Mitgliedsstaaten und verpflichten diese die entsprechenden Vorgaben in nationales Recht umzusetzen. Einer nichtumgesetzten Richtlinie kommt im Verhältnis zwischen Privatparteien untereinander keine unmittelbare Geltung zu.

Nach Ansicht der erkennenden Kammer ist der in den §§ 17, 18 KSchG verwendete Begriff der "Entlassung" nicht dahingehend auszulegen, dass hiermit die Kündigungserklärung gemeint ist. Dies folgt aus der Systematik des Kündigungsschutzgesetzes. Der deutsche Gesetzgeber hat die Vorgaben der Massenentlassungsrichtlinien im Kündigungsschutzgesetz untergebracht. Im Kündigungsschutzgesetz wird in den §§ 1 bis 16 detailliert unter Verwendung des Begriffs "Kündigung" geregelt, unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung wirksam ist. Dort wird nicht der Begriff der "Entlassung" synonym mit Kündigung verwendet. Hätte der Gesetzgeber die Vorstellung gehabt, mit Entlassung lediglich die Kündigung zu meinen, so hätte er auch den Begriff Kündigung verwendet.

Auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift folgt nichts anderes. Der Gesetzgeber hat die Vorgaben aus der ersten Massenentlassungsrichtlinie der EG umgesetzt. Entscheidend ist, dass er hierbei nicht für den deutschen Rechtskreis völlig neue Regelungen in das Kündigungsschutzgesetz aufgenommen hat. Die im 3. Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes ohnehin vorhandenen Vorschriften über anzeigepflichtige Massenentlassungen wurden lediglich entsprechend angepasst. Bereits bei der Verordnung betreffen Maßnahmen gegenüber Betriebsabbrüchen und -stilllegungen aus dem Jahre 1920 gibt es Vorschriften über Massenentlassungen in Deutschland. Bevor dieser Kontext europarechtlich geregelt wurde, gab es also eine nationale Rechtstradition. Insbesondere das Kündigungsschutzgesetz von 1951 enthielt entsprechende Regelungen. Mit dem ersten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz von 1969 hat der Gesetzgeber durch die Abänderung der Überschrift Kündigungsschutz bei Massenentlassungen in anzeigepflichtige Entlassungen zudem auch sprachlich dokumentiert, dass die Entlassungen im Sinne der §§ 17, 18 KSchG gerade keinen Kündigungsschutz im Sinne der §§ 1 ff KSchG gewährleistet, sondern nur einen andersgearteten Schutz bietet, der nicht mit Kündigungsschutz bezeichnet werden kann.

Hieraus ergibt sich im Ergebnis, dass der Begriff der Entlassung nicht mit dem Begriff der Kündigung gleichzusetzen ist. Solange der Gesetzgeber den im §§ 17, 18 KSchG aufgenommenen Wortlaut nicht ändert, verbietet sich somit eine richtlinienkonforme Auslegung nach der Rechtsprechung des EuGH.

Nach alledem hat die Kündigung das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist zum 31. März 2005 beendet.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG. Der Kläger hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Bei der Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes war eine Vierteljahresvergütung des Klägers in Ansatz zu bringen.

 



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