Arbeitsgericht Kassel

Urteil vom - Az: 3 Ca 505/02

Zum Widerrufsrecht bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages; "Überrumplung" am Arbeitsplatz

Eine Überraschungssituation liegt typischerweise nicht vor, wenn am Arbeitsplatz ein Aufhebungsvertrag abgeschlossen wird. Ein Angebot des Arbeitgebers auf Abschluss, Änderung oder Aufhebung des Arbeitsvertrages am Ort der Arbeitsstätte kann den Arbeitnehmer in der Regel nicht derart überraschen, dass der Arbeitnehmer entsprechend dem Schutzzweck des § 312 I BGB keineswegs darauf vorbereitet sein musste.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 6870,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Möglichkeit eines Widerrufsrechts des Klägers nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages.

Der Kläger ist seit 1992 bei der Beklagten im Einkauf sowie als LKW-Fahrer beschäftigt. Sein durchschnittlicher Bruttomonatsverdienst betrug zuletzt 2.289,52 €.

Der Kläger unterzeichnete einen von der Beklagten formulierten Aufhebungsvertrag, der eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31.07.2002 vorsah.

Der Aufhebungsvertrag enthielt unter anderem die Vereinbarung, dass das Arbeitsverhältnis auf Veranlassung der Beklagten zur Vermeidung einer Kündigung aus dringenden betrieblichen Gründen mit Ablauf des 31.07.2002 sein Ende findet. Ferner wurde vereinbart, dass der Kläger mit Unterzeichnung des Vertrages auf das Recht zu Widerruf verzichtet, § 8 des Aufhebungsvertrages.

Mit Schreiben vom 11.07.2002 widerrief der Kläger den geschlossenen Aufhebungsvertrag.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagte den Kläger überrumpelt habe, als ihm das Angebot auf Abschluss des Aufhebungsvertrages am Arbeitsplatz unterbreitet worden sei. Während des Beladens eines Fahrzeuges sei er zum Abschluss des Vertrages gedrängt worden. Abgesehen davon stehe ihm aus den genannten Gründen ein Widerrufsrecht nach § § 312 Abs. 1, 355 BGB zu. Der in § 8 des Aufhebungsvertrages vereinbarte Verzicht des Klägers auf das Recht zum Widerruf sei unwirksam. Gemäß § 312 f Satz 1 BGB könne von den Bestimmungen der §§ 312 ff. BGB nicht zum Nachteil des Verbrauchers und somit des Klägers abgewichen werden.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch den Aufhebungsvertrag vom 05.07.2002 nicht beendet worden ist, sondern über den 31.07.2002 hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;

die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen;

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.579,04 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 2.289,52 € seit 01.09.2002 und seit 01.10.2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Kläger sei mit dem Aufhebungsvertrag einverstanden gewesen, um einer drohenden Kündigung zu entgehen. Zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei es wegen mehrfach erteilter Abmahnungen gekommen. Den Vertrag hätten die Parteien im übrigen am 26.06.2002 unterzeichnet und nicht erst am 05.07.2002.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge nicht den Bestimmungen über den Widerruf von Haustürgeschäften unterfallen. Bei dem Arbeitsverhältnis handele es sich nicht um eine besondere Betriebsform i. S. d. § 312 BGB. Auch die Zweckrichtung des § 312 BGB lasse eine Einbeziehung des Aufhebungsvertrages nicht zu. Ferner fehle der von § 312 BGB im Hinblick auf die Art des Vertrages vorausgesetzte Überraschungseffekt beim Aufhebungsvertrag am Arbeitsplatz. Im Gegensatz zum Verbraucher in der heimischen Wohnung müsse man am Arbeitsplatz mit dem Angebot eines Aufhebungsvertrages rechnen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht kein Widerrufsrecht gem. §§ 312 I, 355 BGB zu.

Der Beklagte durfte mit dem Kläger in dem Aufhebungsvertrag wirksam vereinbaren, dass dieser auf sein Widerrufsrecht verzichtet, da er nicht als Verbraucher i. S. d. § 312 BGB angesehen werden kann. Der Verbraucherbegriff wird in § 13 BGB umschrieben, Diese Vorschrift wurde durch das Gesetz über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts in das BGB eingefügt. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber damit die Absicht verbunden hat, den Verbraucherbegriff auf Arbeitnehmer auszudehnen.

Auch stellt der Aufhebungsvertrag keine Sonderform des Leistungsaustauschs im Bereich des Vertriebs dar. § 312 BGB ist im Untertitel "besondere Vertriebsformen" angesiedelt. Arbeitsverhältnisse und ihre Beendigung haben jedoch nichts mit Vertriebsformen zu tun.

Es kann jedoch dahinstehen, ob der Arbeitnehmer als Verbraucher anzusehen ist. Auch in diesem Falle wären nach dem Vortrag des Klägers die Voraussetzungen für ein Widerrufsrecht i. S. d. §§ 312 BGB nicht gegeben. Stützt sich der Kläger nämlich auf eine "Überrumpelungssituation" beim Abschluss des Aufhebungsvertrages, ist er dafür darlegungs- und beweispflichtig. Die Aussage, der Kläger habe beim Beladen des LKw's den Aufhebungsvertrag auf Initiative der Beklagten unterzeichnen müssen und sei dabei bedrängt worden, ist nicht ausreichend. Eine Überraschungssituation liegt typischerweise nicht vor, wenn am Arbeitsplatz ein Aufhebungsvertrag abgeschlossen wird. Ein Angebot des Arbeitgebers auf Abschluss, Änderung oder Aufhebung des Arbeitsvertrages am Ort der Arbeitsstätte kann den Arbeitnehmer in der Regel nicht derart überraschen, dass der Arbeitnehmer entsprechend dem Schutzzweck des § 312 I BGB keineswegs darauf vorbereitet sein musste. Deshalb ist auch die Anwendbarkeit der §§ 312 I S. 1, 355 BGB bei am Arbeitsplatz abgeschlossenen Aufhebungsverträgen grundsätzlich ausgeschlossen. ("Der Kündigungsschutzprozess auf der Grundlage der Rechtsprechung des BAG"). Dietrich Boewer, Nov. 2002; Deutsches Anwalts Institut (DA). S. 258; andere Ansicht: Däubler, NZA 2001, 1329 (1334) Bauer, NZA 2002, 169, Hümmerich, Holthausen, NZA 2002, 173.

Da der Kläger in diesem Rechtsstreit unterlegen ist, hat er dessen Kosten zu tragen (§ 91 ZPO).

Die Streitwertentscheidung resultiert aus § 12 Abs. 7 ArbGG, § 3 ZPO.



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