Arbeitsgericht Kassel

Urteil vom - Az: 9 Ca 145/05

Voraussetzungen der krankheitsbedingten Kündigung (Dauerkrankheit); Anforderungen an arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag

Ist ein Arbeitnehmer auf Dauer krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, die geschuldete Arbeit auf seinem bisherigen Arbeitsplatz zu leisten, so ist er zur Vermeidung einer Kündigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen weiterzubeschäftigen, falls ein solcher gleichwertiger oder jedenfalls zumutbarer Arbeitsplatz frei und der Arbeitnehmer für die dort zu leistende Arbeit geeignet ist. Gegebenenfalls hat der Arbeitgeber einen solchen Arbeitsplatz durch Ausübung seines Direktionsrechts freizumachen und sich auch um die evtl. erforderliche Zustimmung des Betriebsrates zu bemühen.
Auf Antrag des Arbeitgebers ist das Arbeitsverhältnis gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG dann aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. An diesen Antrag sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen.
Als Auflösungsgründe im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG kommen nur Umstände in Betracht, die im Verhalten oder der Person des Arbeitnehmers wurzeln. Dabei kann es sich sowohl um das prozessuale Verhalten des Arbeitnehmers handeln, wie beispielsweise Beleidigungen oder sonstige ehrverletzende Äußerungen gegenüber dem Arbeitgeber oder Vorgesetzten als auch um das außerprozessuale Verhalten. Unzutreffende Rechtsausführungen in Schriftsätzen sind durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen grundsätzlich gedeckt und können daher nicht als Auflösungsgrund herangezogen werden. Demgegenüber sind unzutreffende Tatsachenbehauptungen, insbesondere dann, wenn sie den Tatbestand einer üblen Nachrede oder gar Verleumdung erfüllen, grundsätzlich dazu geeignet einen Auflösungsantrag des Arbeitgebers zu rechtfertigen. Dies gilt sowohl für eigene, außerprozessuale oder prozessuale Verhaltensweisen des gekündigten Arbeitnehmers als auch für außerprozessuale oder prozessuale Verhaltensweisen des Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers.

Tenor

Das Versäumnisurteil vom 31. August 2005 wird aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 02. März 2005 nicht aufgelöst worden ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird auf Antrag der Beklagten gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 12.731,82 EUR (in Worten: Zwölftausendsiebenhunderteinunddreißig und 82/100 Euro) brutto zum 30. September 2005 aufgelöst.

Die Kosten der Säumnis trägt der Kläger.

Im Übrigen werden die Kosten gegeneinander aufgehoben.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.487,88 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wesentlichen um die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündigung.

Der am 31. August 1965 geborene, verheiratete und gegenüber zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 18. Januar 1993 bei der Beklagten beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis lag zunächst der Arbeitsvertrag vom 15. Januar 1993 (Bl. 27 - 28 d. A.) zugrunde, wonach der Kläger als Arbeiter im Fahrdienst eingestellt worden ist.

Im Jahr 2002 legte der Kläger ein ärztliches Attest vom 24. September 2002 (Bl. 29 d. A.) vor, nach welchem empfohlen wurde, den Kläger aufgrund orthopädischer Beschwerden vorübergehend aus dem aktiven Fahrdienst herauszunehmen.

Mit Schreiben vom 31. Oktober 2002 (Bl. 30 d. A.) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er ab dem 21. Oktober 2002 bis vorläufig April 2003 im Pförtnerdienst eingesetzt werden sollte.

Ausweislich des ärztlichen Attestes des Dr. med. vom 06. Mai 2003 (Bl. 31 d. A.) wurde aus medizinischen Gründen in der Folgezeit empfohlen, den Kläger weiterhin im Innendienst einzusetzen. Der Kläger wurde von der Beklagten in der Folgezeit einvernehmlich weiterhin im Pförtnerdienst im Betriebshof S Straße in K eingesetzt. Wegen der vergütungsrechtlichen Auswirkungen der Versetzung des Klägers in den Pförtnerbereich wird auf das Schreiben der Beklagten vom 15. Juni 2004 (Bl. 32 - 33 d. A.) Bezug genommen.

Der Pförtnerdienst bei der Beklagten erfolgt - jedenfalls im Betriebshof S Straße - im Wechselschichtbetrieb einschließlich Nachtschicht. Die Festlegung der Schichtdienste sowie die Einteilung der Arbeitnehmer erfolgt bei der Beklagten unter Beteiligung des vorhandenen Betriebsrates. Neben dem Kläger sind im Pförtnerdienst 8 weitere, überwiegend ältere und/oder behinderte Mitarbeiter der Beklagten beschäftigt. Wegen der Einzelheiten wird auf Seite 4 des Schriftsatzes der Beklagten vom 28. April 2006 (Bl. 106 d. A.) Bezug genommen.

Die letzte Einteilung des Klägers in die Nachtschicht im Pförtnerdienst erfolgte im Juni 2004. Wegen der Einzelheiten der Einteilung des Klägers im Rahmen des Wechselschichtsystems sowie der krankheitsbedingten Ausfallzeiten des Klägers wird auf die zu den Akten gereichten Schichtpläne in Blatt 69 d. A. Bezug genommen.

Der Kläger legte in der Folgezeit ein ärztliches Attest der Dr. med. vom 09. September 2004 (Bl. 34 d. A.) vor, in welchem bescheinigt wird, dass der Kläger wegen einer chronischen körperlichen und psychosomatischen Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, weiterhin Nachtschichten wahrzunehmen, ohne dass eine weitere Verschlimmerung der Krankheit zu befürchten ist. Am 22. September 2004 fand eine bahnärztliche Untersuchung statt, die ergab, dass der Kläger für die Fahrgastbeförderung nicht geeignet ist. Ein Arbeitseinsatz außerhalb des Fahrdienstes ohne Nachtdienste wurde als möglich angegeben. Wegen der Einzelheiten des bahnärztlichen Untersuchungsberichts wird im Einzelnen auf Bl. 35 d. A. Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 20. Dezember 2004 (Bl. 36 d. A.) versetzte die Beklagte den Kläger in den Raumpflegebereich. Wegen dieser Versetzungsmaßnahme erhob der Kläger Anfang 2005 Klage vor dem Arbeitsgericht Kassel (6 Ca 20/05). Im Laufe des Verfahrens nahm die Beklagte die Versetzung vom 20. Dezember 2004 zurück.

Nach Einholung der Zustimmung des Betriebsrates sprach die Beklagte unter dem 02. März 2005 (Bl. 37 - 38 d. A.) die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger zum 30. September 2005 aus und bot dem Kläger zugleich den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages mit dem Inhalt des Einsatzes im Raumpflegebereich zu der dort geltenden Vergütung an.

Am 16. März 2005 hat der Kläger wegen der Kündigung vom 02. März 2005 beim Arbeitsgericht Kassel Klage eingereicht, die der Beklagten am 23. März 2005 zugestellt worden ist.

Der Kläger ist der Ansicht, Gründe welche die streitgegenständliche Kündigung vom 02. März 2005 sozial rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Der Kläger behauptet, an seinem Arbeitsplatz im Pförtnerdienst sei überhaupt keine Nachtschicht eingerichtet. Die Krankheitszeiten des Klägers sowie die Unfähigkeit des Klägers in der Vergangenheit, Nachtdienste zu verrichten, sei auf das schikanöse Verhalten der Beklagten am Arbeitsplatz zurückzuführen. Der Kläger ist der Ansicht, die Ursächlichkeit schikanöser Verhaltensweisen am Arbeitsplatz ergebe sich aus dem ärztlichen Attest des Dr. med. vom 20. Oktober 2004 (Bl. 78 d. A.). Der Kläger behauptet, er sei in vollem Umfang arbeitsfähig unter der Voraussetzung, dass die unmenschlichen Schikanehandlungen, die in der Vergangenheit an seinem Arbeitsplatz auf Veranlassung der Beklagten gegen ihn ausgeübt worden seien, zukünftig unterblieben. Er sei nach einer Rehabilitationsmaßnahme in der Zeit vom 17. März 2005 bis zum 28. April 2005 arbeitsfähig für vollschichtige mittelschwere Tätigkeiten entlassen worden. In diesem Zusammenhang verweist der Kläger auf den ärztlichen Entlassungsbericht des LVA-Zentrums für Rehabilitation in Bad Nauheim vom 09. Mai 2005 (Bl. 93 - 96 d. A.). Der Kläger ist schließlich der Ansicht, seine umfassende Arbeitsfähigkeit bei Unterlassung schikanöser Verhaltensweisen durch die Beklagte ergebe sich aus dem Gutachten des MDK H vom 12. Oktober 2005 (Bl. 129 - 133 d. A.).

Nachdem der Kläger trotz ordnungsgemäßer Ladung im Kammertermin am 31. August 2005 nicht erschienen ist, wurde auf Antrag der Beklagten ein klageabweisendes Versäumnisurteil erlassen. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 43 d. A. Bezug genommen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. das Versäumnisurteil vom 31. August 2005 aufzuheben;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 02. März 2005 zum Ablauf des 30. September 2005 aufgelöst worden ist.

Hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit den Anträgen zu 1) und zu 2),

die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klageanträge zu 1) und 2) zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Pförtner weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

das Versäumnisurteil vom 30. August 2005 aufrechtzuerhalten.

Hilfsweise

für den Fall des Erfolges des Kündigungsschutzantrages, das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2005 gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aufzulösen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die streitgegenständliche Kündigung vom 02. März 2005 sei aus in der Person des Klägers liegenden Gründen sozial gerechtfertigt. Aus den vom Kläger selbst vorgelegten ärztlichen Attesten, der bahnärztlichen Untersuchung vom 22. September 2004 sowie den Fehlzeiten des Klägers in der Vergangenheit folge eine negative Gesundheitsprognose für einen Einsatz des Klägers im Pförtnerwechselschichtdienst. Die erforderlichen betrieblichen Beeinträchtigungen lägen in Gestalt der entstandenen Lohnfortzahlungskosten sowie den Kosten für Ersatzpersonal vor. Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Beklagten in diesem Zusammenhang wird auf die Seiten 2 und 3 im Schriftsatz vom 28. April 2006 (Bl. 104 - 105 d. A.) Bezug genommen. Eine Vermeidung betrieblicher Beeinträchtigungen durch Umorganisation im Schichtbetrieb komme nicht in Betracht, da ansonsten die betriebliche Ordnung in Gestalt der mit dem Betriebsrat abgestimmten Schichtpläne aufgeweicht würde. Die Beklagte behauptet, eine Herausnahme des Klägers aus dem Nachtdienst im Pförtnerbereich führte zu einer unzumutbaren Belastung der dort beschäftigten älteren und fast durchgängig behinderten Arbeitnehmer. Anderweitige Arbeitsplätze im Vergütungsbereich des Klägers, in denen kein Schichtbetrieb stattfinde, seien zwar im Bereich der Warenannahme, der Registratur sowie der Hauspost vorhanden, aber besetzt bzw. überbesetzt. Zudem handele es sich bei diesen Bereichen um das Sammelbecken für ältere und behinderte Arbeitnehmer. Für eine Versetzung des Klägers in einen dieser Bereiche wäre auch die Zustimmung des Betriebsrates nicht zu erzielen. Die Beklagte ist der Ansicht, die im LVA-Gutachten vom 09. Mai 2005 erstellte positive Gesundheitsprognose sei durch die bis auf wenige Tage bestehende weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist widerlegt. Die Beklagte ist schließlich der Ansicht, das Arbeitsverhältnis sei jedenfalls auf Antrag der Beklagten hin zum 30. September 2005 aufzulösen, da eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien nicht erwartet werden könne. Auflösungsgründe längen insbesondere in Gestalt der ehrverletzenden Äußerungen und persönlichen Angriffe gegen die Beklagte vor.

Der Kläger beantragt,

den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Wegen des sonstigen Vortrags der Parteien wird im Übrigen auf die Sitzungsniederschriften vom 02. November 2005 (Bl. 70 d. A.), vom 29. März 2006 (Bl. 101 d. A.) sowie vom 16. August 2006 (Bl. 147 d. A.) sowie auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Der Einspruch des Klägers gegen das Versäumnisurteil vom 31. August 2005 ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erfolgt. In der Sache führt er jedoch nur zum Teil zum Klageerfolg.

1. Die Klage ist begründet, soweit der Kläger sich gegen die Wirksamkeit der Kündigung vom 02. März 2005 wendet.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kommt auf Grund der Dauer der Beschäftigung des Klägers sowie der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer ausschließlich der zum Zwecke der Berufsausbildung Beschäftigten bei der Beklagten das Kündigungsschutzgesetz zur Anwendung (§§ 1, 23 Abs. 1 KSchG).

Der Kläger hat auch die Klageerhebungsfrist nach § 4 KSchG beachtet, so dass die Kündigung nicht bereits wegen Fristversäumung gemäß § 7 KSchG als von Anfang an sozial gerechtfertigt gilt.

Die Kündigung vom 02. März 2005 ist unwirksam, weil weder betriebsbedingte noch verhaltensbedingte noch - hier allein in Betracht kommende - personenbedingte Gründe vorliegen, welche die Änderung der Arbeitsbedingungen bedingen könnten.

Mit einer Kündigung und ebenso mit einer Änderungskündigung greift der Arbeitgeber in das Arbeitsverhältnis ein, das für den Arbeitnehmer regelmäßig die Grundlage für seine Lebensgestaltung bedeutet. Dabei muss der Arbeitgeber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot beachten, d. h. der Arbeitgeber darf immer nur von dem im Einzelfall mildesten, ihm noch zumutbaren Mittel Gebrauch machen. Soweit möglich und zumutbar, hat der Arbeitgeber durch Ausübung seines Direktionsrechts Abhilfe zu schaffen, bevor er zum Mittel der Änderungskündigung greift (vgl. BAG 26.01.1995 - 2 AZR 428/94, EzA § 2 KSchG n. F. Nr. 21).

Vorliegend will die Beklagte im Wege der Änderungskündigung nachhaltig in das arbeitsvertraglich vereinbarte Verhältnis von Leistung und Gegenleistung eingreifen, da sie eine Änderung der geschuldeten Art der Arbeitsleistung herbeiführen will und damit zugleich eine Reduzierung der vereinbarten Vergütung eintreten soll. Ein derartiger Eingriff in das Gefüge von Leistung und Gegenleistung ist unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur dann gerechtfertigt, wenn das von der Beklagten erstrebte Ziel nicht durch ein ebenso geeignetes, aber milderes Mittel erreicht werden könnte. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ebenso geeignete, mildere Maßnahmen nicht vorhanden sind, trägt insoweit die Beklagte (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG).

Dieser Darlegungslast ist die Beklagte nicht nachgekommen. Der Beklagten ist zuzugeben, dass ein weiterer Einsatz des Klägers im Pförtnerdienst wegen des dort anfallenden Wechselschichtdienstes einschließlich Nachtschichtdienste nicht in Betracht kommt. Aus den von der Beklagten vorgelegten Schichtplänen geht hervor, dass am ursprünglichen Arbeitsplatz des Klägers im Pförtnerdienst ein Wechselschichtdienst nebst Nachtschichten stattfindet. Die Kammer geht des weiteren mit der Beklagten davon aus, dass nach dem zugrunde zulegenden Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt des Zugangs der Änderungskündigung vom 02. März 2005 aufgrund einer insoweit bestehenden negativen Gesundheitsprognose davon auszugehen war, dass der Kläger nicht mehr im Nachtdienst einsetzbar ist. Die entsprechende negative Gesundheitsprognose folgt aus den vom Kläger selbst vorgelegten Attesten der behandelnden Ärzte, die zeitlich vor dem Zugang der Kündigung datieren sowie dem Ergebnis der bahnärztlichen Untersuchung aus September 2004. Die ärztlicherseits getroffenen Prognosen finden im Übrigen eine Bestätigung in den Fehlzeiten des Klägers vor Ausspruch der Änderungskündigung vom 02. März 2005. Die vom Kläger im Hinblick auf seine vollschichtige Einsetzbarkeit vorgebrachten Einwände sind nicht geeignet, die begründete negative Gesundheitsprognose zu erschüttern. Dies gilt zunächst für den substanzlosen Vortrag des Klägers, die Beklagte habe seine Fehlzeiten durch schikanöse, unmenschliche Verhaltensweisen herbeigeführt. Der Kläger nennt nicht einen einzigen spezifizierten Vorfall, der auch nur annähernd eine Ursächlichkeit von Verhaltensweisen der Beklagten für Krankheitszeiten des Klägers aufzuzeigen in der Lage wäre. Auch die vom Kläger angeführten ärztlichen Stellungnahmen im ärztlichen LVA-Entlassungsbericht vom 09. Mai 2005 und im Attest des MDK H vom 12. Oktober 2005 sind nicht geeignet, die negative Gesundheitsprognose zu erschüttern. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sie erst nach Zugang der Kündigung vom 02. März 2005 erstellt worden sind. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung ist jedoch der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung.

Die Kammer geht in Übereinstimmung mit der Beklagten weiter davon aus, dass vor dem Hintergrund der dargestellten sozialen Schutzbedürftigkeit der im Pförtnerdienst neben dem Kläger beschäftigten Arbeitnehmer eine Umorganisation im Schichtbereich mit dem Ziel der Herausnahme des Klägers aus anfallenden Nachtschichten der Beklagten nicht zumutbar ist. Entgegen der Ansicht der Beklagten reichen jedoch die Ausführungen zu Einsatzmöglichkeiten für den Kläger in anderen Bereichen, in denen Arbeitnehmer mit vergleichbaren Tätigkeiten mit derselben Vergütungsgruppe tätig sind, nicht aus. Den Angaben der Beklagten im Kündigungsschreiben kann entnommen werden, dass Arbeitsplätze in den Bereichen Hauspost, Registratur und Warenannahme vorhanden sind, die ausgehend von der Art der Tätigkeit und der dort stattfindenden Vergütung vergleichbar sind. In diesen Bereichen fällt darüber hinaus ein Schichtbetrieb nicht an. Entgegen der Ansicht der Beklagten reicht in diesem Zusammenhang nicht der Hinweis aus, dass die dort vorhandenen Arbeitsplätze bereits besetzt sind. Ist ein Arbeitnehmer auf Dauer krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, die geschuldete Arbeit auf seinem bisherigen Arbeitsplatz zu leisten, so ist er zur Vermeidung einer Kündigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen weiterzubeschäftigen, falls ein solcher gleichwertiger oder jedenfalls zumutbarer Arbeitsplatz frei und der Arbeitnehmer für die dort zu leistende Arbeit geeignet ist. Gegebenenfalls hat der Arbeitgeber einen solchen Arbeitsplatz durch Ausübung seines Direktionsrechts freizumachen und sich auch um die evtl. erforderliche Zustimmung des Betriebsrates zu bemühen (BAG 29.01.1997 - 2 AZR 9/96, AP Nr. 32 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

Die Beklagte stellt selbst nicht in Abrede, dass ein Austausch der in den Bereichen Pförtnerei, Warenannahme, Registratur und Hauspost beschäftigten Arbeitnehmer im Wege des Direktionsrechts auf Grundlage der Vertragsgestaltung der Beklagten grundsätzlich möglich ist. Die Beklagte hätte daher vor Ausspruch der Änderungskündigung vom 02. März 2005 prüfen müssen, ob als milderes Mittel eine Versetzung des Klägers in den Bereich Warenannahme, Registratur oder Hauspost im Austausch mit einem dort beschäftigten Mitarbeiter möglich ist. Den in diesem Zusammenhang erfolgten Ausführungen der Beklagten, eine Versetzung von Mitarbeitern aus den Bereichen Warenannahme, Hauspost bzw. Registratur in den Bereich der Pförtnerei wäre arbeitsrechtlich angreifbar, weil es sich bei diesen Bereichen um das "Sammelbecken" für ältere und behinderte Arbeitnehmer handele, ist nicht hinreichend substantiiert, um feststellen zu können, ob die von der Beklagten aufgeworfenen Bedenken begründet sein könnten. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Freimachung eines Arbeitsplatzes in den Bereichen Warenannahme, Hauspost bzw. Registratur im Wege des Direktionsrechts scheitern müsste. Unerheblich ist auch der Vortrag der Beklagten, für eine Personalmaßnahme im Sinne der Freimachung eines Arbeitsplatzes in den benannten Bereichen im Wege des Direktionsrechts wäre eine Zustimmung des Betriebsrates nicht zu erzielen. Derartige hypothetische Überlegungen der Beklagten reichen nicht aus. Es ist zwar richtig, dass der Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Frage, ob ein Arbeitsplatz durch Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts freigemacht werden kann, nur verpflichtet ist, sich um die Einholung der erforderlichen Zustimmung des Betriebsrates zu bemühen. Zu einer weitergehenden Umorganisation oder zur Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG ist der Arbeitgeber dagegen nicht verpflichtet (vgl. BAG 29.01.1997 - 2 AZR 9/96, AP Nr. 32 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Vorliegend hat sich die Beklagte jedoch vor Ausspruch der Kündigung vom 02. März 2005 um eine derartige Zustimmung des Betriebsrates erkennbar nicht bemüht.

Sämtliche dieser Unklarheiten gehen zu Lasten der Beklagten, da es Sache des Arbeitgebers ist, die die Kündigung bedingenden Umstände darzulegen und im Streitfalle zu beweisen (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG).

2. Das Arbeitsverhältnis der Parteien war jedoch auf Antrag der Beklagten zum 30. September 2005 gegen Zahlung einer Abfindung aufzuheben.

Auf Antrag des Arbeitgebers ist das Arbeitsverhältnis gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG dann aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Unter Beachtung der primären Zielsetzung des Kündigungsschutzgesetzes, den Arbeitnehmer im Interesse eines wirksamen Bestandsschutzes des Arbeitsverhältnisses vor einem Verlust des Arbeitsplatzes durch sozialwidrige Kündigungen zu bewahren, ist es gerechtfertigt, an den Auflösungsantrag des Arbeitgebers strenge Anforderungen zu stellen (BAG 16.05.1984, EzA § 9 KSchG n. F. Nr. 16). Die Anlegung eines strengen Prüfungsmaßstabes bedeutet jedoch nicht, dass für den Arbeitgeber nur solche Umstände als Auflösungsgründe in Betracht kommen, die auch geeignet wären, eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB zu rechtfertigen. In einem derartigen Falle könnte der Arbeitgeber nämlich das Arbeitsverhältnis ohne Zahlung einer Abfindung beenden, in dem er das Arbeitsverhältnis außerordentlich kündigt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erwarten ist, ist der Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag (BAG 30.09.1976, EzA § 9 KSchG n. F. Nr. 3) nur so ist nämlich eine sachgerechte Vorausschau hinsichtlich der zukünftigen Gestaltung des Arbeitsverhältnisses durch das Gericht möglich. Als Auflösungsgründe im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG kommen nur Umstände in Betracht, die im Verhalten oder der Person des Arbeitnehmers wurzeln. Dabei kann es sich sowohl um das prozessuale Verhalten des Arbeitnehmers handeln, wie beispielsweise Beleidigungen oder sonstige ehrverletzende Äußerungen gegenüber dem Arbeitgeber oder Vorgesetzten als auch um das außerprozessuale Verhalten. Unzutreffende Rechtsausführungen in Schriftsätzen sind durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen grundsätzlich gedeckt und können daher nicht als Auflösungsgrund herangezogen werden. Demgegenüber sind unzutreffende Tatsachenbehauptungen, insbesondere dann, wenn sie den Tatbestand einer üblen Nachrede oder gar Verleumdung erfüllen, grundsätzlich dazu geeignet einen Auflösungsantrag des Arbeitgebers zu rechtfertigen. Dies gilt sowohl für eigene, außerprozessuale oder prozessuale Verhaltensweisen des gekündigten Arbeitnehmers als auch für außerprozessuale oder prozessuale Verhaltensweisen des Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers (BAG 30.06.1959, AP Nr. 56 zu § 1 KSchG; BAG 03.11.1983 - 2 AZR 204/82, n. v.). Sowohl für personen- als auch für verhaltensbedingte Auflösungsgründe gilt, dass nicht erforderlich ist, dass die Auflösungsgründe vom Arbeitnehmer schuldhaft herbeigeführt worden sind. Es kommt allein auf die objektive Sachlage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an (vgl. im einzelnen KR/Spilger, 5. Auflage 1998, § 9 KSchG, Rdnr. 50 ff.). Ausgehend von diesen Grundsätzen ist vorliegend davon auszugehen, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien aus Gründen, die im Verhalten des Klägers bzw. seiner Prozessbevollmächtigten liegen, nicht mehr zu erwarten ist. Der Kläger hat in nahezu sämtlichen Schriftsätzen im Verfahrensverlauf durch seine Prozessbevollmächtigte vortragen lassen, dass die Beklagte durch zielgerichtete, schikanöse Verhaltensweisen seine Arbeitsunfähigkeitszeiten in der Vergangenheit verursacht haben soll. Der Kläger hat u. a. vortragen lassen, die Beklagte habe seine Arbeitsunfähigkeit "bewusst und gezielt herbeigeführt, um einen Vorwand für ihre jetzige Verhaltensweise in diesem Verfahren zu schaffen" (Schriftsatz vom 13.03.2006, Seite 3, Bl. 81 d. A.), die Beklagte habe nach Abschluss der Reha-Maßnahme des Klägers "durch die bereits geschilderten schikanösen und unmenschlichen Verhaltensweisen am Arbeitsplatz des Klägers (dafür gesorgt), dass er kurzfristig wieder" erkrankt sei (Schriftsatz vom 15.03.2006, Seite 1, Bl. 91 d. A.), in der Vergangenheit hätten brutale, gegen den Kläger gerichtete Schikanen durch die Beklagte am Arbeitsplatz des Klägers stattgefunden (Schriftsatz vom 15.03.2006, Seite 2, Bl. 92 d. A.) bzw. der Kläger sei "an seinem Arbeitsplatz einer psychischen Gewalttour durch Schikanen ausgesetzt" gewesen und zwar durch die Beklagte. Diese prozessualen Ausführungen des Klägers bzw. seiner Prozessbevollmächtigten erfüllen ohne weiteres den Tatbestand einer üblen Nachrede. Die Ausführungen des Klägers bzw. seiner Prozessbevollmächtigten sind auch nicht durch rechtfertigenden Sachvortrag belegt. Den Ausführungen des Klägers lässt sich nicht einmal ansatzweise in tatsächlicher Hinsicht ein konkreter Vortrag entnehmen, der derartig gravierende Vorwürfe gegenüber seiner Arbeitgeberin rechtfertigen könnte.

Bei der Bestimmung der Abfindungshöhe ist die Kammer ausgegangen von einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt des Klägers in Höhe von 2.121,97 € entsprechend den Angaben zur Vergütung im Schreiben der Beklagten vom 15. Juni 2004 (Bl. 32 - 33 d. A.). Ausgehend von der für das Arbeitsverhältnis zur Anwendung kommenden Höchstgrenze von 12 Monatsverdiensten (§ 10 Abs. 1 KSchG) ist die Kammer unter Berücksichtigung des Alters des Klägers, der Dauer der Beschäftigungszeit, der Lage auf dem Arbeitsmarkt sowie dem Maß der Sozialwidrigkeit der streitgegenständlichen Kündigung zu der Auffassung gelangt, dass eine Abfindung in Höhe von 12.731,82 € als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes angemessen ist. Aus Sicht der Kammer ist vorliegend die Festlegung einer Abfindung in Höhe der Hälfte der Höchstgrenze insbesondere deshalb angebracht, weil die streitgegenständliche Kündigung sich lediglich durch ein geringes Maß an Sozialwidrigkeit auszeichnet und demgegenüber zu beachten ist, dass der Kläger durch sein Verhalten im Prozessverlauf bzw. das Verhalten seiner Prozessbevollmächtigten den Auflösungsgrund herbeigeführt hat.

3. Aus dem Erfolg des Auflösungsantrags der Beklagten folgt die Unbegründetheit des für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag gestellten Weiterbeschäftigungsantrags.

II.

Die Kosten des Rechtsstreits waren verhältnismäßig zu teilen, da jede Partei teils obsiegt hat, teils unterlegen ist (§§ 46 Abs. 2 ArbGG, 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

III.

Der Wert des Streitgegenstandes ist im Hinblick auf den Feststellungsantrag gemäß § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG in Höhe eines Bruttovierteljahresgehaltes sowie im Hinblick auf den Weiterbeschäftigungsantrag in Höhe eines weiteren Bruttomonatsgehaltes festgesetzt.



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