Arbeitsgericht Kassel

Urteil vom - Az: 7 Ca 518/02

Verdachtskündigung; "Untergejubeltes Diebesgut"; Darlegungslast des Arbeitgebers

Spricht der Arbeitgeber eine Kündigung wegen Verdachts des versuchten Diebstahls aus und kann der Arbeitnehmer schlüssig darlegen, dass ihm das "Diebesgut" (hier: Paketkleberolle) von anderen Arbeitnehmern in die Tasche gelegt wurde, so liegt es am Arbeitgeber das Gegenteil zu beweisen.
Anders liegt der Fall, wenn die mitgenommene Sache so schwer ist, dass der Arbeitnehmer sie beim Tragen seiner Tasche bemerkt haben musste.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose noch durch die vorsorglich fristgerechte Kündigung vom 27. September 2002 aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Produktionsarbeiter weiterzubeschäftigen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.042,89 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten vorliegend im Wesentlichen darüber, ob das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche und vorsorglich fristgerecht ausgesprochene Kündigung vom 27. September 2002 (Bl. 5 d.A.) aufgelöst worden ist.

Die Beklagte produziert technische Schläuche für die industrielle Anwendung und zur Verbindung von Komponenten in Automobilen.

Der im Mai 1957 geborene Kläger, der verheiratet ist und 2 Kinder zu versorgen hat, trat seine Beschäftigung bei der Beklagten in deren in Korbach gelegenen Werk am 23. März 1992 als Produktionsarbeiter an. Er verdiente zuletzt 2.347,63 € brutto pro Monat.

Im Werk der Beklagten kommen die Tarifverträge für die Chemische Industrie zur Anwendung u.a. der am 01. Januar 1993 in Kraft getretene Manteltarifvertrag.

Im Betrieb der Beklagten besteht ein Betriebsrat. Betriebsratsvorsitzender ist Herr ....

Mit ihrem Schreiben vom 27. September 2002 (Bl. 5 d.A.) kündigte die Beklagte dem Kläger das Arbeitsverhältnis fristlos und vorsorglich fristgerecht zum 31. Dezember 2002. Mit der Unterrichtung für den Betriebsrates gem. § 102 BetrVG vom 26. September 2002, eingegangen bei dem Betriebsrat am 26. September 2002 (Bl. 36 d.A.), mit der beigefügten Begründung (Bl. 37, 38 d.A.) teilte die Beklagte dem Betriebsrat mit, dem Kläger außerordentlich und hilfsweise die ordentliche Kündigung unter Einhaltung der tariflichen Kündigungsfrist zum nächst möglichen Termin zu erklären.

Mit dem Schreiben vom 27. September 2002 (Bl. 7, 8 d.A.) teilte der Betriebsrat Herrn ... von der Personalabteilung der Beklagten mit, gegen die außerordentliche Kündigung habe der Betriebsrat erhebliche Bedenken und einer ordnungsgemäßen Kündigung werde widersprochen.

Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 27. September 2002 Bezug genommen.

Am Dienstag, dem 24. September 2002 hatte der Kläger Spätschicht, die von 13.30 Uhr bis 21.30 Uhr dauerte.

Zum Ende der Spätschicht wurde am Tor 3 des Werkes in Korbach vom Werkschutz eine Taschenkontrolle durchgeführt und zwar bei Arbeitnehmern, die bei Schichtende dieses Tor auf dem Nachhauseweg passierten. Der Kläger hatte seine Tasche dabei. Der Werkschutz fand in dieser Tasche eine Rolle Paketklebeband der Marke tesa-film. Klebebänder bezieht die Beklagte in großen Mengen, um beispielsweise Transportkisten zuzukleben. Der Wert einer Rolle beläuft sich auf knapp 3,00 €. Am 25. September 2002 führten die Herren ... - Herr ... ist ein Vorgesetzter des Klägers - und Herr ... und das Betriebsratsmitglied Herr ... ein Gespräch. Herr ... von der Personalabteilung äußerte gegenüber dem Kläger, man habe ihn im Verdacht, gestohlen zu haben bzw. einen Diebstahl versucht zu haben. In dem Gespräch erklärte der Kläger, seine Tasche am Arbeitsplatz abgestellt zu haben.

Der Kläger trägt vor:

Er habe seine Tasche auf den Arbeitstisch gestellt und nicht in den in der Nähe des Arbeitsplatzes befindlichen kleinen Spind im Spindschrank gebracht. Dieser sei zu klein. Es sei etwa 35 cm hoch und etwa 25 bis 30 cm breit, während seine Tasche eine Grundfläche etwa im DIN A4 Format habe und 35 bis 40 cm hoch sei.

In dem Arbeitsspind hätte er verschiedene Werkzeuge, wie Schere, einen Seitenschneider eine Schieblehre und eine Ratsche untergebracht und mehrere große Schlüssel mit einer Maulweite von 24.

Als er sich gegen 17.30 Uhr in den Pausenraum begeben habe, habe er aus der Tasche die Kunststoffdose mit den Broten herausgeholt und ferner die Flasche Selterswasser. Nach der Pause habe er sich wieder an den Arbeitsplatz begeben. Etwa 1 ½ Stunden später sei er noch einmal zu einer Raucherpause in den Pausenraum gegangen und dann wieder an den Arbeitsplatz zurückgekehrt und er habe dann bis zum Ende der Schicht gearbeitet.

Nach Schichtende und bei Verlassen des Werkes habe er aus einer Entfernung von etwa 70 m mit 2 Kollegen gesehen, es würden Taschenkontrollen durchgeführt. Er habe sich noch mit diesen beiden Kollegen darüber amüsiert, was das denn schon wieder solle, das führe zu einer zeitlichen Verzögerung. Schließlich hätten sie nichts zu verbergen. Als er die Tasche geöffnet habe, habe sich in ihr auf der Brotdose, ohne weiteres gut sichtbar, die Rolle Kunststoffklebeband befunden. Der Werkschutzmann habe die Rolle an sich genommen und ihm bedeutet, er könne gehen.

Herr ... habe ihm in dem Gespräch am 25. September 2002 am nächsten Tage erklärt, man habe ihn im Verdacht, gestohlen zu haben bzw. einen Diebstahl versucht zu haben. Er habe in dem Gespräch eingeräumt, die Rolle stehe im Eigentum der Beklagten. Er habe aber darauf hingewiesen, er habe sich das Klebeband nicht angeeignet und auch nicht in die Tasche gesteckt. Weiter habe er Herrn ... darauf hingewiesen, er stelle seine Tasche am Arbeitsplatz ab, weil das Spind zu klein sei und er misstraue auch seinen Kollegen nicht. Weiter habe er Herrn ... darauf hingewiesen, angesichts der geringen Ausmaße der Rolle, wäre es für ihn ein Leichtes gewesen, die Rolle Klebeband am Körper in seiner Kleidung unterzubringen. Er habe auch darauf hingewiesen, seine Tasche ohne Weiteres aufgemacht zu haben und die Rolle sei dort obenauf sichtbar gewesen.

In der Vergangenheit sei es in seinem Arbeitsbereich bereits mehrfach vorgekommen, dass jemand aus dem Kreise der Kollegen den ein oder anderen Mitarbeiter, der seine Tasche offen zugänglich abgestellt hat, dort irgendeinen Gegenstand hineingelegt habe. So ein mögliches Verhalten von Kollegen werde auch von dem Betriebsrat in der Stellungnahme vom 27. September 2002 bestätigt. Er habe jedenfalls das Klebeband nicht in seine Tasche verbracht.

Er habe auch keinen Bedarf an Klebeband gehabt, bzw. die Absicht gehabt, sein Heim beispielsweise gegen Giftgasattacken seitens des Irak mit Klebeband abzudichten o.ä..

In Zukunft werde er jedenfalls seine Tasche regelmäßig akribisch kontrollieren und auch die Tasche am Arbeitsplatz in das Arbeitsspind einschließen, vorausgesetzt, die Beklagte schaffe nun endlich größere Arbeitsspinde. Herr ... sei schon gegenüber dessen Vorgesetzten mehrfach vorstellig geworden, die Arbeitsspinde seien zu klein.

Die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates werde bestritten. Von der Beklagten sei insoweit nicht vorgetragen worden, ob sie ihn lediglich in Verdacht gehabt habe gestohlen zu haben, oder ob sie davon ausgegangen sei, er habe gestohlen.

Die außerordentliche Kündigung sei nicht wirksam und die vorsorglich ausgesprochene ordentliche Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose noch durch die vorsorglich ausgesprochene hilfsweise Kündigung vom 25. September 2002 aufgelöst worden ist;

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. wird die Beklagte verurteilt, den Kläger als Produktionsarbeiter weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor:

Der Kläger habe sich dahingehend eingelassen, seine Tasche habe nicht in dem Spind gestanden, dafür sei sie zu groß gewesen. Der Spind habe eine Höhe von 30 cm und eine Breite von 27 cm und eine Tiefe von 28 cm. Die Maße seien von Herrn ... genommen worden. Mit Nichtwissen werde bestritten, der Kläger habe im Anschluss an die Pause die Kunststoffdose und die Flasche Selters zurück in die Tasche gelegt und diese dann verschlossen. Mit Nichtwissen werde auch bestritten, dass der Kläger den Arbeitsplatz verlassen habe, ohne seine Tasche nochmals zu kontrollieren. Bestritten werden auch, dass schon von Weitem zu bemerken gewesen sei, dass der Werkschutz bei Passieren des Tores 3 Taschenkontrollen durchführte. Beim Verlassen der Halle sei der Pavillon am Tor 3 nicht von Ferne einsehbar. Bestritten werde auch, dass sich der Kläger mit den von ihm benannten Kollegen darüber unterhalten habe, was es mit der Torkontrolle auf sich habe. Richtig sei, dass nach und nach größere Arbeitsspinde angeschafft würden. Der Austausch sei noch nicht abgeschlossen.

Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Die Betriebsratsanhörung sei durch Herrn ... am 26. September 2002 dem Betriebsratsmitglied ... übergeben worden. Am 27. September 2002 sei Herrn ... der schriftliche Widerspruch des Betriebsrates vorgelegt worden. Der Betriebsrat hätte bereits am 26. September 2002 die Sitzung durchgeführt. Die Kündigung selbst sei dann am 30. September 2002 per Boten zugegangen. Ausweislich der Betriebsratsanhörung sei der Betriebsrat zu einer Tat- und Verdachtskündigung angehört worden.

Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers wird auf die Klage nebst Anlagen (Bl. 1 - 8 d.A.), auf dessen Schriftsatz vom 14. März 2003 (Bl. 25 - 32 d.A.) und schließlich auf dessen Schriftsatz vom 14. Mai 2003 (Bl. 39 - 41 d.A.) Bezug genommen.

Wegen des Vorbringens der Beklagten wird auf deren Schriftsatz vom 15. Januar 2003 (Bl. 17 - 20 d.A.) und auf deren Schriftsatz vom 29. April 2003 nebst Anlagen (Bl. 33 - 38 d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die fristlose noch durch die vorsorglich fristgerechte Kündigung vom 27. September 2002 aufgelöst worden.

Der Kläger unterfällt dem Kündigungsschutzgesetz (§§ 1, 23 KSchG). Er hat die 3 Wochenfrist hinsichtlich der fristlosen und vorsorglich fristgerechten Kündigung gem. § 11 III MTV zum 31. Dezember 2002 gewahrt (§§ 13, 4 KSchG), zumal dem Kläger die Kündigung am 30. September 2002 zu- und die Klage am 16. Oktober 2002 bei Gericht einging.

Entsprechend der Anhörung des Betriebsrates vom 26. September 2002 hat die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 26. September 2002 an den Betriebsrat die Kündigung sowohl auf eine Tat- als auch auf eine Verdachtskündigung gegenüber dem Betriebsrat begründet, was sie auch zur Begründung der Kündigung prozessual erklärt hat.

Die Voraussetzungen für eine Tatkündigung liegen nach Auffassung der Kammer schon deshalb nicht vor, weil insoweit für einen eventuellen Gewahrsamsbruch an der tesa-Klebebandrolle nicht dargelegt worden ist, ein Zeuge habe etwa gesehen, der Kläger habe die Rolle in seine Tasche gesteckt.

Es entspricht allgemeiner Meinung, dass auch der Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen schweren vertraglichen Verfehlung als wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung ausreicht, wenn der Verdacht dringend ist, durch Tatsachen objektiv begründet und alles Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhaltes geschehen ist, so dass wegen des Verdachts das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen zerstört ist oder in anderer Hinsicht eine unerträgliche Belastung des Arbeitsverhältnisses besteht (vgl. z.B. ErfK-Müller-Glöge, 3. Auflage, § 626 Rdn 208 ff.). Danach stellt der Verdacht wegen einer Tat einen eigenständigen Tatbestand dar und ist wie eine Tatsache unter § 626 BGB einzuordnen. Diese Voraussetzungen liegen indessen nach Auffassung der Kammer aufgrund des insoweit unstreitigen Sachverhaltes nicht für die Anwendung des § 626 BGB vor. Die Voraussetzungen liegen auch nicht vor für eine fristgerechte Kündigung mit der verbundenen Maßgabe, dass der Beklagten unter Abwägung der beiderseitigen Interessen zuzumuten ist, das Arbeitsverhältnis über den 31. Dezember 2002 hinaus fortzusetzen.

Es ist zu beachten, dass ein Verdacht gegen einen Arbeitnehmer im Laufe des Kündigungsschutzprozesses bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz rückwirkend durch Be- oder Entlastungstatsachen ausgeräumt oder verstärkt werden kann. Soweit insoweit Tatsachen vorgetragen werden, die im Zeitpunkt der Kündigung vorlagen, sind diese unabhängig davon zu berücksichtigen, ob sie dem Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt bekannt waren oder bekannt sein konnten (vgl. BAG NZA 1995, 269). Insoweit mag dies zum Ergebnis haben, dass zur Zeit des Zugangs der Kündigungserklärung ein dringender Tatverdacht in Bezug auf den Kläger für die Beklagte vorlag. Wenn aber im Laufe des gerichtlichen Verfahrens nachträglich entlastende Tatsachen bekannt werden, kann die Kündigung dennoch unwirksam sein (vgl. BAG AP-Nr. 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbare Handlung).

Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass an sich der Diebstahl einer im Eigentum des Arbeitgeber stehenden Sache auch von geringem Wert einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gem. § 626 BGB darstellen kann. Liegt ein solcher Fall vor, bedarf es keiner Abmahnung und die Interessenabwägung geht auch insoweit regelmäßig, auch bei einem langjährig bestehenden Arbeitsverhältnis, zugunsten des Arbeitgebers aus. Denn der Arbeitnehmer weiß, dass er den Verlust des Arbeitsplatzes mit sofortiger Wirkung riskiert, wenn er vorsätzlich die Eigentums- und Vermögensrechte seines Arbeitgebers durch das Begehen von Eigentums- oder Vermögensdelikten verletzt. Soweit die Verdachtskündigung als eigenständiger Kündigungstatbestand herangezogen werden kann, muss allerdings der Verdacht so dringend sein, dass eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der gekündigte Arbeitnehmer die Straftat oder die ihm vorgeworfene Pflichtverletzung auch begangen hat (vgl. BAG AP-Nr. 24, 25, 29 § 626 Verdacht strafbare Handlung). Es kommt dabei nicht entscheidend an, ob der Arbeitnehmer selbst Umstände für die Annahme eines Verdachtes gesetzt hat.

Es bleibt aber dabei, dass, wenn auch im Rahmen einer Anhörung vom Arbeitnehmer entlastende Indizien oder Momente vorgetragen werden, es Aufgabe des kündigenden Arbeitgebers auch im Zusammenhang mit einer Verdachtskündigung ist, insoweit darzulegen und zu beweisen, dass dieser Vortrag vorgeschoben ist oder lediglich eine Schutzbehauptung darstellt.

Davon ausgehend kann man als Tatsache, die den dringenden Verdacht eines durch den Kläger begangenen Diebstahls begründen können, folgende Umstände in Betracht:

Am 24. September 2002, nach Beendigung der Schicht, wurde in der Tasche des Klägers eine Rolle Paketklebeband der Marke tesa-film vorgefunden, die einen Wert von etwa 3,00 € hat. Das Eigentumsrecht der Beklagten wurde von dem Kläger nicht in Abrede gestellt und der Kläger hat auch insoweit erklärt, er habe niemanden gefragt, ob er ein Klebeband habe mitnehmen dürfen. Einen Berechtigungsschein hatte sich der Kläger auch nicht besorgt. Weiter kann als Indiz für einen dringenden Verdacht herangezogen werden, dass nach den Behauptungen der Beklagten das Tor 3 vom Betriebsgelände aus gesehen erst kurz vor dem Passieren einsehbar ist.

Dagegen hat der Kläger als Indizien bzw. als Entlastungsmomente vorgetragen, er habe seine Tasche auf den Arbeitstisch gelegt, und im Anschluss an die Pause die Kunststoffdose und die Seltersflasche zurück in die Tasche gelegt und diese zugemacht. Er habe dann nach der Essenspause noch einmal eine Raucherpause im Pausenraum eingelegt. Diese Umstände hat die Beklagte zwar bestritten. Das konnte sie gem. § 138 ZPO. Es wäre aufgrund des detaillierten Vortrags des Klägers insoweit allerdings Sache der Beklagten gewesen, einen anderen Geschehensablauf darzulegen (vgl. KR-Etzel, 6. Auflage, § 1 KSchG Rdn 362). Die Beklagte setzt in diesem Zusammenhang nicht konkret mit dem Vortrag des Klägers auseinander, in der Vergangenheit sei es bereits mehrfach vorgekommen, dass dem einen oder anderen Mitarbeiter, der seine Tasche zugänglich abgestellt hatte, dort irgendein Gegenstand hineingelegt worden sei. Dieser Vortrag ist nach Auffassung des Gerichts nicht "an den Haaren" herbeigezogen oder stellt keine Schutzbehauptung dar in Bezug auf einen "großen Unbekannten", dem man ein strafbares Verhalten in die Schuhe schieben will, um aus dem Dilemma herauszukommen. Es ist gerade hier nach dem juristisch anzunehmenden Geschehensablauf nicht so gewesen, dass der Kläger während der gesamten Schicht allein Zugang zu seiner Tasche gehabt hätte. Es wäre hier insoweit jedenfalls kündigungsrechtlich Sache der Beklagten gewesen, einen anderen Geschehensablauf darzulegen und zu beweisen (vgl. KR-Etzel, aaO).

Es besteht eine nachvollziehbare Wahrscheinlichkeit, dass dem Kläger tatsächlich auch entsprechend dem Vortrag des Betriebsrates in seinem Schreiben vom 27. September 2002 das Klebeband aus Gehässigkeit, Dummheit oder Unfug in der Raucherpause in die Tasche gesteckt wurde.

Der Kläger wurde gerade nicht am Werkstor mit einem 3 Kilo Hammer in seiner Tasche gestellt. Insoweit wäre die Berufung auf mögliche Dritte tatsächlich eine fadenscheinige Schutzbehauptung gewesen. Eine solche "schwere Tasche" mit einem derartigen Gewicht, die die Tasche beim Tragen nach unten zieht, hätte die interne, subjektive Fragestellung zugelassen, ob der Arbeitnehmer mit einer solchen Einlassung, er hätte das nicht gemerkt, den Fragenden auf den Arm nehmen will.

Insoweit ist jedenfalls der Verdacht gegenüber dem Kläger objektiv nicht schwerwiegend.

Soweit die Tatsachen streitig sind, ob das Tor 3 vom Betriebsgelände aus gut einsehbar ist oder nicht, kam es nach Ansicht des Gerichts nicht darauf an und auch nicht, ob ggf. der Kläger verpflichtet gewesen wäre, die Tasche in dem am Arbeitsplatz befindlichen Spind aufzubewahren.

Soweit die Parteien sich mit der Größe des Arbeitsspindes auseinandersetzen, ist dies für den vorliegenden Rechtsstreit nicht erheblich. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass die Tasche in den Arbeitsspind zu verschließen ist. Das wäre nur dann beachtlich gewesen, wenn das System insoweit geschlossen gewesen wäre, dass tatsächlich die Tasche nur dem Zugriff des Klägers zur Verfügung gestanden hätte, er diese also nach der Arbeitsaufnahme in den Arbeitsspind verschlossen hätte, diese in den Pausenraum mitgenommen hätte und diese wiederum nach der Essenspause wieder in den Arbeitsspind verschlossen hätte. Insoweit mag dem Kläger Nachlässigkeit vorgeworfen werden, weil er die Tasche nicht in den Spind geschlossen hat. Wenn ihm insoweit etwas aus der Tasche gestohlen worden wäre, wäre die Beklagte insoweit nicht haftbar zu machen.

Mangels dringendem Tatverdacht ist damit auch die fristgerechte Kündigung zum 31. Dezember 2002 gem. § 1 KSchG sozial nicht gerechtfertigt.

Der Kläger ist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens aufgrund der Rechtsprechung des großen Senates weiterzubeschäftigen (BAG GS 1/84).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Der Wert des Streitgegenstandes beläuft sich auf 3 Monatseinkommen des Klägers (§ 61 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 3 ZPO).



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