Arbeitsgericht Kassel

Urteil vom - Az: 8 Ca 230/05

Maßregelungsverbot; Vorenthalten einer Sonderzahlung

Verweigert der Arbeitgeber eine Sonderzahlung an eine Arbeitnehmerin, weil diese zuvor eine Vereinbarung bezüglich der Ersetzung des bisherigen Weihnachtsgeldes mit der (geringeren) Sonderzahlung nicht zugestimmt hat, so stellt dies eine unzulässige Maßregelung (§612a BGB) dar.

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 328,07 EUR (in Worten: Dreihundertachtundzwanzig + 07/100 EURO) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 19. Mai 2005 zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 328,07 EUR festgesetzt.

4. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer Sonderzahlung für das Jahr 2004.

Die Klägerin ist bei der Beklagten, welche in ... ein Seniorenzentrum betreibt, seit dem 25. Oktober 2000 als Altenpflegehelferin beschäftigt. Das monatliche Bruttoentgelt der Klägerin betrug zuletzt 782,99 EUR.

Mit der vorliegenden Klage macht sie einen Anspruch auf eine Jahressonderzahlung in Höhe von 41,9 % des ihr zustehenden Bruttomonatsgehaltes, mithin in Höhe von 328,07 EUR brutto für das Kalenderjahr 2004 geltend.

Zwischen der Beklagten und einem Teil ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wurde unter dem 03. November 2003 eine Vereinbarung unterzeichnet, nachdem diese auf das Weihnachtsgeld November 2003 verzichten und stattdessen eine Prämie in Höhe von 41,9 % des durchschnittlichen Monatsgehaltes erhalten sollten. Bezüglich der Einzelheiten dieses Schreibens wird auf Blatt 25 der Akte verwiesen. Diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die das oben genannte Schreiben unterzeichnet haben, haben eine Prämie in Höhe von 41,9 % des jeweiligen durchschnittlichen Monatsgehaltes als Sonderzahlung für das Jahr 2004 erhalten. Diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die das oben genannte Schreiben nicht unterzeichnet haben, haben auch eine Sonderzahlung für das Jahr 2004 nicht erhalten.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass ihr der eingeklagte Anspruch zumindest aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten zustehe.

Die Klägerin beantragt daher,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 328,07 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz der EZB ab Zustellung der Klageschrift zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet zunächst, dass die Klägerin das oben genannte Schreiben vom 03. November 2003 ausdrücklich mit einem "Nein" versehen habe. Dementsprechend ist sie der Ansicht, dass die Klägerin damit die gesamte Vereinbarung nicht hinnehmen wolle und sich nunmehr mit der erhobenen Klage in Widerspruch setze. Auch aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten stehe der Klägerin der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Vielmehr sei es gerechtfertigt gewesen, zwischen den Unterzeichnern des Schreibens vom 03. November 2003 und den Nichtunterzeichnern dieses Schreibens zu unterscheiden. Jedenfalls sei eine Benachteiligung der Klägerin nicht gegeben.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitgegenstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21. Dezember 2005 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Auszahlung einer Sonderzahlung/Prämie für das Jahr 2004 in Höhe von 328,07 EUR brutto, was 41,9 % des monatlichen Bruttoentgelts der Klägerin für Monat November 2004 in Höhe von 782,99 EUR entspricht. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes gem. § 612 a BGB zu. Die Beklagte war nicht berechtigt, die Klägerin gegenüber denjenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ungleich zu behandeln, die im Kalenderjahr 2004 eine Sonderzahlung/Prämie in Höhe von 41,9 % ihres jeweiligen Bruttomonatsgehaltes erhalten haben.

Nach § 612 a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässigerweise seine Rechte ausübt. Damit verbietet § 612 a BGB jede Benachteiligung des Arbeitnehmers. Ein Verstoß gegen § 612 a BGB liegt deshalb nicht nur dann vor, wenn der Arbeitnehmern eine Einbuße erleidet, d. h. wenn sich seine Situation gegenüber dem bisherigen Zustand verschlechtert, sondern auch dann, wenn ihm Vorteile vorenthalten werden, welche der Arbeitgeber anderen Arbeitnehmern gewährt, wenn diese entsprechende Rechte nicht ausgeübt haben. Dies gilt auch im Bereich freiwilliger Leistungen (BAG, 12.06.2002, NJW 2003, 772 m. w. N.).

Die Klägerin hat in der Nichtunterzeichnung der Vereinbarung vom 03. November 2003 zulässigerweise ihr Recht ausgeübt, als sie sich insbesondere mit der Streichung des Weihnachtsgeldes und der Ersetzung desselben mit einer Prämie in Höhe von 41,9 % nicht einverstanden erklärte. Selbst wenn mehrere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dieser Vereinbarung zustimmten, war sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet, dies auch zu tun.

Die Maßnahme im Sinne des § 612 a BGB der Beklagten lag sodann darin, solche Arbeitnehmern vom Bezug der Sonderzahlung 2004 auszuschließen, die der vertraglichen Vereinbarung vom 03. November 2003 nicht zugestimmt hatten. Diese Maßnahme war unter keinen rechtlichen Gesichtpunkten gerechtfertigt. Ein vernünftiger, sachlich einleuchtender Grund für die Ungleichbehandlung ist nicht gegeben.

Die vorgenommene Gruppenbildung in Unterzeichner und Nichtunterzeichner des Schreibens vom 03. November 2003 war im vorliegenden Fall willkürlich und sachlich ungerechtfertigt. Insbesondere ist der vorliegende Fall nicht mit dem vom BAG (NZA 2005, 1117) entschiedenen Fall zu vergleichen. Dort verneinte das BAG einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz bei Nichteinhaltung einer Vereinbarung über die Zahlung einer Abfindung bei arbeitnehmerseitigem Verzicht auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage. In diesem Fall sei die Abfindung wegen der Klageerhebung des Arbeitnehmers zu Recht vorenthalten worden, da der Arbeitnehmer die ihm abverlangte Gegenleistung, nämlich den Verzicht auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage, nicht erbracht habe. Diese Konstellation liegt im hiesigen Verfahren gerade nicht vor. Die Klägerin hat ihre Arbeitsleistung ganzjährig für die Beklagte erbracht. Dafür soll sie mit einem Weihnachtsgeld bzw. im vorliegenden Fall mit einer Sonderzahlung / Prämie belohnt werden. Die Klägerin hat also ihre Gegenleistung für diese Sonderzuwendung erbracht. Erhält sie diese Sonderzuwendung im Gegensatz zu anderen Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmern nicht, so wird sie gemaßregelt.

Schließlich, unterstellt die Klägerin habe die Vereinbarung vom 03. November 2003 tatsächlich mit "Nein" unterschrieben, entfällt auch aus diesem Grund ein Anspruch der Klägerin nicht. Die Klägerin hat mit diesem "Nein" keinesfalls gänzlich auf ein Weihnachtsgeld bzw. eine Sonderzuwendung verzichtet. Vielmehr hat sie mit einem solchen "Nein" nur zum Ausdruck gebracht, dass sie der konkreten Vereinbarung vom 03. November 2003, nämlich der Verringerung des Weihnachtsgeldes auf 41,9 %, nicht zustimmt. Sie hat ebenfalls damit zum Ausdruck gebracht, dass sie an der bisherigen Regelung, nämlich dem Erhalt des vollen Weihnachtsgeldes, festhalten wolle.

Aufgrund der Verletzung des Maßregelungsverbots ist die Klägerin so zu stellen, als wäre die verbotene Maßregelung nicht erfolgt. Die rechtswidrige Benachteiligung durch die Beklagte ist zu beseitigen. Insoweit ergibt sich mithin eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten bezüglich der vorenthaltenen Leistung (vgl. BAGE 101, 312) in Höhe der vorenthaltenen Sonderzahlung/Prämie.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG, wobei die Beklagte als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.

Die Streitwertfestsetzung erfolgt gem. den §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 3 ZPO, wobei die Höhe der Klageforderung anzusetzen war.

Die Berufung war im vorliegenden Fall ausdrücklich zuzulassen. Zum einen wurde die Zulassung der Berufung von beiden Parteien einvernehmlich angeregt. Des weiteren wurde in einem Parallelverfahren des Arbeitsgerichts Kassel (Az.: 6 Ca 229/05) durch die Beklagte mittlerweile Berufung eingelegt. Im Hinblick auf eine einheitliche Rechtsprechung war somit auch im vorliegenden Fall die Berufung zuzulassen, was auch unter Berücksichtigung der Wertung des § 64 Abs. 3 Nr. 2 c ArbGG aus Sicht der Kammer möglich war.



Sie kennen die Kanzlei Labisch aus folgenden Medien:

Logo SWR1
Logo SWR4
Logo RPR1
Logo Wiesbadener Kurier
Logo Geißener Anzeiger
Logo Wormser Zeitung
Logo Wiesbadener Tagblatt
Logo Main Spitze
Logo Frankfurter Rundschau
Logo Handelsblatt
Logo Allgemeine Zeitung
Logo Darmstädter Echo
Logo Focus
Logo NTV
Logo ZDF WISO
Lexikon schließen
Schließen