Arbeitsgericht Kassel

Beschluss vom - Az: 6 BV 9/02

Betriebsratswahl: Anzahl der regelmäßig Beschäftigten

Hinsichtlich der Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer im Sinne von § 9 BetrVG ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens abzustellen. Bei der Feststellung der Zahl der regelmäßig Beschäftigten ist sowohl ein Rückblick vorzunehmen als auch die zukünftige Entwicklung einzuschätzen. Dabei kommt es nicht auf bestimmte, dem Namen nach bezeichnete Arbeitnehmer, vielmehr allein auf den abstrakten Arbeitskräftebedarf an.

Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Antragstellerin betreibt einen Metall- und Kunststoff-Verarbeitungsbetrieb. Die genaue Zahl der betriebsratswahlberechtigten Arbeitnehmer ist zwischen den Beteiligten streitig. Der Beteiligte zu 2) ist der Betriebsrat, der aus der am 22.03.2002 gemäß Wahlausschreiben vom 07.02.2002 durchgeführten Betriebsratswahl hervorgegangen ist. Wegen Einzelheiten des Wahlausschreibens vom 07.02.2002 wird auf Bl. 14-17 d. A. Bezug genommen. In dem Wahlausschreiben heißt es, dass sieben Betriebsratsmitglieder zu wählen seien, da von einer Beschäftigungszahl von 108 Arbeitnehmern auszugehen sei.

Mit dem vorliegenden Anfechtungsverfahren greift die Antragstellerin die durchgeführte Betriebsratswahl an, nachdem zuvor ein Antrag vom 15.04.2002, die Betriebsratswahl per einstweiliger Verfügung zu stoppen, rechtskräftig zurückgewiesen worden ist (Az.: 6 BVGa 7/02).

Die Antragstellerin behauptet, bezogen auf den Zeitpunkt der Betriebsratswahl beschäftige sie weniger als 101 Arbeitnehmer.

Insoweit ist sie zunächst der Auffassung, die Mitarbeiter B, O, P und W seien bei der Ermittlung der Arbeitnehmerzahl nicht zu berücksichtigen. Hierbei ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass Herr B auf der Grundlage eines -- mittlerweile verlängerten -- Altersteilzeitvertrages noch bis zum Ablauf des 30.09.2002 im Betrieb beschäftigt sein wird. Herr O ging ab 01.05.2002 im Rahmen von Altersteilzeit in die Freistellungsphase. Herr P schied zum Ablauf des 30.06.2002 wegen des Bezugs von Altersrente aus, und Herr W aus dem gleichen Grund zum Ablauf des 31.07.2002.

Die Antragstellerin behauptet weiter, dass in die Wählerliste fälschlicherweise freie Handelsvertreter aufgenommen worden seien, die in Wirklichkeit nicht Arbeitnehmer der Antragstellerin seien. Wegen Einzelheiten wird auf die unter Ziffer 5 bis Ziffer 10 in der Antragsschrift aufgeführten Personen Bezug genommen.

Des weiteren meint sie, dass der Mitarbeiter R (Seite 7 f. der Antragsschrift) ebenfalls zu Unrecht auf der Wählerliste stehe, da er rechtlich als leitender Angestellter anzusehen sei. Gleiches gelte für den Arbeitnehmer M (Seite 9 f. der Antragsschrift). Der Arbeitnehmer S, dessen Status zwischen der Beklagten im Verfahren 6 BVGa 7/02 noch streitig war, wurde noch vor Durchführung der Betriebsratswahl von der Wählerliste genommen.

Ausgehend von ihren Behauptungen meint die Antragstellerin, dass dem zu wählenden Betriebsrat nicht sieben, sondern lediglich fünf Mitglieder hätten angehören dürfen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Betriebsratswahl vom 22.03.2002 für unwirksam zu erklären.

Der Beteiligte zu 2) beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er meint, korrekterweise sei -- unter Nichtberücksichtigung von Herrn S -- von einer Beschäftigtenzahl von 107 Arbeitnehmern im Zeitpunkt der Durchführung der Betriebsratswahl auszugehen.

Insbesondere seien jene Mitarbeiter, die im Laufe des Kalenderjahres 2002 ausgeschieden seien bzw. noch ausscheiden würden, mitzurechnen, da sie jedenfalls im Zeitpunkt der Durchführung der Betriebsratswahl noch wahlberechtigt gewesen seien.

Hinsichtlich der sechs von der Antragstellerin erwähnten Außendienstmitarbeiter behauptet sie, dass diese ausschließlich für die Antragstellerin tätig und wirtschaftlich von dieser abhängig seien.

II.

Der Antrag ist nicht begründet. Gründe für eine Anfechtung der Betriebsratswahl (§ 19 Abs. 1 BetrVG) liegen nicht vor.

Soweit die Antragstellerin zunächst meint, für die Bemessung der Anzahl der Betriebsratsmitglieder sei nicht von einer Arbeitnehmeranzahl über 100 auszugehen, ist ihr zwar im Ausgangspunkt dahingehend Recht zu geben, dass ein derartiger Verfahrensfehler zur Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl führen kann (vgl. Däubler u.a., BetrVG-Kommentar, 6. Auflage 1998, Rz. 17 zu § 9 BetrVG). Jedoch ist im vorliegenden Fall nicht davon auszugehen, dass der Wahlvorstand seinen ihm insoweit zukommenden Beurteilungsspielraum (vgl. Däubler u.a., aaO, Rz. 14 zu § 9 BetrVG) überschritten hätte.

Zunächst ist festzustellen, dass die Hinzurechnung der im Laufe des Kalenderjahres 2002, jedoch nach Durchführung der Betriebsratswahl, ausscheidenden vier Arbeitnehmer jedenfalls vertretbar ist.

Nach Auffassung des Gerichtes ist die Hinzurechnung sogar geboten. Dies ergibt sich aus der Überlegung, dass hinsichtlich der Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer im Sinne von § 9 BetrVG grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens abzustellen ist (vgl. Däubler u.a., aaO, Rz. 6 zu § 9 BetrVG). Zwar ist bei der Feststellung der Zahl der regelmäßig Beschäftigten sowohl ein Rückblick vorzunehmen als auch die zukünftige Entwicklung einzuschätzen (vgl. BAG, Beschluss vom 19.07.1983 = BB 1983, S. 2118). Nach Auffassung des Gerichtes muss jedoch bei der insoweit erforderlichen Einschätzung der künftigen Entwicklung die Tatsache, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens nach Behauptung der Antragstellerin mit dem Ausscheiden von vier Mitarbeitern noch im Kalenderjahr 2002 gerechnet werden musste, unberücksichtigt bleiben. Bei der Feststellung der Zahl der "in der Regel" beschäftigten Arbeitnehmer kommt es nicht auf bestimmte, dem Namen nach bezeichnete Arbeitnehmer, vielmehr allein auf den abstrakten Arbeitskräftebedarf an (genauso LAG Hamm, Beschluss vom 06.10.1978 = DB 1979, S. 1563 f.).

Die vom Bundesarbeitsgericht geforderte Berücksichtigung der künftigen Entwicklung kann daher nur bedeuten, dass eine künftige Verringerung oder Vergrößerung der Beschäftigtenzahl dann zu berücksichtigen ist, wenn diese auf eine genau bestimmte Änderung des Betriebszwecks zurückzuführen ist, die im Zeitpunkt der Durchführung der Wahl schon konkrete Gestalt angenommen hat (vgl. LAG Hamm, aaO., S. 1564). Hierfür hat die Antragstellerin jedoch keinerlei konkrete Tatsachen vorgetragen.

Die Tatsache, dass in -- relativer -- zeitlicher Nähe zum Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens vier Arbeitnehmer im Laufe des Kalenderjahres 2002 endgültig ausscheiden, beinhaltet noch keinerlei konkrete, auf Dauer gedachte Änderung des Betriebszweckes.

Ohne eine konkrete Änderung oder Beschränkung des Betriebszweckes müsste jede Berücksichtigung der künftigen Entwicklung auf eine bloße Spekulation hinaus laufen, die eine im Interesse des Rechtsfriedens erforderliche sichere Bestimmung der Größe des Betriebsrats unmöglich machen würde (genauso LAG Hamm, aaO., S. 1564).

Auch hinsichtlich der zwei angeblich leitenden Angestellten Riemenschneider und Motog (Ziffer 11 und 13 der Antragsschrift) ist eine rechtswidrige Überschreitung des Ermessensspielraums seitens des Beteiligten zu 2) nicht festzustellen. Hierbei ist im Ausgangspunkt zu beachten, dass grundsätzlich im Rahmen eines Wahlanfechtungsverfahrens nicht zu klären ist, ob bestimmte Arbeitnehmer zu Recht oder Unrecht vom Wahlvorstand als leitende Angestellte angesehen worden sind. Diese Fragestellung ist in aller Regel im Rahmen eines auf entsprechende Feststellung gerichteten Beschlussverfahrens nach § 5 Abs. 3 BetrVG zu klären (vgl. Hessisches LAG, Beschluss vom 22.04.1999, Az.: 12 TaBV 130/98, n.v.).

Ob Herr Riemenschneider leitender Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG ist, läßt sich auf der Grundlage des Vorbringens der Antragstellerin nicht feststellen. Insbesondere fehlen konkrete Ausführungen zu der Frage, ob ihm unternehmerische Teilaufgaben von erheblicher Bedeutung für den Bestand des Unternehmens (§ 5 Abs. 3 S. 2 Ziff. 3 BetrVG) obliegen. Ebenfalls fehlen Angaben zu der Frage, ob er einen erheblichen eigenen Entscheidungsspielraum hat und gegenüber der Antragstellerin auch wahrnimmt. Ebensowenig läßt sich anhand des Tatsachenvortrags der Antragstellerin für Herrn Motog mit hinreichender Sicherheit festzustellen, dass dieser leitender Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG ist. Angesichts der Tatsache, dass das Bundesarbeitsgericht -- soweit ersichtlich -- in der Mehrzahl der von ihm entschiedenen Fälle (vgl. Zusammenstellung bei Däubler u. a., aaO, Rz. 249 a ff. zu § 5 BetrVG) Verkaufs- bzw. Vertriebsleitern eine Eigenschaft als leitender Angestellter gerade nicht zuerkannt hat, kann jedenfalls von einem Ermessensfehler des Wahlvorstandes in keinem Fall ausgegangen werden.

Angesichts dieser Überlegungen käme eine offensichtlich fehlerhafte Hinzurechnung lediglich hinsichtlich der sechs angeblichen freien Handelsvertreter (Ziffer 5-10 der Antragsschrift, Bl. 5-7 d. A.) in Betracht. Hierüber braucht jedoch nicht abschließend entschieden zu werden, da man selbst unter Abzug dieser sechs Arbeitnehmer von der angesetzten Zahl von 107 Mitarbeitern immer noch auf 101 Mitarbeiter gelangt, die gemäß § 9 S. 1 BetrVG die Wahl eines siebenköpfigen Betriebsrates rechtfertigt.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 12 Abs. 5 S. 1 ArbGG gerichtskosten- und gebührenfrei.



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