Arbeitsgericht Kassel

Urteil vom - Az: 8 Ca 234/98

Außerordentliche Kündigung wegen Weiterbildung

Erscheint eine Arbeitnehmerin (hier: Krankenschwester) nicht zur Arbeit, weil sie eine Weiterbildung besucht und darauf vertrauen darf, dass dies rechtmäßig ist, so ist eine außerordentliche Kündigung unzulässig.
Eine außerordentliche Kündigung kan in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden.

Tenor

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 22. April 1998 aufgelöst worden ist, sondern fristgemäß zum 31. Mai 1998 beendet worden ist.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin und die Beklagte haben jeweils 50 % der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf DM 14.183,85 festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Die Beklagte betreibt einen häuslichen Krankenpflegedienst. Die Postanschrift der Beklagten lautet: ...

Die Klägerin, examinierte Krankenschwester, ist gemäß schriftlichem Arbeitsvertrag vom 28. Juli 1995 seit dem 04. September 1995 bei der Beklagten als Pflegedienstleiterin, zuletzt zu einem monatlichen Bruttoentgelt in Höhe von DM 4.727,95, beschäftigt. Insoweit wird auf die Anlage K 1 zur Klageschrift verwiesen.

Seit dem 03. November 1997 nahm die Klägerin in Absprache mit der Beklagten an einer "Weiterbildung zur Leitung einer Sozialstation/ eines ambulantes Pflegedienstes" teil. Die Weiterbildung sollte vom 03. November 1997 bis zum 09. Juni 1998 dauern. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den zwischen der Klägerin und dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) geschlossen Weiterbildungsvertrag vom 30. April 1997 als Anlage K 6 zum Schriftsatz der Klägerin vom 24. August 1998 verwiesen. Mit Schreiben vom 13. April 1998 setzte die Beklagte die Klägerin davon in Kenntnis, daß sie den Fortbildungskurs gekündigt habe und die Klägerin daran nicht mehr teilnehmen werde. Mit Schreiben vom 16. April 1998 erklärte die Klägerin, daß die Beklagte nicht legitimiert sei, den Vertrag zu kündigen, und daß die Klägerin beabsichtige, den Kurs fortzusetzen. Am 18. April 1998 kündigte die Klägerin an, daß sie ab Montag, den 20. April 1998 weiter an dem Weiterbildungskurs teilnehmen werde. Insoweit wird auf die Anlagen K 2 -- 3, 5 zur Klageschrift verwiesen. Die Beklagte teilte die Klägerin für den 20. April 1998 zum Dienst ein. Die Klägerin erschien an diesem Tag nicht an ihrem Arbeitsplatz.

Die Klägerin war vom 07. bis zum 15. April 1998 arbeitsunfähig krank geschrieben. Am Abend des 15. April 1998 warf der Ehemann der Klägerin eine bis zum 17. April 1998 fortschreibende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in den Briefkasten des Büros der Beklagten, ...

Mit Schreiben vom 22. April 1998, der Klägerin am selben Tage zugegangen, erklärte die Beklagte die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Insoweit wird auf die Anlage K 4 zur Klageschrift verwiesen.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit der am 11. Mai 1998 erhobenen Kündigungsschutzklage.

Die Klägerin behauptet, daß die Beklagte mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftige.

Die Klägerin behauptet, sie habe die Beklagte am 15. April 1998 morgens gegen 7.55 Uhr angerufen, um dieser mitzuteilen, daß sie sich noch nicht wohlfühle und sich deshalb noch bis zum 17. April 1998 krankschreiben lassen wolle.

Die Klägerin meint, das Verbot des Besuchs des Weiterbildungskurses verstoße gegen Treu und Glauben, da von 7 Kursmonaten der überwiegende Teil abgeschlossen gewesen sei.

Die Klägerin beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 22. April 1998 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, daß sie einschließlich der Klägerin 4 Arbeitnehmer beschäftige.

Die Beklagte behauptet, die Klägerin habe sich am 15. April 1998 telefonisch zum Dienst zurückgemeldet und angekündigt, sie werde am 16. April 1998 wieder ihren Dienst antreten können. Daraufhin sei sie für den 16. April 1998 wieder zum Dienst eingeteilt worden. Die am Abend des 15. April 1998 eingeworfene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei erst am Morgen des 16. April 1998 zugegangen. Obwohl die Beklagte kurzfristig eine Aushilfe eingeteilt habe, sei es zu erheblichen Verzögerungen bei der Betreuung der Patienten gekommen.

Die Beklagte behauptet, die Klägerin habe am 20. April 1998 ihre Arbeitsleistung vorsätzlich verweigert.

Wegen des weiteren Vortrages der Parteien, ihrer Beweisantritte und der von ihnen überreichten Unterlagen sowie wegen ihrer Rechtsausführungen im übrigen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen (§ 313 Abs. 2 ZPO).

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nur zum Teil begründet.

1. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wurde nicht wirksam durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 23. April 1998 beendet.

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann (Ständige Rechtsprechung des BAG z. B. Urteil vom 06.08.1987 -- 2 AZR 226/87 -- AP Nr. 97 zu § 626 BGB; Urteil vom 02.04.1987 -- 2 AZR 418/86 -- AP Nr. 96 zu § 626 BGB). Im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, so bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 17.05.1984 -- 2 AZR 3/83 -- AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung). Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 17.01.1991 -- 2 AZR 375/90 -- AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung) liegt ein die Kündigung rechtfertigender Grund vor, wenn es um das Verhalten eines Arbeitnehmers geht, durch das das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird; eine konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses liegt bereits in der Nichterbringung der vertraglich geschuldeten Leistung durch Fernbleiben von der Arbeit. Kommt der Arbeitnehmer seiner Arbeitspflicht im vertraglichen Umfang nicht nach, wirkt sich dies unmittelbar störend auf das Arbeitsverhältnis aus (BAG, Urteil vom 16.08.1991 -- 2 AZR 604/90 -- EZA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 41). Verweigert ein Arbeitnehmer trotz Abmahnung die ihm vertragsmäßig obliegende Leistung, so rechtfertigt dies -- je nach den Umständen im Einzelfall -- eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung. In den Fällen einer sogenannten beharrlichen Arbeitsverweigerung ist in aller Regel eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt. Von einer beharrlichen Arbeitsverweigerung kann man jedoch erst dann sprechen, wenn eine Pflichtverletzung trotz Abmahnung wiederholt begangen wird und sich daraus der nachhaltige Wille der vertragswidrig handelnden Partei ergibt, den vertraglichen Verpflichtungen nicht oder nicht ordnungsgemäß nachkommen zu wollen. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn alle anderen, nach den jeweiligen Umständen möglichen und angemessenen milderen Mittel (z. B. Abmahnung) erschöpft sind, das in der bisherigen Form nicht mehr haltbare Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Die außerordentliche Kündigung ist nur zulässig, wenn sie die unausweichlich letzte Maßnahme (Ultima Ratio) für den Kündigungsberechtigten ist (BAG, Urteil vom 30.05.1978 -- 2 AZR 630/76 -- AP Nr. 70 zu § 626 BGB).

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 17.02.1994 -- 2 AZR 616/93 -- EZA § 611 BGB Abmahnung Nr. 30) ist ein Arbeitnehmer, der wegen eines nicht vertragsgerechten Verhaltens gekündigt werden soll, zunächst abzumahnen; das gilt insbesondere bei Störungen im Verhaltens- und Leistungsbereich. Abmahnung bedeutet, dass der Arbeitgeber in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise seine Beanstandungen vorbringt und damit deutlich -- wenn auch nicht expressis verbis -- den Hinweis verbindet, im Wiederholungsfall sei der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet (BAG, Urteil vom 10.11.1988 -- 2 AZR 215/88 -- EZA § 611 BGB Abmahnungen Nr. 18; Urteil vom 18.01.1980 -- 7 AZR 75/78 -- EZA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

In der Ankündigung der Klägerin, am 20. April 1998, nicht ihren Dienst bei der Beklagten, sondern den Weiterbildungskurs des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe besuchen zu wollen, vermag die Kammer keine beharrliche Arbeitsverweigerung zu sehen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könnte. Die Klägerin stellte mit ihrem Schreiben vom 18. April 1998 klar, dass sie an dem Weiterbildungskurs, der zwischen der Klägerin selbst und dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe geschlossen wurde, teilnehmen werde, den die Beklagte ohne Angabe von Gründen gekündigt hatte. Bereits in dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 28. Juli 1995 wurde die Klausel aufgenommen, dass sich die Klägerin verpflichtet, den Erwerb der PDL-Zusatzqualifikation zu erlangen. Dieser Kurs begann am 03. November 1997 und sollte bis zum 09. Juni 1998 dauern. Die Klägerin ging, nach Rücksprache mit einem Anwalt, davon aus, dass die Kündigung des Weiterbildungsvertrages durch die Beklagte unrechtmäßig und die Klägerin weiterhin berechtigt gewesen sei, diese Weiterbildung zu besuchen. Die Klägerin konnte aufgrund der schriftlichen Vereinbarung in dem Arbeitsvertrag auch davon ausgehen, dass der Besuch der Fortbildung ebenso wie ihre Tätigkeit als Pflegedienstleiterin bei der Beklagten als Erfüllung ihrer Hauptleistungspflicht zu werten sei. Wegen dieses Streits zwischen den Parteien, ob die Beklagte berechtigt gewesen sei, den Schulungsvertrag zu kündigen, hätte die Beklagte der Klägerin deutlich machen müssen, ein etwaiges Fehlverhalten nicht hinnehmen zu wollen. Die Beklagte hätte die Klägerin auf die ihrer Meinung nach bestehenden vertraglichen Pflichten hinweisen und für die Zukunft ein vertragstreues Verhalten fordern müssen.

Selbst wenn das Verhalten der Klägerin am 20. April 1998 an sich einen wichtigen Grund i. S. d. § 626 BGB darstellen würde, wäre die außerordentliche Kündigung unwirksam, da jedenfalls im Rahmen der durchzuführenden Interessenabwägung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Beklagte bis zum Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist nicht unzumutbar gewesen wäre, da diese nach § 622 Abs. 2 BGB lediglich einen Monat betragen hätte. Weiterhin wäre im Rahmen einer Interessenabwägung zu berücksichtigen, ob der Besuch des Weiterbildungskurses sich konkret nachteilig auf den Betriebsablauf oder auf den Betriebsfrieden ausgewirkt hätte (Vgl. BAG, Urteil vom 17.03.1988 -- 2 AZR 576/87 -- EZA § 626 BGB n. F. Nr. 116). Im Rahmen der Interessenabwägung hätte berücksichtigt werden müssen, dass die Beklagte, mit deren Einwilligung die Klägerin den Weiterbildungsvertrag geschlossen hatte, von Anfang an mit den durch die Fortbildung gegebenen Fehlzeiten der Klägerin bis zum 09. Juni 1998 hätte rechnen müssen.

Der von der Beklagten behauptete Vorfall, die Klägerin habe ihre Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigung am Abend des 15. April 1998, ohne sich vorher telefonisch abzumelden, in den Briefkasten des Büros der Beklagten in der Waldmannsbreite eingeworfen, stellt schon an sich keinen Grund zu einer außerordentlichen Kündigung dar. Zwar ist der Arbeitnehmer gemäß § 5 Abs. 1 EFZG verpflichtet, die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer, sowie die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, anzuzeigen. Bei einem einmaligem schuldhaften Verstoß gegen die Anzeigepflicht ist jedenfalls grundsätzlich weder eine ordentliche noch eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt. Erst wenn ein Arbeitnehmer trotz vorheriger Abmahnung erneut schuldhaft gegen die ihm obliegende Anzeigepflicht verstößt, ist dies an sich geeignet, einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund abzugeben.

2. Das Arbeitsverhältnis wurde jedoch durch die am 23. April 1998 ausgesprochene Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zum 31. Mai 1998 beendet. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin machte in der Kammerverhandlung am 28. Oktober 1998 deutlich, dass er meinte, die Beklagte sei auch nicht berechtigt gewesen, das Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 1998 aufzulösen. Die von der Beklagten ausgesprochene unwirksame fristlose Kündigung ist gem. § 140 BGB in eine fristgemäße Kündigung umzudeuten.

Eine unwirksame außerordentliche Kündigung kann nach § 140 BGB in ein anderes Rechtsgeschäft umgedeutet werden, dass dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht, die objektiven Bestandteile einer Kündigungserklärung enthält und keine weitergehende Rechtsfolgen als eine außerordentliche Kündigung herbeiführt (KR -- Hillebrecht; 4. Auflage 1996; § 626 BGB Rdnr. 259).

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin äußerte bereits mit Schriftsatz vom 22. Juni 1998, dass das Arbeitsverhältnis jedenfalls durch die Kündigungserklärung unter Berücksichtigung der geltenden gesetzlichen Kündigungsfrist aufgelöst worden sei. Damit hat die Beklagte die Umdeutung ausdrücklich geltend gemacht. Da die Klägerin nicht dargelegt und bewiesen hat, dass auf das Arbeitsverhältnis die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes zur Anwendung kommen, konnte die Beklagte das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 Ziff. 1 BGB zum 31. Mai 1998 beenden. Die im Arbeitsvertrag vereinbarte Kündigungsfrist von 4 Wochen i. S. d. § 622 Abs. 5 Nr. 2 BGB ist unwirksam, da das Arbeitsverhältnis bereits länger als 2 Jahre bestanden hat.

3. Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 92 Abs. 1 ZPO.

4. Die Festsetzung des Wert des Streitgegenstandes beruht auf § 61 Abs. 1 i. V. m. § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG.



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