Arbeitsgericht Kassel

Urteil vom - Az: 4 Ca 539/79

Arbeitsunfähigkeit wegen Unfall bei Nebenerwerbslandwirtschaft; Lohnfortzahlung

Leitsatz
1. Wird ein Arbeitnehmer, der eine Nebenerwerbslandwirtschaft betreibt, während seines Erholungsurlaubs im Arbeitsverhältnis in dieser Nebenerwerbslandwirtschaft tätig, so liegt hierin allein kein Verstoß gegen BUrlG § 8.
2. Aus einem Verstoß des eine Nebenerwerbslandwirtschaft betreibenden Arbeitnehmers gegen einschlägige, seinen Nebenerwerbslandwirtschaftsbetrieb betreffende Unfallverhütungsvorschriften ergibt sich nicht ohne weiteres, daß der Arbeitnehmer schuldhaft iS des LFZG § 1 Abs 1 S 1 handelt.
Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Unfallverhütungsvorschrift an einer körpergerechten Arbeitsweise vorbeigeht und ihre Beachtung selbst eine erhöhte Unfallgefahr birgt.

Tenor

Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte zur Zahlung von 732,85 DM.

 

Die Beklagte hat als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Festsetzung des Streitwertes erfolgte unter Zugrundelegung des eingeklagten Betrages.

Tatbestand

Der bei der Klägerin gesetzlich versicherte Zeuge D steht bei der Beklagten in einen Arbeitsverhältnis als Schreiner. Auf dieses Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie und das holz- und kunststoffverarbeitende Handwerk in Hessen, gültig ab 01. Dezember 1977, Anwendung.

Der Zeuge war in der Zeit von 08. - 22. August 1979 arbeitsunfähig erkrankt. Die Klägerin zahlte dem Zeugen für diesen Zeitraum 732,85 DM Krankengeld.

Der Zeuge betreibt eine sogenannte Nebenerwerbslandwirtschaft. Zu diesem Nebenerwerbslandwirtschaftsbetrieb gehört ein Stück Wald. Während seines Urlaubs im Arbeitsverhältnis mit der Beklagten arbeitete der Zeuge in dem ihm gehörenden Wald. Dabei arbeitete er Windbruch aus dem vergangenen Winter auf. Beim Entasten einer Fichte schlug er sich mit der blanken Axt in das linke Knie. Dieser Unfall bewirkte die Arbeitsunfähigkeit in dem genannten Zeitraum. Beim Entasten stand der Zeuge im Unfallzeitpunkt rechts neben der zu entastenden Fichte mit der Blickrichtung zum Wurzelwerk gerichtet.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zur Zahlung von 732,85 DM zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klägerin mit der Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, daß der Zeuge den Unfall fahrlässig selbst verschuldet habe, indem er gegen die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften (vergl. Hülle Bl. 32 d. A.) verstoßen habe, indem er sich nicht so gestellt habe, daß beim Entasten der Stamm zwischen ihm und den zu entastenden Zweigen lag. Im übrigen habe der Kläger dem Verbot des § 8 BUrlG i. V. m. § 11 Ziff. 3 Satz 1 des Manteltarifvertrages zuwider gehandelt. Auch hieraus ergebe sich, daß dem Zeugen D kein Lohnfortzahlungsanspruch zusteht, der hätte auf die Klägerin übergehen können.

Wegen des weiteren wechselseitigen Parteivorbringens und der dargebrachten Beweisantritte wird auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben über den Hergang des zur Arbeitsunfähigkeit führenden Unfalls durch Vernehmung des Zeugen D. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21. Dezember 1979 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte zur Zahlung von 732,85 DM, weil der Lohnfortzahlungsanspruch des Zeugen D auf die Klägerin übergegangen ist (§§ 182 Abs. 10 RVO, 1 Lohnfortzahlungsgesetz).

Der Arbeitnehmer, der als Nebenerwerbslandwirt einen zur Arbeitsunfähigkeit führenden Arbeitsunfall erleidet, hat Anspruch auf Zahlung von Lohnfortzahlung gegenüber seinem Arbeitgeber. Es ist kein erkennbarer sachlicher Grund vorhanden Unfälle, die ein Arbeitnehmer im privaten Bereich erleidet, und solche Unfälle, die er als Nebenerwerbslandwirt erleidet, zu unterscheiden und anders zu behandeln in ihren lohnfortzahlungsrechtlichen Auswirkungen (vergl. für die Mitarbeit im Betrieb des Ehegatten und für sog. zweite Arbeitsverhältnisse: Urteil des Bundesarbeitsgerichts v. 07. September 1975 - 5 AZR 459/74 -).

Der Zeuge D hat den Arbeitsunfall nicht selbst verschuldet im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Lohnfortzahlungsgesetz.

Die Tätigkeit des Zeugen D während seines Urlaubs in seiner Nebenerwerbslandwirtschaft stellt kein Verschulden im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Lohnfortzahlungsgesetz dar. Im übrigen verstößt diese Tätigkeit auch nicht gegen den § 8 BUrlG i. V. m. § 11 Ziff. 3 Satz 1 des Manteltarifvertrages für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie und für das holz- und kunststoffverarbeitende Handwerk in Hessen vom 01. Dezember 1977 (MTV). Eine dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit im Sinne des § 8 BUrlG i. V. m. § 11 Ziff. 3 MTV ist keine Tätigkeit, die der Arbeitnehmer auch sonst nach dem Arbeitsvertrag während und für die Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses zu tun berechtigt ist. Sinn und Zweck des § 8 BUrlG ist es, dem Arbeitnehmer zu verbieten, während seines Erholungsurlaubs eine solche Tätigkeit aufzunehmen und durchzuführen, die ihn von der zeitlichen und körperlichen geistigen Beanspruchung her so belastet, wie seine normale Tätigkeit im Arbeitsverhältnis. Der in der Woche 40 Stunden arbeitende Schreiner soll nicht während seines Erholungsurlaubs als Kellner mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden tätig werden. Nicht vom Verbot des § 8 BUrlG i. V. m. § 11 Ziff. 3 MTV werden hingegen solche Tätigkeiten, die der Arbeitnehmer zu Zeiten seiner normalen Arbeitstätigkeit auch noch nebenher ausführt und die er dann im Urlaub weiter ausführt. So leuchtet es beispielsweise auch ohne weiteres ein, daß ein Arbeitnehmer, der zwei Arbeitsverhältnisse nebeneinander mit beispielsweise jeweils einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden hat, während des Urlaubs in dem einen Arbeitsverhältnis seinen Arbeitsverpflichtungen in dem anderen Arbeitsverhältnis nachgehen kann und muß, wenn er nicht zur selben Zeit in beiden Arbeitsverhältnissen Urlaub bekommen kann. Zwar sind dann die Möglichkeiten des Arbeitnehmers, seinen Urlaub in einem urlaubsmäßigen Zuschnitt zu verbringen, eingeschränkt, jedoch nicht vollständig ausgeschlossen. So kann und konnte der Zeuge D während seines Urlaubs seiner Nebenerwerbslandwirtschaftstätigkeit nachgehen und dennoch in der übrigen freien Zeit seines Urlaubs die Zeit in einer ihm gemäßen Weise verbringen (vergl. im Ergebnis ebenso: Waechtler, Der Betrieb 1968, Seite 1356 bei Fußnote 12; Landesarbeitsgericht Frankfurt, Urteil vom 11. März 1974 - 1 Sa 27/74 - in Betriebsberater 1974, Seite 1164).

Soweit die Beklagte geltend macht, das Aufarbeiten von Windbrüchen sei eine gefährliche Arbeit im Sinne der Unfallverhütungsvorschriften (vergl. Rülle Bl. 32 d. A.), verkennt die Beklagte, daß Abschnitt 29. § 2 Abs. 4 der Unfallverhütungsvorschriften für Betriebe mit Forsten und Baumbepflanzung zwar derartige Arbeiten als gefährliche Arbeiten bezeichnet, jedoch die Gefährlichkeit nur im Zusammenhang damit und deshalb bezeichnet, daß diese genau definierten gefährlichen Arbeiten nicht von Personen ausgeführt werden dürfen, die körperliche oder geistige Schwächen und Mängel haben (wie z. B. Fallsucht, Schwachsinn, Trunksucht, Neigung zu Ohnmachts- u. Schwindelanfällen). Der Abs. 4 des § 2 des Abschnitts 29 der einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften kann nicht aus dem Zusammenhang herausgerissen werden, muß vielmehr im Zusammenhang mit Abs. 1 und dem Abs. 5 des § 2 des Abschnittes 29 der einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften gesehen werden. Aus der insoweit definierten Gefährlichkeit der Tätigkeit, die der Zeuge D ausgeführt hat, ergibt sich deshalb nicht, daß derjenige, der die Tätigkeit als solche ausgeführt hat, in jedem Falle einen groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten begehen würde.

Das Gericht ging davon aus, daß nach der Beweisaufnahme feststand, daß der Zeuge D beim Entasten gegen den § 9 Abs. 7 des Abschnittes 29 der einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften verstoßen hat. Jedoch ergibt sich aus diesem Verstoß nicht ohne weiteres, daß damit dem Zeugen Verschulden im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Lohnfortzahlungsgesetz trifft. Bei der vom Zeugen D geschilderten Art und Weise des Entastens und der von ihm geschilderten Üblichkeit, einen Stamm vom Wurzelbereich her zur Krone hin zu entasten, leuchtet es ohne weiteres ein, daß ein Rechtshänder ohne besonderes Geschick den Stamm nur entasten kann, wenn er mit Blickrichtung zum Wurzelwerk rechts neben dem Stamm steht und dann nur der Stamm zwischen dem zu entfernenden Ast und dem entastenden Arbeitnehmer liegt, wenn der entastende Arbeitnehmer die aus seiner Blickrichtung nach links wachsenden Äste entastet. Bei den nach rechts wachsenden Ästen liegt dann kein Stamm zwischen dem entastenden Arbeitnehmer und dem Ast. Wenn ein Rechtshänder, der die Axt mit beiden Händen hält und mit der rechten Hand den Schwung nimmt und die Axt führt, nur in dieser Stellung entasten kann, leuchtet dies dem Gericht ohne weiteres ein. Wenn man eine Axt zu führen hat, so führt der Rechtshänder die Axt immer so, daß beim Schlagen diese über die linke Körperseite hin nach unten fällt. Es wäre für einen Rechtshänder ungewohnt, eine Axt mit beiden Händen zu halten und die Axt nach rechts vom Körper fallen zu lassen und dort zu treffen. Insoweit gehen die Unfallverhütungsvorschriften des § 9 Abs. 7 des Abschnittes 29 an der körpergerechten Wirklichkeit vorbei. Es ist durchaus möglich und technisch vollziehbar, daß ein Rechtshänder auch beide Seiten eines Stammes in der vom Abs. 7 des § 9 des Abschnittes 29 der Unfallverhütungsvorschriften geforderten Art entastet. Jedoch birgt ein solches Entasten nach Auffassung des Gerichts gleichfalls eine erhöhte Unfallgefahr deshalb, weil einmal dann die Führung der Art mit der rechten Hand nicht immer den Gegebenheiten eines Rechtshänders entspricht und zum anderen der mitanfassende linke Arm beim Zuschlagen und Entasten der einen Seite sich hinderlich auswirkt. Wenn man deshalb zugunsten der Beklagten von einem Verstoß des Zeugen D gegen den § 9 Abs. 7 des Abschnittes 29 der einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften ausgeht, ist dieser Verstoß nicht so grob und so schwerwiegend, daß man von einem groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten sprechen können. Das Nichterfüllen der Unfallverhütungsvorschrift insoweit ist bei weitem nicht so schwerwiegend wie etwa das Verhalten des Bauarbeiters, der seinen Sicherheitsschutzhelm oder die Sicherheitsschuhe nicht anzieht und infolge dieses Verstoßes arbeitsunfähig erkrankt.

Die Beklagte hat als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Festsetzung des Streitwertes erfolgte unter Zugrundelegung des eingeklagten Betrages.

Die Berufung war gemäß §§ 64 Abs. 3 Ziff. 1 ArbGG zuzulassen.

 



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