Arbeitsgericht Kassel

Urteil vom - Az: 6 Ca 686/99

Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrages; Überprüfung der Rechtmäßigkeit durch Arbeitsgerichte

Die Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrages (kurz: AVE) ist von Amts wegen zu prüfen, wenn ein tariflicher Anspruch gegenüber einer Partei geltend gemacht wird, die aus dem fraglichen Tarifvertrag weder kraft Tarifbindung noch einzelvertraglicher Vereinbarung verpflichtet ist und ernstzunehmende Anhaltspunkte dafür bestehen, der Tarifvertrag habe nicht nach § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärt werden dürfen.
Maßstab für eine gerichtliche Kontrolle, ob die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG erfüllt waren, dürfen nur die zum Zeitpunkt der Prüfung erziel- und verwertbaren Informationen sein. Stellt sich aber dann im arbeitsgerichtlichen Verfahren heraus, dass die zuständige Behörde von fehlerhaften oder unvollständigen Tatsachengrundlagen ausgegangen ist, sind auch andere im Zeitraum des Prüfungsverfahrens verfügbare Erkenntnisse zu verwerten, die unberücksichtigt geblieben sind.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.605,00 DM festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin gemäß § 3 Abs. 1 des Tarifvertrages über die Zusatzversorgung der Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft vom 25. Februar 1994 (folgend: TV-Zusatzversorgung) Beiträge zu zahlen.

Die klagende Zusatzversorgungskasse (ZLA) ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts, die gemäß § 16 des Gesetzes über die Errichtung einer Zusatzversorgungskasse für die Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft (ZVALG) i.V.m. § 2 Abs. 4 TV-Zusatzversorgung die Aufgaben des Zusatzversorgungswerks für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft e.V. (ZLF) wahrnimmt. Die ZLF ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Sinne des § 4 Abs. 2 TVG.

Die Beklagte, die keinem Arbeitgeberverband angehört, betreibt ein landwirtschaftliches Unternehmen in Brandenburg.

Nach den Bestimmungen des TV-Zusatzversorgung steht den Arbeitnehmern in der Land- und Forstwirtschaft zusätzlich zu ihrer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine Beihilfe zu, um ihre Gesamtaltersversorgung zu verbessern. Diese tarifliche Zusatzrente ist beitragsfinanziert. Nach § 3 TV-Zusatzversorgung ist der Arbeitgeber verpflichtet, einen Betrag von monatlich 10,00 DM je ständig beschäftigten Arbeitnehmer an das ZLF zu leisten.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten insgesamt 1.605,00 DM, weil diese in der Zeit vom 01. Juli 1995 bis 31. Dezember 1998 in ihrem Unternehmen 10 Arbeitnehmer beschäftigte. Auf die Aufstellung der Klägerin zur Berechnung der Beitragsmonate wird ergänzend Bezug genommen (Bl. 9 ff d. A., Anlage zur Klagebegründung vom 05. Januar 2000). Weitere 15,00 DM macht die Klägerin als Verzugsschaden geltend.

Dem TV-Zusatzversorgung vom 25. Februar 1994 voran ging der Tarifvertrag über eine Zusatzversorgung der Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft vom 20. November 1973, zuletzt geändert durch Tarifvertrag vom 14. Januar 1982. Dieser Tarifvertrag war mit Wirkung zum 01. Juli 1972 durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung für allgemeinverbindlich erklärt worden. Auch seine Änderungen wurden in die Allgemeinverbindlicherklärung einbezogen.

Der TV-Zusatzversorgung vom 25. Februar 1994 ist am 01. Juli 1995 an die Stelle des früheren Tarifvertrages getreten. Er gilt für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, so dass mit Wirkung zum 01. Juli 1995 der Geltungsbereich auch auf die neuen Bundesländer ausgedehnt wurde.

Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung erklärte diesen Tarifvertrag am 26. Oktober 1995 rückwirkend ab 01. Juli 1995 und befristet bis zum 31. Dezember 2000 für allgemeinverbindlich. Die Allgemeinverbindlicherklärung (folgend: AVE) wurde am 09. November 1995 im Bundesanzeiger (Nr. 210, Seite 11602) veröffentlicht.

Zeitgleich mit dem Antrag auf AVE des TV-Zusatzversorgung beantragten die Tarifpartner auch die AVE für den -- erstmalig geschlossenen -- Tarifvertrag über die Qualifizierung der Arbeitnehmer aus der Land- und Forstwirtschaft und über Maßnahmen zur Erschließung und Sicherung wettbewerbsfähiger Voll- oder Teilzeitarbeitsplätze der Land- und Forstwirtschaft vom 03. Juli 1995 (folgend: TV-Qualifizierungsfonds).

Die Tarifverträge unterscheiden sich hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereichs: Während der TV-Zusatzversorgung alle Arbeitnehmer mit Ausnahme der Rentner und Auszubildenden erfasst, gilt der TV-Qualifizierungsfonds nicht für mitarbeitende Familienangehörige, die in der Krankenversicherung der Landwirte versichert sind (§ 1 Abs. 3 TV-Qualifizierungsfonds).

Die AVE des TV-Qualifizierungsfonds wurde erst nach der des TV-Zusatzversorgung am 30. Januar 1996 rückwirkend zum 1. Januar 1996 erklärt.

Parallel zu dem vorliegenden Rechtsstreit sind beim Arbeitsgericht Kassel ca. 70 weitere Verfahren der Klägerin gegen unterschiedliche landwirtschaftliche Arbeitgeber auf Beitragszahlung anhängig. Von verschiedenen Beklagten ist vorgebracht worden, die Rechtswirksamkeit der AVE des TV-Zusatzversorgung sei von Amts wegen zu prüfen.

Im Einverständnis mit den Parteien ist dieser Rechtsstreit neben zwei weiteren Verfahren (Aktenzeichen 6 Ca 690/99; 6 Ca 343/00) für die erste Instanz als Pilotverfahren behandelt worden.

Die im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zur Prüfung der AVE des TV-Zusatzversorgung und des TV-Qualifizierungsfonds unter dem Aktenzeichen III a 3-31241-Ü-01 a/2 geführten Akten (folgend: BMA-Akten) sind von der Kammer in Kopie beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Weiter sind durch Beweisbeschluss vom 22. November 2000 die bereits von der 15. Kammer des Hess. Landesarbeitsgerichts bei Arbeitgeberverbänden, den Statistischen Landesämtern und Landwirtschaftsministerien der neuen Bundesländer sowie beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, dem Statistischen Bundesamt und sonstigen Institutionen und Einrichtungen eingeholten Auskünfte zur Zahl der Arbeitgeber, Zahl der Arbeitnehmer und ihrem mittelbaren Organisationsgrad eingeholten Auskünfte, bezogen auf die neuen Bundesländer, herangezogen und verwertet worden. Wegen des genauen Inhalts des Beweisbeschlusses vom 22. November 2000 wird auf diesen verwiesen (Bl. 23 ff d. A.). Die Akten des Rechtsstreits mit dem Aktenzeichen 15 Sa 1015/98 des Hess. Landesarbeitsgerichts sind zur Verwertung der eingeholten Auskünfte ebenfalls beigezogen worden. Die Auskünfte wurden zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Gerichte für Arbeitssachen seien zu einer Prüfung der materiellen Voraussetzungen einer AVE nur eingeschränkt befugt. Eine sogenannte Inzidentprüfung dürfe nur vorgenommen werden, wenn dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung wesentliche Fehler vorgeworfen werden könnten. Dies sei nicht der Fall.

Der zuständigen Behörde stehe ein weiter Beurteilungsspielraum zu, außerdem könne die Entscheidungssituation des Tarifausschusses nicht rekonstruiert werden. Eine in jedem Rechtsstreit durchzuführende Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer AVE werde der besonderen Rechtsnatur dieses Rechtsetzungsaktes nicht gerecht. Nicht tarifgebundene Außenseiter könnten ohne Verkürzung ihres Rechtsschutzes auf den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten verwiesen werden.

Hilfsweise macht die Klägerin geltend, dass der TV-Zusatzversorgung auch gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 TVG zur Behebung eines sozialen Notstandes für allgemeinverbindlich erklärt werden konnte.

Weiter hilfsweise ist die Klägerin der Ansicht, dass nur die im Zeitpunkt der Durchführung eines Verfahrens nach § 5 TVG zugänglichen Daten und Angaben bei einer nachträglichen gerichtlichen Prüfung berücksichtigt werden dürften. Das Bundesministerium sei auch berechtigt gewesen, die nur angekündigten oder formell noch nicht vollzogenen Fusionen verschiedener Arbeitgeberverbände bzw. von Arbeitgeber- und Bauernverbänden als schon erfolgt vorauszusetzen.

In Bezug auf die von der 15. Kammer des Hess. Landesarbeitsgerichts zu dem Aktenzeichen 15 Sa 1015/98 eingeholten und in diesem Rechtsstreit verwerteten Auskünfte vertritt die Klägerin die Ansicht, dass so erlangte Datenmaterial sei unzureichend. Notwendig sei z.B. die über die Sammelmitgliedschaft der Treuhandgütergesellschaft TGG tarifgebundenen Arbeitgeber nachzuermitteln.

Die Zahl der mitarbeitenden Familienangehörigen könne für die neuen Bundesländer als äußerst gering eingeschätzt werden, da die Privatisierung in der Landwirtschaft 1994/1995 noch nicht abgeschlossen gewesen wäre. Da eine Inzidentprüfung auf der Grundlage der erteilten Auskünfte nicht durchgeführt werden könne, müsse notfalls ein Bescheidungsurteil ergehen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.605,00 DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die AVE des TV-Zusatzversorgung vorlagen.

Es sei davon auszugehen, dass der Tarifvertrag entgegen § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG für allgemeinverbindlich erklärt worden sei. Weniger als 50 % der vom Geltungsbereich des Tarifvertrages erfassten Arbeitnehmer seien bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt gewesen. Die AVE habe nicht erklärt werden dürfen. Sie sei unwirksam.

Die Zahlen, die der Tarifausschuss und der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bei der Prüfung zugrundegelegt hat, wiesen aus, dass ohnehin nur knapp über 50 % der Arbeitnehmer in tarifgebundenen Betrieben beschäftigt worden seien.

Die Akten des Bundesministeriums über die Prüfung AVE (BMA-Akten) ließen erkennen, dass Angaben der tarifschließenden Arbeitgeberverbände aus den neuen Bundesländern ohne ausreichende Prüfung übernommen worden seien. Die Werte zum Organisationsgrad der Arbeitgeber in den neuen Bundesländern seien zu großzügig aufgerundet worden. Die Beklagte weist insbesondere daraufhin, dass der für das Bundesland Thüringen mitgeteilte Organisationsgrad auf einer angekündigten Fusion von zwei Arbeitgeberverbänden beruhte, die nicht zustande gekommen ist. Ferner seien bei der Berechnung der Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern die mitarbeitenden Familienangehörigen unberücksichtigt geblieben. Unterstelle man, dass die Familienangehörigen -- entsprechend den Angaben für das Bundesland Thüringen -- 35 % der Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft ausmachten, liege die mittelbare Organisationsgrad deutlich unter 50 %.

Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen (§ 313 Abs. 2 ZPO).

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nicht begründet.

Die Allgemeinverbindlicherklärung (folgend: AVE) des TV-Zusatzversorgung für den Zeitraum vom 01. Juli 1995 bis 31. Dezember 2000 ist unwirksam, da die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG nicht erfüllt waren.

Die Überprüfung der Wirksamkeit der AVE des TV-Zusatzversorgung hat ergeben, dass nicht festgestellt werden kann, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber wenigstens 50 % der unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigten. Der Anspruch der klagenden Zusatzversorgungskasse war abzuweisen.

I.

Die Klägerin macht geltend, die Beklagte sei gemäß § 3 Abs. 1 TV-Zusatzversorgung verpflichtet, für jeden ihrer ständig beschäftigten Arbeitnehmer DM 10,00 monatlich zu zahlen.

Die Beklagte ist ein landwirtschaftlicher Arbeitgeber im Sinne des § 1 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2 TV-Zusatzversorgung. Sie ist jedoch nicht tarifgebunden. Die Inhaltsnormen des TV-Zusatzversorgung sind deshalb für die Beklagte nur bindend gemäß § 5 Abs. 4 TVG, wenn dieser wirksam für allgemeinverbindlich erklärt wurde. Die Parteien streiten ausschließlich um die Rechtswirksamkeit der AVE. Die Höhe des nach dem TV-Zusatzversorgung zu leistenden Beitrags ist unstreitig.

II.

Die Wirksamkeit einer AVE eines Tarifvertrages ist von Amts wegen zu prüfen, wenn ein tariflicher Anspruch gegenüber einer Partei geltend gemacht wird, die aus dem fraglichen Tarifvertrag weder kraft Tarifbindung noch einzelvertraglicher Vereinbarung verpflichtet ist und ernstzunehmende Anhaltspunkte dafür bestehen, der Tarifvertrag habe nicht nach § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärt werden dürfen.

1. Das Bundesarbeitsgericht hat durch Urteil vom 22. September 1993 ( -- 10 AZR 371/92 -- AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Gerüstbau) seine bisherige Rechtsprechung zur Kontrolle einer AVE bestätigt. Werde ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt, so komme in dieser Entscheidung zum Ausdruck, dass das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung die gesetzlichen Voraussetzungen des § 5 TVG im Rahmen seines Beurteilungsspielraums als gegeben erachtet habe. Die Gerichte für Arbeitssachen hätten grundsätzlich keinen Anlass, dies zu kontrollieren. Die Voraussetzungen einer AVE seien jedoch von Amts wegen zu prüfen, wenn der Parteivortrag oder auch von den Parteien nicht vorgetragene augenfällige Umstände dazu Veranlassung gäben. Nur dadurch werde ein effektiver Rechtsschutz für die nicht tarifgebundenen Außenseiter gewährt. Ein solcher habe die Möglichkeit, die Umstände, die aus seiner Sicht gegen eine AVE sprechen, in das gerichtliche Verfahren einzuführen und damit eine gerichtliche Prüfung des als fehlerhaft gerügten Teils der Entscheidung über die AVE zu veranlassen.

2. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG, nachdem die AVE eines Tarifvertrages nur erklärt werden darf, wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 % der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer beschäftigen, ist ein zwingendes Gesetz. Bestehen aufgrund des substantiierten Vorbringens einer Partei erhebliche Zweifel, ob tatsächlich die ausreichende Zahl der mittelbar organisierten Arbeitnehmer erreicht wurde, ist eine genaue Überprüfung vorzunehmen (BAG Urteil vom 11. Juni 1975 -- 4 AZR 395/74 -- AP Nr. 29 zu § 2 TVG; BAG Urteil vom 24. Januar 1979 -- 4 AZR 377/77 -- AP Nr. 16 zu § 5 TVG).

Die von der 2. Kammer des Arbeitsgerichts Kassel vertretene Rechtsauffassung, die Überprüfungspflicht der Arbeitsgerichte sei auf die Einhaltung des formellen Verfahrens nach § 5 TVG beschränkt, wird von der nunmehr zuständigen 6. Kammer des Arbeitsgerichts Kassel nicht aufrechterhalten (so schon: Beschluss des Hess. Landesarbeitsgerichts vom 17. September 1999 -- 15 Sa 1432/98 (A); Beschluss des Arbeitsgerichts Kassel vom 27. April 2000 -- 6 Ca 681/99 --).

Die Gerichte für Arbeitssachen haben danach zu kontrollieren, ob die Prüfung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber eine ausreichende Zahl an Arbeitnehmern beschäftigten, ohne erhebliche Fehler erfolgte. Wie eine solche gerichtliche Kontrolle durchzuführen ist, ist im Detail noch nicht geklärt. Die Kammer schließt sich grundsätzlich der Auffassung an, dass zunächst festgestellt werden muss, ob die oberste Bundesbehörde alle zumutbaren Nachforschungen übernommen und alle erreichbaren Unterlagen verwertet hat. Hat das Ministerium auf dieser Grundlage ein Ergebnis ermittelt oder auf ihnen aufbauend eine Schätzung vorgenommen, die nach den verwerteten Unterlagen nachvollziehbar ist, sind die Gerichte nicht befugt, dieses Ergebnis zu korrigieren und eine andere Bewertung vorzunehmen. Beruhte die Berechnung oder Schätzung jedoch auf unzureichenden Nachforschungen oder offensichtlich fehlerhaftem Zahlenmaterial, müssen die Gericht die mangelnde Aufklärung nachholen (so Etzel: NZA Beil. 1/1987 S. 20). Dies kann insbesondere, wie in dem vom Bundesarbeitsgericht durch Urteil vom 24. Januar 1979 entschiedenen Rechtsstreit (-- 4 AZR 377/77 -- AP Nr. 16 zu § 5 TVG), durch Anforderung zusätzlicher Angaben bei den Tarifpartnern und des bei dem Statistischen Bundesamt und den entsprechenden Landesämtern vorhandenen Materials geschehen.

III.

Eine Prüfung der von der Beklagten angegriffenen AVE war vorzunehmen.

1. Die vom Bundesministerium unter dem Aktenzeichen IIIa 3-31241-Ü-01 a/2 geführten Akten über die AVE des TV-Zusatzversorgung und die weitere AVE des TV-Qualifizierungsfonds, die zeitgleich beantragt wurden (BMA-Akten), sind beigezogen worden. Das danach verwandte statistische Material und die Mitteilungen der Arbeitgeberverbände der neuen Bundesländer waren teilweise fehlerhaft, was bei der nachfolgenden Bewertung gezeigt werden wird.

Die Zahl der Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern ist insgesamt zu niedrig angesetzt worden, weil die mitarbeitenden Familienangehörigen nur bei den Zahlen für die alten Bundesländer berücksichtigt wurden, wie die Kammer schon in dem Rechtsstreit mit dem Aktenzeichen -- 6 Ca 681/99 -- (Beschluss vom 27. April 2000) festgestellt hat.

Weiter ist die Tarifbindung von Arbeitgebern unterstellt worden, die nur in einem Bauernverband und nicht in einem tarifschliessenden Arbeitgeberverband organisiert waren.

Da bei der Feststellung des mittelbaren Organisationsgrades durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung ein Wert von maximal 55 % (BMA-Akten Bl. 68, 141) berechnet wurde, kann nicht unterstellt werden, dass dieser Fehler bei der Ermittlung der Ausgangszahlen ohne Auswirkung geblieben ist.

Es war deshalb erforderlich, weitere Informationen zur Feststellung des mittelbaren Organisationsgrades im Jahr 1995 einzuholen. Dies ist durch den Beweisbeschluss vom 22. November 2000 geschehen, mit dem die bereits von der 15. Kammer des Hess. Landesarbeitsgerichts bei den Arbeitgeberverbänden, Landwirtschaftsministerien und Statistischen Landesämtern der neuen Bundesländer sowie dem Bundesministerium für Landwirtschaft und dem Statistischen Bundesamt eingeholten Auskünfte herangezogen wurden (vgl. Bl. 23 ff d.A.). Die sich danach ergebenden Informationen über die Zahl der land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeber, ihren Organisationsgrad, die Zahl der Arbeitnehmer insgesamt und die der bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmern zeigen, dass die Voraussetzungen für die AVE gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG nicht erfüllt waren.

2. Die Kammer ist von folgendem konkreten Prüfungsmaßstab ausgegangen:

Zur Feststellung des sogenannten mittelbaren Organisationsgrades mussten Daten ermittelt und gegebenenfalls geschätzt werden. Diese waren:

-   die Zahl der land- und forstwirtschaftlichen Arbeitnehmer gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 TV-Zusatzversorgung, welche rentenversicherungspflichtig beschäftigt oder aus sonstigen Gründen von der Tarifnorm erfasst wurden,

-   die Gesamtzahl der land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeber,

-   ihren Organisationsgrad und schließlich

-   der Prozentsatz der von tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmer.

a) Für das Gebiet der alten Bundesländer konnte mit zuverlässigen Daten gerechnet werden. Die ZLA/ZLF verfügen durch den seit 1974 durchgeführten Beitragseinzug über genaue Erkenntnisse zu der Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe und den dort beschäftigten Arbeitnehmern. Dem entsprechend sind der endgültigen Berechnung der Zahl der Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik die für den 31. Dezember 1994 durch die ZLA/ZLF ermittelten Daten zugrundegelegt worden (BMA-Akten Bl. 141 f). Für 1995 wurde der Rückgang der Arbeitnehmer mit 10 % eingeschätzt. Das Ministerium hat diese dem Gesamtverband der Deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände e.V. (folgend: GLFA) von der ZLA/ZLF mitgeteilten Zahlen übernommen.

Zudem ist davon auszugehen, dass der angesetzte Organisationsgrad der land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeber auf sicheren Daten einer gefestigten Verbandsstruktur beruhte. Die Arbeitgeberverbände der alten Bundesländer haben auf konkrete Anfrage durch den GLFA ihren -- traditionell hohen -- Organisationsgrad mit durchschnittlich 89 % angegeben. Auch der im GLFA nicht organisierte Arbeitgeberverband Landwirtschaft und Genossenschaften Weser-Ems e.V. hat mitgeteilt, wie viel Prozent der Arbeitgeber seinem Verband angehören.

b) Die Situation für das Gebiet der neuen Bundesländer stellt sich anders dar. Dabei muss zwischen den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberzahlen einerseits und der Frage der Tarifbindung der Arbeitgeber andererseits unterschieden werden. Die im GLFA organisierten und damit tarifschließenden Arbeitgeberverbände der neuen Bundesländer haben ihre Angaben zur Zahl der Betriebe und der Arbeitnehmer auf Agrarberichte oder gleichwertige Mitteilungen der jeweiligen Landwirtschaftsministerien aus den Jahren 1993 und 1994 gestützt. Die ihren Schreiben beigefügten Anlagen beziehen sich auf (in der Regel bereits bearbeitete) Daten der Statistischen Landesämter (vgl. BMA-Akten: Bl. 75 f, 131 ff = Brandenburg; Bl. 74, 127 = Mecklenburg-Vorpommern; Bl. 88, 128 ff = Sachsen; Bl. 82, 136 ff = Sachsen-Anhalt; Bl. 85 ff, 138 f = Thüringen).

Die von der 15. Kammer des Hess. Landesarbeitsgerichts eingeholten und von der Kammer verwerteten Auskünfte lassen erkennen, dass die den Agrarberichten oder sonstigen Ausarbeitungen zugrundeliegenden Zahlen letztlich auf Erhebungen nach dem Gesetz über Agrarstatistiken (Agrarstatistikgesetz -- AgrStatG vom 23. September 1992 (BGBl I S. 1632)) der Landesämter für Statistik beruhen (vgl. beispielhaft: Erläuterungen in den Vorbemerkungen des Statistischen Berichts "Arbeitskräfte in den landwirtschaftlichen Betrieben im Land Brandenburg -- 1997", Bl. 213 ff der beigezogenen Akten des Rechtsstreits 15 Sa 1015/98; folgend bezeichnet als: LAG-Akten).

Die zur Zahl der Arbeitnehmer und Arbeitgeber übermittelten Daten beinhalteten auch eine Prognose. Es war notwendig, den aufgrund der fortdauernden Umstrukturierung der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern sich noch vollziehenden Arbeitskräfterückgang zu ermitteln. Die Angaben der verschiedenen Arbeitgeberverbände der neuen Bundesländer zum Organisationsgrad der Arbeitgeber und der Zahl der von tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmern beruhen offensichtlich auf eigenen Erkenntnissen oder Erhebungen.

aa) Die in diesem und anderen Rechtsstreiten vorgebrachten Einwände gegen das der Feststellung des mittelbaren Organisationsgrades in den neuen Bundesländern zugrundegelegte Zahlenmaterial haben im wesentlichen die gleiche Zielrichtung:

Die Entwicklung einer Verbandsstruktur sei von den an der AVE interessierten Landesarbeitgeberverbänden zu positiv eingeschätzt worden. Der als Beleg für die erfolgten Schätzungen vom antragstellenden GLFA vorgelegte Schriftverkehr habe im Ministerium Zweifel hervorrufen müssen. Die teilweise vagen und nicht begründeten Angaben hätte eine Verifizierung bei anderen Stellen, wie Bauernverbänden o.ä., erfordert.

bb) Dieser Ansicht ist nicht uneingeschränkt zuzustimmen. Aufgrund der noch bestehenden Sondersituation in der Landwirtschaft der neuen Bundesländer durch die Wiedervereinigung durfte das Ministerium über die AVE nach Auffassung der Kammer -- mit der nachstehend unter III. 3. gemachten Einschränkung -- anhand der vorgelegten Zahlen entscheiden.

In entsprechender Anwendung des § 291 ZPO ist als offenkundig anzusehen, dass 1994/1995 die Umstrukturierung in der Landwirtschaft des Beitrittsgebiets noch nicht abgeschlossen war. Der vom GLFA zum Beleg der angegebenen Zahlen vorgelegte Schriftverkehr mit den Verbänden der einzelnen Bundesländer lässt insbesondere erkennen, dass die Bildung einer Verbandsstruktur noch im Aufbau begriffen war.

Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat die Angaben des GLFA auch nicht ungeprüft übernommen.

Mit Schreiben vom 08. Juni 1995 (BMA-Akten Bl. 97 ff) wurden von dem Antragsteller weitere Belege für die angegebenen Zahlen über die Arbeitnehmer in der Landwirtschaft der neuen Bundesländer und ihren mittelbaren Organisationsgrad angefordert. Der GLFA hat daraufhin seine Mitgliedsverbände im Beitrittsgebiet nochmals angeschrieben. Diese haben die bereits abgegebenen Zahlen und Schätzungen teilweise bestätigt, teilweise korrigiert. Die sich daraus ergebenden Zahlen sind in die letzte Berechnung des GLFA (BMA-Akten Bl. 141) eingeflossen, die Schreiben waren dem Ministerium zum Überprüfung der neuen Berechnung mit übersandt worden (BMA-Akten Bl. 127 ff).

Schließlich bestand kein Anlass, dass vom GLFA vorgelegte Zahlenmaterial im Verfahren der AVE des TV-Zusatzversorgung grundsätzlich anzuzweifeln. Die Bekanntmachung des Antrags auf Erklärung der AVE erfolgte im Bundesanzeiger vom 07. Juni 1995. Der Tarifausschuss tagte am 05. Oktober 1995. Zu diesem Zeitpunkt lagen die wegen der Veröffentlichung des Antrages auf AVE des TV-Qualifizierungsfonds im Bundesanzeiger vom 20. Oktober 1995 (BMA-Akten Bl. 228) massenhaft aus dem Beitrittsgebiet eingegangenen Einsprüche noch nicht vor. Lediglich der vom 20. Juni 1995 datierende Einspruch des Landwirtschaftlichen Arbeitgeberverbandes Thüringen e.V. -- LAV -- war erhoben worden (vgl. BMA-Akten Bl. 143 ff). Diesem Einspruch war nicht zu entnehmen, dass die von dem konkurrierenden landes- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverband Thüringen e.V. angekündigte Fusion beider Verbände (vgl. BMA-Akten Bl. 85 ff) nicht zustande kommen würde. Der Einspruch war zudem noch vor der Sitzung des Tarifausschusses am 05. Oktober 1995 zurückgenommen worden (BMA-Akten Bl. 212). Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat sich dann am 26. Oktober 1995 (BMA-Akten Bl. 235 f) dem Beschluss des Tarifausschusses vom 05. Oktober 1995 (BMA-Akten Bl. 219) angeschlossen. Die Bekanntmachung der AVE erfolgte im Bundesanzeiger vom 09. November 1995. Erst ab Ende November 1995 gingen im Ministerium Einsprüche ein, in denen -- teilweise auch durch die Angabe von Daten unterstützt -- angezweifelt wurde, dass im Beitrittsgebiet ein ausreichender Organisationsgrad bestehe.

Ob deshalb eine genauere Überprüfung des Zahlenmaterials bei der AVE des TV-Qualifizierungsfonds zum 01. Januar 1996 erforderlich gewesen wäre, hatte die Kammer nicht zu entscheiden. Für den TV-Zusatzversorgung war das Verfahren über die AVE mit Ablauf des 26. Oktober 1995 abgeschlossen.

3. Die vom Bundesministerium für Arbeit- und Sozialordnung der AVE-Prüfung zugrundegelegten Daten für das Gebiet der neuen Bundesländer waren gleichwohl unzureichend. Sie genügten auch nach dem vorstehend geschilderten Prüfungsmaßstab nicht.

a) Es ist zu bemängeln, dass nur für die alten Bundesländer zwischen der Zahl der Arbeitnehmer einschließlich der mitarbeitenden Familienangehörigen (in der Berechnung bezeichnet als "mifas") und der ohne die mitarbeitenden Familienangehörigen unterschieden wurde. Für den Osten ist eine solche Differenzierung nicht vorgenommen worden.

Nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 TV-Zusatzversorgung gilt dieser Tarifvertrag für alle land- und forstwirtschaftlichen Arbeitnehmer mit Ausnahme der Rentner und der in der Krankenversicherung der Landwirte versicherten Auszubildenden. Erfasst sind daher auch Familienangehörige eines Betriebsinhabers, die zu diesem in einem Arbeitsverhältnis stehen. Folgerichtig sind in der Berechnung, die der GLFA für das Ministerium erstellt hat, für die alten Bundesländer die "mifas" bei der Zahl der Arbeitnehmer berücksichtigt worden (vgl. Übersichten BMA-Akten Bl. 56, 68).

Die bei der endgültigen Berechnung verwerteten Zahlen für das Beitrittsgebiet erfassen nicht die mitarbeitenden Familienangehörigen. Aus dem beigefügten Schriftverkehr des GLFA ergibt sich, dass die ostdeutschen Mitgliedsverbände zwischen beschäftigten Personen einerseits und familienfremden Vollzeitarbeitskräften andererseits unterschieden haben. In die Aufstellung (BMA-Akten Bl. 141) sind nur die für die sogenannten Fremdarbeitskräfte genannten Zahlen eingeflossen. Dies folgt aus dem Schreiben des Brandenburgischen Verbandes vom 20. Juni 1995 (BMA-Akten Bl. 131 ff), des Sächsischen Verbandes vom 16. Juni 1995 (BMA-Akten Bl. 128 ff), dem Schreiben des Arbeitgeberverbandes Sachsen-Anhalt (BMA-Akten Bl. 136 ff) sowie den Angaben der Thüringer Verbandes vom 14. Juni 1995 (BMA-Akten Bl. 138). Lediglich die Schätzungen für das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern (BMA-Akten Bl. 74, 127) ergeben nicht eindeutig, ob die mitarbeitenden Familienangehörigen erfasst wurden. Die endgültige Berechnung zur Gesamtzahl der Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft Deutschlands (BMA-Akten Bl. 141), die auf die Anforderung des Ministeriums um belegbare Zahlenangaben vom 08. Juni 1995 (BMA-Akten Bl. 96 ff) erstellt wurde, berücksichtigt für den Westen danach die Arbeitnehmer einschließlich der mitarbeitenden Familienangehörigen, für den Osten jedoch nicht.

b) Die Zahl der mitarbeitenden Familienangehörigen in den neuen Bundesländern, die für den Familienbetrieb als rentenversicherungspflichtige Arbeitnehmer arbeiteten, kann nicht mit ausreichender Sicherheit geschätzt werden. Es durfte daher nicht unterstellt werden, dass dieser bei der Erfassung der Arbeitnehmer erfolgte Fehler ohne Auswirkungen für die Feststellung des mittelbaren Organisationsgrades geblieben ist.

Die unterschiedlichen Kriterien der Erfassung der Arbeitnehmer in den neuen und alten Bundesländern scheint nicht darauf zurückzuführen zu sein, dass der TV-Qualifizierungsfonds, für den das Verfahren nach § 5 TVG parallel durchgeführt wurde, unter bestimmten Voraussetzungen familienangehörige Arbeitnehmer aus seinem Geltungsbereich herausnimmt (§ 1 Abs. 3 TV-Qualifizierungsfonds). Von dieser Annahme ist die Kammer noch bei früherer Prüfung der Wirksamkeit der AVE ausgegangen (vgl. Beschluss vom 27. April 2000 -- 6 Ca 681/99).

Ursache ist offensichtlich vielmehr, dass die Erhebungen nach dem Agrarstatistikgesetz (AgrStatG), die seit Beginn der neunziger Jahre durchgeführt werden, zu Daten führen, die im Sinne des TV-Zusatzversorgung nur beschränkt verwertbar sind.

aa) Den statistischen Berichten der Landesämter für Statistik, die von der 15. Kammer des Hess. Landesarbeitsgerichts angefordert worden waren und die aufgrund des Beweisbeschlusses vom 22. November 2000 (Bl. 23 ff d. A.), verwertete wurden, sind Begriffserklärungen vorangestellt.

Diese lauten auszugsweise (vgl. beispielhaft LAG-Akten Bl. 211 ff: Statistischer Bericht für Brandenburg; LAG-Akten Bl. 242 ff, insb. 290: Auszüge aus Statistischem Jahrbuch Mecklenburg-Vorpommern; LAG- Akten Bl. 291 ff: Arbeitskräfteerhebung Sachsen-Anhalt; LAG-Akten Bl. 379 ff: Arbeitskräfte in den landwirtschaftlichen Betrieben des Freistaates Sachsen; LAG-Akten Bl. 445: Statistischer Bericht, Arbeitskräfte in den landwirtschaftlichen Betrieben in Thüringen).:

"Familienarbeitskräfte

Familienarbeitskräfte sind die Betriebsinhaber und die auf dem Hof lebenden Familienangehörigen von 15 Jahren und älter, die im Berichtszeitraum Arbeitsleistungen für den landwirtschaftlichen Betrieb und/oder für den Haushalt der Betriebsinhabers erbracht haben. Dabei handelt es sich nur um solche Familienangehörige, die ihre Verpflegung überwiegend vom Betrieb erhielten.

Ständige familienfremde Arbeitskräfte

Ständige familienfremde Arbeitskräfte sind Personen von 15 Jahren und älter, die während des Berichtszeitraumes in einem unbefristeten oder mindestens drei Monate abgeschlossenen Arbeitsverhältnis (auch Ausbildungsverhältnis) zum Betrieb standen, einschließlich im Betrieb ständige beschäftigte Verwandte des Betriebsinhabers oder seines Ehegatten, die im Berichtszeitraum 03. April bis 30. April 1995 nicht auf dem Hof lebten.

Beschäftigte in dem Betrieben in der Hand von "juristischen Personen" sind im Sinne dieser Erhebung "familienfremde Arbeitskräfte".

Nichtständige familienfremde Arbeitskräfte

Alle übrigen Arbeitskräfte, die im Berichtszeitraum für Rechnung des Betriebsinhabers, auch wenn nur gelegentlich, mit betrieblichen Arbeiten beschäftigt sind.

Nicht hierzu zählen Arbeitskräfte, die im Rahmen der Nachbarschaftshilfe oder im Auftrag von Lohnunternehmen im Betrieb tätig sind.

Vollbeschäftigte Arbeitskräfte

Vollbeschäftigte Arbeitskräfte sind Familienarbeitskräfte und ständige familienfremde Arbeitskräfte, die in jeder der vier Wochen des Berichtszeitraumes 40 oder mehr Stunden beschäftigt waren.

AK-Einheit

Die AK-Einheit (Arbeitskraft-Einheit) ist die Maßeinheit für die Arbeitsleistung in einem Berichtszeitraum mit betrieblichen Arbeiten vollbeschäftigten und nach ihrem Alter vollleistungsfähigen Personen. Sie wird aus der je Arbeitskraft für den Arbeitsbereich Betrieb angegebenen Arbeitszeit (Zahl der Wochen und Zahl der durchschnittlich wöchentlichen Arbeitsstunden) ermittelt.

Dabei wird die Arbeitsleistung einer mit betrieblichen Arbeiten vollbeschäftigten, auf dem Hof lebenden familienangehörigen Arbeitskraft von 16 bis unter 65 Jahren mit 1,0 AK-Einheiten, im Alter von 15 Jahren mit 0,5 AK-Einheiten und im Alter von 65 und mehr Jahren mit 0,3 AK-Einheiten bewertet.

Die Arbeitsleistung einer mit betrieblichen Arbeiten vollbeschäftigten familienfremden Arbeitskraft im Alter von 16 und mehr Jahren wird mit 1,0 AK-Einheiten und im Alter von 15 Jahren mit 0,5 AK-Einheiten bewertet.

Entsprechend wird die Arbeitsleitung der teilbeschäftigten Arbeitskräfte an der durchschnittlichen Arbeitsleistung der vollbeschäftigten Arbeitskräfte gemessen und in Bruchteilen diese AK-Einheit errechnet."

 (entnommen aus dem zuletzt angeführten statistischen Bericht)

In den Statistiken der unterschiedlichen Bundesländer sind dementsprechend Daten zu der Zahl der "ständig Beschäftigten in landwirtschaftlichen Betrieben", "Betriebsinhaber" sowie "Betriebsinhaber und Familienangehörigen" einerseits und der "ständigen familienfremden Arbeitskräfte" angeführt (vgl. wiederum beispielhaft Berichte Thüringen 1995, LAG-Akten Bl. 447).

bb) Die Kammer hat die Angaben der Statistischen Landesämter für 1995 zu

-   den "familienfremden Arbeitskräften" und

-   zu den "Familienarbeitskräften"

herangezogen, wobei von der Zahl der "Familienarbeitskräfte" jeweils die Zahl der "Betriebsinhaber" abgezogen wurden.

Daraus ergaben sich die nachstehend in der linken Spalte angeführten Werte, der in der rechten Spalte die von dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zugrundegelegten Zahlen gegenübergestellt werden:

Arbeitnehmer FAK (ohne Arbeitnehmer   (ohne mifas, Betriebsinhaber) (ohne mifas)   ständig x1 BMA-Akten Bl.   beschäftigt)

141

Brandenburg

23.260

3.786 (10.218 13.680 (LAG-Akten Bl. 388 f,   -6.432) 393)     Mecklenburg-Vorpommern

19.670

2.253 (6.690 22.885 (LAG-Akten Bl. 398,   -4.437) 400)     Sachsen x2 (LAG-Akten

14.283

8.943 (15.018 18.995 Bl. 414-418)   -6.075) Sachsen-Anhalt     (LAG-Akten     Bl. 297,299, 301)

18.840

2.690 (7.050 17.500     -4.360) Thüringen (LAG-Akten

19.666

3.540 16.650 Bl. 444, 447)      

95.719

21.212 89.710

x1 Bei den Familienarbeitskräften (FAK) wurden "ständige" und "nicht ständige" FAK, jedoch keine "teilbeschäftigten" FAK erfasst.

x2 Grundlage sind die statistischen Werte, wobei die Beschäftigen des Gartenbaus abgezogen wurden.

cc) Weiter war zu berücksichtigten, dass die Zahl der familieneigenen Arbeitskräfte ohne die Betriebsinhaber nicht mit der Zahl der Familienangehörigen und rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer, die unter § 1 Abs. 3 Nr. 1 TV-Zusatzversorgung fallen, gleichgesetzt werden konnten. Der in den jeweiligen Statistiken angeführte Wert für "AK-Einheiten" lässt erkennen, dass Familienangehörige (ohne Betriebsinhaber) im Durchschnitt nur ca. 30 % einer Vollzeitarbeitskraft erbringen. Dies lässt den Schluss zu, dass in nicht unwesentlichem Umfang Familienangehörige erfasst wurden, die neben einer anderen Berufstätigkeit zusätzlich auf dem familieneigenen Hof tätig sind oder aber durch Tätigkeiten in der Landwirtschaft und im Haushalt zum Familienunterhalt beitragen (§ 1360 BGB) und daher nicht rentenversicherungspflichtig arbeiten.

Andererseits bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die erfassten Familienangehörigen insgesamt alle nicht als rentenversicherungspflichtige Arbeitnehmer tätig werden. Eine Schätzung der Zahl der Arbeitnehmer und den Familienangehörigen war danach nicht möglich. Als vergleichbare Werte kamen lediglich Daten der alten Bundesländer in Betracht. Nach den Angaben des GLFA waren in den alten Bundesländern 1993 von 49.959 Arbeitnehmern 15.514 zugleich Familienangehörige der Betriebsinhaber. Dies sind 31 %. Für die neuen Bundesländer machen die "mifas" insgesamt nach den statistischen Werten ca. 18 % aller der in der Landwirtschaft tätigen Personen mit Ausnahme der Betriebsinhaber aus. Ein Vergleichbarkeit bestand daher nicht.

c) Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat danach bei der Feststellung der sogenannten Halbmächtigkeit die Zahl der vom Tarifvertrag erfassten Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern um mindestens 6.009 Personen (ohne Berücksichtigung der mifas) und maximal um 27.221 Personen (bei Berücksichtigung aller familienangehörigen Arbeitskräfte) zu gering angesetzt.

Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG sind damit fehlerhaft angenommen worden. Dies verdeutlicht folgende Berechnung:

Das Bundesministerium ist für 1995 von insgesamt 129.907 rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern in der Land- und Forstwirtschaft ausgegangen (vgl. BMA-Akten Bl. 141). Setzt man die auf Bl. 68 der BMA-Akten angeführten Prozentsätze für den Organisationsgrad in den einzelnen Bundesländern in Bezug zu den Zahlenangaben für 1995 ergeben sich folgende Werte:

Arbeitnehmer insgesamt                   mittelbar organisierte Arbeitnehmer

 

Westen

40.197

36.081

Osten

89.710

35.054

gesamtes

129.907

71.135

Bundesgebiet       davon 50 % = 64.953 diese Werte ergeben:     54,76 %   71.135 -64.953 6.182  

 (Die für die Bereiche West und Ost angegebenen Werte sind für die jeweiligen Bundesländer einzeln berechnet worden. Auf die Darstellung wird auf Vereinfachungsgründen verzichtet.).

Berücksichtigt man, dass die Schwelle der Halbmächtigkeit mit 54,76 % nur durch die Zahl von 6.182 organisierten Arbeitnehmern überschritten wurde, lässt die dargestellte Unsicherheit über die tatsächliche Zahl der Arbeitnehmer im Beitrittsgebiet mit hoher Wahrscheinlichkeit den Schluss zu, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG nicht erfüllt waren.

Auch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung ist für die neuen Bundesländer nur von einem durchschnittlichen Organisationsgrad von 37,4 % ausgegangen (Wert übernommen aus den Einzelangaben entsprechend Bl. 68 der BMA-Akten). Es kann schließlich nicht unterstellt werden, dass die in Familienbetrieben als rentenversicherungspflichtige Arbeitnehmer tätigen Familienangehörigen in erheblichem Umfang mittelbar tarifgebunden waren.

IV.

Können genaue Zahlen nicht ermittelt werden, ist auch zur Feststellung der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG eine Schätzung gemäß § 287 Abs. 1 ZPO zulässig.

Auch eine solche Schätzung ließ jedoch nicht den Schluss zu, dass wenigstens 50 % der vom TV-Zusatzversorgung erfassten Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt waren.

Zwar kann eine Schätzung gemäß § 287 Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung aller Umstände nach freier Überzeugung des Gerichts erfolgen, wenn statistisches Material unzureichend ist, was dann eine über § 286 ZPO hinausgehende richterliche Würdigung gestattet. Es muss jedoch zumindest überwiegend wahrscheinlich sein, dass im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der AVE -- dem Tag ihrer öffentlichen Bekanntmachung (§ 5 Abs. 7 TVG) -- die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG erfüllt waren (BAG Urteil vom 24. Januar 1979 -- 4 AZR 377/77 -- AP Nr. 16 zu § 5 TVG; LAG Berlin Urteil vom 15. September 1997 -- 17 Sa 95/96 -- NZA-RR 1998, 309).

1. Es kann offen bleiben, ob angesichts des durch das Bundesministerium ermittelten knappen Ergebnisses überhaupt eine Schätzung der Zahl der rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer der Land- und Forstwirtschaft für das Gebiet der neuen Bundesländer statthaft ist.

Im Ergebnis kann auch eine Schätzung nicht zur Bejahung des durch § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG geforderten mittelbaren Organisationsgrades führen. Die im Verfahren zur Prüfung der AVE vorausgesetzten Prozentsätze zur Tarifgebundenheit der Arbeitgeber sind zumindest für die Bundesländer Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern deutlich zu hoch angesetzt worden. Danach hätte auch bei Zugrundelegen der Arbeitnehmerzahlen, die dem Bundesministerium durch den GLFA mitgeteilt worden waren, keine sogenannte Halbmächtigkeit angenommen werden dürfen.

a) Es ist unstreitig, dass es in Thüringen zumindest bis 1999 nicht zu dem Zusammenschluss des kleineren -- tarifschließenden -- Arbeitgeberverbandes mit dem größeren -- nicht tarifgebundenen -- Arbeitgeberverband gekommen ist. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hatte wegen der angekündigten Fusion beider Verbände einen (künftigen) Organisationsgrad von 52 % (BMA-Akten Bl. 85 f) angenommen. Der dem GLFA angehörende tarifschließende land- und forstwirtschaftliche Arbeitgeberverband Thüringen e.V. hat auf die Anfrage des Hess. Landesarbeitsgerichts mit Datum vom 24. Februar 1999 angegeben, von 19.666 ständigen familienfremden Arbeitskräften im Jahr 1995 seien zumindest 2.511 Arbeitnehmer über die Einzelmitgliedschaft ihrer Arbeitgeber mittelbar organisiert gewesen (LAG-Akten Bl. 425 f). Die tatsächliche Zahl habe wegen der Sammelmitgliedschaft der Treuhandgütergesellschaft TGG etwas höher gelegen. Nach den angegebenen Wert betrug der sicher festzustellende Organisationsgrad daher nur 12,77 %.

b) Der land- und forstwirtschaftliche Arbeitgeberverband im Lande Mecklenburg-Vorpommern e.V. hat gegenüber dem Hess. Landesarbeitsgericht mit Datum vom 12. Februar 1999 angegeben, der mittelbare Organisationsgrad habe mindestens 56,6 % betragen (LAG-Akten Bl. 397 ff). Im AVE-Prüfungsverfahren war noch ein Organisationsgrad von 60 % angenommen worden.

Jedoch ist auch die korrigierte Schätzung von 56,6 % offensichtlich unzutreffend.

Der Arbeitgeberverband hat auch die Mitglieder des Bauernverbandes Mecklenburg-Vorpommern e.V. zu den tarifgebundenen Arbeitgebern gezählt. Zitiert wird zunächst § 3 Abs. 3 der Satzung des land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbandes im Lande Mecklenburg-Vorpommern e.V., der 1995 galt. Diese Regelung lautete (LAG-Akten Bl. 398 a):

"Bei Mitgliedern des Bauernverbandes Mecklenburg-Vorpommern, die die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 erfüllen, entsteht die unmittelbare Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband durch eine einseitige Erklärung des Mitgliedes gegenüber der zuständigen Geschäftsstelle des Bauernverbandes.

Betriebsinhaber und Unternehmen, die nicht Mitglied des Bauernverbandes Mecklenburg-Vorpommern sind, beantragen die unmittelbare Mitgliedschaft beim Vorstand des Arbeitgeberverbandes, der über die Aufnahme entscheidet."

Dazu wurde durch den Verband im Schreiben vom 12. Febr. 1999 erläutert (LAG-Akten, aaO):

"Der Bauernverband Mecklenburg-Vorpommern e.V. und der Land- und forstwirtschaftliche Arbeitgeberverband e.V. werden seit Gründung des Arbeitgeberverbandes 1992 im Hauptamt (Geschäftsführung) in Personalunion geführt. Bis zum Jahr 1997 war dies auch im Ehrenamt (Vorsitzender) der Fall.

Die arbeits- und sozialrechtliche Beratung (§ 2 Abs. 2c der Satzung des Arbeitgeberverbandes) wird durch die Juristen bzw. Mitarbeiter des Bauernverbandes durchgeführt.

Bauernverbandsmitglieder, die diese Beratung in Anspruch nehmen wollen, werden über ihre zuständigen Kreisbauernverbände vermittelt oder wenden sich direkt an die Juristen des Bauernverbandes und erklären dadurch konkludent ihre Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband. Angesichts der Vielzahl von arbeits- und sozialrechtlichen Beratungsfällen wurde auf die Einhaltung formeller Kriterien verzichtet, auch weil man von der praktizierten Einheit der Verbände ausgeht.

Die Tarifabschlüsse des Land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbandes werden allen Kreisbauernverbänden übergeben sowie den Mitgliedsunternehmen mittels des Verbandsinformationsblattes zur Kenntnis gegeben und erläutert. Die praktizierte Einheit der Verbände wird auch daran deutlich, dass die gesamte Beantragungen, Abrechnung, Organisation von Bildungsmaßnahmen über den Qualifizierungsfonds durch Mitarbeiter des Bauernverbandes Mecklenburg-Vorpommern e.V. bzw. die Mitarbeiter der Kreisbauernverbände erfolgt."

Die Kammer geht davon aus, dass ein "konkludenter" Beitritt eines Mitgliedes des Bauernverbandes in den Arbeitgeberverband durch eine Inanspruchnahme von arbeits- und sozialrechtlicher Beratung nicht möglich ist. Die Einhaltung formeller Kriterien zur Begründung einer Mitgliedschaft erscheint nicht verzichtbar. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Mitglied des Bauernverbandes, welches eine rechtliche Beratung in Anspruch genommen hat, damit zugleich im Sinne des § 3 Abs. 3 der Satzung seinen Willen erklärte, Mitglied des Arbeitgeberverbandes zu werden. Deshalb darf nicht unterstellt werden, dass dieses Mitglied des Bauernverbandes auch tarifgebunden war. Folglich ist auch der mit 56,6 % geschätzte Wert des Organisationsgrades unzutreffend.

2. Im Rahmen einer Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO ist es nicht möglich, die vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zugrundegelegten Prozentsätze zum Organisationsgrad der Arbeitgeber zu übernehmen und die festgestellten und erläuterten Fehler zu übergehen.

Die Kammer geht zwar davon aus, dass Maßstab für eine gerichtliche Kontrolle, ob die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG erfüllt waren, nur die zum Zeitpunkt der Prüfung erziel- und verwertbaren Informationen sein dürfen. Stellt sich aber dann im arbeitsgerichtlichen Verfahren heraus, dass die zuständige Behörde von fehlerhaften oder unvollständigen Tatsachengrundlagen ausgegangen ist, sind auch andere im Zeitraum des Prüfungsverfahrens verfügbare Erkenntnisse zu verwerten, die unberücksichtigt geblieben sind. Dazu gehört die Aufklärung des Organisationsgrades und der Mitgliederstruktur der Arbeitgeberverbände, auch im Verhältnis zu den jeweiligen Bauernverbänden. Solche Nachprüfungen wären auch im Zeitraum der Prüfung der AVE-Voraussetzungen durchführbar gewesen.

V.

Die Frage, ob im Zeitpunkt der AVE genügend Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt waren, konnte entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 TVG dahinstehen.

Nach dieser Vorschrift kann insbesondere von den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG abgesehen werden, wenn die AVE zur Behebung eines sozialen Notstandes erforderlich scheint.

Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat jedoch die AVE nicht auf § 5 Abs. 1 Satz 2 TVG gestützt und erkennbar keine Prüfung dieser Voraussetzungen vorgenommen.

Die Kammer ist nicht befugt, anstelle der nach § 5 TVG zuständigen Stelle eine solche Prüfung vorzunehmen. Aufgrund des Charakters einer AVE als Rechtsetzungsakt eigener Art (BVerfG Beschl. v. 24. Mai 1977 -- 2 BvL 11/74 -- AP Nr. 15 zu § 5 TVG) können die Gerichte nur überprüfen, ob die gesetzlich festgelegten inhaltlichen Vorgaben für einen solchen Rechtsetzungsakt erfüllt waren. Sie sind nicht befugt, eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage durch eine andere auszutauschen. Die Wahl der Ermächtigungsgrundlage, deren Anforderungen erfüllt werden müssen, ist Teil des Rechtsetzungsakts. Denn es kann nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die zur Rechtsetzung befugte Stelle den Willen hatte, von einer bestimmten Ermächtigungsgrundlage Gebrauch zu machen.

Außerdem hat die Klägerin zu den Voraussetzungen eines sozialen Notstandes keine Tatsachen vorgetragen.

VI.

Schließlich kann entgegen der Anregung der Klägerin kein Bescheidungsurteil ergehen.

Die Parteien dieses Rechtsstreits sind die ZLA/ZLF und ein landwirtschaftlicher Arbeitgeber. Die Wirksamkeit der AVE war als sogenannte Vorfrage zu prüfen, da die Verpflichtung der Beklagten aus dem TV-Zusatzversorgungsvertrag gemäß § 5 Abs. 4 TVG bestritten wurde.

Die Kammer kann des Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und die tarifschließenden Verbände nicht verpflichten, die Voraussetzungen der AVE rückwirkend erneut zu überprüfen.

Die Zulassung der Sprungrevision gemäß § 76 ArbGG, wie von der Beklagten angeregt, war nicht möglich. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung sind nicht erfüllt.

VII.

Die Klägerin hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG zu tragen.

Der gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Tenor des Urteils festzusetzende Wert des Streitgegenstandes richtet sich nach der Höhe der Klageforderung.



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