Arbeitsgericht Fulda

Beschluss vom - Az: 2 BV 2/97

Weiterbeschäftigung eines Jugend- und Auszubildendenvertreter (JAV); Rechtsanwaltskosten

Die Weiterbeschäftigung eines Jugend- und Auszubildendenvertreters ist gem. §78a BetrVG nur dann unzumutbar, wenn zur Zeit der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses im gesamten Unternehmen kein freier Arbeitsplatz zur Verfügung steht, auf dem der Jugendvertreter mit seiner erworbenen Qualifikation beschäftigt werden kann.

Für die Rechtsanwaltskosten des Jugendvertreters muss gem. § 65 BetrVG i.V.m. § 40 BetrVG der Arbeitgeber aufkommen.

Tenor

Der Auflösungsantrag der Antragstellerin ist abzuweisen.

Der Antrag der Beteiligten zu 2) bis 4) auf Feststellung der Verpflichtung zur Erstattung der erhöhten anwaltlichen 3/10 Gebühr ist demgegenüber zulässig und begründet.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Tatbestand

Die antragstellende Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) begehrt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses des Beteiligten zu 2). Dieser wurde seit dem l. September 1993 bei der Antragstellerin im Geschäftsbereich Werke Werk F. zum Energieelektroniker, Fachrichtung Anlagentechnik ausgebildet. Er war im Zeitraum vom 26. März 1996 bis zum 14. Januar 1997 Jugend- und Auszubildendenvertreter. Mit Schreiben vom 14. Oktober 1996 teilte ihm die Beteiligte zu 1) mit, daß sie nicht beabsichtige, ihn in ein Arbeitsverhältnis zu übernehmen. Der Beteiligte zu 2) verlangte daraufhin mit Schreiben vom 16. Januar 1997 seine Weiterbeschäftigung nach Abschluß der Ausbildung. Am 22. Januar 1997 legte er erfolgreich die Prüfung ab.

Zu diesem Zeitpunkt waren jedenfalls in den Werken B., S.-K. und B. Arbeitsplätze im Berufsbild des Beteiligten zu 2) frei. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 26. März 1997 sowie auf die als Anlagen zum Schriftsatz des Beteiligten zu 2) vom 10. März 1997 vorgelegten Stellenausschreibungen (Bl. 53 bis 62 d.A.) verwiesen. Der Beteiligte zu 2) tritt zum 5. Mai 1997 seinen Grundwehrdienst bei der Bundeswehr an.

Der Beteiligte zu 3) ist bei der Beklagten Betriebsrat, die Beteiligte zu 4) Jugendvertretung.

Die Antragstellerin hält im Hinblick auf die Bedeutung einer ordnungsgemäßen Personalplanung eine Weiterbeschäftigung des Beteiligten zu 2) für unzumutbar. Sie ist der Ansicht, für die Frage der Unzumutbarkeit sei maßgeblich, ob im Werk F. zum Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses freie Arbeitsplätze seien und bestreitet dort die Existenz von freien Arbeitsplätzen. Sie behauptet, dem Arbeitsplatzbestand von 302,2 stünde dort ein Arbeitsplatzbedarf von 302,2 gegenüber.

Sie beantragt,

das Arbeitsverhältnis mit dem Beteiligten zu 2) aufzulösen.

Die Beteiligten zu 2) bis 4) beantragen,

den Antrag abzuweisen

Sie bestreiten das Fehlen von freien Arbeitsplätzen mit Werk F. Wegen der Ausführungen hierzu im einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 10. März 1997 Seite 2 bis 5 (Bl. 22 bis 25) und die vorgelegten Personalbestandslisten Bl 32 bis 52 Bezug genommen.

Desweiteren nehmen sie die Antragstellerin auf Erstattung der durch die anwaltliche Vertretung des Beteiligten zu 2) entstandenen erhöhten Anwaltskosten in Höhe von DM 3/10 in Anspruch. Die Beteiligte zu 1) hatte in einem vorangegangenen Parallelprozeß diese Kostentragung abgelehnt.

Der Beteiligten zu 2) bis zu 4) beantragen deshalb, festzustellen, daß die Antragstellerin verpflichtet ist, auch die durch anwaltliche Vertretung des Beteiligten zu 2) entstehenden Mehrkosten zu tragen.

Die Beteiligte zu 1) beantragt, diesen Antrag abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

II.

Der Auflösungsantrag der Antragstellerin ist abzuweisen, weil ihr als Arbeitgeberin eine Weiterbeschäftigung des Beteiligten zu 2) nach Beendigung seines Ausbildungsverhältnisses nicht unzumutbar ist gem. § 78 a Abs. 4 BetrVG.

Die Beteiligten gehen zutreffend davon aus, daß zwischen der Antragstellerin und dem Beteiligten zu 2) nach § 78 a Abs. 2 Satz 1, Abs.5 BetrVG mit Wirkung vom 23. Januar 1997 kraft Gesetzes ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist. Der Beteiligte zu 2) war zwar bei Beendigung seines Ausbildungsverhältnisses am 22. Januar 1997 nicht mehr Mitglied der Jugendvertretung der Arbeitgeberin; er genießt jedoch gem. § 78 a Abs. 3 BetrVG noch ein Jahr nach Beendigung seiner Amtszeit den nachwirkenden Schutz des § 78 a Abs. 2 BetrVG. Er kann somit auch nach Beendigung seiner Amtszeit Weiterbeschäftigung mit der Folge der Begründung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses verlangen. Dies hat er mit Schreiben vom 16. Januar 1997 rechtzeitig vor Beendigung der Ausbildung getan.

Bereits nach dem Vorbringen der Antragstellerin sind keine hinreichenden Gründe erkennbar, die eine Weiterbeschäftigung unzumutbar machen. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG NZA 1996, 493 ff m.w.N.) vertritt die Kammer die Auffassung, daß betriebliche Gründe nur ausnahmsweise zur Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung eines Jugend- und Auszubildendenvertreters führen können. Die Auslegung der Regelung in § 78 a BetrVG ist an dem Unzumutbarkeitsbegriff in § 626 Abs. 1 BGB zu orientieren. Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit den Regelungen des § 103 BetrVG und des § 15 KSchG. Diese Regelungen nehmen direkt Bezug auf den in § 626 Abs. 1 BGB definierten wichtigen Grund als Unzumutbarkeitskriterium. Die Vorschrift des § 78 a BetrVG hat den gleichen Zweck wie die genannten Regelungen. Sie dient ebenso wie die Vorschriften des § 103 BetrVG und § 15 Abs. 1 KSchG dem Schutz eines Mitglieds der betriebsverfassungsrechtlichen Vertretungsorgane und der Kontinuität der Amtsführung des betriebsverfassungsrechtlichen Organs (s. BAG Rspr. vgl. BAG NZA 1996, 493, 494). Da die §§ 103 BetrVG und 15 KSchG nur von bereits bestehenden Arbeitsverhältnissen von Amtsvertretern ausgehen, ist § 78 a BetrVG eine ergänzende Vorschrift für den Schutz von Auszubildenden, die Mitglied einer Jugendvertretung sind und bei denen es erst um die Übernahme in ein Arbeitsverhältnis geht.

Bei der Auslegung des Unzumutbarkeitsbegriffes in § 78a BetrVG ist allerdings gerade diese unterschiedliche Ausgangssituation zu berücksichtigen und der Unzumutbarkeitsbegriff des § 626 Abs.1 BGB, wonach grundsätzlich nur schwerwiegende Gründe persönlicher Art die Unzumutbarkeit begründen können, nicht voll anzuwenden. Vielmehr können ausnahmsweise auch dringende betriebliche Gründe, z. B. das Fehlen von Arbeitsplätzen, den Auflösungsantrag des Arbeitgebers rechtfertigen. Während bei der Kündigung das Bestandsschutzinteresse mit dem Beendigungsinteresses des Arbeitgebers abzuwägen ist, geht es bei der gesetzlich vorgeschriebenen Übernahme von Auszubildenden um die Wiederbesetzung freier Arbeitsplätze. Voraussetzung für eine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung begründende betriebliche Gründe ist nach ständiger Rechtsprechung (siehe obige Rechtsprechungsnachweise) deshalb, daß im Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses kein freier, auf Dauer angelegter Arbeitsplatz zur Verfügung steht, auf dem der Jugendvertreter mit seiner durch die Ausbildung erworbenen Qualifikation beschäftigt werden kann; als frei ist ein Arbeitsplatz anzusehen, der unbesetzt ist (so bereits BAG AP 5-zu § 78 a BetrVG 1972).

Bei der Prüfung, ob freie Arbeitsplätze zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorhanden waren, ist entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1) auf den gesamten Unternehmensbereich abzustellen (so auch BVerwGE 2. November 1994). Der Übernahmeanspruch ist nicht auf den Bereich beschränkt, für den die Jugend- und Auszubildendenvertretung, der der beteiligte Arbeitnehmer angehört hat, zuständig ist.

Dies ergibt sich aus dem oben dargelegten doppelten Schutzzweck der Norm des § 78 a BetrVG, die eben nicht nur dem Schutz der fortbestehenden Funktionsfähigkeit der Jugend- und Auszubildendenvertretung, sondern auch dem Schutz der Mitglieder dieser Organe bei der Übernahme in das Beschäftigungsverhältnis nach Abschluß der Ausbildung dient. Der doppelte Schutzzweck wird in § 78a Abs. 3 BetrVG sichtbar, wonach § 78 a Abs. 2, BetrVG auch dann gilt, wenn die Amtszeit des Mandatsträgers innerhalb eines Jahres vor der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses geendet hat. In diesem Fall kann es - wie die Beteiligte zu 2 bis 4 zutreffend erkannt haben- überhaupt nicht mehr um den Schutz einer konkreten Amtskontinuität eines betriebsverfassungsrechtlichen Gremiums gehen, da dann der Arbeitnehmer einem solchen Gremium im Zeitpunkt des Abschlusses des Ausbildungsverhältnisses gerade nicht mehr angehört.

Ebenfalls spricht gegen eine Verengung auf den Ausbildungsbetrieb ein Vergleich mit den §§ 1 Abs. 2 Nr. 1 b KSchG und 15 KSchG. Bei beiden Vorschriften ist bezüglich der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf den Bereich des Unternehmens abzustellen. Nach dem oben dargelegten Sinn und Zweck der nachträglich aufgenommmenen Regelung des § 78 a BetrVG können dann an das Kriterium der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung gem. § 78 a BetrVG keine geringeren Anforderungen gestellt werden; vielmehr ergibt sich daraus, daß § 78 a BetrVG eine besondere Schutzvorschrift für die Auszubildenden darstellt, daß mindestens so strenge Maßstäbe bei der Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit anzulegen sind wie bei §§ 1, 15 KSchG. In Übereinstimmung mit der LAG Rechtsprechung (vgl. LAG Niedersachsen vom 26.4.1996, Personalrat 1997, 82; LAG Rheinland- Pfalz vom 5.7.1996 , AuR 1997, 84) geht die Kammer deshalb davon aus, daß es für die Frage der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Auszubildenden darauf ankommt, ob im gesamten Unternehmen der Beteiligten zu 1 ) kein freier Arbeitsplatz existiert.

Gemessen an diesen Prüfungskriterien ist hier die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Beteiligten zu 2) zu verneinen.

Die Antragstellerin hat selbst die Existenz von freien Arbeitsplätzen auf Unternehmensebene im Berufsbild des Beteiligten zu 2) zum Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses eingeräumt. Soweit die Beteiligte zu 1) den Einwand erhebt, sie könne nur einen Teil der Auszubildenden in ein Arbeitsverhältnis übernehmen, so muß sie dies jedenfalls bezüglich des Personenkreises des Abs. 1 des § 78 a BetrVG tun (vgl. Fitting- Auffahrt-Kaiser- Heither Betriebsverfassungsgesetz, 17. Auflage 1992, § 78 a BetrVG Rd 20 m.w.N.; Schäfer AuR 1978, 202, 207; Reuter SAE 1979, 284; LAG Hamm BB 1978, 912, 913).

Dieses Ergebnis führt entgegen der Ansicht der Beteiligten zu 1) auch nicht zu einer individuellen Besserstellung des Beteiligten zu 2) oder verstößt gegen das Begünstigungsverbot des § 78 BetrVG, sondern ist gerade Folge des in § 78 a BetrVG normierten Amtsträgerschutzes. § 78 a BetrVG enthält per se eine gewisse Bevorzugung des Amtsträgers, die nicht durch § 78 BetrVG eingeschränkt werden kann (vgl. Schäfer AuR 1978, 202, 207).

Der Antrag der Beteiligten zu 2) bis 4) auf Feststellung der Verpflichtung zur Erstattung der erhöhten anwaltlichen 3/10 Gebühr ist demgegenüber zulässig und begründet.

Für den Feststellungsantrag gem. § 256 ZPO ist trotz grundsätzlicher Nachrangigkeit gegenüber einem Leistungsantrag ein Rechtsschutzbedürfnis anzuerkennen. Da der Streitwert nicht festgesetzt ist, können die Kosten noch nicht im einzelnen der Höhe nach beziffert werden, ein Leistungsantrag scheidet damit aus.

Zur geltendgemachten Kostentragung ist die Beteiligte zu 1) gem. §§ 40, 65 BetrVG i.V. m. § 6 BRAGO verpflichtet.

Gem. § 65 BetrVG ist § 40 BetrVG auch für die Jugend- und Auszubildendenvertreter anzuwenden. Danach hat der Arbeitgeber auch die Kosten zu erstatten, die einem Betriebsratsmitglied/Jugendvertreter durch die Führung von Rechtsstreitigkeiten in betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten entstehen; hierzu sind die durch einen hinzugezogenen Rechtsanwalt entstandenen Kosten zu rechnen, soweit das Betriebsratsmitglied/der Jugendvertreter die Beauftragung eines Rechtsanwalts für erforderlich halten durfte. Demnach ist hier auch die durch die anwaltliche Vertretung des Jugendvertreters entstandenen erhöhte 3/10 Gebühr von der Beteiligten -u 1) zu erstatten. Hier liegt eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit im Sinne des § 2 a ArbGG vor. Wie oben dargelegt, geht es im Verfahren nach § 78 a BetrVG darum, den (ehemaligen) Jugendvertreter davor zu schützen, daß er Nachteile wegen seiner (ehemaligen) Mitgliedschaft zu befürchten hat. Im übrigen leitet auch die Rechtsprechung des BAG allein aus dem Benachteiligungsverbot des § 78 BetrVG die Erstattungspflicht der Rechtsanwaltskosten her, wenn der Arbeitgeber in einem Zustimmungsersetzungsverfahren unterliegt (BAG 31. 1. 90 AP Nr. 28 zu § 103 BetrVG 1972).

Angesichts der Komplexität des Verfahrens nach § 78a BetrVG durfte der Beteiligte zu 2) auch die Beauftragung eines Rechtsanwalts für erforderlich halten.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.



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