Arbeitsgericht Gießen

Urteil vom - Az: 3 Ca 119/07

Unwirksamkeit einer arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist sowie einer Lohnverwirkungsabrede

Wird in einer arbeitsvertraglichen Klausel für den Beginn einer Ausschlussfrist auf den Zugang der letzten Lohnabrechnung abgestellt, so ist die Klausel gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1, § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam.
Denn dies widerspricht dem in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Grundgedanken, wonach für den Beginn der Verjährungsfrist Voraussetzung ist, dass der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

Lohnverwirkungsabreden sind grundsätzlich zulässig. Die Vereinbarung der Lohnverwirkung ist aber unwirksam, wenn sie sich auf unpfändbare Forderungen erstreckt. Dies ist anzunehmen, wenn die Pfändungsfreigrenze offensichtlich nicht berücksichtigt wird.

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.794,01 EUR (in Worten: Eintausendsiebenhundertvierundneunzig und 01/100 Euro) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus

250,00 EUR (in Worten: Zweihundertfünfzig und 00/100 Euro) seit dem 01. August 2006,

250,00 EUR (in Worten: Zweihundertfünfzig und 00/100 Euro) seit dem 01. September 2006,

105,82 EUR (in Worten: Hundertfünf und 82/100 Euro) seit dem 01. Dezember 2006,

173,16 EUR (in Worten: Hundertdreiundsiebzig und 16/100 Euro) seit dem 01. Januar 2007,

48,10 EUR (in Worten: Achtundvierzig und 10/100 Euro) seit dem 01. Februar 2007 und aus

966,93 EUR (in Worten: Neunhundertsechsundsechzig und 93/100 Euro) seit dem 01. April 2007

zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.794,01 EUR festgesetzt.

Die Berufung wird nicht zugelassen, soweit sie nicht ohnehin gesetzlich zugelassen ist.

Tatbestand

Die Klägerin war bei der Beklagten, die ein Pflegeheim betreibt, aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 27. März 2006 ab dem 15. April 2006 als Pflegeassistentin tätig. Der Arbeitsvertrag war befristet abgeschlossen bis zum 15. Oktober 2007 und endete vorzeitig aufgrund Kündigung der Beklagten zum 30. April 2007. In § 16 enthält der schriftliche Arbeitsvertrag folgende Klausel:

"§ 16 Vereinbarung zwischen der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat

Die im Anhang befindliche Vereinbarung (gültig ab dem 01.10.2005) ist Gegenstand des Arbeitsvertrages und wird von dem Arbeitnehmer akzeptiert."

Wegen des weiteren Inhalts des Arbeitsvertrages wird auf die Kopie desselben (Bl. 14-19 d. A.) verwiesen.

Die Beklagte nahm von dem Gehalt der Klägerin in Höhe von 1.250,00 Euro brutto Kürzungen vor. Im Juli 2006 kürzte die Beklagte das Gehalt der Klägerin um 250,00 Euro brutto. Im August 2006 erfolgte eine Gehaltskürzung in Höhe von 250,00 Euro brutto. Im November 2006 erfolgte eine Gehaltskürzung in Höhe von 105,82 Euro brutto. Im Dezember 2006 erfolgte eine Gehaltskürzung in Höhe von 173,16 Euro brutto. Im Januar 2007 erfolgte eine Gehaltskürzung in Höhe von 48,10 Euro brutto. Im April 2007 erfolgte eine Gehaltskürzung in Höhe von 966,93 Euro brutto. Die Klägerin ist der Ansicht, die Gehaltskürzungen seien unberechtigt. Die Klägerin behauptet, sie habe jeden Tag dokumentiert, was sie gemacht habe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.794,01 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 250,00 Euro seit dem 01. August 2006, aus 250,00 Euro seit dem 01. September 2006, aus 105,82 Euro seit dem 01. Dezember 2006, aus 173,16 Euro seit dem 01. Januar 2007, aus 48,10 Euro seit dem 01. Februar 2007 und aus 966,93 Euro seit dem 01. April 2007 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die jeweiligen Abzüge seien gerechtfertigt. Die Beklagte meint, die Ansprüche der Klägerin seien bereits gemäß § 15 des schriftlichen Arbeitsvertrages verfallen. Die Beklagte meint darüber hinaus, sie sei zum Lohnabzug berechtigt gewesen. Dem Arbeitsvertrag sei die Vereinbarung zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat beigefügt gewesen. Danach sei die Beklagte berechtigt gewesen, das Gehalt zu kürzen. Die Vereinbarung zwischen der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat enthält u. a. folgende Regelung:

"Ab dem 01. Oktober 2005 erhält jeder Mitarbeiter als Minimum 80 % seines Grundgehaltes. Um das jeweilige Grundgehalt von 100 % zu erreichen, wird die Differenz von 20 % nach bestimmten Kriterien definiert.

...

Bonuswerte dienen nur zur Verrechnung, werden nicht bei einem Wert über dem Grundgehalt ausgezahlt! Werte die in einem Monat über der 20 %-Grenze liegen werden mit in den darauffolgenden Monat übernommen. Bei Beschäftigungsende wird eine Gesamtverrechnung vorgenommen. In diesem Fall wäre eine Auszahlung des Grundgehaltes unter 80 % möglich."

Wegen des weiteren Inhalts der Vereinbarung wird auf die Kopie derselben (Bl. 48-51 d. A.) und insbesondere Bl. 50 u. 51 d. A. verwiesen.

Die Beklagte behauptet, Basis der Vereinbarung zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat sei die Einführung einer sog. Dokumentationskontrolle gewesen. Sinn und Zweck des Regelungswerkes sei seinerzeit gewesen, dass die Beklagte über die Krankenkassen auch nur das abrechnen könne, was von den Mitarbeitern tatsächlich an Pflege dokumentiert werde und Grundlage für die Abrechnung bei den Krankenkassen bilde. Da die einzelnen Mitarbeiter es vor dieser Vereinbarung aufgrund ihres Festgehaltes nicht für notwendig erachtet hätten, eine ordentliche und vollständige Dokumentation der Pflegeleistungen durchzuführen, die Basis für die Abrechnung der Beklagten mit den jeweiligen Krankenkassen seien, habe die Beklagte das Regelungswerk entwickelt, um so eine Motivation der Mitarbeiter zur vollständigen und umfassenden Dokumentation der von ihnen verrichteten Tätigkeiten zu erzielen. Die Abzüge der Klägerin resultierten aus einem jeweiligen Leistungsminus, so dass das Gehalt der Klägerin bis zur 20 %-Grenze habe gekürzt werden dürfen. Im letzten Abrechnungsmonat sei die Beklagte berechtigterweise über die 20 %-Grenze gegangen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalte der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche zu.

Die Ansprüche der Klägerin sind dabei insbesondere nicht gemäß § 15 des Arbeitsvertrages verfallen. Zwar enthält § 15 des Arbeitsvertrages folgende Klausel:

"Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis müssen von dem Arbeitnehmer innerhalb eines Monats nach Zugang der letzten Lohnabrechnung geltend gemacht werden, anderenfalls verfallen sie."

Gleichwohl sind die Ansprüche der Klägerin nicht verfallen. Denn die vertraglich vereinbarte Ausschlussklausel ist unwirksam. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob es sich bei der Ausschlussfristklausel um eine allgemeine Geschäftsbedingung handelt. Denn auch wenn die Ausschlussklausel nicht für mindestens drei Fälle vorgesehen war, liegt eine Unwirksamkeit der Klausel gleichwohl gemäß § 310 Abs. 3 Ziffer 2 BGB in Verbindung mit § 307 Abs. 1 S. 1 BGB vor. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin auf die Einführung von § 15 in den Arbeitsvertrag Einfluss hatte. Für die Anwendung von § 310 BGB kommt es aber auf die fehlende Einflußnahmemöglichkeit der Klägerin an. Die Möglichkeit der Einflussnahme setzt dabei voraus, dass die Beklagte die Klausel ernsthaft zur Disposition gestellt und der Klägerin Gestaltungsfreiheit zur Wahrung ihrer Interessen eingeräumt hat (vgl. BAG vom 25.05.2005, 5 AZR 572/04, Juris, mit Hinweis auf AP Nr. 1 zu § 310 BGB).

Die vereinbarte Ausschlussfrist ist gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1, § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam. In § 15 des Arbeitsvertrages wird für den Beginn der Ausschlussfrist allein auf den Zugang der letzten Lohnabrechnung abgestellt.

Ob die Ansprüche zu diesen Zeitpunkt erkennbar und durchsetzbar sind, ist nach der vereinbarten Klausel unerheblich. Das ist mit dem in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Grundgedanken unvereinbar, wonach für den Beginn der Verjährungsfrist Voraussetzung ist, dass der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Der Wertung des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist in Ausschlussfristen dadurch Rechnung zu tragen, dass für den Fristbeginn die "Fälligkeit" der Ansprüche maßgebend ist. So ist eine Klausel, die für den Beginn der Ausschlussfrist nicht die Fälligkeit der Ansprüche berücksichtigt, sondern allein auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses abstellt, unwirksam, weil sie den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt (BAG vom 01.03.2006, 5 AZR 511/05, Juris mit Hinweis auf AP Nr. 10 zu § 307 BGB).

§ 15 des Arbeitsvertrages stellt nicht auf die Fälligkeit der Ansprüche ab. Vielmehr wird auf den Zugang der letzten Lohnabrechnung verwiesen. Die Ausschlussklausel ist damit unwirksam.

Die Ansprüche der Klägerin sind begründet. Gemäß § 6 des Arbeitsvertrages steht der Klägerin ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 1.250,00 Euro zu. Die Beklagte ist nicht berechtigt, von diesem Gehalt Abzüge vorzunehmen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Vereinbarung Bestandteil des Arbeitsvertrages der Parteien geworden ist. Denn selbst wenn die Vereinbarung Bestandteil geworden sein sollte, ist die Beklagte zu Gehaltskürzungen nicht berechtigt. Denn dem Inhalt nach liegt bei Annahme einer wirksamen Vereinbarung eine Lohnverwirkungsabrede vor. Lohnverwirkung ist eine Vereinbarung, wonach unter bestimmten Voraussetzungen der Anspruch auf Arbeitsvergütung erlöschen soll. Sie ist ein aufschiebend bedingter Erlassvertrag (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 11. Auflage 2005, § 87 Rz. 25, 26). Hier liegt in der Vereinbarung zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat eine Regelung vor, nach der sich bestimmte Kriterien ergeben, die zu Gehaltskürzungen führen sollen. Die Regelung stellt dar, wie sich die Gehaltskürzungen ergeben sollen. Damit geht die Vereinbarung von einem Ausgangsgehalt aus und legt Kürzungsmaßstäbe fest. Eine Lohnverwirkungsabrede ist damit gegeben. Grundsätzlich sind Lohnverwirkungsabreden zulässig. Die Vereinbarung der Lohnverwirkung ist aber unwirksam, wenn sie sich auf unpfändbare Forderungen erstreckt (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, a.a.O., Rz. 27).

Da sich die Beklagte auf die Wirksamkeit der Lohnverwirkungsabrede bezieht, ist sie darlegungs- und beweispflichtig für sämtliche Voraussetzungen. Aus den zur Akte gereichten Gehaltsabrechnungen der Klägerin ergibt sich selbst bei der geringsten Gehaltskürzung in Höhe von 48,10 Euro gemäß Lohn- und Gehaltsabrechnung für Januar 2007 ein Gesamtbruttogehalt der Klägerin in Höhe von 1.282,54 Euro und ein Nettoverdienst in Höhe von 976,28 Euro. Gemäß Anlage 1 zu § 850 c ZPO ist ein monatlicher Nettolohn in Höhe von bis einschließlich 989,99 Euro pfändungsfrei. Es ist daher nicht ersichtlich, dass die Beklagte die Lohnverwirkung nur auf den unpfändbaren Teil der Gehaltsforderung erstreckt hat.

Die Wirksamkeit der Klausel ergibt sich auch nicht daraus, dass es sich um eine Zielvereinbarung handeln könnte. Denn unter Zielvereinbarung ist zu verstehen, dass zusätzlich zu der vereinbarten festen Vergütung der Mitarbeiter am Ende des Kalender- oder Geschäftsjahres einen Bonus erhält, der dem Grunde und der Höhe nach vom Erreichen vereinbarter Ziele abhängig ist (Schaub, Arbeitsrechtshandlung, a.a.O., § 69 Rz. 28). Dies liegt hier nicht vor. Vielmehr ist in der Regelung zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat ausdrücklich aufgenommen, dass die Mitarbeiter anhand der Kriterien und deren Bewertung eine Gehaltsminderung erhalten. Die Vereinbarung geht mithin von einem Bruttogehalt aus, das zu kürzen ist. Dies entspricht nicht den Vorgaben einer Zielvereinbarung.

Da nicht ersichtlich ist, dass die Beklagte die Pfändungsfreigrenzen eingehalten hat, kann dahinstehen, ob die Beklagte im Übrigen ausreichend das Vorliegen der Voraussetzungen der Kürzung gemäß Vereinbarung zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat dargelegt hat.

Der Zinsanspruch ergibt sich jeweils aus dem Gesichtspunkt des Verzuges.

Als unterlegene Partei hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes bemisst sich nach der Höhe der Klageforderung.

Gründe für die Zulassung der Berufung, soweit diese nicht ohnehin gesetzlich zugelassen ist, sind nicht ersichtlich.

Eine Rechtsmittelbelehrung befindet sich auf der nächsten Seite.



Sie kennen die Kanzlei Labisch aus folgenden Medien:

Logo SWR1
Logo SWR4
Logo RPR1
Logo Wiesbadener Kurier
Logo Geißener Anzeiger
Logo Wormser Zeitung
Logo Wiesbadener Tagblatt
Logo Main Spitze
Logo Frankfurter Rundschau
Logo Handelsblatt
Logo Allgemeine Zeitung
Logo Darmstädter Echo
Logo Focus
Logo NTV
Logo ZDF WISO
Lexikon schließen
Schließen