Arbeitsgericht Fulda

Urteil vom - Az: 1 Ca 523/06

Tarifliche Funktionszulage; Begriff der "Gesamttätigkeit"

Gemäß dem "Entgeltrahmentarifvertrag für die Arbeitnehmer der Deutschen Telekom AG (ERTV)" in Verbindung mit dem "Tarifvertrag über Sonderregelungen (TVSR)" erhalten Monteure je nach Art der "Gesamttätigkeit" eine Funktionszulage.
Eine Veränderung der „Gesamttätigkeit“ im Sinne des § 22 Abs. 2 TVSR kann schon dann vorliegen, wenn sich unter Beibehaltung der Aufgabenträgernummer die Tätigkeit verändert.

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 382,66 EUR brutto (in Worten: Dreihundertzweiundachtzig und 66/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 214,80 € seit dem 16. Oktober 2006 sowie aus 167,86 € seit dem 16. Mai 2007 zu zahlen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 63 % und die Beklagte 37 % zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 382,66 € festgesetzt.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Höhe einer tariflichen Funktionszulage.

Der Kläger ist seit dem X bei der Beklagten, einer Anbieterin von Telekommunikationsdienstleistungen, bzw. deren Rechtsvorgängerin als Fernmeldehandwerker beschäftigt. Nach den ursprünglichen arbeitsvertraglichen Abreden richtet sich das Arbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost in ihrer jeweiligen Fassung. In Anwendung dieser tariflichen Bestimmungen bezog der Kläger bis Juni 2001 verschiedene in jeweils unterschiedlicher Höhe vorgesehene Erschwerniszulagen.

Mit Wirkung zum 1. Juli 2001 sind die seitherigen tariflichen Regelungen umfassend neu gestaltet worden. Seither gilt unter anderem der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Deutschen Telekom AG (MTV), der in § 31 vorsieht, dass Ansprüche beider Seiten aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden müssen. Im Übrigen ist tariflich ein neues Bewertungs- und Bezahlsystem (NBBS) eingeführt worden, welches die zuvor gültigen tariflichen Vergütungsregelungen vollständig umgestaltet hat. An die Stelle der seither geregelten Erschwerniszuschläge ist die Regelung einer Funktionszulage getreten, die als monatlicher Pauschalbetrag zur Auszahlung gelangt. Hierzu enthält § 44 des einschlägigen Entgeltrahmentarifvertrages für die Arbeitnehmer der Deutschen Telekom AG(ERTV) folgende Regelung:

 „§ 44 Funktionszulage

 (1) Arbeitnehmer der Regelentgeltgruppen, die bei der Aufgabenerledigung besonderen Umgebungs- bzw. Belastungseinflüssen ausgesetzt sind, erhalten eine Funktionszulage. ...

 (3) Folgende besondere Umgebungs- bzw. Belastungseinflüsse sind insbesondere zu berücksichtigen:

- Wärme, Kälte und andere Witterungseinflüsse,

- Lärm, Staub,

- besonders schmutzige oder ekelerregende Arbeiten,

- Arbeiten mit gesundheitsbelasteten bzw. ätzenden oder giftigen Stoffen/Lösungsmitteln,

- Arbeiten im Wasser oder Schlamm,

- starke Vibrationen.

(4) Die Höhe der Funktionszulage bestimmt sich nach der Ausprägung der besonderen Umgebungs- bzw. Belastungseinflüsse:

...

- für Stufe 4, besonders starke Einflüsse bei ...

34 Wochenstunden

Ab 1. Januar 2005: 82,50 €

Ab 1. November 2006: 85,00 € ...

(5) Die Funktionszulage wird als monatliche Pauschale gezahlt. ...“

Daneben kommt für die Arbeitnehmer, welche am 30. Juni 2001 schon und ab 1. Juli 2001 noch in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten standen, ein Tarifvertrag über Sonderregelungen (TVSR) zur Anwendung. Nach dessen § 22 gilt folgendes:

 „§ 22 Funktionszulage

 (1) Zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Tarifvertrages (1. Juli 2001) gilt folgende Liste von Aufgabenträgern mit Anspruch auf eine Funktionszulage:

...

Stufe 4

- 43351 (Vervielfältiger)

- 55449 (Monteur)

 (2) Abweichend von Absatz 1 und 44 Abs. 4 ERTV erhalten alle Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des TVSR fallen, ab dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Tarifvertrages (1. Juli 2001), bis eine andere Gesamttätigkeit nicht nur vorübergehend ausgeübt wird, eine Funktionszulage in Höhe von 1/12 der in dem Zeitraum Mai 2000 bis April 2001 tatsächlich individuell gezahlten Erschwerniszuschläge, erhöht um 29,4 v. H.. Die Beträge erhöhen sich in gleichem Maße wie das Monatsentgelt aufgrund allgemeiner Entgelterhöhungen. ...“

Dem Kläger war seinerzeit aufgrund seiner Tätigkeit als Monteur die xxxnummer xxx zugeordnet. Er war zu ca. 70 - 80 % seiner Gesamtarbeitsleistung im Rahmen der sogenannten Aufgaben „xxx“ mit Montagetätigkeiten beim Kunden und zu 20 - 30 % seiner Gesamtarbeitszeit mit Montagen im Außenbereich befasst. Er bezog von der Beklagten in Anwendung des § 22 Abs. 2 TVSR eine durch das Referenzprinzip errechnete Funktionszulage in Höhe von monatlich 61,02 € brutto.

Im Jahr 2003 ist die sogenannte Organisationsmaßnahme „xxx“ durchgeführt worden, welche die Verlagerung der im Bereich „xxx“ anfallenden Aufgaben und mit Wirkung zum 1. November 2003 eine Versetzung des Klägers in eine Dienststelle der Beklagten nach xxx mit sich brachte. Seither ist der Kläger ausschließlich mit Montagen im Außenbereich befasst. Er ist seither der xxxnummer xxx zugeordnet, welche der Sache nach die Nachfolgebezeichnung der ursprünglich gebrauchten xxxnummer xxx ist. Die Beklagte beließ es fortan bei der Auszahlung der nach § 22 Abs. 2 TVSR errechneten Funktionszulage in Höhe von monatlich 61,02 € brutto.

Mit einem der Beklagten am 11. Juli 2006 zugegangenen undatierten Schreiben forderte der Kläger für die Zeit seit der zum 1. November 2003 wirksam gewordenen Versetzung die Zahlung einer pauschalierten Funktionszulage in Höhe von monatlich 82,50 € brutto. Die Beklagte ließ die Forderung des Klägers mit Schreiben vom 12. September 2006 zurückweisen, weshalb der Kläger mit seiner bei Gericht am 13. November 2006 eingegangenen und der Beklagten am 23. November 2006 zugestellten Klage seine Forderung zunächst uneingeschränkt weiter verfolgte. Mit einem bei Gericht am 29. März 2007 eingegangenen und der Beklagten am 2. April 2007 zugestellten Schriftsatz vom 28. März 2007 nahm der Kläger allerdings wegen der tarifvertraglichen Ausschlussfrist die Klage für die Monate November 2003 bis Dezember 2005 zurück und erweiterte diese sogleich für die Monate bis Februar 2007. Mit seinem weiteren bei Gericht am 1. Juni 2007 eingegangenen und der Beklagten am 11. Juni 2007 zugestellten Schriftsatz vom 31. Mai 2007 nahm der Kläger nochmals eine Klageerweiterung nunmehr für die Zeit bis zum 31. Mai 2007 vor.

Der Kläger ist der Ansicht, seine gesamte Tätigkeit habe sich im Zuge der zum 1. November 2003 wirksam gewordenen Versetzung geändert, weshalb ihm seither eine pauschalierte Funktionszulage nach §§ 44 Abs. 4 ERTV, 22 Abs. 1 TVSR in Höhe von monatlich 82,50 € brutto für die Zeit bis zum 31. Oktober 2006 und in Höhe von 85,00 € brutto für die Zeit seit dem 1. November 2006 zustehe.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 382,66 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 214,80 € brutto seit dem 16. Oktober 2006 sowie aus 167,86 € brutto seit dem 16. Mai 2007 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, bei dem Begriff der „Gesamttätigkeit“ im Sinne des § 22 Abs. 2 TVSR sei auf die zugewiesene Aufgabenträgernummer abzustellen. Die Beklagte schließt daraus, seit der Tarifumstellung zum 1. Juli 2001 habe sich beim Kläger keine Änderung ergeben.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 15. Juni 2007 (Bl. 81 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und in ihrem zuletzt verfolgten Umfang auch begründet.

Die Klage ist zulässig.

Insbesondere ist das angerufene Gericht jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Besonderen Gerichtsstandes des Erfüllungsortes (vgl. §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 29 ZPO) örtlich zuständig, da der Kläger seit seiner zum 1. November 2003 wirksam gewordenen Versetzung in einer Dienststelle der Beklagten in xxx eingesetzt ist.

Die Klage ist auch begründet.

Der Kläger hat für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Mai 2007 einen Anspruch auf Zahlung einer restlichen Funktionszulage in Höhe von insgesamt 382,66 € brutto.

Der Anspruch auf Zahlung einer Funktionszulage beruht dem Grunde nach auf § 611 BGB i. V. m. dem Arbeitsvertrag i. V. m. den einbezogenen tarifvertraglichen Bestimmungen des § 44 ERTV. Dies ist zwischen den Parteien auch unstreitig.

Der Anspruch berechnet sich der Höhe nach unter Zugrundelegung der in § 44 Abs. 4 ERTV für die Stufe 4 vorgesehenen monatlichen Pauschalbeträge in Höhe von 82,50 € brutto für die Zeit bis zum 31. Oktober 2006 und von 85,00 € brutto für die Zeit seit dem 1. November 2006. Unter Berücksichtigung der dem Kläger durchgehend gewährten Funktionszulage in Höhe von nur 61,02 € brutto ergibt sich hiernach für die Monate Januar 2006 bis Oktober 2006 ein monatlicher Differenzbetrag in Höhe von 21,48 € brutto und mithin ein nachzuzahlender Gesamtbetrag in Höhe von 214,80 € brutto. Für die Monate November 2006 bis Mai 2007 ergibt sich ein monatlicher Differenzbetrag in Höhe von 23,98 € brutto und so ein nachzuzahlender Gesamtbetrag in Höhe von 167,86 € brutto. Der Kläger wird vom Geltungsbereich des TVSR erfasst, weshalb für die Stufenzuordnung dessen § 22 Abs. 1 zur Anwendung kommt, der für die dem Kläger zugewiesene Aufgabenträgernummer 55449 einen Anspruch auf eine Funktionszulage der Stufe 4 vorsieht. Zwar ist dem Kläger heute die Aufgabenträgernummer 33249zugewiesen. Hierbei handelt es sich jedoch der Sache nach um die Nachfolgebezeichnung der in § 22 Abs. 1 TVSR genannten Aufgabenträgernummer, was die Parteien in der öffentlichen Sitzung vom 15. Juni 2007 unstreitig gestellt haben.

Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt die von ihr in der Vergangenheit angewendete Ausnahmeregelung des § 22 Abs. 2 TVSR, wonach die Funktionszulage sich abweichend von §§ 44 Abs. 4 ERTV, 22 Abs. 1 TVSR nach dem Durchschnitt der im Referenzzeitraum Mai 2000 bis April 2001 bezogenen Erschwerniszuschläge errechnet, schon seit der im Rahmen der Organisationsmaßnahme „xxx“ mit Wirkung zum 1. November 2003 vorgenommenen Versetzung des Klägers nicht mehr zum Zuge. Die Höhe der Funktionszulage errechnet sich für die unter den Geltungsbereich des TVSR fallenden Arbeitnehmer nur so lange nach dem Referenzprinzip des § 22 Abs. 2 TVSR, bis eine andere Tätigkeit nicht nur vorübergehend ausgeübt wird. Mit der im Rahmen der Organisationsmaßnahme „xxx“ zum 1. November 2003 wirksam gewordenen Versetzung des Klägers hat sich seine gesamte Tätigkeit jedoch nicht nur vorübergehend geändert. Die Beklagte geht fehl, soweit sie den Begriff der „Gesamttätigkeit“ in § 22 Abs. 2 TVSR gleichsetzt mit der vergebenen Aufgabenträgernummer und so eine Fortdauer der schon seit der Tarifumstellung zum 1. Juli 2001 herrschenden Verhältnisse annimmt. Eine Veränderung der „Gesamttätigkeit“ im Sinne des § 22 Abs. 2 TVSR kann schon dann vorliegen, wenn sich unter Beibehaltung der Aufgabenträgernummer die Tätigkeit verändert. Insoweit folgt die Kammer der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 11. Februar 2004 (Az.: 3 Sa 342/03, zitiert nach JURIS). Dieses hat in der Entscheidung überzeugend herausgearbeitet, dass das von den Tarifparteien verwendete Merkmal der „Gesamttätigkeit“ im Sinne der tariflichen Praxis und hier insbesondere im Sinne des im tariflichen Eingruppierungsrecht vorgeprägten Begriffs zu verstehen ist. Maßgeblich ist hiernach der tatsächliche Zuschnitt der anfallenden Aufgaben. Dass sich die tatsächliche Aufgabenstellung des Klägers seit seiner Versetzung zum 1. November 2003 grundlegend geändert hat, ist nun aber zwischen den Parteien wiederum unstreitig. Während der Kläger vor der Versetzung zu 70 - 80 % seiner Gesamtarbeitszeit mit Montagearbeiten beim Kunden und nur zu 20 - 30 % der Gesamtarbeitszeit mit der Montage im Außenbereich befasst war, ist der Kläger seit der Versetzung ausschließlich mit Montagen im Außenbereich befasst. Gerade auch mit Blick auf etwaige Umgebungs- und Belastungseinflüsse, von denen die Höhe der Funktionszulage maßgeblich beeinflusst werden soll (vgl. § 44 Abs. 3 ERTV), hat die Aufgabenstellung des Klägers seither ein gegenüber der vorangegangenen Aufgabenstellung gänzlich anderes Gepräge. Dabei kommt es nicht darauf an, ob mit der tatsächlichen Veränderung der Gesamttätigkeit eine Veränderung auch der eingruppierungsrechtlichen Wertigkeit der Tätigkeit verbunden ist (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein vom 11.02.2004, aaO).

Der nach alledem für die Zeit seit dem 1. Januar 2006 entstandene Vergütungsanspruch ist nicht nach der sechsmonatigen Ausschlussfrist des § 31 MTV verfallen. Der Kläger hat nämlich - wiederum unstreitig - mit seinem der Beklagten am 11. Juli 2006 zugegangenen Geltendmachungsschreiben zumindest für die Zeit seit dem 1. Januar 2006 die Ausschlussfrist gewahrt.

Der geltend gemachte Zinsanspruch beruht auf dem Gesichtspunkt des Verzuges (§§ 286, 288 Abs. 1 BGB).

Der Kläger hat 63 % der Kosten des Rechtsstreits zu tragen, weil er in diesem Umfang ausgehend von einem Gebührenwert in Höhe von 1.025,61 € die Klage teilweise für die Monate November 2003 bis Dezember 2005 zurückgenommen hat (vgl. §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Die Beklagte hat die restlichen 37 % der Kosten zu tragen, weil sie hinsichtlich des streitig gebliebenen Teils der Klage die unterliegende Partei ist (vgl. §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Der Wert des Streitgegenstandes ist gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG entsprechend der Höhe der zuletzt verfolgten Klageforderung festgesetzt (§§ 46 Abs. 2 ArbGG, 3 ZPO).

Die Berufung ist ohne Rücksicht auf den verfolgten Beschwerdewert zuzulassen, da die Rechtssache eine Rechtsstreitigkeit über die Auslegung eines Tarifvertrages betrifft, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk des angerufenen Arbeitsgerichts Fulda hinaus erstreckt (vgl. § 46 Abs. 3 Nr. 2 b ArbGG). Diese Entscheidung ist - wie geschehen - in den Urteilstenor aufzunehmen (vgl. § 46 Abs. 3 a ArbGG).



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