Arbeitsgericht Gießen

Urteil vom - Az: 1 Ca 52/02

Tarifkonkurrenz im Fast-Food-Betrieb

Sind die Arbeitsvertragsparteien gleichzeitig an mehrere von verschiedenen Tarifvertragsparteien abgeschlossene Tarifverträge gebunden und wirken deshalb mehrere Tarifverträge auf das gleiche Arbeitsverhältnis ein, so besteht eine Tarifkonkurrenz. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts soll nach dem Prinzip der Tarifeinheit in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag Anwendung finden, unter mehreren Tarifverträgen ist nach dem Spezialitätsprinzip zu unterscheiden. Nach diesem Spezialitätsprinzip verdrängt der räumlich, fachlich und persönlich dem Betrieb näherstehende Tarifvertrag den weiteren.
Findet auf das Arbeitsverhältnis zwischen dem Betreiber eines Fast-Food-Restaurants und einem gastgewerblichen Mitarbeiter (im Rotationssystem) sowohl der Tarifvertrag der Systemgastronomie als auch der allgemeinverbindliche Manteltarifvertrag des Hotel- und Gaststättengewerbes im Land Hessen Anwendung, so geht der Tarifvertrag der Systemgastronomie dem anderen wegen engerer fachlicher Nähe trotz räumlicher Weite vor.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.031,32 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die dem Arbeitsverhältnis zu Grunde liegende Kündigungsfrist.

Die Beklagte betreibt als Franchisenehmerin ein .... Seit 01. Juli 2000 ist sie im Bundesverband der Systemgastronomie e.V. organisiert. Mit Arbeitsvertrag vom 17. Oktober 2001 schlossen der nicht tarifgebundene Kläger und die Beklagte ein Arbeitsverhältnis, wonach der Kläger als gastgewerblicher Mitarbeiter im Rotationssystem der Beklagten 40 Stunden pro Woche zu 11,69 DM Brutto-Entgelt pro Stunde für die Beklagte tätig sein sollte.

Im Arbeitsvertrag wurden zwischen den Parteien unter § 7 "Grundlagen des Arbeitsvertrages" in Ziffer 7.1 vereinbart:

"Soweit vorstehend nicht anders vereinbart, gelten für das Arbeitsverhältnis die jeweiligen Tarifverträge für den Bereich der Systemgastronomie, die zwischen dem Bundesverband der Systemgastronomie e.V. und der Gewerkschaft abgeschlossen sind."

Infolge der Bekanntmachung über die Allgemeinverbindlichkeitserklärung vom 02. April 2001 (Bundesanzeiger Nr. 82 vom 03. Mai 2001) besteht im Land Hessen der allgemeinverbindliche Mantel-Tarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe.

Mit Schreiben vom 17. Januar 2002 teilte die Beklagte dem Kläger mit:

"hiermit kündigen wir Ihnen das zum 17. Oktober 2001 mit uns geschlossene Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit fristgerecht zum nächst möglichen Termin.

Nach den beiderseitig vertraglich geregelten Kündigungsfristen sind das 14 Tage nach Erhalt dieses Kündigungsschreibens."

Das Kündigungsschreiben der Beklagten vom 17. Januar 2002 ist dem Kläger am 18. Januar 2002 zugegangen.

Der Manteltarifvertrag für Arbeitnehmer/innen und Auszubildenden Systemgastronomie im Bundesverband der Systemgastronomie e.V., Bereich Westdeutschland, vom 01. Juli 2000 enthält in § 14 Ziffer 2 folgende Kündigungsfristen:

"Nach Ablauf der Probezeit betragen die Kündigungsfristen beiderseitig:

1.  Für gewerbliche Arbeitnehmer/innen bei einer Betriebszugehörigkeit

bis zu 1 Jahr       2 Wochen

bis zu 3 Jahren     3 Wochen

bis zu 5 Jahren     4 Wochen

nach 5 Jahren       1 Monat zum Monatsende

nach 10 Jahren      3 Monate zum Monatsende

nach 20 Jahren      3 Monate zum Quartalsschluß."

Nach § 22 Ziffer 3 des Manteltarifvertrages für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Hessen beträgt die Kündigungsfrist nach der Probezeit beiderseits 4 Wochen zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonats.

Der Kläger ist der Ansicht, dass für das Arbeitsverhältnis der Parteien der allgemeinverbindliche Tarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Hessen anzuwenden sei und das Arbeitsverhältnis erst zum 28. Februar 2002 endet.

Der Kläger beantragt,

1.  festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 17. Januar 2002, zugegangen am 18. Januar 2002, nicht zum 01. Februar 2002 aufgelöst worden ist, sondern erst mit Ablauf des 28. Februar 2002 geendet hat;

2.  die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 956,32 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB ab dem 01. März 2002 zu zahlen und eine entsprechende Lohnabrechnung zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass für die Kündigungsfrist der Tarifvertrag für die Systemgastronomie anzuwenden sei.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Das angerufene Gericht ist örtlich zuständig, §§ 46 II ArbGG, 12, 17 bzw. 29 ZPO.

Das besondere Feststellungsinteresse ist gegeben, §§ 46 II ArbGG, 256 I ZPO. Zwar besteht keine drohende Heilung gemäß §§ 13 I, 2,4,7 KSchG, da der Kläger nach § 1 I KSchG am Tag der Kündigungserklärung noch keine 6 Monate bei der Beklagten beschäftigt war und somit das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet. Jedoch ergibt sich das besondere Feststellungsinteresse daraus, dass der Kläger den Beendigungstermin der ordentlichen Kündigung angreift.

Die objektive Klagehäufung ist gemäß §§ 46 II ArbGG, 260 ZPO zulässig.

Zwischen den Parteien bestand ab dem 17. Oktober 2001 ein Arbeitsvertrag (§ 611 BGB), wodurch der Kläger als Arbeitnehmer in dem Betrieb der Beklagten beschäftigt und eingegliedert war. Das Arbeitsverhältnis bestand auch nicht mehr zur Probe, da aufgrund des Arbeitsvertrages zwischen den Parteien eine Probezeit von 1 Monat vereinbart war. Das Kündigungsschreiben vom 17. Januar 2002 ist dementsprechend entgegen der Formulierung "innerhalb der Probezeit" auszulegen, dies wird zudem dadurch unterstützt, dass die Beklagte sich im Kündigungsschreiben ausdrücklich auf die vierzehntägige Kündigungsfrist des Tarifvertrages bezieht.

Der Arbeitsvertrag ist durch die Kündigungserklärung vom 17. Januar 2002, dem Kläger zugegangen am 18. Januar 2002, zum 01. Februar 2002 wirksam aufgelöst worden. Die Kündigung ist fristgerecht erfolgt, da auf das Arbeitsverhältnis der Manteltarifvertrag der Systemgastronomie anzuwenden ist, wonach sich die Kündigungsfrist nach § 14 Ziffer 2.1 bei einer Betriebszugehörigkeit bis zu einem Jahr auf 2 Wochen bestimmt.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien wirken zwei Tarifverträge, so dass von einer Tarifkonkurrenz auszugehen ist. Sind die Arbeitsvertragsparteien gleichzeitig an mehrere von verschiedenen Tarifvertragsparteien abgeschlossene Tarifverträge gebunden und wirken deshalb mehrere Tarifverträge auf das gleiche Arbeitsverhältnis ein, so besteht eine Tarifkonkurrenz (BAG, 20.03.1991 -- 4 AZR 455/90, Der Betrieb 1991, 1779, 1780). Tarifgebunden sind nach § 3 I TVG die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Tarifvertragspartei ist. Eine sogenannte Tarifpluralität in Abgrenzung zur Tarifkonkurrenz liegt nicht vor. Die Tarifpluralität ist gegeben, wenn der Betrieb des Arbeitgebers vom Geltungsbereich zweier verschiedener Tarifverträge erfasst wird, an die der Arbeitgeber gebunden ist, während für den jeweiligen Arbeitnehmer nur einer der beiden Tarifverträge Anwendung findet (BAG, DB 1991, 1779, 1780). Die Anwendung des Manteltarifvertrages des Hessischen Hotel- und Gaststättengewerbes erstreckt sich nach § 5 IV TVG infolge der Allgemeinverbindlichkeitserklärung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien unmittelbar und zwingend. Als sogenannte Fast-Food-Gastronomie fällt der Betrieb der Beklagten und damit das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten in den fachlichen, persönlichen und räumlichen Geltungsbereich nach § 1 des allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrages des Hotel- und Gaststättengewerbe in Hessen. Die Beklagte ist im Bundesverband der Systemgastronomie e.V. organisiert und damit an den Tarifvertrag der Systemgastronomie tariflich gebunden. Der Kläger ist zwar nicht tarifgebunden, jedoch wurde der Manteltarifvertrag der Systemgastronomie individualvertraglich im Arbeitsvertrag der Parteien unter § 7 Ziffer 7.1 des Arbeitsvertrages vereinbart.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts soll nach dem Prinzip der Tarifeinheit in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag Anwendung finden, unter mehreren Tarifverträgen ist nach dem Spezialitätsprinzip zu unterscheiden (BAG, 20.03.1991 -- 4 AZR 455/90, Der Betrieb 1991, 1779, 1780). Nach diesem Spezialitätsprinzip verdrängt der räumlich, fachlich und persönlich dem Betrieb näherstehende Tarifvertrag den weiteren. Der allgemeinverbindliche Manteltarifvertrag des Hessischen Hotel- und Gaststättengewerbes ist zwar der räumlich nähere, da dieser im Gegensatz zum Manteltarifvertrag der Systemgastronomie speziell für das Land Hessen Geltung hat. Der Manteltarifvertrag der Systemgastronomie erstreckt sich auf den Bereich Westdeutschland und ist daher der räumlich weitere Tarifvertrag. Jedoch geht der betrieblich, fachliche und persönlich engere und räumlich weitere Tarifvertrag selbst dann dem betrieblich, fachlich und persönlich weiteren Tarifvertrag vor, wenn dieser räumlich enger ist. Der Tarifvertrag der Systemgastronomie ist insbesondere auf die Bedürfnisse der sogenannten Fast-Food-Gastronomie zugeschnitten. Gerade in diesem Bereich der Gastronomie besteht eine hohe Fluktuation an Arbeitskräften, eine lange Einarbeitungszeit in den Rotationsablauf des Betriebes bedarf es in diesem gastronomischen Bereich nicht. Demgegenüber ist der allgemeinverbindliche Manteltarifvertrag des Hotel- und Gaststättengewerbes im Land Hessen fachlich und persönlich weiter gestaltet als der Tarifvertrag der Systemgastronomie, so dass im Wege der Tarifeinheit und Spezialität der Manteltarifvertrag der Systemgastronomie auf das Arbeitsverhältnis der Parteien und somit auch auf die Kündigungsfristen anzuwenden ist.

Aufgrund der wirksamen ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte ist auch der Lohnanspruch des Klägers für den Monat Februar 2002 in Höhe von 956,32 Euro unbegründet.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger als unterlegene Partei zu tragen, §§ 46 II ArbGG, 91 I 1 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung erfolgte gemäß §§ 61 I, 12 VII, 46 II ArbGG, 3,5 ZPO.



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