Arbeitsgericht Gießen

Urteil vom - Az: 4 Ca 387/05

Befristungsgrund: mittelbare Stellvertretung; Darlegungs- und Beweislast

Ein sachlicher Grund zur Befristung des Arbeitsverhältnisses liegt in der Übernahme der Vertretung eines zeitweise verhinderten Mitarbeiters. Ausreichend ist auch die mittelbare Stellvertretung, bei der nicht exakt die Aufgaben der zu vertretenden Person ausgeführt werden. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass die Vertretungskraft gerade wegen des durch den zeitweiligen Ausfall des zu vertretenden Mitarbeiters entstandenen vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs eingestellt worden ist.
Dazu ist eine konkrete Darlegung erforderlich, wie die Arbeit umorganisiert worden ist oder hätte umorganisiert werden können, um die Aushilfskraft zumindest mittelbar noch als Vertreterin der zu vertretenden Kolleginnen ansehen zu können.

Tenor

Das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 16. September 2005 wird aufrechterhalten.

Das beklagte Land hat auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes bleibt auf EUR 8.700,00 festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Befristung.

Der Kläger ist bei dem beklagten Land auf Grund mehrerer befristeter Arbeitsverträge als Lehrkraft zur Abdeckung eines vorübergehenden Unterrichtsbedarfs tätig gewesen. Zuletzt war er aufgrund des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 04. Februar 2005 befristet für die Zeit vom 07. Februar 2005 bis zum 22. Juli 2005 als Aushilfsangestellter am Abendgymnasium in Wiesbaden mit 16 Wochenstunden im Fach Mathematik beschäftigt. Das durchschnittliche Bruttogehalt des Klägers betrug zuletzt ca. 2.900,00 Euro.

Der Arbeitsvertrag vom 04. Februar 2005 enthält u. a. folgende Regelungen:

 „§ 1 Die Einstellung erfolgt als Aushilfsangestellter zur Erteilung von Unterricht am Hessenkolleg in Wiesbaden. Der Unterrichtseinsatz erfolgt am Abendgymnasium in Wiesbaden.

Das Arbeitsverhältnis beginnt am 07. Februar 2005 und endet mit Ablauf des 22. Juli 2005.

...

§ 2  Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen sowie den Sonderregelungen für Angestellte als Lehrkräfte (SR 2l I BAT) und den Sonderregelungen für Zeitangestellte, Angestellte für Aufgaben von begrenzter Dauer und Aushilfsangestellte (SR 2y BAT).

...

§ 4  Die durchschnittliche regelmäßige Unterrichtsverpflichtung beträgt 16 Wochenstunden von 24 in der Verordnung über die Pflichtstunden der Lehrkräfte, über die Anrechnung dienstlicher Tätigkeiten und über Pflichtstundenermäßigungen (Pflichtstundenverordnung) vom 26. Juli 1999, geändert mit Verordnung vom 03. Dezember 2003 festgelegten wöchentlichen Pflichtstunden.

Der Angestellte erhält den Anteil von 16/24 der Vergütung einer entsprechend vollbeschäftigten Lehrkraft.

§  5  Es werden folgende Nebenabreden vereinbart:

...

2. Es besteht Einvernehmen darüber, dass die Einstellung des Angestellten ausschließlich zur Abdeckung eines im 2. Schulhalbjahr 2004/2005 vorübergehend bestehenden Unterrichtsbedarfs erfolgt, der durch die Arbeitszeitermäßigungen von Frau ......... und Frau ...... entstanden ist.“

Ergänzend wird auf den in Fotokopie zur Akte gereichten Arbeitsvertrag (Bl. 3 - 4 d. A.) Bezug genommen.

Vor Abschluss dieses befristeten Vertrages schrieb das beklagte Land wegen eines dringenden Bedarfs für das Unterrichtsfach Mathematik schulbezogen eine unbefristete Stelle für die Fächer Mathematik/Chemie bzw. Mathematik/Physik für den Einstellungstermin ab 07. Februar 2005 aus. Das Ausschreibungsverfahren verlief ergebnislos, da es keine Bewerbung von Personen mit der Qualifikation zum Lehramt gab. Die Bewerbung des Klägers blieb erfolglos. Er verfügt nicht über die Qualifikation Lehramt, sondern ist von seiner Ausbildung her Bauingenieur.

Mit der am 12. August 2005 bei Gericht eingegangenen und dem beklagten Land am 22. August 2005 zugestellten Klage wendet sich der Kläger gegen die Befristung seines Arbeitsverhältnisses. Er ist der Ansicht, für die Befristung vom 04. Februar 2005 habe ein sachlicher Grund nicht vorgelegen. Der sachliche Grund beruhe nicht auf einer Vertretungssituation wegen vorübergehender Arbeitszeitreduzierungen der Kolleginnen ....... und ..... Dieser Grund sei lediglich vorgeschoben. Es bestehe kein Kausalzusammenhang zwischen seiner Tätigkeit und den Arbeitszeitreduzierungen der Kolleginnen. Der Kläger behauptet, es sei ein dauerhafter Bedarf an Lehrkräften zur Abdeckung des Unterrichtsbedarfes im Fach Mathematik gegeben, was schon die vorangehende unbefristete Stellenausschreibung belege.

Auf Antrag des Klägers ist am 16. September 2005 ein Versäumnisurteil erlassen worden, mit dem festgestellt wurde, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der Befristung vom 04. Februar 2005 zum 22. Juli 2005 beendet wurde, sondern über den 22. Juli 2005 hinaus unbefristet fortbesteht. Gegen dieses Versäumnisurteil, das dem beklagten Land am 26. Juni 2005 zugestellt worden ist, hat es mit am 04. Oktober 2005 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Einspruch eingelegt.

Der Kläger beantragt,

das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 16. September 2005 aufrecht zu erhalten.

Das beklagte Land beantragt,

das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 16. September 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Es behauptet, Sachgrund für die Befristung des Arbeitsvertrages sei ein vorübergehender Fachbedarf am Abendgymnasium in Wiesbaden gewesen, der ursächlich auf die Arbeitszeitermäßigung zweier Lehrkräfte am Hessenkolleg zurückzuführen sei. Von der Zentralstelle Schulen für Erwachsene würden das Abendgymnasium in Wiesbaden und das Hessenkolleg hinsichtlich der Lehrerversorgung als Einheit betrachtet. Ohnehin sei geplant beide Schulen zusammenzuführen.

Das beklagte Land behauptet, aufgrund der Arbeitszeitreduzierungen der Lehrkräfte ...... und ...... seien interne Umstrukturierungen und Abordnungen vorgenommen worden, die letztlich einen Bedarf für das Fach Mathematik in Höhe von 16 Wochenstunden ergeben habe.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlage sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 23. Dezember 2005 Bl. 31 d. A. Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Aufgrund des Einspruchs des beklagten Landes gegen das Versäumnisurteil vom 16. September 2005 ist der Prozess in die Lage vor dessen Säumnis zurückversetzt worden (§ 342 ZPO). Der Einspruch ist zulässig; er ist statthaft sowie form- und fristgemäß im Sinne der §§ 338 ff. ZPO, §§ 187, 188 Abs. 2 , 193 BGB eingelegt worden.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nicht aufgrund der Befristungsabrede im Arbeitsvertrag vom 04. Februar 2005 mit Ablauf des 22. Juli 2005 sein Ende gefunden.

Der Kläger hat die Klage innerhalb der Frist des § 17 TzBFG rechtzeitig erhoben. Die Klage wurde dem beklagten Land auch demnächst im Sinne des §§ 167 ZPO zugestellt.

Die Befristung des Arbeitsverhältnisses zum 22. Juli 2005 ist unwirksam, da es an einem sie tragenden sachlichen Grund fehlt. Ein solcher ergibt sich nicht aus den aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Sonderregelungen (SR) 2y Nr. 1c. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ist zwar die Übernahme der Vertretung eines zeitweise verhinderten Mitarbeiters zur Wahrnehmung ständig anfallender Aufgaben der typische Fall der sachlich begründeten Befristung eines Arbeitsverhältnisses (vgl. nur BAG 6. Dezember 2000, 7 AZR 262/99, ZTR 2001, 330; 21. Februar 2001, 7 AZR 200/00, AP Nr. 226 zu § 620 BGB befristeter Arbeitsvertrag). Dabei kann für die Annahme eines sachlichen Grundes auch ein Fall der mittelbaren Vertretung ausreichend sein. Ein Vertreter kann mit anderen Aufgaben als den Aufgaben des Vertretenden beauftragt werden. Denn die befristete Beschäftigung zur Vertretung lässt die Versetzungs- und Umsetzungsbefugnisse des Arbeitgebers unberührt (BAG 20. Januar 1999, 7 AZR 640/97). Der Arbeitgeber kann bei einem vorübergehenden Ausfall eines Mitarbeiters darüber bestimmen, ob er den Arbeitsausfall überhaupt überbrücken will, ob er im Wege der Umverteilung die vom zeitweilig verhinderten Arbeitnehmer zu erledigenden Arbeitsaufgaben anderen Mitarbeitern zuweist oder ob er dessen Aufgaben ganz oder teilweise von einer Vertretungskraft erledigen lässt (BAG 21. Februar 2001, 7 AZR 107/00, AP Nr. 228 zu § 620 BGB befristeter Arbeitsvertrag). Der zeitweilige Ausfall eines Arbeitnehmers und die dadurch bedingte Einstellung einer Ersatzkraft können  auch eine Umorganisation erfordern, die dazu führt, dass ein völlig neuer Arbeitsplan erstellt wird, in dem die Aufgaben des zeitweilig ausgefallenen Mitarbeiters einem dritten Mitarbeiter übertragen werden, dieser für andere Aufgaben nicht mehr zur Verfügung steht und für diese anderen Aufgaben nunmehr eine Vertretungskraft eingestellt wird. Notwendig ist nur, dass zwischen dem zeitweiligen Ausfall von Stammmitarbeitern und der befristeten Einstellung von Aushilfsarbeitnehmern ein ursächlicher Zusammenhang besteht (BAG 25. August 2004, 7 AZR 32/04, NZA 2005, 472 ff.). Es muss sichergestellt sein, dass die Vertretungskraft gerade wegen des durch den zeitweiligen Ausfall des zu vertretenden Mitarbeiters entstandenen vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs eingestellt worden ist (BAG 10. März 2004, 7 AZR 402/03, DB 2004, 1434).

In Anwendung dieser Grundsätze kann zugunsten des beklagten Landes noch davon ausgegangen werden, dass das Hessenkolleg und das Abendgymnasium in Wiesbaden hinsichtlich der Lehrerversorgung als Einheit zu betrachten ist. Im Sinne oben aufgeführter Rechtsprechung ist jedoch nicht feststellbar, dass ein Kausalzusammenhang hinsichtlich der Arbeitszeitreduzierungen der Lehrkräfte ...... und ..... und der Einstellung des Klägers gegeben ist. Das beklagte Land hat ausschließlich hierzu vorgebracht, dass interne Umschichtungen und Abordnungen vorgenommen wurden, die letztendlich einen Arbeitskräftebedarf für das Fach Mathematik in Höhe von 16 Stunden ergeben habe. Der notwendige ursächliche Zusammenhang wird dadurch nicht hergestellt. Vielmehr ist eine konkrete Darlegung erforderlich, wie die Arbeit umorganisiert worden ist oder hätte umorganisiert werden können, um die Aushilfskraft zumindest mittelbar noch als Vertreterin der zu vertretenden Kolleginnen ansehen zu können (vgl. BAG 10. März 2004, 7 AZR 402/03, a. a. O., BAG 25. August 2004, 7 AZR 32/04 a. a. O.).

Das beklagte Land hat infolge seines Unterliegens die Kosten des Rechtstreits gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 91, 97, 344 ZPO zu tragen.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes im Urteil erfolgt gemäß § 42 Abs. 4 und legt drei Bruttomonatsgehälter zugrunde.



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