Arbeitsgericht Frankfurt

Beschluss vom - Az: 7 BV 168/12

Verdeckte Videoüberwachung am Arbeitsplatz - prozessuales Verwertungsverbot - Außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds

Ein prozessuales Verwertungsverbot von Sachvortrag kann nur in Betracht kommen, wenn in verfassungsrechtlich geschützte Grundpositionen einer Prozesspartei eingegriffen wird. Aus dem Umstand, dass eine Information oder ein Beweismittel unzulässig erlangt wurde, ergibt sich deshalb noch nicht zwingend deren Nichtverwertbarkeit.
Das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt den Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis vor einer lückenlosen technischen Überwachung am Arbeitsplatz. Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers können aber durch Wahrnehmung überwiegend schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Bei einer Kollision des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit den Interessen des Arbeitgebers ist durch eine Güterabwägung im Einzelfall zu ermitteln, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Vorrang verdient.
Nach der Rechtspr. des BAG überwiegt das entsprechende Interesse des Arbeitgebers das allgemeine Persönlichkeitsrecht des betroffenen Arbeitnehmers, sodass ein Sachvortragsverwertungsverbot ausscheiden muss, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers bestand, es keine Möglichkeit zur Aufklärung durch weniger einschneidende Maßnahmen (mehr) gab und die Videoüberwachung insgesamt nicht unverhältnismäßig war.
Hier: Das Arbeitsgericht Frankfurt erachtete die einmonatige Videoüberwachung des Kassenbereichs eines Bistros für zulässig und die daraus gezogenen Informationen für verwertbar, da der Verdacht eines bandenmäßigen Unterschlagens von Kassengeld bestand. Die verdeckte Videoüberwachung (ohne Zustimmung des Betriebsrates) sei das mildeste Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts gewesen.

Tenor

Die Zustimmung des Beteiligten zu 2. zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. wird ersetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der vom Beteiligten zu 2.) verweigerten Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3.), der Betriebsratsmitglied ist (§ 103 BetrVG).

Die Beteiligte zu 1.) bzw. Antragstellerin, deren Rechtsvorgängerin die ... mbH ist, betreibt bundesweit an mehreren Flughäfen, u.a. auch am Flughafen Frankfurt am Main, verschiedene gastronomische Einrichtungen (z.B. Bars und Restaurants, aber auch sog. gastronomische Konzepte), die zum Betrieb... ... zusammengeschlossen sind. Hierzu gehört u.a. auch das „... ...“ im Sicherheitsbereich des Terminals 1, ... ..., Abflugbereich. Die entsprechenden Räumlichkeiten sind von der ... ...als Betreiberin des Flughafens angemietet. Dort werden an Gäste Speisen und Getränke verkauft, insbesondere Backwaren und Kaffee. Im „... ...“ gibt es ein elektronisches Kassensystem „...“, das jeden Verkaufsvorgang, der über die Kasse läuft, an das elektronische Erfassungssystem „...“ mit Angaben zu Zeit, Datum, verkaufter Ware, Preis und Zahlungsart (bar, Kreditkarte) versendet, dort protokolliert und speichert. Dem Leiter des Betriebs ... ... ist eine Regionalleitung bei der Antragstellerin vorgesetzt, deren Leiter Herr ... ist. Der sog. „Asset Protection Manager“ der Beteiligten zu 1.) ist Herr ... .... Diese beiden vorgenannten Personen sind ebenso wie der Personalleiter (HR Director) der Beteiligten zu 1.), Herr ..., nicht kündigungsberechtigt (siehe Bl. 13 d.A.).

Der Beteiligte zu 2.) ist der bei der Antragstellerin für den Betrieb ... gebildete Betriebsrat.

Der Beteiligte zu 3.), geboren am ...19.., ist nicht verheiratet und keinen Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er ist bei der Antragstellerin seit dem 15.06.2003 als sog. Servicekraft im „... ...“ beschäftigt.

Die Antragstellerin wirft dem Beteiligten zu 3.) - wie auch anderen Mitarbeitern im „... ...“ und in anderen Outlets einschließlich weiterer Betriebsratsmitglieder - im Zusammenhang teils Kassenmanipulationen und/oder teils damit in Zusammenhang damit stehend die Unterschlagung von Bargeld entweder als Mittäter oder als Gehilfe vor. Die näheren Einzelheiten sind zwischen den Beteiligten umstritten.

Bei der Beteiligten zu 1.) gibt es mittels einer sog. Kassenanweisung (siehe Bl. 62-65, 97-100 d.A.) verbindliche Vorgaben, wie ein Bestell- und Zahlungsvorgang über die Kasse abzuwickeln ist. Die Regelungen schließen Bar- und Kreditkartenzahlungen ein. Der Beteiligte zu 3.) wurde regelmäßig zu den Abrechnungsverfahren gemäß Kassenanweisung geschult, zuletzt am 25.02.2010 (siehe Bl. 101 d.A.).

Im Jahre 2011 sprach die Beteiligte zu 1.) gegenüber mehreren Mitarbeitern fristlose Tat- und Verdachtskündigungen wegen verschiedener Kassenmanipulationen sowie Diebstahl/Unterschlagung von Geldern bzw. wegen des Verdachts derselben aus. Auch der Beteiligte zu 3.) war betroffen, so dass die Antragstellerin wegen der beabsichtigten fristlosen Kündigung des Beteiligten zu 3.) die gerichtliche Ersetzung der verweigerten Zustimmung des Beteiligten zu 2.) beantragte. Erstinstanzlich unterlag sie allerdings bei der erkennenden Kammer im Verfahren 7 BV 422/11 wegen nicht hinreichender Darlegung zur Einhaltung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB.

Gleichwohl hatte die Beteiligte zu 1.) wegen verschiedener Unstimmigkeiten, einer nicht erklärbaren Umsatzsteigerung im Jahre 2011 nach Ausspruch der fristlosen Kündigungen und einer deutlich zu hohen Wareneinsatzquote den Verdacht, dass viele Mitarbeiter mit Billigung und Deckung des Betriebsrates kollusiv, organisiert und damit bandenmäßig zusammenarbeiten würden, um sie finanziell zu schädigen. So würde bspw. die Mitarbeiter ohne Bons Waren an Kunden herausgeben und das Geld vom Kunden zunächst in die Kasse legen, um es sodann einem sog. „Sammler“ zu geben, der das Geld am Ende der Schicht auf die Mitarbeiter verteilt. Für die verschiedenen Manipulationen liegen der Beteiligten zu 1.) mehrere schriftliche Aussagen von „Kronzeugen“ vor, z.B. der Mitarbeiterin ... (siehe Bl. 71 ff. d.A.), die in allg. Form auch den Beteiligten zu 3.) belastet. Es ist zwischen den Beteiligten umstritten, ob die Beteiligte zu 1.) in der Folge vergeblich Testkäufer und Detektive eingeschaltet hat, um Kassenmanipulationen und/oder die Unterschlagung von Bargeld nachzuweisen. Die Beteiligte zu 1.) erstattete jedenfalls eine Strafanzeige gegen unbekannt beim Polizeipräsidium Frankfurt, Polizeidirektion Flughafen.

Mit Schreiben vom 20.12.2011 bat das Polizeipräsidium Frankfurt die Beteiligte zu 3.), „Kameraaufzeichnungen der betroffenen Kassenbereiche einzureichen, aus denen sich die Tathandlungen ergeben, damit der Nachweis strafrechtlich geführt werden kann“. Die Beteiligte zu 1.) wurde ferner gebeten, sich für entsprechende Aufzeichnungen an den Sicherheitsdienst der ... zu wenden (siehe Bl. 66 d.A.).

Die ... baute sodann in Abstimmung mit der Beteiligten zu 1.) u.a. in die Deckenverkleidung über dem Kassenbereich des „... ...“ Videoüberwachungskameras ein, die „Endlos-Aufzeichnungen“ der Kassenvorgänge vornahmen. Nach deren Auswertung und Übermittlung an das Polizeipräsidium Frankfurt wurden verschiedene Mitarbeiter der Beteiligten zu 1.), auch im Bereich des „... ...“, verhaftet.

Nachdem der Beteiligte zu 3.) nach rechtskräftigem Abschluss des zuvor genannten Beschlussverfahrens ab dem 01.01.2012 wieder im „... ...“ arbeiten sollte (siehe Bl. 260 d.A.), untersagte ihm die Beteiligte zu 1.) jedoch jegliche Kassentätigkeit. Als Servicekraft sollte er lediglich hinter der Verkaufstheke Bestellungen von Kunden entgegen nehmen und diese bearbeiten (produzieren). Wegen Verstoßes gegen diese Anweisung erteilte die Beteiligte zu 1.) dem Beteiligten zu 3.) am 05.01.2012 eine Abmahnung (siehe Bl. 262-263, 274-275 d.A.).

Der Beteiligte zu 3.) war sowohl am 09.01.2012 als auch am 11.01.2012 zum Schichtdienst im „... ...“ eingeteilt und arbeitete auch währenddessen vollschichtig. Eine weitere Mitarbeiterin während dieser beiden Schichten, der später fristlos gekündigt und die am 08.02.2012 dort verhaftet wurde, ist Frau ... . Ein weiterer Mitarbeiter ist Herr ... .

Durch die Videokameras im „... ...“ erfolgte eine vollständige Aufzeichnung für den Zeitraum vom 07.01.2012 bis zum 01.02.2012. Nach dem 01.02.2012 wurde die Kamera von der ... wieder abgebaut. Wann die Beteiligte zu 1.) diese Videoaufzeichnungen erhalten und ausgewertet hat, ist zwischen den Beteiligten umstritten.

Bei der von der Beteiligten zu 1.) gegenüber dem Beteiligten zu 2.) für den 15.02.2012 angekündigten und sodann vorgenommenen Auswertung des Kassensystems des „... ...“ betreffend den 09.01.2012 und den 11.01.2012 auf Basis einer kollektivrechtlichen Regelung blieb der Beteiligte zu 2.) fern.

Am 15.02.2012 stellte die Beteiligte zu 1.), nachdem die Videoaufzeichnungen ausgewertet worden waren, den Beteiligten zu 3.) mit sofortiger Wirkung von der Erbringung der Arbeitsleistung frei.

Mit Schreiben vom 16.02.2012 samt verschiedener Anlagen an den Beteiligten zu 3.), diesem am gleichen Tag zugegangen, gab die Antragstellerin diesem Gelegenheit, sich bis zum 23.02.2012 um 12:00 Uhr zu näher konkretisierten, behaupteten Diebstahl- bzw. Unterschlagungshandlungen bzw. deren Tatverdacht zu äußern (siehe Bl. 79-96 d.A.).

Mit handschriftlichem Schreiben vom 23.02.2012, bei der Antragstellerin am selben Tag eingegangen, wies der Beteiligte zu 3.) die Vorwürfe aus dem Schreiben vom 16.02.2012 zurück (siehe Bl. 162 d.A.). Hierin erschöpft sich auch die Stellungnahme des Beteiligten zu 3.).

Mit Schreiben vom 23.02.2012, das dem Beteiligten zu 2.) am gleichen Tag zuging, bat die Antragstellerin vertreten durch Herrn ... den Beteiligten zu 2.) um Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen und fristlosen (Tat- und Verdachts-)Kündigung des Beteiligten zu 3.). Auf das Mitteilungsschreiben vom 23.02.2012 ab Bl. 43 ff. d.A., insbesondere auf den Punkt „II. Kündigungssachverhalt“ ab Bl. 45 ff. d.A. sowie die dortigen Ausführungen betreffend den Beteiligten zu 3.) auf Bl. 47 d.A. und ab Bl. 50 ff, d.A. sowie auf Bl. 59 f. d.A., wird ausdrücklich Bezug genommen. Der Beteiligte zu 2.) äußerte sich nicht.

Die Antragstellerin behauptet, der Beteiligte zu 3.) hätte im Zusammenhang mit verschiedenen Kassenmanipulationen, die andere Mitarbeiter begangen hätten, mehrere Diebstahls- bzw. Unterschlagungshandlungen von Bargeld, das im Eigentum der Beteiligten zu 1.) stünde, vorgenommen. Konkret behauptet die Beteiligte zu 1.) eine Vielzahl an Tathandlungen, die sie aufgrund der Aufzeichnungen der Überwachungskamera ermittelt habe, wobei exemplarisch die folgenden angeführt werden (siehe Bl. 22-27 d.A.):

 09.01.2012, 15:07:45 Uhr     Frau ... würde einen € 50,00-Schein aus der Kasse entnehmen und diesen dem Beteiligten zu 3.) geben, der den Geldschein in die Hosentasche stecken würde.

 09.01.2012, 15:51:54 Uhr     Frau ... würde einen € 50,00-Schein in der Kasse rollen und dann auf die Theke legen und der Beteiligte zu 3.) würde den Geldschein sodann in seine Tasche stecken.

 09.01.2012, 20:23:31 Uhr     Frau ... würde aus einem Geldstapel des Herrn ..., zwei € 50,00-Scheine wegnehmen und diese auf die Theke legen und der Beteiligte zu 3.) würde beide Geldscheine sodann in seine Tasche stecken.

 11.01.2012, 18:26:32 Uhr     Frau ... würde einen € 50,00-Schein aus der Kasse entnehmen, diesen in einen Kassenbon einwickeln und sodann auf die Theke legen und der Beteiligte zu 3.) würde beides in die Hosentasche stecken.

Die Beteiligte zu 1.) behauptet des Weiteren, dass Herr ... die Videoaufzeichnungen im „... ...“ betreffend den Zeitraum 07.01.2012 bis 01.02.2012, nachdem er sie von der ... am 10.02.2012 (Freitag) erhalten hätte (siehe Bl. 16, 181 d.A.), zügig und ohne Verzögerung bis zum 14.02.2012 (Dienstag) ausgewertet hätte, wobei sich erste Verdachtsmomente bzgl. des Beteiligten zu 3.) als Täter/Gehilfe erstmals am 13.02.2012 ergeben hätten (siehe Bl. 182 d.A.).

Die Antragstellerin beantragt,

die Zustimmung des Beteiligten zu 2.) zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3.) zu ersetzen.

Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3.) beantragen,

den Antrag zurück zu weisen.

Der Beteiligte zu 2.) und der Beteiligten zu 3.) sind der Ansicht, dass der Antrag nach § 103 BetrVG abzuweisen sei, da sich die Beteiligte zu 1.) betriebsverfassungswidrig und auch sonst rechtswidrig auf die Videoaufnahmen ab dem 07.01.2012 stützen würde. Die Beteiligten widersprechen der Verwertung dieser Videoaufnahmen im Sinne der Sachvortragsverwertung als auch der Beweisverwertung. Der Beteiligte zu 3.) könne der Verwertung widersprechen, ohne sich inhaltlich äußern zu müssen, zumal er sich nicht ohnehin mehr erinnern können und es ihm daher unmöglich sei, „detailliert auf die minutiöse Abfolge der behaupteten Vorgänge Stellung zu nehmen“. Schließlich bestreiten die beiden Beteiligten, dass die Beteiligte zu 1.) die Videoaufnahmen von der ... erst am 10.02.2012 erhalten hätte, mit Nichtwissen. Es sei wenig glaubhaft, dass zwischen dem letzten Aufnahmetag und der Weitergabe der Aufzeichnungen 10 Tage liegen sollten. Ferner bestreiten die Beteiligten mit Nichtwissen, dass sich die Verdachtsmomente gegenüber dem Beteiligten zu 3.) erst am 13.02.2012 ergeben hätten (siehe Bl. 251 d.A.).

Die Antragsschrift ging bei Gericht am 28.02.2012 ein und wurde den Beteiligten zu 2.) am 07.03.2012 (Bl. 171 d.A.) und dem Beteiligten zu 3.) am 13.03.2012 (Bl. 172 d.A.) zugestellt. Übrigen haben sie sich rügelos zur Sache eingelassen. Das Verfahren wurde aufgrund des derzeitigen Jahresgeschäftsverteilungsplans des erkennenden Gerichts angesichts des Vorverfahrens 7 BV 422/11 von der ursprünglich zuständigen Kammer 10 übernommen. Die Beteiligte zu 1.) reichte die Videoaufzeichnungen vom 09.01.2012 und vom 11.01.2012 zum Zwecke der Inaugenscheinnahme auf einem USB-Stick zur Gerichtsakte (siehe Bl. 165 d.A.). Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, ihre Beweisantritte und die von ihnen eingereichten Unterlagen und damit auf die Gerichtsakte Bezug genommen (§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet, so dass ihm stattzugeben ist. Die verweigerte Zustimmung zur fristlosen Kündigung des Beteiligten zu 3.) ist gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zu ersetzen, da ein die außerordentliche Kündigung des Beteiligten zu 3.) rechtfertigender wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1, Abs. 2 BGB gegeben ist.

1. Der vorliegende Antrag ist gemäß §§ 103 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BetrVG zulässig, da der Beteiligte zu 3.) Mitglied des bei der Beteiligten zu 1.) gebildeten Betriebsrates für den Betrieb „... ...“ ist. Gemäß §§ 2a Abs. 1 Nr. 1, 80 ff. ArbGG ist die zulässige Verfahrensart insofern das Beschlussverfahren. Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Arbeitsgerichts ergibt sich aus dem Sitz des Betriebes (§ 82 ArbGG) der Beteiligten zu 1.). Die Beteiligtenfähigkeit des Beteiligten zu 3.) ergibt sich aus § 103 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Der Antrag ist auch binnen der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB gestellt, denn die Beteiligte zu 1.) hat das Verhalten des Beteiligten zu 3.) vom 09.01.2012 und vom 11.01.2012, das ihr frühestens erst ab dem 15.02.2012 bekannt ist, als Kündigungsgrund herangezogen. Nachdem der Beteiligte zu 2.) die Drei-Tages-Frist des § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG, vorliegend beginnend am 23.02.2012, hat verstreichen lassen, bleibt einzig die Ersetzung der verweigerten Zustimmung zur beabsichtigten fristlosen Kündigung des Beteiligten zu 3.) am 22.02.2012 verweigert hat, ist der vorliegende Antrag (§ 81 ArbGG) fristgerecht am 28.02.2012 bei Gericht eingegangen und wurde den Beteiligten zu 2.) und zu 3.) demnächst i.S.v. § 167 ZPO zugestellt.

2. Der Antrag ist auch begründet, da Gründe vorliegen, die eine fristlose Kündigung des Beteiligten zu 3.) gemäß § 626 Abs. 1, Abs. 2 BGB rechtfertigen.

a. Zunächst besteht zwischen dem Beteiligten zu 3.) und der Antragstellerin ein Arbeitsverhältnis, und der Beteiligte zu 3.) ist Mitglied des bei der Antragstellerin bestehenden Betriebsrates (§ 103 Abs. 1 BetrVG).

b. Vorliegend ist ebenfalls ein Kündigungsgrund gegeben, denn es liegt ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB vor, aufgrund dessen der Beteiligten zu 1.) als Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3.) nicht mehr zugemutet werden kann.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG wird das Vorliegen eines wichtigen Grundes in zwei Stufen geprüft. Zunächst ist festzustellen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB abzugeben. Dieser Sachverhalt muss im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung objektiv vorliegen. Ist hiernach ein Sachverhalt an sich geeignet, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die außerordentliche Kündigung nach einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände als gerechtfertigt angesehen werden kann. Dies ist nur dann der Fall, wenn die fristlose Kündigung die ultima ratio für den Kündigungsberechtigten war, d.h. mildere Mittel unzumutbar waren (siehe (siehe Müller-Glöge, in: Erfurter Kommentar; 10. Aufl., München, 2010, § 626 BGB, Rz. 34, 44, 62; BAG, Urt. v. 07.07.2005 - 2 AZR 581/04, AP BGB § 626 Nr. 192; BAG, Urt. v. 27.04.2006 - 2 AZR 386/05, AP BGB § 626 Nr. 202; BAG, Urt. v. 28.08.2008 - 2 AZR 15/07, NZA 2009, 192 ff.). Aber nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen (arbeitsvertraglichen) Verfehlung kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem verdächtigten Arbeitnehmer darstellen. Eine solche Verdachtskündigung liegt vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. § 626 Abs. 1 BGB lässt eine sog. Verdachtskündigung dann zu, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG, Urt. v. 06.11.2003 - 2 AZR 631/02, AP Nr. 39 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG, Urt. v. 29.09.2002 - 2 AZR 424/01, AP Nr. 37 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG, Urt. v. 06.12.2001 - 2 AZR 496/00, AP Nr. 36 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung).

Hieran gemessen erweist sich die beabsichtigte fristlose Kündigung der Beteiligten zu 3.) durch die Beteiligte zu 1.) als rechtmäßig. Im Einzelnen:

aa) Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht (1. Stufe). Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann sogar dann eine fristlose Kündigung rechtfertigen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (vgl. zuletzt BAG, Urt. v. 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 „Emmely“, AP Nr. 229 zu § 626 BGB m.w.N. und ausführlicher Begründung). Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Bei der Prüfung, ob ein solches „Vermögensdelikt“ zulasten des Arbeitgebers begangen wurde, kann offen gelassen werden, welcher straf- und/oder zivilrechtliche Deliktstatbestand gegeben ist. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch. Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (vgl. zuletzt BAG, Urt. v. 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 „Emmely“, AP Nr. 229 zu § 626 BGB mwN und ausführlicher Begründung; siehe KR/Fischermeier, 9. Aufl., § 626 BGB, Rn. 459).

Vorliegend besteht der begründete Verdacht, dass der Beteiligte zu 3.) während der beiden Schichten am 09.01.2012 und am 11.01.2012 durch wenigstens vier Tathandlungen mindestens € 250,- an Bargeld, das ihm die Mitarbeiterin ... aus der Kasse gegeben hat, vereinnahmt hat, um es später entweder für sich oder für Dritte zu verwenden. Da der Beteiligte zu 3.) ab dem 01.01.2012 aufgrund der klaren arbeitgeberseitigen Weisung keine Veranlassung hatte, mit Kassengeld in Berührung zu kommen, da die von der Beteiligten zu 1.) geschilderten Handlungen nicht mit der Tätigkeit des Beteiligten zu 3.) als „Service-Kraft“ in Einklang zu bringen sind und da der Beteiligte zu 3.) auch keine stichhaltigen Gründe bzw. Argumente für das Einstecken der insgesamt fünf € 50,-Scheine hat, liegt der begründete Verdacht nahe, dass der Beteiligte zu 3.) das Bargeld, das im Eigentum der Beteiligten zu 1.) steht, unterschlagen hat. Dem diesbezüglichen detaillierten Tatsachenvortrag der Beteiligten zu 1.) ist der Beteiligte zu 3.) nicht erheblich entgegen, so dass er prozessual als zugestanden gelten (§ 138 Abs. 3 ZPO), denn die Regelung des § 138 ZPO gilt - trotz des eingeschränkten Amtsermittlungsgrundsatzes - auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nach den §§ 80 ff. ArbGG.

Das Vorliegen eines wichtigen Grundes wegen des Verdachts einer erheblichen Pflichtverletzung des Beteiligten zu 3.) ist vorliegend auch entgegen der Rechtsansicht der Beteiligten zu 2.) und zu 3.) nicht deshalb ausgeschlossen, weil sich die Beteiligte zu 1.) hierfür maßgeblich auf die Videoaufzeichnungen des Kassenbereichs im „... ...“ vom 09.01.2012 und vom 11.01.2012 stützt. Der detaillierte Sachvortrag der Beteiligten zu 1.) ist vorliegend im Ergebnis prozessual verwertbar. Nach der Rspr. des BAG (siehe Urt. v. 13.12.2007 - 2 AZR 537/06, AP Nr. 210 zu § 626 BGB, Rz. 24-30 m.w.N.) gilt insofern das Folgende:

 „Im Arbeitsgerichtsprozess gift wie im Zivilprozess die Dispositionsmaxime und der Verhandlungs- oder Beibringungsgrundsatz [...]. Das entscheidende Gericht darf nur die von den Parteien vorgebrachten Tatsachen verwerten [...]. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss die Bindung des Gerichts an den Vortrag der Parteien und an einen vorgetragenen, entscheidungserheblichen Sachverhalt. Ein entsprechender Vortrag kann nicht ohne gesetzliche Grundlagen (wie z.B. ausnahmsweise in Form der Präklusionsvorschriften) unbeachtet und unverwertet gelassen werden [...]. Ordnungsgemäß in den Prozess eingeführten Sachvortrag muss das entscheidende Gericht berücksichtigen. Ein „Verwertungsverbot“ von Sachvortrag kennt das deutsche Zivilprozessrecht nicht. Der beigebrachte Tatsachenstoff ist entweder unschlüssig oder unbewiesen, aber nicht „unverwertbar“. Dies gilt umso mehr, wenn der Sachverhalt unstreitig ist. Das Gericht ist an ein Nichtbestreiten (wie auch an ein Geständnis) grundsätzlich gebunden [...]. Es darf für unbestrittene Tatsachen keinen Beweis verlangen und erheben Die Annahme eines „Sachvortragsverwertungsverbots“ [...]steht somit in deutlichem Widerspruch zu den Grundprinzipien des deutschen Zivil- und Arbeitsgerichtsverfahrens.

Ein solches „Verwertungsverbot“ von Sachvortrag würde zudem den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG umfassend einschränken. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, jeden erheblichen Vortrag einer bzw. der Partei(en) zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidungsfindung in Erwägung zu ziehen. Würde das entscheidende Gericht aber vor allem - unstreitiges - entscheidungserhebliches Vorbringen von vornherein ausblenden können, würde dies zu einer erheblichen Verkürzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör führen.

 [...]

Allerdings genießt im Zivilprozess die Wahrheitspflicht keinen generellen Vorrang vor allen anderen Prozesszwecken [...]. Rechtswidrig erlangte Beweismittel sind deshalb nicht schlechthin immer im Prozess verwertbar. Vielmehr kann ein rechtswidriges Verhalten einer Prozesspartei auch prozessuale Auswirkungen in Form eines Verwertungsverbots haben [...]. Allerdings wird dies aber nur anzuerkennen sein, wenn im Entscheidungsfall der Schutzzweck der verletzten Norm eine solche prozessuale Sanktion zwingend gebietet. Dementsprechend kann ein prozessuales Verwertungsverbot nur in Betracht kommen, wenn in verfassungsrechtlich geschützte Grundpositionen einer Prozesspartei eingegriffen wird [...]. Denn in einem gerichtlichen Verfahren tritt der Richter den Verfahrensbeteiligten in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Er ist nach Art. 1 Abs. 3 GG bei seiner Urteilsfindung an die maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet [...]. Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt die Pflicht des Richters zu einer fairen Handhabung des Prozess-, insbesondere des Beweisrechts [...].

Aus dem Umstand, dass eine Information oder ein Beweismittel unzulässig erlangt wurde, ergibt sich deshalb noch nicht zwingend deren Nichtverwertbarkeit. Grundsätzlich muss zwischen der Erlangung einer Information oder eines Beweismittels und dessen Verwertung getrennt werden [...]. Erst wenn durch die Verwertung einer rechtswidrig erlangten Information oder eines Beweismittels ein erneuter bzw. perpetuierender Eingriff in rechtlich erheblich geschützte Positionen der anderen Prozesspartei erfolgt, kann ein prozessuales Verbot einer Verwertung in Betracht kommen.“

Vorliegend hat allerdings die Beteiligte zu 1.) gegen keine Rechtsvorschriften verstoßen, da sie selbst die Videokameras nicht installiert hat. Die Installation und die Aufzeichnungen wurden vielmehr durch die ... als Vermieterin der von der Beteiligten zu 1.) für das „... ...“ genutzten Räumlichkeiten vorgenommen. Die Beteiligte zu 1.) selbst hat die Endlosaufzeichnungen betreffend den Zeitraum vom 07.01.2012 bis zum 01.02.2012 „lediglich“ angesehen und diese im Hinblick auf die verschiedenen Tathandlungen ihrer Mitarbeiter ausgewertet. Insofern hat die Beteiligte zu 1.) weder gegen § 6b BDSG - unabhängig von der Frage, ob der Kassenbereich im „... ...“ überhaupt einen öffentlich zugänglichen Raum darstellt - noch gegen das Mitbestimmungsrecht des Beteiligten zu 2.) gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG verstoßen, zumal ein Verstoß gegen Mitbestimmungsrechte ohnehin kein Verwertungsverbot rechtfertigt (siehe BAG, Urt. v. 13.12.2007 - 2 AZR 537/06., AP Nr. 210 zu § 626 BGB). Selbst wenn man jedoch einen möglichen Gesetzesverstoß der Beteiligten zu 1.) annehmen würde, müsste zunächst zumindest schuldmindernd, wenn nicht sogar schuldausschließend berücksichtigt werden, dass die zuständigen Strafverfolgungsbehörden die Beteiligte zu 1.) mit Schreiben vom 20.12.2011 (siehe Bl. 66 d.A.) aufgefordert haben, geeignetes Videomaterial herbeizuschaffen, wobei sie dann dieser hoheitlichen Aufforderung nachgekommen ist. Auch wenn die Beteiligte zu 1.) die Videoaufzeichnungen selbst nicht vorgenommen hat, könnten sie ihr aber gleichwohl im untechnischen Sinne zuzurechnen sein, da die ... diese Aufzeichnungen auf Veranlassung der Beteiligten zu 1.) vorgenommen hat. Insofern kann es zunächst dahinstehen, ob die Videoaufzeichnungen durch die ... das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beteiligten zu 3.) gemäß Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt haben, da die ... nicht Beteiligte dieses Verfahrens ist und es im deutschen Recht keine sog. „fruit of the poisonous doctrine“ gibt, so dass die Beteiligte zu 1.) etwaig von der ... rechtswidrig erlangte Beweismittel grdsl. verwerten dürfte. Einzig relevant im Hinblick auf das mögliche Sachvortragsverwertungsverbot im Sinne der zitierten Rspr. des BAG ist die Frage, ob durch die prozessuale Verwertung des durch die Videoaufzeichnungen erlangten Sachwissens im vorliegenden Verfahren ein - unterstellter und der Beteiligten zu 1.) möglicherweise zuzurechnender - Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beteiligten zu 3.) gemäß Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG perpetuiert würde. Dies ist vorliegend aus folgenden Erwägungen jedoch nicht der Fall:

Das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht ist zwar auch im Privatrechtsverkehr und insbesondere im Arbeitsverhältnis zu beachten. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt den Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis nicht nur vor einer lückenlosen technischen Überwachung am Arbeitsplatz. Das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis wird allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers können durch Wahrnehmung überwiegend schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Bei einer Kollision des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit den Interessen des Arbeitgebers ist somit durch eine Güterabwägung im Einzelfall zu ermitteln, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Vorrang verdient. Auch im Zivilprozess, in dem über Rechte und Rechtspositionen der Parteien innerhalb eines privatrechtlichen Rechtsverhältnisses gestritten wird, sind die Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege und das Streben nach einer materiell richtigen Entscheidung wichtige Belange des Gemeinwohls. Um die Wahrheit zu ermitteln, sind die Gerichte deshalb grundsätzlich gehalten, den von den Parteien in den Prozess eingeführten Vortrag einerseits und ggf. die angebotenen Beweismittel andererseits zu berücksichtigen. Diese Aspekte können als Bestandteil der verfassungsgemäßen Ordnung das allgemeine Persönlichkeitsrecht beschränken. Allerdings reicht allein das allgemeine Interesse an einer funktionsfähigen Zivilrechtspflege nicht aus, um im Rahmen der Abwägung stets von einem gleichen oder gar höheren Gewicht ausgehen zu können als es dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zukommt. Vielmehr müssen weitere Aspekte hinzutreten, die trotz der Persönlichkeitsbeeinträchtigung eine bestimmte Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als schutzbedürftig qualifizieren. Im Zivilprozess kann es insbesondere Situationen geben, in denen sich der Beweisführer in einer Notwehrsituation oder einer notwehrähnlichen Lage befindet (siehe hierzu ausführlich: BAG, Urt. v. 13.12.2007 - 2 AZR 537/06, AP Nr. 210 zu § 626 BGB, Rz. 34 f. m.w.N.)

Nach der Rspr. des BAG ist eine verdeckte Videoüberwachung zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers bestand, es keine Möglichkeit zur Aufklärung durch weniger einschneidende Maßnahmen (mehr) gab und die Videoüberwachung insgesamt nicht unverhältnismäßig war (vgl. BAG, Urt. v. 27.03.2003 - 2 AZR 51/02, AP Nr 36 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung). In einem solchen Fad überwiegt das entsprechende Interesse des Arbeitgebers das allgemeine Persönlichkeitsrecht des betroffenen Arbeitnehmers und durch die prozessuale Verwertung des insofern gewonnenen Materials wird eine (etwaige) Verletzung des allg. Persönlichkeitsrechts jedenfalls nicht perpetuiert, so dass ein Sachvortragsverwertungsverbot ausscheiden muss. Dies ist aufgrund folgender Erwägungen vorliegend der Fall:

Vorliegend bestand nach den Ereignissen im Jahre 2011 (z.B. nicht erklärbare Umsatzsteigerung nach Ausspruch der fristlosen Kündigungen), der Veränderungen in der Wareneinsatzquote und aufgrund der Aussagen der „Kronzeugen“, insbesondere der Mitarbeiterin ..., für die Beteiligte zu 1.) zum Ende des Jahres 2011 - weiterhin - der begründete Verdacht, dass eine erhebliche Anzahl an Mitarbeitern mit Billigung und Deckung des Betriebsrates kollusiv, organisiert und damit bandenmäßig zusammenarbeiten würden, um die Beteiligte zu 1.) finanziell zu schädigen. Insofern bestand der allgemeine Verdacht schwerwiegender Delikte und einer bandenmäßigen Kriminalität. Mildere Mittel als eine verdeckte Videoüberwachung, um ein derartiges Verhalten aufzudecken, sind aber nach Ansicht der Kammer nicht vorhanden. Es kann dahinstehen, ob die Beteiligte zu 1.), was die übrigen Beteiligten bestreiten, Testkäufer und Detektive vergeblich eingesetzt hat, da beide nicht geeignet sind, ein bandenmäßiges Vorgehen zu entlarven, so dass nur eine heimliche bzw. verdeckte Videoüberwachung möglich war. Der Verdacht gegen den Beteiligten zu 3.) und die weiteren Mitarbeiter im „... ...“ im Kassenbereich hätte durch eine offene Videoüberwachung nicht ermittelt werden können, denn er betraf eine heimliche Tat. Daher scheidet insbesondere der Einsatz von Testkäufern aus (vgl. auch LAG Hamm, Urt. 15.07.2011 - 10 Sa 1781/10, ZD 2012, 141 ff.), da diese zwar Verstöße gegen einzelne Verhaltensregeln der Beteiligten zu 1.) möglicherweise aufdecken können, nicht aber ein bandenmäßiges Vorgehen, denn vorliegend besteht aufgrund der weiteren Umstände der Verdacht, dass der Beteiligte zu 3.) während der streitgegenständlichen Schichten der „Sammler“ war, der die Geldbeträge, die durch Kassenmanipulationen zu einem Kassenplus geführt haben, unterschlagen hat, damit es später auf sämtliche Mittäter bzw. Gehilfen verteilt werden kann. Detektive scheiden ebenfalls aus, da die Beteiligte zu 1.) nicht ohne Zustimmung des Betriebsrates (vgl. §§ 99, 100 BetrVG) neue Mitarbeiter „einschleusen“ kann und da die Gefahr besteht, dass diese nicht „eingeweiht“ werden und in den jeweiligen Schichten alles korrekt verläuft. Auch war die Videoüberwachung insgesamt verhältnismäßig, denn es wurde „nur“ der Kassenbereich aufgezeichnet, d.h. ein Bereich, in dem der Beteiligte zu 3.) aufgrund der arbeitgeberseitigen Weisung, sich jeglicher Kassiertätigkeit zu enthalten, ohnehin nichts zu suchen hatte. Ferner dauerte die verdeckte Videoüberwachung „lediglich“ einen Monat und die Kameras sind mittlerweile wieder abgebaut.

bb) Vorliegend genügt die beabsichtigte Verdachtskündigung auch dem ultimaratio-Prinzip, da insbesondere unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände die fristlose Kündigung des Beteiligten zu 3.) als gerechtfertigt anzusehen ist. Zunächst sprechen weder das Alter noch der Familienstand des Beteiligten zu 3.) für eine besondere Schutzbedürftigkeit. Auch die Dauer des Arbeitsverhältnisses mit rund 7 Jahren hat beim Beteiligten zu 3.) noch zu keinem hinreichenden Vorrat an Vertrauen (das sog. Vertrauenskapital, vgl. BAG, Urt. v. 10.06.2010 -Az.: 2 AZR 541/09 „Emmely“, AP Nr. 229 zu § 626 BGB mwN) erworben, als durch die erstmalige Vertrauensenttäuschung das Vertrauern in die Redlichkeit und Ehrlichkeit des Klägers nicht vollständig und unwiederbringlich zerstört wäre. Einer vorherigen Abmahnung des Beteiligten zu 3.) bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorliegend auch nicht. Zwar gibt es auch bei Störungen im Vertrauensbereich durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers keine „absoluten“ Kündigungsgründe, so dass stets konkret zu prüfen ist, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. BAG, Urt. v. 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 „Emmely“, AP Nr. 229 zu § 626 BGB mwN). Vorliegend ist aber eine Abmahnung entbehrlich, denn der Beteiligte zu 3.) hat - trotz Abmahnung vom 05.01.2012 - erneut mit Bargeld der Beteiligten zu 1.) hantiert, obwohl ihm jeglicher Umgang mit Bargeld untersagt war. Davon mal abgesehen, muss es aber auch jedem Arbeitnehmer einleuchten, dass die Unterschlagung von mindestens € 250,- von keinem Arbeitgeber geduldet wird. Erschwerend kommt aber beim Beteiligten zu 3.) hinzu, dass er aufgrund des Vorverfahren 7 BV 422/11 hätte gewarnt sein müssen, dass die Beteiligte zu 1.) zumindest den Verdacht von finanziellen Unregelmäßigkeiten hat und dass sie trotz ihrer erstinstanzlichen Niederlage die Angelegenheit weiter verfolgen wird. Wenn man dann wie der Beteiligte zu 3.) durch ein Verhalten 9 bzw. 11 Tage nach Arbeitsbeginn durch sein Verhalten den begründeten Verdacht von Vermögensdelikten zu Lasten des Arbeitgebers hervorruft, dies zumal in der Funktion als Betriebsratsmitglied, sind mildere Mittel dem Arbeitgeber nicht mehr zumutbar und die fristlose Kündigung die notwendige Folge.

c. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB kann von der Antragstellerin für den Ausspruch der beabsichtigten (Verdachts-)Kündigung kann noch ohne Weiteres gewahrt werden, da sie das vorliegende Verfahren am 28.02.2012 eingeleitet hat.

Zwar haben die Beteiligten zu 2.) und zu 3.) in zulässiger Weise mit Nichtwissen bestritten, dass die ... dem Mitarbeiter der Beteiligten zu 1.), Herrn .... ..., die Videoaufzeichnungen betreffend den Zeitraum vom 07.01.2012 bis 01.02.2012 erst am Freitag, den 10.02.2012 übergaben haben soll und dass ein erster Verdacht auf den Beteiligten zu 3.) am 13.02.2012 gefallen sei. Die Kammer erachtet es nicht für entscheidungserheblich, weiche Daten insofern zutreffend sind, da es zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass Herr ... nicht kündigungsbefugt ist. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt aber nach der st. Rspr. des BAG erst zu laufen, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die (beabsichtigte) Kündigung maßgebenden Tatsachen hat und ihm deshalb die Entscheidung über die Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses möglich ist (vgl. BAG, Urt. v. 17.03.2005 - 2 AZR 245/04, juris; BAG, Urt. v. 1.2.2007 - 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744 ff.). Insofern wäre ein etwaiges Trödeln bzw. ein unterstellten Abwarten durch Herrn ... ab dem 02.02.2012 in Bezug auf den Beginn der Frist des § 626 Abs, 2 BGB unschädlich. Eine frühere Kenntnisnahme - durch den nicht kündigungsbefugten Herrn ... oder andere Mitarbeiter der Beteiligten zu 1.) - wird vorliegend im Ergebnis nicht einmal von den Beteiligten zu 2.) und zu 3.) behauptet, da sie nicht erheblich bestreiten, dass die durch die ... installierten Kameras für den Zeitraum vom 07.01.2012 bis 01.02.2012 eine durchgängige Endlos-Aufzeichnung vorgenommen haben. Somit die Beteiligten zu 3.) spekulieren, dass nichts näher läge als dass die Antragstellerin täglich (von der ... ...) über eventuelle Videokenntnisse informiert würde, ist dies als Behauptung ins Blaue hinein zu werten, zumal es zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass die Beteiligte zu 1.) - sowie die zuständigen Strafverfolgungsbehörden - und nicht die ... ...die Videoaufzeichnungen ausgewertet haben, so dass die ... auch nicht über „eventuelle Videokenntnisse“ (täglich) informieren kann.

Nach der Rspr. des BAG kann der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt. Es genügt nicht allein die Kenntnis des konkreten, die Kündigung auslösenden Anlasses, d. h. des „Vorfalls“, der einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen soll. Bei einer vom Arbeitgeber erklärten außerordentlichen Kündigung gehören auch solche Aspekte zum Kündigungssachverhalt, die für den Arbeitnehmer und gegen die Kündigung sprechen. Außerdem gehört es zu den vom Kündigungsberechtigten zu ergründenden maßgeblichen Umständen, mögliche Beweismittel für eine ermittelte Pflichtverletzung zu beschaffen und zu sichern (BAG, Urt. v. 17.3.2005 - 2 AZR 245/04, AP Nr. 46 zu § 626 BGB Ausschlussfrist). Dabei sollen die zeitlichen Grenzen des § 626 Abs. 2 BGB den Arbeitgeber weder zu hektischer Eile bei der Kündigung antreiben noch ihn veranlassen, ohne eine genügende Prüfung des Sachverhalts oder vorhandener Beweismittel voreilig zu kündigen (BAG, Urt. v. 1.2.2007 - 2 AZR 333/06, aaO mit weiteren Nachweisen). Solange der Kündigungsberechtigte die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, läuft die Ausschlussfrist nicht an. Dies gilt allerdings nur so lange, wie der Kündigungsberechtigte aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile noch Ermittlungen anstellt, die ihm eine weitere, umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts und der notwendigen Beweismittel verschaffen sollen (BAG, Urt. v. 17.3.2005 - 2 AZR 245/04, aaO).

Da die Beteiligte zu 1.) vorliegend auch eine fristlose Verdachtskündigung gegenüber dem Beteiligten zu 3.) aussprechen will, muss sie ihn zu dem entsprechenden Vorwurf nach der st. Rspr. des BAG sogar zwingend anhören, damit sie auch etwaige zu Gunsten des Beteiligten zu 3.) sprechende Aspekte - in Abhängigkeit von seiner Stellungnahme - bei ihrem Kündigungsentschluss berücksichtigen kann. Vorliegend hat die Beteiligte zu 1.) das Kassensystem des „... ...“ bzgl. der Transaktionen/Buchungen am 09.01.2012 und am 11.01.2012 - ebenfalls unstreitig - am 15.02.2012 ausgewertet und hat dem Beteiligten zu 3.) mit Schreiben vom 16.02.2012 unter Bezugnahme auf die Ergebnisse der Videoaufzeichnungen und der Kassenauswertung zur Stellungnahme auch zur beabsichtigten Verdachtskündigung wegen der verschiedenen Unterschlagungshandlungen aufgefordert. Insofern vermag die Kammer nicht zu erkennen, dass die Beteiligte zu 1.) - selbst wenn Herr ... eine frühere Kenntnis von den Tathandlungen des Beteiligten zu 3.) bzw. einen entsprechenden Verdacht diesbezüglich gehabt hätte - eine zögerliche Bearbeitung der Angelegenheit zu erkennen. Im Hinblick auf die beabsichtigte Verdachtskündigung ist der Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 BGB sogar auf den 23.02.2012 zu setzen, da erst dann klar war, dass der Beteiligte zu 3.) sich nicht näher zu den Vorwürfen einlässt und diese (pauschal) bestreitet. Die von der Beteiligten zu 1.) insofern gesetzte Stellungnahmefrist bis zum 23.02.2012 um 12:00 Uhr ist ebenfalls angesichts der detaillierten Vorwürfe angemessen. Zwar hat die Beteiligte zu 1.) nicht dargelegt, wer denn bei ihr kündigungsbefugt ist, aber es dürfte lebensfremd sein, dass Mitarbeiter der Beteiligten zu 1.) ohne Wissen des Kündigungsberechtigten die fristlose Kündigung von Betriebsratsmitgliedern initiieren. Da der Beteiligte zu 2.) aber auf das Anhörungsschreiben der Beteiligten zu 1.) vom 23.02.2012 die 3-Tages-Frist des § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG hat verstreichen lassen, und da der vorliegende Antrag nach § 103 BetrVG am 28.02.2012 bei Gericht eingegangen ist, kann die Frist des § 626 Abs. 2 BGB für den Ausspruch der fristlosen Kündigung noch gut eingehalten werden, da sie jedenfalls erst am 23.02.2012 begonnen hat und durch das vorliegende Beschlussverfahren gehemmt ist.

3. Eine Kostenentscheidung findet im Beschlussverfahren nicht statt.

4. Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei gemäß § 2 Abs. 2 GKG.



Sie kennen die Kanzlei Labisch aus folgenden Medien:

Logo SWR1
Logo SWR4
Logo RPR1
Logo Wiesbadener Kurier
Logo Geißener Anzeiger
Logo Wormser Zeitung
Logo Wiesbadener Tagblatt
Logo Main Spitze
Logo Frankfurter Rundschau
Logo Handelsblatt
Logo Allgemeine Zeitung
Logo Darmstädter Echo
Logo Focus
Logo NTV
Logo ZDF WISO
Lexikon schließen
Schließen