Arbeitsgericht Frankfurt

Beschluss vom - Az: 13 BVGa 32/12

Unterlassung der Durchführung einer Betriebsratswahl; Verkennung des Betriebsbegriffs; Missachtung eines Gerichtsbeschlusses

In laufende Betriebsratswahlen kann im Wege der einstweiligen Verfügung eingegriffen werden, wenn die Wahl als nichtig anzusehen wäre. Von einer Nichtigkeit der Wahl ist auszugehen, wenn der Betriebsbegriff offensichtlich verkannt wird. Dies wiederum ist der Fall, wenn in einer gerichtlichen Entscheidung der Betriebsbegriff in bestimmter Weise ausgelegt wurde. Daran ändert sich auch nichts, wenn gegen jene Entscheidung die Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt wurde, über welche noch nicht abschließend entschieden ist, sodass die Entscheidung noch nicht formell rechtskräftig ist.

Tenor

Dem Beteiligten zu 5 wird aufgegeben, das eingeleitete Verfahren zur Durchführung der Wahl eines Betriebsrats abzubrechen, nicht fortzuführen und in der beabsichtigten Form nicht neu einzuleiten.

Dem Beteiligten zu 7 wird als Vertreter des Beteiligten zu 5 für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen diese Verpflichtung Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten angedroht.

Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Beteiligten zu 1 - 4 (im Folgenden: Antragsteller) sind Arbeitnehmer des Betriebes Interne Dienste des Beteiligten zu 12. Der Beteiligte zu 12 (im Folgenden: Arbeitgeber) ist ein eingetragener Verein. Er betreibt mehrere stationäre Alten- und Pflegeheime und ist auch in der ambulanten Pflege tätig. Beteiligter zu 11 ist der Betriebsrat, der nach seinem Rücktritt am 01. September 2011 die Geschäfte weiter führt (im Folgenden: Betriebsrat). Der Beteiligte zu 5 ist der Wahlvorstand des Betriebs Interne Dienste, der im Februar 2012 die Durchführung der Betriebsratswahl beabsichtigt (im Folgenden: Wahlvorstand). Die Beteiligten zu 6 bis 9 sind Mitglieder des Wahlvorstands, der Beteiligte zu 7 ist der Vorsitzende des Wahlvorstands. Die Beteiligte zu 10 war einmal Mitglied im Wahlvorstand; sie ist inzwischen zurückgetreten.

Bei dem Arbeitgeber bestehen verschiedene Unternehmensteile, die überwiegend in Frankfurt am Main gelegen sind, einzelne in Offenbach am Main. Im Rahmen eines Verfahrens gemäß § 18 Abs. 2 BetrVG führten der Betriebsrat und der Arbeitgeber ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main über die betriebliche Organisation (4 BV 880/09). Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hörte im Jahre 2010 über die Frage des Umfangs der Befugnisse der jeweiligen Hausleitungen der Unternehmensteile zahlreiche Zeuginnen und Zeugen an. Ergänzend wird auf die Sitzungsniederschrift der Kammerverhandlung der Kammer 4 in dem Aktenzeichen 4 BV 880/09 vom 29. Juni 2010 Bezug genommen, ferner auf die Sitzungsniederschriften der Verhandlung der Kammer 4 vom 04. Oktober 2010 und vom 01. November 2010 (Bl. 24 - 42 d.A.). Mit Beschluss vom 01. November 2010 entschied die Kammer 4 des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main, dass es sich bei verschiedenen Einrichtungen des Arbeitgebers jeweils um „eine eigenständige betriebsfähige Organisationseinheit im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes handelt.“ Ergänzend wird auf den gesamten Inhalt des Beschlusses des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 01. November 2010, 4 BV 880/09, Bezug genommen (Bl. 18 - 23 d.A.). Die gegen diese Entscheidung eingelegte Beschwerde bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht (9 TaBV 16/11) blieb erfolglos. Das Hessische Landesarbeitsgericht führte in seinem Beschluss vom 01.09.2011 hierzu aus, es handele sich bei den genannten Einheiten um Betriebe im Sinne des § 1 Abs. 1 BetrVG, nicht um Betriebstelle. Im Einzelnen wird ergänzend auf den gesamten Inhalt des Beschlusses des Hessischen Landesarbeitsgericht vom 01.09.2011 Bezug genommen (Bl. 9 - 17 d.A.). Gegen diesen Beschluss hat der Betriebsrat Nichtzulassungsbeschwerde bei dem Bundesarbeitsgericht eingelegt, über die noch nicht entschieden ist. Zugleich mit dem Verfahren gem. § 18 Abs. 2 BetrVG war die Betriebsratswahl durch den Arbeitgeber und durch zahlreiche Arbeitnehmer in zwei Verfahren erfolgreich angefochten worden. Mit Beschlüssen vom 01. September 2011 hat das Hessische Landesarbeitsgericht die erstinstanzliche Entscheidung, wonach die Betriebsratswahlen vom 11./12. Mai 2010 unwirksam waren, bestätigt. Ergänzend wird auf den Inhalt der Entscheidungen des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 01. September 2011 (9 TaBV 8/11, Bl. 45 - 52 d.A. sowie TaBV 9/11, Bl. 53 - 59 d.A.) Bezug genommen. Auch gegen diese Entscheidungen sind Nichtzulassungsbeschwerden beim Bundesarbeitsgericht anhängig.

Der Betriebsrat bestellte zunächst einen Wahlvorstand für den Betrieb „Interne Dienste“, der sich ausschließlich aus Arbeitnehmern dieses Betriebes zusammensetzte. Nachdem es zu Rücktritten und Versetzungen kam, nach Behaupten des Wahlvorstands und des Betriebsrats auch zu Beschäftigtenversammlungen und Zuordnungsbeschlüssen im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 2 BetrVG, was jedoch streitig ist, wurde der Wahlvorstand „Interne Dienste" durch den Betriebsrat neu besetzt und erweitert. Als Mitglieder wurden die hier als Beteiligte zu 6 bis 10 benannten Arbeitnehmer bestellt. Die Wahlvorstandsmitglieder sind Beschäftigte verschiedener Unternehmensteile. Nur der Beteiligte zu 9 ist Arbeitnehmer des Betriebs „Interne Dienste". Der Beteiligte zu 6 ist Arbeitnehmer der Einrichtung ..., der Beteiligte zu 7, zugleich Vorsitzender des Wahlvorstands, ist Arbeitnehmer des Bereichs Offene Seniorendienste. Der Beteiligte zu 8 ist Arbeitnehmer im ..., ebenso die Beteiligte zu 10.

Mit Schreiben vom 06. Dezember 2011 an den Arbeitgeber teilte der Beteiligte zu 9 als Mitglied des Wahlvorstands mit, es sei auf einer Versammlung der Wahlvorstände beschlossen worden, den Betrieb Interne Dienste zum Hauptbetrieb zu erklären. Auf den gesamten Inhalt dieses Schreibens wird verwiesen (Bl. 65 d.A.). Der Wahlvorstand schrieb im Folgenden mit zahlreichen gleichlautenden Schreiben vom 09. Januar 2012 die jeweiligen Hausleitungen verschiedener Unternehmensteile an. So heißt es etwa in einem Schreiben an die Hausleitung des ... unter anderem wie folgt:

 „(...) Wir teilen Ihnen mit, dass wir zum Wahlvorstand zur Wahl eines Betriebsrats in dem Betrieb Hauptbetrieb innere Dienste bestellt bzw. gewählt wurden. Die Beschäftigten ihres Betriebes haben sich diesem Hauptbetrieb zugeordnet. Der Wahlvorstand besteht aus 5 Mitgliedern (...).

Gemäß § 18 Abs. 1 BetrVG hat der Wahlvorstand nun die Wahl unverzüglich einzuleiten und durchzuführen...“

Auf den gesamten Inhalt der genannten Schreiben an die Hausleitungen vom 09. Januar 2012 wird ergänzend verwiesen (Bl. 66 - 75 d.A.).

Mit Aushang vom 12. Januar 2012 (Bl. 118 d.A.) wurden die Beschäftigten des Arbeitgebers durch den Wahlvorstand über seine Zusammensetzung informiert. Darin heißt es auch:

 „Der Wahlvorstand Interne Dienste repräsentiert durch Zuordnung das Gesundheitszentrum, das Pflegeheim ..., das ..., das ..., das ..., den Hausnotruf, der Fachbereich Wohnen und OSD, die ambulanten Dienste sowie das Bildungszentrum und den Fachbereich Seniorenreisen.“

In den Einrichtungen Pflegeheim ... und im ... sind inzwischen bereits Betriebsräte neu gewählt worden. In dem Unternehmensteil Sozial- und Rehazentrum West soll demnächst ein Betriebsrat gewählt werden.

Mit den Anträgen, die bei dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main am 13. Januar 2012 eingegangen sind, verfolgen die Antragsteller als wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebs Interne Dienste das Ziel, das eingeleitete Verfahren zur Durchführung der Wahl eines Betriebsrats abzubrechen, dies im Wege der einstweiligen Verfügung. Die Antragsteller sind der Ansicht, der Verfügungsanspruch ergebe sich daraus, dass ersichtlich eine nichtige Wahl beabsichtigt sei. Es bestünden grobe und offensichtliche Verstöße gegen gesetzliche Wahlregelungen. So sei bereits die Bestellung des Wahlvorstands nichtig, da betriebsfremde Arbeitnehmer in den Wahlvorstand aufgenommen wurden. Nach Ansicht der Antragsteller rechtfertigt dies allein bereits den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung.

Überdies stehe das Vorgehen des Wahlvorstandes im Rahmen der Vorbereitung der Betriebsratswahl in gravierendem Widerspruch zur Betriebsstruktur bei dem Arbeitgeber. Wie sich aus dem Anschreiben an die Leiter der verschiedenen Pflegeeinrichtungen ergebe, solle die Wahl in der Mehrzahl der Unternehmensteile so erfolgen, dass gemeinsam mit einem - aus Sicht der Antragsteller willkürlich bestimmten - Hauptbetrieb Interne Dienste gewählt werden soll. Damit weiche der Wahlvorstand bewusst ab von den im Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 01.09.2011 getroffenen Feststellungen zur Betriebsstruktur bei dem Arbeitgeber. Es handele sich hier um eine offensichtliche und grobe Verkennung des Betriebsbegriffes. Die von dem Wahlvorstand behaupteten Zuordnungsbeschlüsse seien - sofern es sie überhaupt gebe - schon deshalb unwirksam, weil es sich um willkürliche Zusammenfassungen eigenständiger Betriebe handele. Das Verfahren gemäß § 4 Abs. 1 S.2 BetrVG sei lediglich für Betriebsteile vorgesehen. Um solche handele es sich hier - wie das Hessische Landesarbeitsgericht ausdrücklich festgestellt habe - gerade nicht.

Im Übrigen bezweifeln die Antragsteller auch das ordnungsgemäße Zustandekommen etwaiger Zuordnungsbeschlüsse, auf die sich der Wahlvorstand und der Betriebsrat beziehen. So bezweifeln die Antragsteller das Abhalten von ordnungsgemäß einberufenen Beschäftigtenversammlungen ebenso wie das Vorliegen der erforderlichen Mehrheiten für solche Entscheidungen gemäß § 4 Abs. 1 S.2 BetrVG.

Ein Verfügungsgrund ergebe sich aus der Gefahr des dauernden Rechtsverlusts. Die Antragsteller könnten nicht auf das Anfechtungsverfahren verwiesen werden.

Die Antragsteller beantragen,

1. den Beteiligten zu 5 - 10 aufzugeben, das eingeleitete Verfahren zur Durchführung der Wahl eines Betriebsrats abzubrechen, nicht fortzuführen und auch nicht neu einzuleiten;

ferner

2. dem Beteiligten zu 7 als Vertreter des Beteiligten zu 5 für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen seine Verpflichtung gemäß dem Antrag zu 1 Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten anzudrohen

sowie

3. den Beteiligten zu 6 - 10 für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen ihre Verpflichtung gemäß dem Antrag zu 1 Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten anzudrohen.

Der Wahlvorstand, der Betriebsrat und die Beteiligten zu 6, 7 und 8 beantragen,

die Anträge zurückzuweisen.

Die Antragsgegner sind der Ansicht, ein Abbruch der Betriebsratswahl scheide schon deshalb aus, weil noch keine Wahl begonnen habe; das Wahlausschreiben sei noch nicht ausgehängt. Damit sei auch noch nicht bekannt, für welche Unternehmensteile die Wahl eingeleitet und durchgeführt werden solle.

Überdies sei es zulässig, dass der Wahlvorstand die Wahl unter Einbeziehung der Belegschaften der im Aushang vom 12.01.2012 (Bl. 118 d.A.) genannten Unternehmensteile durchführe. Hierzu behaupten die Antragsgegner, in der Zeit vom 25. Oktober 2011 bis 05. Dezember 2011 hätten zahlreiche Beschäftigtenversammlungen im Sinne des § 4 Abs. 1 S.2 BetrVG stattgefunden, nämlich in sämtlichen Unternehmensteilen mit Ausnahme des Pflegeheims ... des ... und des Betriebs Interne Dienste. Im Sozial- und Rehazentrum West hätten die Beschäftigten beschlossen, einen eigenen Betriebsrat zu wählen. Im Unternehmensteil Zentrum für körperlich Schwerbehinderte habe die Beschäftigtenversammlung nicht durchgeführt werden können, da keine Mitarbeiter erschienen seien. In den anderen Unternehmensteilen hätten die Belegschaften mehrheitlich beschlossen, keine eigene Betriebsratswahl durchzuführen, sondern sich dem Hauptbetrieb Interne Dienste anzuschließen. Dies ergebe sich aus den verschiedenen Unterlagen und Protokollen über die Beschäftigtenversammlungen, die der Wahlvorstand im Anhörungstermin am 24. Januar 2012 zur Gerichtsakte gereicht hat (Bl. 121 - 145 d.A.). Erst nach Vorliegen der Zuordnungsbeschlüsse sei der Wahlvorstand Interne Dienste neu unter Einbeziehung von Mitarbeitern der anderen Einrichtungen besetzt worden. Alle Mitglieder des Wahlvorstandes, so die Behauptung der Antragsgegner, entstammten aus solchen Unternehmensteilen, die entsprechende Zuordnungsbeschlüsse getroffen hätten.

Die Antragsgegner sind der Ansicht, eine Nichtigkeit der beabsichtigten Wahl des Betriebsrats sei ebenso wenig gegeben wie eine sichere Anfechtbarkeit. Eine Verkennung des Betriebsbegriffes liege nicht vor, zumindest nicht mit der Schwelle der Nichtigkeit bzw. offensichtlichen Anfechtbarkeit. Dies insbesondere, da der Beschluss des Hessischen LAG in dem Verfahren gem. § 18 Abs. 2 BetrVG nicht rechtskräftig sei. Überdies habe weder das Arbeitsgericht noch das Landesarbeitsgericht gemäß dem Beschlusstenor der Entscheidungen darüber entschieden, dass es sich bei den dort genannten Unternehmensteilen um Betriebe im Sinne des § 1 Abs. 1 BetrVG handele. Der Tenor stelle lediglich fest, dass es sich bei den verschiedenen Unternehmensteilen um jeweils „eigenständige betriebsfähige Organisationseinheiten im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes" handele. Dies gelte aber auch für Betriebsteile, wenn sie die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 BetrVG erfüllten, was hier der Fall sei. Jedenfalls gebe es keine Anhaltspunkte, die ganz offensichtlich gegen die Qualifizierung der verschiedenen Bereiche als Betriebsteile im Sinne des § 4 Abs. 1 BetrVG sprächen.

Von Seiten der Antragsteller ist eine eidesstattliche Versicherung des Beteiligten zu 2 vom 12.01.2012 vorgelegt worden, auf deren Inhalt insgesamt Bezug genommen wird (Bl. 84 - 85 d.A.). Von Seiten der Antragsgegner ist eine eidesstattliche Versicherung der Vorsitzenden des Betriebsrats vom 19.01.2012 vorgelegt worden, auf deren Inhalt ebenfalls ergänzend verwiesen wird (Bl. 117 d.A.).

Die Verfahrensakte 24 BVGa 991/11 ist im Anhörungstermin beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Anhörung gewesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die wechselseitig ausgetauschten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

II.

1. Die Anträge sind zulässig.

a) Insbesondere handelt es sich bei dem Antrag Ziffer 1. nicht um einen unzulässigen Globalantrag. Das Begehren der Antragsteller ist bei gebotener Auslegung als einheitlicher Unterlassungsantrag zu verstehen, der darauf gerichtet ist, dem Wahlvorstand jede weitere Handlung zu untersagen, die auf die Durchführung der Wahl gerichtet ist. Dieses Verständnis zugrunde legend ist der Antrag hinreichend bestimmt (ebenso BAG, B. v. 27.07.2011, 7 ABR 61/10, zit. nach juris).

b) Die Antragsteller sind wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebs „Interne Dienste“ und damit antragsbefugt. Ihre Antragsbefugnis in diesem einstweiligen Verfügungsverfahren folgt aus dem Recht, die spätere Betriebsratswahl anzufechten. Gem. § 19 Abs. 2 BetrVG sind anfechtungsberechtigt auch mindestens drei Wahlberechtigte. Dieses Quorum ist erfüllt.

c) Der Wahlvorstand ist beteiligtenfähig im Sinne von § 10 Satz 1 Halbsatz 2 ArbGG, § 83 Abs. 3 BetrVG. Dies gilt auch dann, wenn er nichtig ist. Der Wahlvorstand hält sich für bestehend. Für das Verfahren, in dem (auch) darüber gestritten wird, ob seine Bestellung nichtig ist, gilt der Wahlvorstand als bestehend und ist damit beteiligtenfähig (ebenso BAG, B. v. 27.07.2011, 7 ABR 61/10, zit. nach juris).

Demgegenüber sind die einzelnen Mitglieder des Wahlvorstandes (die Beteiligten zu 6 bis 9) hier nur deshalb als Beteiligte in das Verfahren aufzunehmen, da der von den Antragstellern gestellte Antrag Ziffer 1 und der Antrag Ziffer 3 sich ausdrücklich auf Sie bezieht. Anderenfalls wären sie nicht zu beteiligen, da hier um die Existenz und die Rechte des Gremiums „Wahlvorstand“ gestritten wird, nicht um die betriebsverfassungsrechtlichen Rechte der einzelnen Mitglieder (BAG, B. v. 27.07.2011, 7 ABR 61/10, zit. nach juris). Darauf ist im Anhörungstermin hingewiesen worden. Da die Antragsteller an ihren Anträgen festhielten, sind auch die einzelnen Mitglieder weiterhin beteiligt. Ebenso beteiligt ist aus dem genannten Grund im Hinblick auf die Antragstellung ... die nach dem unbestrittenen Vorbringen des Wahlvorstandsvorsitzenden inzwischen von ihrem Amt zurückgetreten ist.

2. Die Anträge sind zum Teil begründet.

a) Der Antrag Ziffer 1. ist insoweit begründet, als dem Wahlvorstand aufzugeben ist, das eingeleitete Verfahren zur Durchführung der Wahl eines Betriebsrats abzubrechen, nicht fortzuführen und in der beabsichtigen Form nicht neu einzuleiten. Letzteres („in der beabsichtigten Form“) war klarstellend in die Tenorierung aufzunehmen, da auch der Antrag bei der gebotenen Auslegung in diesem Sinne zu verstehen war.

aa) Den Antragstellern steht in dem oben genannten Umfang ein Verfügungsanspruch im Sinne der §§ 935; 940 ZPO zur Seite. In laufende Betriebsratswahlen kann im Wege der einstweiligen Verfügung eingegriffen werden, wenn die Wahl als nichtig anzusehen wäre (st. Rspr. Hess. LAG, B. v. 17.02.2005, 9 TaBVGa 28/05 zit. nach juris, m.w.N.; Hess. LAG B. v. 21.12.2009, 9 TaBVGa 242/09 zit. nach juris, BAG B. v. 27.07.2011, 7 ABR 61/10, zit. nach juris). Ob dies ausnahmsweise auch dann zulässig ist, wenn die Wahl zwar nicht nichtig, aber mit Sicherheit erfolgreich anfechtbar wäre (so Hess. LAG, B.v. 17.02.2005, 9 TaBVGa 28/05 zit. nach juris, anders nun BAG B. v. 27.07.2011, 7 ABR 61/10 zit. nach juris), kann dahin stehen. Denn auch nach dem strengen Maßstab der Nichtigkeit besteht hier ein Verfügungsanspruch. Soweit die Antragsgegner gegen die Begründetheit des Antrags unter Hinweis auf § 3 Abs. 1 S.2 BetrVG einwenden, dem Erlass der begehrten Einstweiligen Verfügung stehe bereits entgegen, dass das Wahlausschreiben noch nicht veröffentlicht sei und die Wahl noch nicht begonnen habe, überzeugt dies nicht. Aus dem Betriebsverfassungsgesetz und der Wahlordnung ergeben sich zahlreiche gesetzliche Pflichten zur ordnungsgemäßen Vorbereitung der Betriebsratswahl. So sind etwa klare Vorgaben zur Bestellung des Wahlvorstands und zur weiteren Vorbereitung der Wahl durch diesen getroffen. Auch bei der Einleitung der Betriebsratswahl können Fehler gemacht werden, die so gravierend sind, dass eine daran anschließende Betriebsratswahl nichtig wäre. Entsprechend begehren die Antragsteller hier auch nicht den Abbruch der Wahl, sondern den Abbruch des eingeleiteten Verfahrens zur Vorbereitung der Wahl.

Soweit die Antragsgegner einwenden, es sei ohne Erlass des Wahlausschreibens noch gar nicht klar, in welcher Weise gewählt werden solle, ist dies ebenfalls nicht überzeugend. Aus der Zusammensetzung des Wahlvorstands, aus den Schreiben des Wahlvorstands an die Leitungen verschiedener Einrichtungen vom 09.01.2012 und ebenso aus dem Aushang des Wahlvorstands vom 12.01.2012 ergibt sich, dass beabsichtigt ist, die Betriebsratswahl in der Weise durchzuführen, dass der Betrieb Interne Dienste als Hauptbetrieb angesehen wird und zahlreiche andere Einrichtungen als Betriebsteile im Sinne des § 4 Abs. 1 BetrVG angesehen werden, die gem. § 4 Abs. 1 S.2 BetrVG befugt sein sollen, aufgrund von Zuordnungsbeschlüssen gemeinsam mit dem Hauptbetrieb zu wählen. Damit ist bereits jetzt ohne jede Frage erkennbar, welche Betriebsstruktur der Wahlvorstand bei der Durchführung der Betriebsratswahl zugrunde legen will.

Es kann dahin stehen, ob schon - wie zum Teil vertreten wird - allein die nichtige Bestellung eines Wahlvorstands zwingend die Nichtigkeit der gesamten Wahl zur Folge hat (so etwa LAG Köln, B.v. 10.03.2000, 13 TaBV 9/00, LAGE BetrVG 1972, § 3 Nr.6) oder ob über die Nichtigkeit der Bestellung des Wahlvorstands hinaus zusätzliche Umstände vorliegen müssen, um die Nichtigkeit der eingeleiteten Betriebsratswahl annehmen zu können (so etwa LAG Berlin, B.v. 08.04.2003, 5 TaBV 1990/02, NZA-RR 2003, 587). Das BAG hat dies in einer jüngeren Entscheidung ausdrücklich offen gelassen (BAG B. v. 27.07.2011, 7 ABR 61/10, zit. nach juris). Auch nach dem strengeren Maßstab ist hier von einer Nichtigkeit der beabsichtigten Betriebsratswahl auszugehen. Denn sowohl die Bestellung des Wahlvorstandes als auch die beabsichtigte Durchführung der Wahl in einem „Hauptbetrieb“ erfolgt hier unter offensichtlicher Verkennung des Betriebsbegriffs.

Grundsätzlich hat die Verkennung des Betriebsbegriffs nur die Anfechtbarkeit einer entsprechend fehlerhaft erfolgten Betriebsratswahl zur Folge (Hess. LAG, B.v. 16.02.2005, 9 TaBVGa 28/05 zit. nach juris m.w.N.). Von einer Nichtigkeit der Wahl ist aber auszugehen, wenn der Betriebsbegriff offensichtlich verkannt wird. (BAG, B.v. 19.11.2003, 7 ABR 25/03, AP Nr.55 zu § 19 BetrVG 1972). Eine offensichtliche Verkennung des Betriebsbegriffs und damit Nichtigkeit der Wahl liegt etwa vor, wenn diese unter Missachtung einer bindenden Entscheidung nach § 18 Abs.2 BetrVG durchgeführt wird (BAG, B.v. 19.11.2003, 7 ABR 25/03, AP Nr.55 zu § 19 BetrVG 1972, ebenso Fitting, BetrVG-Komm., 24. A. 2008, § 19 Rz.5), Eine bindende Entscheidung ist nach der Rechtsprechung des BAG, die die Kammer überzeugt, nicht nur dann gegeben, wenn eine solche Entscheidung rechtskräftig ist (BAG, B.v. 19.11.2003, 7 ABR 25/03, AP Nr.55 zu § 19 BetrVG 1972). Das Fehlen einer Bindungswirkung ergibt sich insbesondere nicht etwa allein daraus - wie die Antragsgegner hier geltend machen - dass gegen eine solche Entscheidung eines LAG in einem Verfahren gem. § 18 Abs.2 BetrVG noch eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt ist, über die noch nicht entschieden ist, es also an der formellen Rechtskraft fehlt (ebenso BAG, B.v. 19.11.2003, 7 ABR 25/03, AP Nr.55 zu § 19 BetrVG 1972). Auch eine nicht rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in einem Verfahren nach § 18 Abs.2 BetrVG ist vielmehr von den am Verfahren Beteiligten bei der Bestimmung des Betriebsbegriffs im Hinblick auf eine bevorstehende Betriebsratswahl zu berücksichtigen. Anderes gilt, wenn sich die für die rechtliche Würdigung in dem Verfahren gem. § 18 Abs.2 BetrVG maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse in der Zwischenzeit geändert haben (BAG, B.v. 19.11.2003, 7 ABR 25/03, AP Nr.55 zu § 19 BetrVG 1972). Letzteres - eine Veränderung der tatsächlichen Umstände seit der Entscheidung des Hessischen LAG vom 01.09.2011 - ist hier von den Antragsgegnern weder behauptet noch sonst erkennbar.

Sowohl die Bestellung des Wahlvorstands als auch die Art der Durchführung der Betriebsratswahl, die der Wahlvorstand beabsichtigt, erfolgt nach den oben genannten Maßstäben und Grundsätzen unter offensichtlicher Verkennung des Betriebsbegriffes und ist damit nichtig. Zwar hat das Arbeitsgericht Frankfurt am Main mit seiner Entscheidung vom 01.10.2010 (4 BV 880/09) in dem Verfahren gem. § 18 Abs.2 BetrVG nur (entsprechend den dort gestellten Anträgen) festgestellt, dass es sich bei den verschiedenen, dort genannten Unternehmensteilen jeweils um „eine eigenständige betriebsratsfähige Organisationseinheit im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes“ handele. Diesen Beschluss hat dann das Hessische LAG am 01.09.2011 bestätigt (9 TaBV 16/11). Jedoch überzeugt es nicht, wenn die Antragsgegner- darauf Bezug nehmend - damit argumentieren, auch Betriebsteile, die die Voraussetzung des § 4 Abs.1 BetrVG erfüllten, seien eine „eigenständige betriebsfähige Organisationseinheit im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes", daher weiche man von der Entscheidung des Arbeitsgerichts und des LAG im Verfahren gem. § 18 Abs.2 BetrVG doch gar nicht ab. Das Hessische LAG hat in dem genannten Beschluss vom 01.09.2011 in den Gründen mehrfach und unmissverständlich klar gestellt, dass es sich bei den verschiedenen Unternehmensteilen um jeweils eigenständige Betriebe im Sinne des § 1 Abs.1 BetrVG handelt und ausdrücklich nicht um Betriebsteile. Dabei hat es sich auf die Ergebnisse der umfassenden Beweisaufnahme des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main bezogen und diesen Umstand als eindeutiges Ergebnis der Beweisaufnahme erkannt. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass auch aus einigen von den Antragsgegnern überreichten Protokollen der Beschäftigtenversammlungen in den verschiedenen Einrichtungen klar hervorgeht, dass die hier am Verfahren beteiligten Mitglieder des Wahlvorstands den LAG Beschluss auch genau so (und richtig) verstanden haben. So hat etwa der Beteiligte zu 8 als Versammlungsleiter der Beschäftigtenversammlung im ... am 2. November 2011 im Protokoll folgendes festgehalten: „1. (....) 2. Kurze Einleitung zum LAG-Urteil und dessen Konsequenzen für das ... ist einer von 14 Betrieben im Verband“. Entsprechend hat auch die Vorsitzende des Betriebsrats ein Protokoll der Beschäftigtenversammlung im Bereich „Ambulante Dienste“ vom 01. November 2011 unterzeichnet, in dem es unter anderem heißt: „2. Kurze Einleitung zum LAG-Urteil und dessen Konsequenzen FB Ambulante Dienste ist einer von 14 Betrieben“. Weiter heißt es dort unter Ziffer 12: „(....) ALLES, was wir heute beschließen, gilt nur bis zu diesem neuen Wahltermin Mai 2014, der bundesweit einzuhalten ist! Dann werden die Karten auf Grundlage des LAG-Urteils (14 Betriebe) völlig neu gemischt!“.

Nur Betriebsteile, nicht aber selbständige Betriebe können nach § 4 Abs.1 S.2 BetrVG verfahren. Es kann auch nicht etwa ein Betrieb sich selbst zum Betriebsteil herabstufen, um - aus welchen guten Gründen auch immer - mit einem „Hauptbetrieb“ mit zu wählen. Eine unternehmensübergreifende gemeinsame Wahl verschiedener selbständiger Betriebe ist nur nach den Maßgaben des § 3 BetrVG zulässig und scheiterte hier auch schon daran, dass in einzelnen Betrieben des Unternehmens bereits Betriebsräte gewählt sind.

bb) Es besteht auch ein Verfügungsgrund. Dieser ergibt sich aus der Kürze der Zeit bis zur Durchführung der Betriebsratswahl. Die Wahl des Betriebsrats ist für Anfang Februar 2012 geplant. Dies hat die Vorsitzende des Betriebsrats in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 12.12.2011 in dem beigezogenen Verfahren 24 BVGa991/11 erklärt.

b) Dem Beteiligten zu 7 war in seiner Funktion als Vorsitzender des Wahlausschusses entsprechend dem Antrag Ziffer 2 ein Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten anzudrohen, § 890 Abs.1, Abs.2 ZPO. Die Voraussetzungen hierfür lagen vor.

c) Im Übrigen sind die Anträge unbegründet.

Der Antrag Ziffer 1 ist unbegründet, soweit er auch die Unterlassungsverfügung gegenüber den Beteiligten zu 6 bis 10 persönlich begehrt. Ein Verfügungsanspruch gegenüber den einzelnen Mitgliedern des Wahlvorstands persönlich ist nicht gegeben. Handelnd ist hier der Wahlvorstand als gesetzlich vorgesehenes Gremium, dessen Aufgabe gem. § 18 Abs.1 BetrVG die Einleitung und Durchführung der Betriebsratswahl ist. Handelnd sind nicht die Wahlvorstandsmitglieder individuell. Insofern kann auch die Pflicht zur Unterlassung von Handlungen im Zusammenhang mit den Aufgaben gem. § 18 Abs.1 BetrVG nur gegenüber dem Wahlvorstand als Ganzem statuiert werden. Ein Verfügungsanspruch gegenüber der Beteiligten zu 10, die nicht mehr Mitglied des Wahlvorstands ist, besteht ebenso wenig. Damit kommt auch die Androhung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft gegenüber den Beteiligten zu 6 bis 10, wie mit dem Antrag Ziffer 3 beantragt, nicht in Betracht.

Eine Kostenentscheidung ergeht gem. § 2 Abs.2 GKG nicht.



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