Arbeitsgericht Frankfurt

Urteil vom - Az: 14 Ca 5546/09

Ungleichbehandlung bei Sozialplan; Fahrtkostenzuschuss

Die Betriebsparteien haben bei Sozialplänen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 I S.1 BetrVG zu beachten, dem wiederum der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zugrunde liegt.
Wird im Sozialplan ein Fahrtkostenzuschuss nur für diejenigen Arbeitnehmer, die unkündbar sind und/oder versetzt werden, vereinbart und somit die übrigen Arbeitnehmer, die z.B. erst nach gewonnenem Kündigungsschutzprozess ebenfalls versetzt werden, keinen Anspruch auf den Zuschuss erlangen, so liegt eine unzulässige Gruppenbildung und damit eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vor.
Wird der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, können die benachteiligten Arbeitnehmer grundsätzlich Gleichbehandlung mit den begünstigten Arbeitnehmern verlangen.

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 600,00 EUR (in Worten: Sechshundert und 00/100 Euro) netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 150,00 EUR (in Worten: Hundertfünfzig und 00/100 Euro) netto seit dem 16. Juni 2009, seit dem 16. Juli 2009, seit dem 16. August 2009 und seit dem 16. September 2009 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für die Monate September 2009 bis einschließlich März 2010 einen monatlichen Fahrtkostenzuschuss in Höhe von 150,00 EUR (in Worten: Hundertfünfzig und 00/100 Euro) netto zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben zu 15 % der Kläger und zu 85 % die Beklagte zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf € 1.650,- festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Zahlung eines Fahrtkostenzuschusses.

Der am 13. April 1970 geborene Kläger ist auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 2. März 1999 seit dem 27. August 1998 bei der Beklagten bzw. bei deren Rechtsvorgängerin als Innenreiniger beschäftigt. Der Arbeitsvertrag vom 2. März 1999 enthält in Ziff. 15 einen Verweis auf die Tarifverträge für das Gebäudereinigerhandwerk.

Die Beklagte betreibt ein Reinigungsunternehmen. In ihrer Niederlassung Frankfurt am Main waren etwa 1.200 Mitarbeiter beschäftigt. Von dort setzte sie Reinigungskräfte in verschiedenen Objekten, ua. in Hanau ein. Auch der Kläger wurde von der Beklagten ursprünglich in Hanau eingesetzt. Die Reinigungsobjekte der Beklagten in Hanau ... ... und "..." gerieten zum 31. März 2008 auf Grund des Verlusts der Aufträge in Wegfall.

Unter dem 19. Februar 2008 schloss die Beklagte mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste und einen Sozialplan (Bl. 3 ff. d. A.), der auszugsweise die folgenden Bestimmungen enthält und auf den im Übrigen verwiesen wird:

"...

§ 1

Geltungsbereich

...

2. Anspruchsberechtigt aus dem Sozialplan sind Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis durch betriebsbedingte Kündigung oder betrieblich veranlassten Aufhebungsvertrag oder betrieblich veranlasste Eigenkündigung (in der Freistellungsphase) enden und Ursache der Beendigung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die im Interessenausgleich genannten Maßnahmen sind. Darin eingeschlossen sind auch diejenigen Mitarbeiter, welche über die betriebliche Jobbörse gem. § 9 des Interessenausgleichs eine Anschlussbeschäftigung vor Ablauf der Kündigungsfrist erhalten (für diesen Fall gelten die Bestimmungen des Sozialplans analog).

...

§ 4

Sonstiger Ausgleich von Nachteilen

Unkündbare und von Versetzungen betroffene Mitarbeiter erhalten als Ausgleich einen pauschalen Fahrtkostenzuschuss in Höhe von € 150 monatlich. Ausgenommen sind Mitarbeiter, die einen Dienstwagen einschließlich privater Nutzung zur Verfügung gestellt bekommen. Die Abrechnung erfolgt nach den jeweils gültigen steuerrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften. Der Fahrtkostenzuschuss wird letztmalig für den Monat März 2010 geleistet.

..."

Zum Zeitpunkt des Abschlusses von Interessenausgleich und Sozialplan war beabsichtigt, allen Arbeitnehmern mit Ausnahme der unkündbaren zu kündigen.

Die Beklagte kündigte in der Folge ca. 161 Arbeitsverhältnisse der in den ... und ... ... eingesetzten Reinigungskräfte. Auch der Kläger erhielt unter dem 28. Januar 2008 und dem 21. Februar 2008 betriebsbedingte Kündigungen, gegen die er sich in dem Vorverfahren 14/8 Ca 1022/08 erfolgreich wandte. Der Kläger wurde von der Beklagten in der Folgezeit in deren Objekt, ... in Bad Vilbel eingesetzt.

Der Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 4. Oktober 2003 ("RTV") enthält in § 22 unter "Ausschlussfristen" die folgende Regelung:

"Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 2 Monaten nach der Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.

Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von 2 Wochen nach der Geltendmachung des Anspruches, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von 2 Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird."

Der RTV enthält in § 8 auszugsweise die folgende Regelung:

"1. Der Lohn für geleistete Arbeit ist nach dem betrieblichen Abrechnungszeitraum, längstens jedoch monatlich, zu zahlen ...

2. Ist die Lohnperiode der Kalendermonat, so wird der Lohn spätestens am 15. des folgenden Monats fällig.

..."

Mit seiner am 30. Juni 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 18. Juli 2009 zugestellten Klage macht der Kläger den Fahrtkostenzuschuss nach § 4 des Sozialplans vom 19. Februar 2008 für den Zeitraum Mai und Juni 2009 sowie ausstehende Fahrtkosten bis einschließlich März 2010 geltend. Mit Klage erweiterndem Schriftsatz vom 18. August 2009 hat der Kläger auch die Ansprüche für die Monate Juli bis September 2009 beziffert geltend gemacht.

Der Kläger hat über die im Kammertermin vom 14. Oktober 2009 gestellten Klageanträge hinaus ursprünglich noch Anträge auf Zahlung von Fahrtkostenzuschuss in Höhe von jeweils € 150,00 netto für die Monate März 2009 und April 2009 angekündigt. Diese Anträge hat der Kläger im Kammertermin vom 14. Oktober 2009 zurückgenommen.

Der Kläger beantragt nunmehr,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 600,00 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils € 150,00 netto seit dem 16. Juni 2009, seit dem 16. Juli 2009, seit dem 16. August 2009 und seit dem 16. September 2009 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Monate September 2009 bis einschließlich März 2010 einen monatlichen Fahrtkostenzuschuss in Höhe von € 150,00 netto zu zahlen.

Die Beklagte beantragt ,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, § 4 des Sozialplans sei nicht auf den Kläger anwendbar. Er gelte nur für Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt seines Abschlusses aus Sicht der Betriebspartner hätten im Betrieb verbleiben sollen.

Wegen des weiteren Sachvortrages der Parteien, ihrer Beweisantritte und der von ihnen überreichten Unterlagen sowie ihrer Rechtsausführungen im Übrigen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen (§ 313 Abs. 2 ZPO).

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Der Kläger kann von der Beklagten für den Zeitraum Mai 2009 bis einschließlich März 2010 einen Fahrtkostenzuschuss nach § 4 des Sozialplans vom 19. Februar 2008 verlangen. Im Einzelnen:

I.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Fahrtkostenzuschuss nach § 4 des Sozialplans vom 19. Februar 2008 dem Grunde und der Höhe nach zu. Er kann von der Beklagten einen Fahrtkostenzuschuss von € 150,00 monatlich für den Zeitraum Mai 2009 bis einschließlich März 2010 verlangen. Die Ansprüche sind nicht nach § 22 RTV verfallen.

1. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Fahrtkostenzuschuss nach § 4 des Sozialplans vom 19. Februar 2008 zu. Nach § 4 des Sozialplans erhalten zwar nur unkündbare und von Versetzung betroffene Mitarbeiter einen pauschalen Fahrtkostenzuschuss in Höhe von € 150,00 monatlich. Diese Regelung verstößt aber gegen das an die Betriebsparteien gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gerichtete Gebot, die Grundsätze von Recht und Billigkeit zu beachten.

a) § 4 des Sozialplanes vom 19. Februar 2008 ist zunächst nicht dahingehend auszulegen, dass hiervon auch gekündigte und nach Obsiegen im Kündigungsschutzprozess von Versetzung betroffene Arbeitnehmer erfasst sind. Die Betriebsparteien gingen bei Abschluss des Sozialplanes davon aus, dass bis auf die "unkündbaren" Arbeitnehmer (beispielsweise Betriebsratsmitglieder) alle in den Objekten ... ... beschäftigten Reinigungskräften gekündigt werden sollte. § 4 des Sozialplans kann vor diesem Hintergrund nur so verstanden werden, dass er eine Regelung für die aus Sicht der Betriebspartner zu diesem Zeitpunkt im Betrieb verbleibenden Arbeitnehmer beinhalten sollte, dh. all diejenigen Arbeitnehmer, denen gegenüber keine Kündigung ausgesprochen wurde und die daher von einer Versetzung in ein anderes Objekt betroffen waren. Dies bringt auch der Wortlaut "Unkündbare und von Versetzung betroffene Mitarbeiter" zum Ausdruck. Anderenfalls hätten die Betriebspartner das Bindewort "oder" verwandt, das in diesem Fall dann zwei alternative Voraussetzungen für den Erhalt des Fahrtkostenzuschusses aufgestellt hätte.

b) Der Sozialplan vom 19. Februar 2008 verstößt aber gegen das an die Betriebsparteien gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gerichtete Gebot, die Grundsätze von Recht und Billigkeit zu beachten.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts haben die Betriebsparteien bei der Aufstellung eines Sozialplans einen weiten Spielraum für die Bestimmung des angemessenen Ausgleichs der mit einer Betriebsänderung verbundenen Nachteile. Sie können grundsätzlich frei darüber entscheiden, ob, in welchem Umfang und in welcher Weise sie die wirtschaftlichen Nachteile ausgleichen oder mildern wollen. Sie können von einem Nachteilsausgleich auch gänzlich absehen und bei ihrer Regelung nach der Vermeidbarkeit der Nachteile unterscheiden (vgl. BAG 21. Oktober 2003 - 1 AZR 407/02 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 63; BAG 12. November 2002 - 1 AZR 58/02 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 159) . Die Betriebsparteien haben allerdings bei Sozialplänen - wie auch sonst bei Betriebsvereinbarungen - den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu beachten, dem wiederum der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zugrunde liegt (BAG 31. Mai 2005 - 1 AZR 254/04 - AP Nr 175 zu § 112 BetrVG 1972) . Er zielt darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Maßgeblich für das Vorliegen eines die Bildung unterschiedlicher Gruppen rechtfertigenden Sachgrunds ist vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck (BAG 22. März 2005 - 1 AZR 49/04 - AP BetrVG 1972 § 75 Nr. 48) .

bb) Macht ein Sozialplan einen Fahrtkostenzuschuss von der Versetzung eines unkündbaren Arbeitnehmers abhängig, erfolgt eine Gruppenbildung, welche die Anwendung des Gleichheitssatzes ermöglicht und gebietet. Die Arbeitnehmer, welche eine erfolgreiche Kündigungsschutzklage erheben und auf Grund des Auftragsverlusts nach dem Obsiegen im Kündigungsschutzprozess ebenfalls in ein anderes Objekt außerhalb Hanaus versetzt werden, werden hinsichtlich des Fahrtkostenzuschusses schlechter behandelt als diejenigen Arbeitnehmer, die zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung versetzt worden sind. Denn nach dem Normzweck des § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dient der Sozialplan dem Ausgleich und der Überbrückung der - künftigen - Nachteile, die durch eine geplante Betriebsänderung entstehen können (vgl. BAG 21. Oktober 2003 - 1 AZR 407/02 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 63; BAG 12. November 2002 - 1 AZR 58/02 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 159) . Die künftigen Nachteile (zB. höhere Fahrtkosten und längere Wegezeiten), welchen die Betriebsparteien mit § 4 des Sozialplans vom 19. Februar 2008 begegnen wollten, entstehen dem nach Obsiegen im Kündigungsschutzprozess versetzten Arbeitnehmer aber in gleichem Maße wie dem zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung versetzten Arbeitnehmer.

Eine Ungleichbehandlung ist daher nach dem Sinn und Zweck des Sozialplans sachlich nicht gerechtfertigt.

c) Wird der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, können die benachteiligten Arbeitnehmer grundsätzlich Gleichbehandlung mit den begünstigten Arbeitnehmern verlangen. Die damit verbundene Erhöhung des Sozialplanvolumens ist dann hinzunehmen, wenn die Mehrbelastung des Arbeitgebers durch die Korrektur im Verhältnis zum Gesamtvolumen nicht ins Gewicht fällt. Auf die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer kommt es nicht an (vgl. BAG 21. Oktober 2003 - 1 AZR 407/02 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 163 mwN) . Eine unzumutbare Belastung durch den auf März 2010 begrenzten Fahrtkostenzuschuss hat die Beklagte nicht geltend gemacht.

Der Kläger kann daher für den Zeitraum Mai 2009 bis einschließlich März 2010 einen Fahrtkostenzuschuss in Höhe von € 150,00 monatlich nach § 4 des Sozialplanes vom 19. Februar 2008 verlangen.

2. Die Ansprüche sind nicht nach § 22 RTV verfallen. Der Anspruch für den Monat Mai 2009 war am 15. Juni 2009 fällig. Die erste und zweite Stufe nach § 22 RTV wurde mit der am 18. Juli 2009 zugestellten Klage gewahrt. Der Anspruch für den Monat Juni 2009 war am 15. Juli 2009 fällig. Die erste und zweite Stufe nach § 22 RTV wurde mit der am 18. Juli 2009 zugestellten Klage gewahrt. Ebenfalls gewahrt wurde die Frist für die nachfolgenden Ansprüche bis März 2010, welche bereits vor Fälligkeit mit der Klage nach § 259 ZPO geltend gemacht worden sind.

3. Der Zinsanspruch folgt aus § 8 Abs. 2 RTV iVm. §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO iVm. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG. Danach hat die Beklagte die auf die Klageanträge zu 1. und zu 2. entfallenden Kosten zu tragen. Dem Kläger sind die auf die Klagerücknahme entfallenden Kosten aufzuerlegen.

Bei der Streitwertfestsetzung werden der Klageantrag zu 1. in Höhe der Klageforderung und der Klageantrag zu 2. in der Höhe des bis März 2010 zu zahlen Fahrtkostenzuschusses berücksichtigt.

 



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