Arbeitsgericht Frankfurt

Urteil vom - Az: 7 Ca 1549/11

Pflichten der Arbeitnehmerin bei Arbeitsunfähigkeit; "Teilarbeitsunfähigkeit"; Warnfunktion der Abmahnung

1. Eine arbeitsvertragliche Vereinbarung wonach die Arbeitnehmerin verpflichtet ist, bei einer mehr als 15 Arbeitstage dauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit den behandelnden Arzt zur weiteren Auskunftserteilung gegenüber dem Arbeitgeber von der Schweigepflicht zu entbinden und sich auf Aufforderung von einem von dem Arbeitgeber zu bestimmenden Facharzt auf ihre Arbeitsfähigkeit untersuchen zu lassen, ist unwirksam.
2. Die Arbeitnehmerin ist nicht verplichtet eine "Teilarbeitsunfähigkeitbescheinigung" vorzulegen, aus der ersichtlich sein soll, in welchem Umfang sie arbeitsunfähig ist. Arbeitsrechtlich macht es keinen Unterschied, ob die Arbeitnehmerin durch eine Erkrankung voll oder teilweise arbeitsunfähig wird.
2. Damit eine Abmahnung ihre Warnfunktion erfüllt, muss sie dem Arbeitnehmer für den Wiederholungsfall die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Augen führen. Die Androhung "weiterer arbeitsrechtlicher Schritte" genügt dazu nicht.

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 184,13 (in Worten: Hundertvierundachtzig und 13/100 Euro) brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.04.2011 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere € 1.427,00 (in Worten: Eintausendvierhundertsiebenundzwanzig Euro) brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes II in Höhe von € 832,00 (in Worten: Achthundertzweiunddreißig Euro) netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag ab dem 01.05.2011 zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, bei einer mehr als 15 Arbeitstage dauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit behandelnde bzw. untersuchende Ärzte zur weiteren Auskunftserteilung gegen der Beklagten von der Schweigepflicht zu entbinden und sich auf Aufforderung von einem von der Beklagten zu bestimmenden Facharzt auf ihre Arbeitsunfähigkeit untersuchen zu lassen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, die beiden jeweils mit Schreiben vom 03.03.2011 gegenüber der Klägerin ausgesprochenen Abmahnungen aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

5. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien je zur Hälfte.

6. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf € 5.279,13 festgesetzt.

7. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten zuletzt über Vergütung während eines Beschäftigungsverbots aufgrund des MuSchG, die arbeitsvertraglichen Verpflichtungen der Klägerin bei Erkrankung und über zwei Abmahnungen der Beklagten.

Die Beklagte ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), bestehend aus zwei Rechtsanwälten, den Herren ... und ..., aus ...

Die Klägerin, geb. am ..., ist bei der Beklagten seit dem 16.09.2010 als Rechtsanwaltsfachangestellte zu einem monatlichen Bruttogehalt i.H.v. € 1.427.-- zzgl. einer Fahrtkostenpauschale i.H.v. € 73,00, durchschnittlich also mit € 1.500.--, beschäftigt. Der Lohn ist fällig zum Monatsende. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist ein „Arbeitsvertrag“ zwischen den Parteien vom 25.08.2010 (siehe Bl. 10-13, 24-27 d. A.), der auszugsweise wie folgt lautet:

 „§ 7 Arbeitsunfähigkeit

Die Arbeitnehmerin verpflichtet sich, eintretende Arbeitsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen und am 2. Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen, die den voraussichtlichen zeitlichen und den tatsächlichen Umfang der Arbeitsunfähigkeit ausweist. Sie verpflichtet sich, bei einer mehr als 15 Arbeitstage dauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit behandelnde bzw. untersuchende Ärzte zur weiteren Auskunftserteilung gegenüber den Arbeitgebern von der Schweigepflicht zu entbinden und sich auf Aufforderung von einem von den Arbeitgebern zu bestimmenden Facharzt auf ihre Arbeitsfähigkeit untersuchen zu lassen.“

Die Klägerin war vom 21.12.2010 bis zum 04.02.2011 arbeitsunfähig erkrankt, unter anderem wegen starker Unterbauchbeschwerden.

Spätestens seit dem 25.01.2011 wusste die Beklagte von der Schwangerschaft der Klägerin, die diese der Beklagten zuvor angezeigt hatte.

Am 27.01.2011 übersandte die Klägerin an die Beklagte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 04.02.2011.

Mit Schreiben vom 31.01.2011 forderte der Gesellschafter der Beklagten, Rechtsanwalt ..., die Klägerin unter Hinweis auf § 7 des Arbeitsvertrages auf, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hereinzugeben, die u. a. den tatsächlichen Umfang der Arbeitsunfähigkeit dokumentiert (siehe Bl. 4 d. A.).

Vom 07.02. bis zum 18.02.2011 arbeitete die Klägerin bei der Beklagten.

Ab dem 21.02.2011 erkrankte die Klägerin erneut ausweislich einer Erstbescheinigung (Bl. 36, 40 d. A.) zunächst bis zum 04.03.2011.

Mit Schreiben vom 22.02.2011 erinnerte der Gesellschafter der Beklagten, Rechtsanwalt ..., die Klägerin daran, eine „qualifizierte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ hereinzureichen, da „Schmerzen in der linken Hand“ nicht bedeuten würde, dass die Klägerin „in einem Anwaltsbüro für 14 Tage arbeitsunfähig“ sei, da die Klägerin „z.B. das Telefon bedienen“ könne (siehe Bl. 3 d. A.).

Mit E-Mail vom 28.02.2011 lehnte die Klägerin gegenüber der Beklagten ...dies ab, weil sie - nach anwaltlicher Beratung - die zugrunde liegende arbeitsvertragliche Regelung für sittenwidrig und damit für rechtsunwirksam halten würde (siehe Bl. 2 d. A.).

Am 01.03.2011 befand sich die Klägerin in der 17. Schwangerschaftswoche.

In einer E-Mail an den Gesellschafter der Beklagten, Rechtsanwalt ..., vom 02.03.2011 (siehe Bl. 25-26 d. A.) schrieb die Klägerin u. a. das Folgende:

 „[...]

ich habe Frau ..., meiner Kollegin, nicht gesagt, ich hätte in gutes Wochenende gehabt und sie hat auch meine rechte Hand gesehen, nicht die linke, welche geschwollen und blau unterlaufen war, wie Sie in Ihrem Schreiben vom 22.02.2011 ausführten. Dass Frau ... solche Behauptungen an den Tag legt ist frei erfunden und bestätigt nur den Frust den sie jetzt meinetwegen leider hat. Wenn diese dieser Meinung ist, ist dies frei erfunden und erlogen!

Wie dieser auf die Behauptung kommt, meine behandelnden Ärzte würden eine Arbeitsunfähigkeit verneinen und dieses nicht ausstellen ist aus der Luft gegriffen. Ich habe ihm erklärt, dass ich meine behandelnden Ärzte angewiesen habe, mir eine solche Bescheinigung auszustellen, die detailliert umfasst, welche Arbeiten ich als Rechtsanwaltsgehilfin verrichten kann, wurden dies von diesen verneint. Aus dem einfachen Grund, da mir eine volle Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt wurde. Und wenn so eine Arbeitsunfähigkeit eines Mediziners ausgesprochen wurde, ist man ARBEITSUNFÄHIG.

 [...]“.

Mit Schreiben vom 03.03.2011, das ausweislich des Eintrages „Personalakte-1257/00“ bei „Unser Zeichen“ zur Personalakte gelangt ist, mahnte die Beklagte, vertreten durch Rechtsanwalt ..., die Klägerin ab, weil sie der „arbeitsvertraglich vereinbarte Mitteilung über Art und Umfang einer eventuellen Arbeitsunfähigkeit“ nicht nachgekommen sei (Bl. 28-29 d. A.). Wörtlich führt die Beklagte aus:

 „[...] Ihnen ist bekannt und wir haben dies wiederholt erläutert, dass nicht jeder negative oder pathologische gesundheitliche Anlass dazu führt, von vollständiger Arbeitsunfähigkeit auszugehen, wenn Tätigkeiten ausgeführt werden können, die nicht zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung führen. [...], ob vollkommene oder partielle Arbeitsunfähigkeit und bei Letzterer gegebenenfalls in welchem Umfang besteht.“

Mit einem weiterem Schreiben vom 03.03.2011, das ausweislich des Eintrages „Personalakte-1257/00“ bei „Unser Zeichen“ zur Personalakte gelangt ist, mahnte die Beklagte, vertreten durch Rechtsanwalt ..., die Klägerin wegen folgender Ausführungen in der E-Mail vom 02.03.2011 ab: „[...] ist frei erfunden. [...] ist dies frei erfunden und erlogen. [...] diese nicht ausstellen ist aus der Luft gegriffen.“ Die Beklagte ist der Ansicht, dass „solche Fehlgriffe im Umgangston gegenüber Mitarbeiterinnen“ zukünftig zu unterlassen sind (Bl. 27 d. A.). Wörtlich führt die Beklagte sodann aus:

 „Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass wir im Wiederholungsfall weitere arbeitsrechtliche Konsequenzen ziehen werden.“

Am 28.03.2011 sprach der die Klägerin behandelnde Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Dr. med. ...aus ..., ein generelles Beschäftigungsverbot für die Klägerin für die gesamte Schwangerschaft aus (Bl. 37, 41 d. A.).

Für den Zeitraum vom 28.03 bis zum 31.03.2011 erhielt die Klägerin keine Zahlungen durch die Beklagte (siehe Bl. 85, 88 d. A.).

Im April 2011 bezog die Klägerin gemäß SGB II sog. „Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“ i.H.v. insgesamt € 832,00 netto (siehe den Bewilligungsbescheid vom 04.04.2011, Bl. 53-55, 60-62a d. A.). Das Gehalt für den Monat April 2011 i.H.v. € 1.427.-- brutto zahlte die Beklagte bisher ebenfalls nicht aus (siehe Bl. 85, 88 d. A.). Allerdings erhielt die Klägerin eine Entgeltabrechnung für diesen Monat.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass ihr für die 4 Tage im März 2011 € 184,13 brutto (= € 1.427.-- / 31 x 4) zustünden (siehe Bl. 85, 88 d. A.).

Unter Rücknahme der Klage im Übrigen beantragt die Klägerin zuletzt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 184,13 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 1. April 2011 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere € 1.427,00 brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes II in Höhe von € 832,00 netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag ab dem 1. Mai 2011 zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, bei einer mehr als 15 Arbeitstage dauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit behandelnde bzw. untersuchende Ärzte zur weiteren Auskunftserteilung gegenüber der Beklagten von der Schweigepflicht zu entbinden und sich auf Aufforderung von einem von der Beklagten zu bestimmenden Facharzt auf ihre Arbeitsfähigkeit untersuchen zu lassen;

4. die Beklagte zu verurteilen, die beiden jeweils mit Schreiben vom 3. März 2011 gegenüber der Klägerin ausgesprochenen Abmahnungen aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, dass § 7 des Arbeitsvertrages individuell ausgehandelt und mit der Klägerin im Einzelnen besprochen worden sei (Bl. 46 d. A.). Ferner behauptet sie, dass bei ihr keine Personalakten existieren würden. Soweit es § 7 des Arbeitsvertrages betrifft, ist die Beklagte der Ansicht, das nicht jede Erkrankung in einem Anwaltsbüro zu genereller Arbeitsunfähigkeit führen würde, so könnte die Klägerin bspw. bei einer Sehnenscheidenentzündung am linken Unterarm sehr wohl am Empfang tätig sein oder das Telefon mit der rechten Hand bedienen (Bl. 47 d. A.).

Die Klage wurde am 01.03.2011 beim ... erhoben und der Beklagten am 07.03.2011 (Bl. 15 d. A.) zugestellt und zwischenzeitlich mehrfach erweitert. Die Klägerin hat zwischenzeitlich, auch in den Terminen zur mündlichen Verhandlungen, mehrere (verdeckte) Teilklagerücknahmen erklärt. Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, ihre Beweisantritte und die von ihnen eingereichten Unterlagen und damit auf den Akteninhalt einschließlich der Sitzungsniederschriften Bezug genommen (§ 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

Entscheidungsgründe

Die zulässige (Rest-)Klage ist begründet, so dass ihr stattzugeben ist.

I. Die Klage ist zulässig. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist für die Klageanträge gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a.) ArbGG gegeben, da es sich um Ansprüche aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis handelt. Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus § 48 Abs. 1a ArbGG, da der regelmäßige Arbeitsort der Klägerin in ... . Beim Klageantrag handelt es sich um ein gegenwärtiges feststellungsfähiges Rechtsverhältnis, ob die Klägerin gemäß § 7 Satz 2 des Arbeitsvertrages verpflichtet ist, bei einer mehr als 15 Arbeitstage dauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit behandelnde bzw. untersuchende Ärzte zur weiteren Auskunftserteilung gegenüber den Arbeitgebern von der Schweigepflicht zu entbinden und sich auf Aufforderung von einem von den Arbeitgebern zu bestimmenden Facharzt auf ihre Arbeitsfähigkeit untersuchen zu lassen. Das Feststellungsinteresse iSv. § 256 Abs. 1 ZPO ergibt sich bereits daraus, dass die Klägerin arbeitsrechtliche Sanktionen (z.B. Abmahnung/Kündigung) im Falle des Nichtbefolgens dieser Regelung vermeiden möchte.

II. Der Klageantrag zu Ziff. 1 ist begründet. Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 28.03 bis zum 31.03.2011 (= 4 Tage) einen Anspruch auf Zahlung gegenüber der Beklagten i.H.v. € 184,13 brutto (= € 1.427.-- / 31 x 4). Angesichts des generellen Beschäftigungsverbots gemäß § 3 Abs. 1 MuSchG ergibt sich dieser Anspruch aus § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG i.V.m. dem Arbeitsvertrag der Parteien, wobei die Klägerin den Durchschnittsverdienst jedenfalls nicht überhöht angegeben hat (§ 308 ZPO). Die Beklagte ihrerseits hat einen Erfüllungseinwand (§ 362 BGB) nicht geltend gemacht. Der Zinsanspruch ergibt sich in der geltend gemachten Höhe aus §§ 286, 288 BGB, da die Hauptforderung zum 31.03.2011 fällig wurde.

III. Der Klageantrag zu Ziff. 2 ist begründet. Die Klägerin hat für den Monat April 2011 einen Anspruch auf Zahlung gegenüber der Beklagten i.H.v. € 1.427.-- brutto, entsprechend einem Monatsgehalt. Angesichts des generellen Beschäftigungsverbots gemäß § 3 Abs. 1 MuSchG ergibt sich dieser Anspruch aus § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG i.V.m. dem Arbeitsvertrag der Parteien. Die Beklagte ihrerseits hat einen Erfüllungseinwand (§ 362 BGB) nicht geltend gemacht. Allein die Übersendung einer Entgeltabrechnung für den Monat begründet keine tatsächliche Zahlung eines Geldbetrages. Angesichts von § 115 SGB IX sind die Sozialleistungen, die die Klägerin im relevanten Zeitraum bezogen hat, vorliegend € 832.-- netto, in Abzug zu bringen, da es insofern an der Aktivlegitimation der Klägerin fehlt. Der Zinsanspruch ergibt sich in der geltend gemachten Höhe aus §§ 286, 288 BGB, da die Hauptforderung zum 30.04.2011 fällig wurde.

IV. Der Feststellungsantrag zu Ziff. 3 ist ebenfalls begründet, da die in § 7 Satz 2 des Arbeitsvertrages zwischen den Parteien vom 25.08.2010 enthaltene Verpflichtung, bei einer mehr als 15 Arbeitstage dauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit behandelnde bzw. untersuchende Ärzte zur weiteren Auskunftserteilung gegenüber den Arbeitgebern von der Schweigepflicht zu entbinden und sich auf Aufforderung von einem von den Arbeitgebern zu bestimmenden Facharzt auf ihre Arbeitsfähigkeit untersuchen zu lassen, unwirksam ist. Die Klausel verstößt zunächst gegen das verfassungsrechtlich verbürgte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, da zum einen die freie Arztwahl der Klägerin eingeschränkt und zum anderen die Entbindung von der Schweigepflicht des von der Beklagten (!) benannten Arztes nicht eingegrenzt ist und kein Rechtfertigungsgrund für einen derartigen Grundrechtseingriff zu erkennen ist. Des Weiteren verstößt die Regelung gegen § 12 EFZG, denn die Beklagte macht mit der Regelung den Anspruch der Klägerin auf Entgeltfortzahlung (ab dem 15. Tag) von weiteren Voraussetzungen abhängig, die sich nicht aus dem Gesetz ergeben und die mit der Unabdingbarkeit gemäß § 12 EFZG nicht zu vereinbaren sind. Des Weiteren verstößt die Regelung gegen das - auch einfachrechtlich verbürgte - Recht auf freie Arztwahl, wie es § 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V statuiert und wovon auch § 5 EFZG ausgeht. Eine Durchbrechung dieses Rechts gibt es nach dem Willen des Gesetzgebers nur durch das Verfahren gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 3b SGB V, wenn Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestehen. Dann ist eine Untersuchung durch den ...zu veranlassen. Eine Verpflichtung der Klägerin auf Untersuchung bei einem von der Beklagten benannten Arzt (deren Vertrauens) verstößt gegen diese gesetzliches Regelungsgefüge (siehe zum Gesamten: Preis, Der Arbeitsvertrag, 3. Aufl., Köln, 2009, Teil II, Kapitel G 30, Rz. 15, S. 949).

V. Der Klageantrag zu Ziff. 4 ist ebenfalls bezüglich der beiden Abmahnungen der Beklagten vom 03.03.2011 begründet. Nach der der ständigen Rechtsprechung des BAG kann der Arbeitnehmer in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte verlangen (vgl. zuletzt BAG, Urt. v. 23.6.2009 - 2 AZR 606/08, NZA 2009, 1011). Bei einer Abmahnung, die nunmehr in § 314 Abs. 2 BGB gesetzlich verankert wurde, handelt es sich um die Ausübung eines arbeitsvertraglichen Gläubigerrechts durch den Arbeitgeber. Als Gläubiger der Arbeitsleistung weist er den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen vertragliche Pflichten hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam (Rügefunktion). Zugleich fordert er ihn für die Zukunft zu einem Vertragstreuen Verhalten auf und kündigt, wenn ihm dies angebracht erscheint, individualrechtliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung an (Warnfunktion). Eine solche missbilligende Äußerung des Arbeitgebers in Form einer Abmahnung ist geeignet, den Arbeitnehmer in seinem beruflichen Fortkommen und seinem Persönlichkeitsrecht zu beeinträchtigen. Deshalb kann der Arbeitnehmer die Beseitigung dieser Beeinträchtigung verlangen, wenn die Abmahnung formell nicht ordnungsgemäß zu Stande gekommen ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt oder kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr besteht (vgl. zuletzt BAG, Urt. v. 23.6.2009 - 2 AZR 606/08, NZA 2009, 1011 [1011 f.]).

a) Hieran gemessen ist zunächst die Abmahnung vom 03.03.2011 betreffend die Nichtvorlage einer sog. „qualifizierten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ gemäß § 7 Satz 1 des Arbeitsvertrages zwischen den Parteien vom 25.08.2010 unwirksam, da die Klägerin keine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung begangen hat. Die Regelung in § 7 Satz 1 des Arbeitsvertrages, soweit es den tatsächlichen Umfang der Arbeitsunfähigkeit betrifft, verstößt - unabhängig von der Frage, ob es sich um eine AGB handelt - gegen § 12 EFZG, weil die Beklagte erkennbar die Entgeltfortzahlung von einer Voraussetzung abhängig macht, die das EFZG nicht kennt. Zwar gibt es sozialversicherungsrechtlich - siehe § 74 SGB V - eine sog. Teilarbeitsunfähigkeit, die aber ausschließlich auf die Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess bezogen ist. Dies hat aber nichts mit einer Teilarbeitsunfähigkeit im Arbeitsverhältnis zu tun. Die ständige Rspr. des BAG (siehe u. a. BAG v. 29.01.1992 - 5 AZR 37/91, AP Nr. 1 zu § 74 SGB V) erkennt eine partielle Arbeitsunfähigkeit im Arbeitsrecht nicht an. Die durch Erkrankung bedingte Arbeitsunfähigkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Arbeitnehmer seine geschuldeten Vertragspflichten anstatt voll nur teilweise zu erbringen in der Lage ist. Arbeitsrechtlich macht es keinen Unterschied, ob der Arbeitnehmer durch eine Erkrankung voll oder teilweise arbeitsunfähig wird, wovon auch das EFZG ausgeht. Auch ein möglicherweise vermindert Arbeitsfähiger ist arbeitsunfähig iSv. §§ 1 ff. EFZG, da er seine vertragliche geschuldete Arbeitsleistung gerade nicht voll erbringen kann (siehe zum Gesamten: Preis, Der Arbeitsvertrag, 3. Aufl., Köln, 2009, Teil II, Kapitel E 20, Rz. 20, S. 983 f.). Im Übrigen steht dem Arbeitgeber die Möglichkeit zu, eine Untersuchung durch den ... gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 3b SGB V zu veranlassen. Die Nichtvorlage einer Teilarbeitsunfähigkeitbescheinigung durch die Klägerin bzgl. ihrer Erkrankung im Zeitraum vom 21.12.2010 bis 04.02.2011 verstößt somit nicht gegen § 7 Satz 1 des Arbeitsvertrages, so dass die Beklagte auch deswegen keine Abmahnung aussprechen darf.

b) Hieran gemessen ist ferner die Abmahnung vom 03.03.2011 betreffend die „Fehlgriffe im Umgangston“ bereits aus formellen Gründen unwirksam, da der Abmahnung nach dem Wortlaut keine Warnfunktion zukommt. Die Beklagte kündigt im Schlusssatz der Abmahnung für den Wiederholungsfall lediglich weitere arbeitsrechtliche Schritte an. Dass damit der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist, womit die Warnfunktion erfüllt wäre, kann man der Abmahnung hingegen nicht entnehmen, so dass sie aus der Personalakte zu entfernen ist.

VI. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien je zur Hälfte, da sie jeweils teilunterlegen sind, § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 92 Abs. 1 ZPO. Soweit die Klägerin Laufe des Verfahrens - bezogen auf einen GKG-Streitwert i.H.v. € 10.218.-- - verschiedene (verdeckte) Teilklagerücknahmen erklärt hat, die nicht mehr kostenprivilegiert sind, ergibt sich die Kostenfolge zu ihren Lasten aus § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Soweit es die zuletzt gestellten Klageanträge betrifft, unterliegt die Beklagte jedoch vollständig.

VII. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes im Urteil beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG. Der Wert des Streitgegenstandes ist vorliegend auf € 5.279,13 festzusetzen. Die Klageanträge zu Ziff. 1 und 2 sind angesichts der eingeklagten Zahlbeträge insgesamt € 779,13 (= € 184,13 + € 1.427.-- - € 832.--) zu bewerten. Die Klageanträge zu Ziff. 3 und 4 sind - angesichts von 2 Abmahnungen - insgesamt mit 3 durchschnittlichen Bruttomonatsgehältern i.H.v. € 1.500,00 zu bewerten.

VIII. Gründe, die Berufung gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG gesondert zuzulassen, liegen nicht vor, insbesondere kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung gemäß §§ 64 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 2 lit. a.) ArbGG zu. Die ohnehin gegebene Zulässigkeit der Berufung gemäß § 64 Abs. 2 lit. b.) ArbGG bleibt hiervon unberührt. Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung ist gemäß § 64 Abs. 3a Satz 1 ArbGG in den Urteilstenor aufzunehmen.



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