Arbeitsgericht Frankfurt

Urteil vom - Az: 18 Ca 7714/09

Kündigung durch englischen Administrator wegen Konzerninsolvenz; Anwendbarkeit deutschen Rechts

Ein Hauptinsolvenzverfahren in England hat ausschlaggebende Bedeutung für die Anwendbarkeit bundesrepublikanischen Arbeitsrechts in der Insolvenz, wenn das betroffene bundesrepublikanische Unternehmen in einem Konzernverbund mit dem insolventen Unternehmen steht. Auf Kündigungen in dem deutschen Unternehmen durch einen englischen Administrator ist §125 InsO anwendbar. Dies ergibt sich aus Art. 10 der Europäischen Insolvenzverordnung, wonach bei Insolvenz das nationale Recht auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anzuwenden ist.
Gleiches gilt für §113 InsO.

Das Urteil wurde in der Berufungsinstanz durch das Landesarbeitsgericht Hessen bestätigt.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen, soweit nicht durch Teilvergleich vom 23. Februar 2010 erledigt.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, soweit nicht durch Teilvergleich vom 23. Februar 2010 geregelt.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf EUR 20.346,30 festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger wehrt sich gegen die Kündigung der Beklagten vom 28. August 2009, er begehrt Weiterbeschäftigung.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01. September 1991 beschäftigt. Er erzielt ein Monatsbruttogehalt in Höhe von € 6.782,10.

Die Beklagte ist als Teil der weltweit agierenden ...-Gruppe einer der führenden Anbieter von Telekommunikationslösungen. Angesichts der wirtschaftlichen Situation des ...-konzerns wurden weltweit Insolvenzverfahren eingeleitet und der Entschluss getroffen, die einzelnen Geschäftsfelder der ...-Gruppe in einem koordinierten Verfahren in den USA, in Kanada und in Europa zu verkaufen, um so ein möglichst gutes Ergebnis für die Insolvenzgläubiger erzielen zu können.

In diese Verkäufe sollten auch die Geschäftsbereiche der Beklagten in Deutschland einbezogen werden. Es handelt sich dabei um den Geschäftsbereich "Enterprice Solutions", "M. Assernet Networks" sowie den Geschäftsbereich "Carrier Networks." Hierzu waren außerdem tiefgreifende Restrukturierungsmaßnahmen die Voraussetzung. Des Weiteren entschied die Geschäftsleitung, dass in den einzelnen Geschäftsbereichen mehrere Arbeitsplätze gestrichen werden sollten. Zur Umsetzung des beschlossenen Personalabbaus haben die Beklagte, deren Gesamtbetriebsrat und deren lokale Betriebsräte der Standorte in Frankfurt am Main, Stuttgart und München sowie Friedrichshafen am 17. Juli 2009 einen Interessenausgleich abgeschlossen und sich darauf verständigt, den Abbau primär durch die Errichtung einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft und den Abschluss von Aufhebungsverträgen und nur soweit erforderlich durch Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen durchzuführen. Nachdem sich 176 Mitarbeiter zu einem Wechsel in die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft bereit erklärt hatten, sprach die Beklagte bezogen auf die einzelnen Geschäftsbereiche betriebsbedingte Kündigungen aus.

Hierzu wurde unter dem 22. Juli 2009 aus Seiten des Betriebsrats sowohl von dem bei der Beklagten gebildeten Gesamtbetriebsrat als auch dem bei der Beklagten am Standort in Frankfurt am Main gebildeten Betriebsrat ein Interessenausgleich unterzeichnet. Dieser Interessenausgleich wurde sowohl von dem stellvertretenden Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats, aber auch durch den Vorsitzenden des Betriebsrats unterzeichnet. Auf Seiten der Beklagten wurde der Interessenausgleich am 27. Juli 2009 durch den Administrator, Herrn ..., unterzeichnet. Wegen der Einzelheiten dieses Interessenausgleichs wird Bezug genommen auf die Anlage B 2 zum Schriftsatz der Beklagten vom 06. Oktober 2009 (Bl. 46 ff. d. A.). Diesem Interessenausgleich war als Anlage eine Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG oder § 125 InsO beigefügt. Wegen der Einzelheiten dieser Anlage zum Interessenausgleich wird auf die Anlage B 2 zum Schriftsatz der Beklagten vom 06. Oktober 2009 (Bl. 62 ff. d. A.) verwiesen. Auf dieser Namensliste findet sich der Name des Klägers.

Mit Beschluss vom 14. Januar 2009 hat zuvor der englische High Court of Justice ein Administrationsverfahren über das Vermögen der englischen ... Networks UK Ltd. und einiger Tochtergesellschaften innerhalb der Europäischen Union eröffnet. Mit Beschluss vom 14. Januar 2009 hat der High Court außerdem über das Vermögen der Beklagten, die den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen ebenfalls in UK hat, ein Administrationsverfahren als Hauptinsolvenzverfahren im Sinne der Europäischen Insolvenzordnung (Verordnung EG Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000) eröffnet. Die Herren ... wurden mit diesem Beschluss zu "Joint Administrators" (Administratoren) der Beklagten bestellt. Wegen der Einzelheiten dieses Beschlusses vom 14. Januar 2009 wird auf die Anlage B 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 06. Oktober 2009 (Bl. 27 ff. d. A.) verwiesen.

Die Eröffnung des Administrationsverfahrens wurde vom Amtsgericht Frankfurt am Main am 27. Januar 2009 öffentlich bekannt gemacht und sodann in das Handelsregister eingetragen und bekannt gemacht.

Unter dem 20. August 2009 hat die Beklagte das betriebsverfassungsrechtliche Anhörungsverfahren durchgeführt. Der Betriebsrat hat der Kündigung nicht widersprochen. Wegen des Inhalts des Schreibens der Beklagten vom 20. August 2009 wird auf die Anlage B e6 zum Schriftsatz der Beklagten vom 16. November 2009 (Bl. 83 ff. d. A.) verwiesen.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die ausgesprochene Kündigung sozialwidrig sei. Schließlich hält er sowohl § 125 InsO als auch § 113 InsO nicht für anwendbar. Ausländisches Recht habe nämlich außer Betracht zu bleiben. Die Insolvenzeröffnung in England habe deshalb keine Auswirkungen auf die Anwendbarkeit bundesrepublikanischen Arbeitsrechts und Insolvenzrechts. Da nur ein englischer Administrator eingesetzt worden sei, sei der Interessenausgleich auch nicht vom Insolvenzverwalter abgeschlossen worden. Daraus folgert der Kläger zugleich, dass § 1 Abs. 5 KSchG nicht anwendbar sei. Die Anwendbarkeit ergebe sich auch nicht aus Art. 10 der Europäischen Insolvenzordnung, denn diese Bestimmung schreibe nur vor, dass ausschließlich deutsches Recht anwendbar sei.

Schließlich hält der Kläger die Betriebsratsanhörung für fehlerhaft.

Dem Betriebsrat sei nämlich mitgeteilt worden, dass sich 176 Mitarbeiter bereit erklärt hätten, in die Transfergesellschaft zu wechseln. Deswegen seien aber nur 20 Mitarbeiter in den Interessenausgleich einzubeziehen gewesen. Dazu habe aber der Kläger nicht gehört.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 28.08.2009 zum 30.11.2009 nicht beendet wurde, sondern über den 30.11.2009 hinaus fortbesteht;

2. für den Fall des Obsiegens mit dem vorstehenden Antrag zu 1.: Die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Manager Business Finance weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die Kündigung als betriebsbedingte Kündigung für wirksam. Sie ist des Weiteren der Ansicht, dass diese Kündigung allenfalls an § 1 Abs. 5 KSchG oder § 125 InsO zu messen sei. Bei der Sozialauswahl sei eine grobe Fehlerhaftigkeit nicht gegeben, die Kündigungsfrist ergebe sich aus § 113 InsO.

Die Beklagte ist hierzu der Auffassung, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in England auch in Deutschland anzuerkennen sei, ohne dass es hierzu irgendwelcher weiterer Förmlichkeiten bedurfte. Nach § 4 Abs. 1 der Europäischen Insolvenzordnung führe dies grundsätzlich zur Anwendbarkeit des Insolvenzrechts des Staates, in dem das Verfahren eröffnet worden sei. Eine Abweichende Regelung treffe Art. 10 Europäische Insolvenzordnung. Danach müssten die Wirkung des Insolvenzverfahrens auf einen Arbeitsvertrag durch das Recht des Mitgliedstaates, das auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist, Auswirkungen haben. So gesehen müssten aber sowohl § 125 InsO und § 1 Abs. 5 KSchG zur Anwendung kommen. Des Weiteren gelte dies für § 113 InsO.

Die Voraussetzungen für eine Betriebsänderung würden vorliegen, denn es soll zu einem Abbau von 196 Arbeitsplätzen kommen. Der Interessenausgleich mit der Namensliste sei auch wirksam von Herrn ... als Administrator zu unterschreiben gewesen. Dem ausländischen Insolvenzverwalter würden nämlich entsprechende Befugnisse verliehen werden. Da aber § 125 InsO zur Anwendung komme, würden dringende betriebliche Erfordernisse vermutet werden. Schließlich sei auch nicht von einer groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl auszugehen.

Hierzu behauptet die Beklagte, dass der Arbeitsplatz des Klägers in Folge der Umsetzung der oben dargelegten Unternehmerentscheidung weggefallen sei. Ein freier Arbeitsplatz, auf dem der Kläger angesichts seiner Qualifikationen, Kenntnisse und Fähigkeiten einsetzbar gewesen wäre, habe im Zeitpunkt der Kündigung nicht bestanden. Wegen der Einzelheiten des tatsächlichen Vorbringens der Beklagten hierzu wird auf Bl. 22 f. ihres Schriftsatzes vom 10. Februar 2010 (Bl. 189 f. d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Sozialauswahl auch nicht grob fehlerhaft sei.

Hierzu behauptet die Beklagte, dass die mit dem Betriebsrat im Interessenausgleich vom 17. Juli 2009 vereinbarte Namensliste nach Durchführung einer Sozialauswahl aufgestellt worden sei, die ihrerseits auf einem Punkteschema basiere. Wegen der Einzelheiten des tatsächlichen Vorbringens der Beklagten hierzu wird Bezug genommen auf Bl. 24 ff. ihres Schriftsatzes vom 10. Februar 2010 (Bl. 191 ff. d. A.).

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Die Klage ist unbegründet, weil sich die Kündigung der Beklagten vom 28. August 2009 als wirksam erweist.

Diese Kündigung ist wirksam, weil die Kündigung sozial gerechtfertigt ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG i. V. m. § 1 Abs. 1 KSchG i. V. m. § 125 Abs. 1 InsO. Des Weiteren hat die Beklagte durch Ausspruch dieser Kündigung auch nicht gegen § 102 BetrVG verstoßen.

Gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Die Sanktion der Unwirksamkeit einer ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochenen Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG gilt aufgrund einer teleologischen Auslegung dieser Norm auch bei einer nicht ordnungsgemäßen Anhörung (BAG vom 16.09.1993, EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 84).

Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat den Namen des Arbeitnehmers anzugeben, dies gilt auch für die grundlegenden Sozialdaten des Arbeitnehmers, wie das Alter, den Familienstand, die Betriebszugehörigkeit, die Schwerbehinderung.

Auf den zu den Akten gereichten Anhörungsbogen, dessen Existenz und Verwendung durch die Beklagte von dem Kläger nicht bestritten wurde, ist das Lebensalter, der Familienstand, die Schwerbehinderung und das Eintrittsdatum in den Konzern eigens aufgeführt. Damit sind die grundlegenden Sozialdaten aufgeführt.

Des Weiteren wird auch die Art der Kündigung angegeben. Schließlich hat die Beklagte in dem Anhörungsbogen auch die Kündigungsgründe ausreichend und umfänglich dargelegt. Eine pauschale, schlag- oder stichwortartige Bezeichnung des Kündigungsgrundes reicht nicht aus, sondern die Beklagte hat alle Gründe, auf die sie die Kündigung stützen will, dem Betriebsrat mitzuteilen. Vom Arbeitgeber her gesehen hat das Anhörungsverfahren also auch eine subjektive Seite ("subjektive Determination"). Die Beklagte nimmt nämlich in dem Anhörungsbogen Bezug auf ein Administrationsverfahren über das Vermögen der englischen ... und dass der Verkauf einzelner Geschäftsbereiche des Unternehmens ansteht. Des Weiteren teilt die Beklagte dem Betriebsrat mit, dass eine Anzahl von Mitarbeitern, nämlich 176, durch den Abschluss dreiseitiger Verträge mit der ... und der Transfergesellschaft sich bereit erklärt hätten, in die Transfergesellschaft zu wechseln. Insgesamt gehe es um einen umfangreichen Personalabbau an den Standorten Frankfurt, Stuttgart, München und Friedrichshafen. Des Weiteren wird auch mitgeteilt, dass die Stelle des Klägers Teil des vereinbarten Personalabbaus ist und die Betriebsparteien sich auf eine Namensliste gemäß § 125 InsO oder § 1 Abs. 5 KSchG geeinigt hätten.

Damit gehen vor dem Hintergrund der subjektiven Determination der Beklagtenseite sämtliche wesentlichen Kündigungsgründe aus dieser Schilderung hervor. Es wird Bezug genommen auf ein Insolvenzverfahren in England, es werden auf dessen Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb der Beklagten in Deutschland und den beabsichtigten Personalabbau hinreichend deutlich Bezug genommen. Dabei wäre es unschädlich, wenn vor dem Hintergrund der subjektiven Determination die genaue Mitarbeiterzahl, die in die Transfergesellschaft zu wechseln beabsichtigt und die Mitarbeiter, die zur Kündigung anstehen, nicht genau genannt würden. Die Beklagte ist nämlich nur in der Lage, vor dem Hintergrund der aktuellen Situation dem Betriebsrat zu schildern, welche Personalabbaumaßnahmen beabsichtigt sind. Dies hat sie auf der Grundlage ihrer zulässigen subjektiven Determination so getan. Damit hat die Beklagte dem Betriebsrat neben den Tatsachen, aus denen sich die Betriebsbedingtheit der Kündigung ableitet, auch die Gründe zur Sozialauswahl hinreichend deutlich mitgeteilt. Sie nimmt nämlich Bezug auf die Vereinbarung einer Namensliste. Damit kann der Betriebsrat klar ersehen, aufgrund welcher Sozialauswahlkriterien die Namensliste zu Stande gekommen ist, was vor dem Hintergrund des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG die vollständige Information hierüber begründet.

Die Kündigung ist auch nicht unwirksam, weil sie nicht sozial gerechtfertigt wäre, § 1 Abs. 2 KSchG i. V. m. § 1 Abs. 1 KSchG. Vorliegend wird nämlich vermutet, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung im Betrieb entgegenstehen, bedingt ist, § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO. Zudem ist die soziale Auswahl im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, des Lebensalters und den Unterhaltspflichten nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachzuprüfen. Tatsachenvortrag, der diese Vermutungswirkung erschüttern oder gar widerlegen könnte, ist vom Kläger nicht abgeleistet. Damit ist die Kündigung sozial gerechtfertigt und damit wirksam.

§ 125 InsO ist anwendbar.

Dies liegt daran, dass in England ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der ...-Gruppe eröffnet wurde, und die hier Beklagte in einem Konzernverbund zu diesem Unternehmen steht. Dieses Hauptinsolvenzverfahren in England hat ausschlaggebende Bedeutung für die Anwendbarkeit bundesrepublikanischen Arbeitsrechts in der Insolvenz.

Nach Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in einem Mitgliedsstaat der EU sind die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedsstaats der EU, in dem kein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, grundsätzlich verpflichtet, alle Entscheidungen im Zusammenhang mit diesem Hauptinsolvenzverfahren anzuerkennen und notfalls zu vollstrecken. Sie sind nicht berechtigt, nach dem Recht des anderen Mitgliedsstaates Insolvenznormen in Bezug auf in diesem anderen Mitgliedsstaat befindliche Vermögenswerte des Schuldners anzuordnen. Im Einzelfall bedeutet dies, dass sich ein in England eröffnetes Insolvenzverfahren wegen der universalen Geltung des Hauptinsolvenzverfahrens auf alle Vermögenswerte einschließlich der in Deutschland befindlichen erstreckt und nicht nur die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern auch dessen Durchführung und Beendigung englischem Recht unterliegt (EuGH vom 21.01.2010, Rs. C-444/07, MG Probud Gdynia sp. z. o.).

Daraus geht hervor, dass die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in England gleichzeitig die Wirkung haben muss, dass die in der Bundesrepublik befindlichen Vermögenswerte und das Unternehmensvermögen diesem Insolvenzverfahren unterzogen werden.

Für die Arbeitsverträge gilt allerdings Art. 10 der EU InsO. Damit ist für die Arbeitsverträge und das Arbeitsverhältnis das Recht der Bundesrepublik maßgebend.

Zur Bestimmung des maßgeblichen Rechts verweist Art. 10 der Europäischen InsolvnzVO nicht unmittelbar auf die anwendbaren Sachnormen, sondern auf die Kollissionsnormen der Mitgliedstaaten für Arbeitsverträge. Art. 10 Europäische Insolvenzverordnung knüpft allerdings nur insoweit an das Recht des Arbeitsortes an, als die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen Arbeitsvertrag und auf das Arbeitsverhältnis betroffen sind. Der Zweck der Norm besteht damit darin, die Arbeitnehmer vor der Anwendung ausländischer Vorschriften zu schützen. Dies führt aber zur Anwendbarkeit des § 125 InsO.

Sämtliche Voraussetzungen des § 125 Satz 1 InsO liegen vor. Es muss eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG vorliegen, es ist eine namentliche Bezeichnung der zu Kündigenden vorzunehmen, die Schriftform muss gewahrt sein und es muss ein Interessenausgleich zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat zu Stande gekommen sein.

Demgemäß setzt § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO voraus, dass einer der in § 111 Satz 2 BetrVG genannten Fälle der Betriebsänderung vorliegt (BAG vom 16.05.2002, NZA 2003, S. 93; BAG vom 26.04.2007, AP InsO § 125 Nr. 4). Diese kann auch in einer erheblichen Personalreduzierung bestehen, wobei die Angaben in § 17 Abs. 1 KSchG herangezogen werden.

Vorliegend ist deshalb von einer Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 2 BetrVG auszugehen. Die Beklagte plant einen Personalabbau von insgesamt 196 Mitarbeitern. 176 hiervon haben sich bereits bereit erklärt, in eine Beschäftigungsgesellschaft zu wechseln. Damit liegen die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 KSchG vor, von einer Betriebseinschränkung oder teilweisen Betriebsschließung ist dann vorliegend auszugehen.

Die zu kündigenden Arbeitnehmer sind auch namentlich bezeichnet worden auf einer Liste. Sowohl aus dem Wortlaut als auch aus dem Zweck des Gesetzes folgt, dass Insolvenzverwalter und Betriebsrat sich mit jedem Arbeitnehmer, der gekündigt werden soll, zumindest insoweit auseinandergesetzt haben müssen, dass dessen Name auf der Liste erscheint. Dies ist vorliegend geschehen. Der bei der Beklagten gebildete Betriebsrat und der Insolvenzverwalter haben nämlich auf der Grundlage bestimmter Sozialauswahlkriterien festgelegt, welcher Arbeitnehmer auf die Namensliste zu setzen ist. Darunter findet sich auch der Name des Klägers. Deswegen ist von einer ausreichenden Kenntnisnahme, von einer ausreichenden Individualisierung vorliegend auszugehen.

Der Interessenausgleich bedarf nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG der Schriftform und der Unterschrift durch den Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat. Die zugehörige Namensliste muss jedoch nicht unterzeichnet werden, wenn sie mit dem Interessenausgleich eine einheitliche Urkunde bildet (BAG vom 26.04.2007, EzA InsO § 125 Nr. 6; Erfurter Kommentar-Eisenbeis, § 125 InsO RdN. 6; KR/Weigand, § 125 InsO RdN. 12).

Ein Interessenausgleich liegt vor. Gemäß der Anlage B 2 hat der bei der Beklagten gebildete Gesamtbetriebsrat und die ... GmbH in Administration eine Betriebsvereinbarung über die beabsichtigte Betriebsänderung abgeschlossen. Diese Vereinbarung ist von Herrn ... für die Beklagte und für die einzelnen am Standort gebildeten Betriebsräte unterzeichnet worden.

Während keinerlei Zweifel aufkommen im Hinblick auf die Zeichnungsbefugnis der bei der Beklagten gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Vertretungsgremien, hat die Klägerseite eingewandt, dass Herr ... nicht befugt gewesen sei, den Interessenausgleich wirksam für die Beklagte zu unterzeichnen. Davon ist aber nicht auszugehen.

Herr ... war aber als gesetzlicher Vertreter bevollmächtigt, den Interessenausgleich mit Namensliste abzuschließen. Dies ergibt sich aus seiner Eigenschaft als Administrator der Beklagten und der hieraus zu folgernden Vertretungsbefugnis. Dies ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 der Europäischen Insolvenzverordnung; Danach ist bestimmt, dass soweit die Verordnung nichts anderes regelt, für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Betriebsstaates gilt, in dem das Verfahren eröffnet worden ist. Das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung regelt, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist. Es regelt dabei insbesondere die jeweiligen Befugnisse des Schuldners und des Verwalters. Das Insolvenzverfahren ist im Vereinigten Königreich eröffnet worden. Die Vertretungsmacht des Herrn ergibt sich aus Abs. 69 von Anhang B 1 des Insolvency Act 1986. Der Eröffnungsbeschluss des High Court of Justice vom 14. Januar 2009 ordnet in Ziff. 9 an, dass die Administratoren jeweils einzeln vertretungsbefugt sind. Daraus ist die Einzelvertretungsbefugnis des Herrn ... zu folgern.

Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO wird dem Insolvenzverwalter die obliegende Darlegungs- und Beweislast erleichtert. Liegen nämlich die Voraussetzungen nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO vor, vorliegend wurde dies von der Kammer bejaht, so wird vermutet, dass die Kündigungen der namentlich bezeichneten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung, auch zu unveränderten Arbeitsbedingungen im Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Damit ist klargestellt, dass sich die Vermutungswirkung auf den betriebsbedingten Kündigungsgrund nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG einschließlich einer fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Beschäftigungsbetrieb oder Unternehmen erstreckt (Erfurter Kommentar/Eisenbeis, § 125 InsO RdN. 7 a; Fischermeier, NZA 1997, S. 1089, S. 1096 f.; KR/Weigand, § 125 InsO RdN. 16; Lakies, BB 1999, S. 206, 207 f.). Die Vermutungswirkung wurde von dem Kläger nicht erschüttert oder gar widerlegt.

Der Kläger hat in seinem tatsächlichen Vorbringen nämlich entscheidend auf die Anwendbarkeit des § 125 InsO auf der Grundlage eines ausländischen Insolvenzverfahrens abgestellt. Dabei hat der Kläger zusammenfassend die Auffassung vertreten, dass ausländisches Insolvenzrecht nicht § 125 InsO und § 113 InsO zur Anwendung bringen könnte. Tatsächliches Vorbringen dahingehend, dass der Kläger konkret im Hinblick auf den Wegfall seiner Beschäftigungsmöglichkeiten abgestellt hat, sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat des Weiteren nur darauf abgehoben, dass 20 Mitarbeiter in den Interessenausgleich einzubeziehen seien. Dies läge daran, dass sich 176 Mitarbeiter bereit erklärt hätten, in die Transfergesellschaft zu wechseln. Dieses tatsächliche Vorbringen bezieht sich aber nicht auf die Arbeitsaufgabe oder die Beschäftigungsmöglichkeiten des Klägers nach der unternehmerischen Entscheidung, den Personalabbau durchzuführen. Jedenfalls widerlegen sie oder beeinträchtigen sie die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht.

Schließlich kann auf der Grundlage des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO ändert an der dem Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG obliegenden Darlegungslast nichts. Nach überwiegender Meinung betrifft das Merkmal der groben Fehlerhaftigkeit nicht nur den Wortlaut des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO angesprochene Gewichtung der Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten, sondern auch die Festlegung des auswahlrelevanten Kreises der Arbeitnehmer (BAG vom 28.08.2003, NZA 2004, S. 432; BAG vom 21.07.2005, NZA 2006, S. 163).

Die Beklagte hat die vereinbarte Namensliste nach Durchführung einer Sozialauswahl aufgestellt. Die Sozialauswahlkriterien waren die Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten, der Familienstand und eine Schwerbehinderung. Unter Anwendung dieser Kriterien wurde eine Punkteliste aller Mitarbeiter erstellt. Auf der Grundlage dieser Liste wurden dann die sozial am wenigsten schutzwürdigen Arbeitnehmer ermittelt und in die Namensliste eingestellt. Gleichfalls hat die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 10. März auf Bl. 25 ff. dargelegt, wie der vergleichbare Mitarbeiterkreis gebildet worden ist.

Vor diesem Hintergrund kann nicht von einer groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl durch die Beklagte gesprochen werden. Der Kläger hat seinerseits auch keinerlei Tatsachenvortrag abgeleistet, der auf eine grobe Fehlerhaftigkeit der von der Beklagten durchgeführten Sozialauswahl schließen lassen könnte. Auch wenn der Kläger andere Mitarbeiter als sozial weniger schutzwürdig benennt, so sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Beklagte den vergleichbaren Mitarbeiterkreis und die Gewichtung der Sozialdaten dieses Mitarbeiterkreises grob verkannt oder gar grob fehlerhaft gewichtet hätte. Dies wäre aber Voraussetzung dafür, dass von einer groben Fehlerhaftigkeit ausgegangen werden könnte.

Die Beklagte hat auch die Kündigungsfrist gemäß § 113 InsO eingehalten.

§ 113 InsO ist vorliegend anwendbar.

Nach § 113 InsO kann ein Arbeitsverhältnis vom Insolvenzverwalter oder vom Arbeitnehmer unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende gekündigt werden, sofern nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat sich dafür ausgesprochen, dass § 113 InsO in den Anwendungsbereich des Art. 10 Europäische Insolvenzverordnung fällt (LAG Hessen, vom 05.03.2007 - 17 Sa 122/06 -). Im Übrigen nimmt die Kammer Bezug auf die oben in den Urteilsgründen referierten Entscheidungsgründe des Europäischen Gerichtshofs und die daraus zu folgernde Anwendung des bundesrepublikanischen Insolvenzarbeitsrechts.

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, da der Kläger in vollem Umfang unterlegen ist.

Bei der Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes ist die Kammer gemäß § 12 Abs. 5 GKG im Hinblick auf den Kündigungsrechtsstreit von drei Bruttomonatsgehältern ausgegangen, während der hilfsweise gestellte Weiterbeschäftigungsantrag nicht eigens zu bewerten war.



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