Landesarbeitsgericht Hessen

Urteil vom - Az: 8 Sa 146/17

Kündigung wegen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren ist gerechtfertigt

(1.) Ein personenbedingter Grund für eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses liegt grundsätzlich - unbeschadet einer abschließenden Interessenabwägung - zumindest dann vor, wenn der Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt noch eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren zu verbüßen hat und eine vorherige Entlassung nicht sicher zu erwarten ist (Anm.: st. Rspr. des BAG).

(2.) In einem solchen Fall kann dem Arbeitgeber regelmäßig nicht zugemutet werden, lediglich Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und auf eine dauerhafte Neubesetzung des Arbeitsplatzes zu verzichten. Denn bei zunehmender Haftdauer wird die Verwirklichung des Vertragszwecks in Frage gestellt. Eine mehrjährige Abwesenheit des Arbeitnehmers geht typischerweise mit einer Lockerung seiner Bindungen an den Betrieb und die Belegschaft sowie dem Verlust von Erfahrungswissen einher, welches aus der täglichen Routine resultiert (Anm.: st. Rspr. des BAG).
(Redaktionelle Orientierungssätze)


Die Parteien stritten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und Weiterbeschäftigung. Der Kläger, ein junger Vater, war wegen seiner Beteiligung an einem versuchten Raubüberfall rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Zwischen der Tat und seinem Arbeitsverhältnis als Bäcker bestand kein Zusammenhang. Als er seine Haft antreten musste, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer, da dieser künftig mehr als zwei Jahre ausfallen werde. Hiergegen erhob der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage und argumentierte, dass er aufgrund seiner günstigen Sozialprognose damit rechnen könne, nach Verbüßen der Hälfte, zumindest aber von zwei Dritteln, der Haftstrafe vorzeitig entlassen zu werden. Sein Arbeitgeber wäre außerdem auch verpflichtet, ihm seinen Arbeitsplatz freizuhalten, wenn er z.B. nach der Geburt seines Kindes einen dreijährigen Erziehungsurlaub genommen hätte. Das LAG Hessen hat die Klage im Berufungsverfahren abgewiesen. Es entspreche der ständigen Rechtsprechung des BAG, dass ein Arbeitgeber eine Kündigung aussprechen darf, wenn zu diesem Zeitpunkt damit zu rechnen ist, dass der Arbeitnehmer länger als zwei Jahre ausfallen wird. Als er die Freiheitsstrafe antrat, habe nicht sicher festgestanden, ob er seine Strafe vollständig verbüßen würde. Entwicklungen in der Vollzugszeit, welche erst nach der Kündigung eintreten, seien nicht erheblich. Auch der Vergleich mit dem gesetzlich geregelten Ruhen eines Arbeitsverhältnisses während der Elternzeit sei nicht gerechtfertigt, da die Elternzeit dem Schutz der Familie diene.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 5. Januar 2017 - 4 Ca 1825/16 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und Weiterbeschäftigung.

Der am xx.xx.1992 geborene und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 21. Juni 2011 zuletzt auf Grundlage des Arbeitsvertrags vom 10. Juni 2013 (Bl. 4 ff. d. A.) bei der Beklagten als Bäcker zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt in Höhe von € 3.300,00 € beschäftigt. Zuvor absolvierte er bei ihr eine dreijährige Ausbildung. In dem Betrieb der Beklagten werden regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt. Für diesen Betrieb ist ein Betriebsrat gebildet.

Am bzw. in der Nacht vom 26. Mai 2014 auf den 27. Mai 2014 beging der Kläger mit mehreren Mittätern einen versuchten Raubüberfall auf einen Supermarkt. Mit erstinstanzlichem Urteil vom 25. August 2015 wurde er wegen seiner Beteiligung an dem versuchten Raubüberfall zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt. In zweiter Instanz wurde er zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Das zweitinstanzliche Strafurteil ist rechtskräftig. Dies teilte der Kläger der Beklagten am 27. Juli 2016 mit. Am 15. September 2016 trat er die Haft in der Justizvollzugsanstalt Butzbach an. Die restliche zu verbüßende Haftstrafe betrug am 15. September 2016 unter Anrechnung von bereits verbüßten Zeiten von Untersuchungshaft noch zwei Jahre und sieben Monate. Über seinen Haftantritt zum 15. September 2016 informierte der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 19. September 2016.

Am 21. September 2016 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers wegen der Haftstrafe an. Am 22. September 2016 erteilte der Betriebsrat seine Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung.

Mit Schreiben vom 26. September 2016 (Bl. 17 d. A.), zugegangen am 27. September 2016, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 31. Dezember 2016.

Wegen des unstreitigen Tatbestandes und des streitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird im Übrigen auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (Bl. 81 - 82 RS d. A.) Bezug genommen.

Mit am 5. Januar 2017 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und dies damit begründet, dass die Kündigung der Beklagten vom 26. September 2016 sozial gerechtfertigt sei. Ein personenbedingter Grund liege vor, da aufgrund der Haftstrafe des Klägers mit einer längeren Abwesenheit im Betrieb der Beklagten zu rechnen sei. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung sei mit einer restlichen Haftstrafe von mehr als zwei Jahren zu rechnen gewesen, die der Kläger zu verbüßen gehabt habe. Deshalb sei auch mit einer Abwesenheit des Klägers von mehr als zwei Jahren zu rechnen gewesen. Entgegen der Ansicht des Klägers sei zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht mit einer zu verbüßenden Haftstrafe von weniger als zwei Jahren zu rechnen gewesen. Die restliche Haftstrafe des Klägers habe zu diesem Zeitpunkt noch knapp zwei Jahre und sieben Monate betragen. Mit einer vorzeitigen Entlassung oder Hafterleichterungen - wie zB. Freigang - sei nicht zu rechnen gewesen. Zwar bestünde die Möglichkeit, dass der Kläger bereits nach 2/3 seiner Haftstrafe entlassen werde. Hierbei handelte es sich jedoch lediglich um eine Möglichkeit. Woraus sich bereits zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ergeben haben solle, dass er zum Zeitpunkt der Prüfung einer vorzeitigen Entlassung die Voraussetzungen für eine solche erfüllen werde, ergebe sich weder aus dem Vortrag des Klägers, noch sei dies ansonsten ersichtlich. Soweit eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren ausgesprochen werde, müsse ein Arbeitgeber vielmehr zunächst damit rechnen, dass der Arbeitnehmer seinem Betrieb auch mehr als zwei Jahre fehlen werde. Dabei könne es dahinstehen, ob es - wie vom Kläger behauptet - allgemein bekannt sei, dass ein Schuldspruch selten in voller Höhe verbüßt werde. Eine Verurteilung zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und acht Monaten sei auch als solche zu verstehen und nicht als eine Haftstrafe von 2/3 der Dauer der Haftstrafe. Auf die Angaben im Vollzugsplan und der E-Mail des Leiters der Justizvollzugsanstalt Butzbach könne es bereits deshalb nicht ankommen, weil diese zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch nicht existierten. Darüber hinaus ergäben sich aus dem Vollzugsplan lediglich die genauen Zeitpunkte der Verbüßung von der Hälfte, Zweidrittel und der vollen Freiheitsstrafe, nicht aber, dass es zu einer vorzeitigen Haftentlassung kommen werde. Aus der E-Mail des Leiters der Justizvollzugsanstalt Butzbach ergebe sich nur, dass dieser derzeit - bei gleichbleibendem Verhalten des Klägers und erfolgreicher Teilnahme an Behandlungsmaßnahmen - eine vorzeitige Entlassung befürworte und von einer solchen ausgehe. Ob dies auch für das Vollstreckungsgericht nach § 454 StPO im maßgeblichen Zeitpunkt gelten werde, ergebe sich aus der E-Mail nicht. Die Beklagte hätte auch nicht zunächst die Erstellung eines Vollzugsplans oder den Zeitpunkt einer Entscheidung über eine mögliche Haftverkürzung abwarten müssen. Soweit ein Arbeitgeber bei einer objektiven Betrachtung mit hinreichender Sicherheit die Prognose anstellen könne, dass der Arbeitnehmer für mindestens zwei Jahre dem Betrieb nicht zur Verfügung steht, könne er die Kündigung aussprechen. Soweit diese Voraussetzungen gegeben seien, müsse er auch eine rechtskräftige Verurteilung nicht abwarten. Die erforderliche Interessenabwägung gehe zu Lasten des Klägers aus. Hierbei seien zu Gunsten der Beklagten insbesondere die zu erwartenden Haftdauer von zwei Jahren und sieben Monaten sowie der Umstand, dass es sich um ein vom Kläger selbstverschuldetes Arbeitshindernis handele, zu berücksichtigen. Das Arbeitsverhältnis habe mit etwas mehr als fünf Jahren nicht bereits solange bestanden, dass dies die Interessenabwägung zugunsten des Klägers beeinflussen könnte. Dies gelte ebenso für den Umstand, dass der Kläger Vater eines Kleinkindes sei. Der Kläger sei weiterhin noch relativ jung, sodass auch sein Lebensalter und seine Arbeitsmarktchancen die Interessenabwägung nicht hinreichend zu seinen Gunsten beeinflussen könnten. Die Kündigung sei nicht wegen Verstoßes gegen § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Über die abstrakte Möglichkeit einer vorzeitigen Haftentlassung habe die Beklagte den Betriebsrat nicht informieren müssen, da diese für ihren Kündigungsentschluss erkennbar keine Rolle gespielt habe und für die Beurteilung der Rechtswirksamkeit der Kündigung nicht von Bedeutung sei. Dem Kläger steht auch kein Weiterbeschäftigungsanspruch gegen die Beklagte zu.

Gegen das Urteil vom 5. Januar 2017, das dem Kläger am 12. Januar 2017 zugestellt worden ist, hat er mit am 31. Januar 2017 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese durch am 10. März 2017 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Kläger macht mit der Berufung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens geltend, dass es der Beklagten zumutbar sei, seine vorzeitige Freilassung oder die Gewährung von Hafterleichterungen (Freigang) abzuwarten. Vor dem Hintergrund seiner günstigen Sozialprognose sei nicht nur nach allgemeinen Regeln davon auszugehen, dass er nach Verbüßung von 2/3 oder gar der Hälfte seiner Haftstrafe, und damit nach weit weniger als zwei Jahren Abwesenheit, entlassen werde. Im Rahmen der Interessenabwägung sei mithin seinen Interessen an einem Erhalt der Arbeitsstelle der Vorrang zu geben. Er habe bereits nach der Tat und insgesamt mehr als sechs Jahre beanstandungsfrei im Betrieb gearbeitet und seine Ausbildung dort erhalten. Der Beklagten sei es zumutbar, in diesem Rahmen an der Resozialisierung mitzuwirken. Hierfür spreche auch der Umstand, dass im Falle einer Beantragung von Elternzeit zu Betreuung seiner Tochter er ebenfalls für einen Zeitraum von drei Jahren abwesend gewesen wäre und die Beklagte dies hätte überbrücken müssen. Im Urteil werde verkannt, dass kein personenbedingter Grund für eine Kündigung gegeben sei. Es bedürfe keiner sicheren Aussicht auf eine Haftdauer von weniger als zwei Jahren, sondern es müsse genügen, dass eine Haftverkürzung oder auch ein Freigang nach den üblichen nach dem Sachverhalt konkreten Umständen mit hinreichender Sicherheit erwartet werden könne. Das Urteil verkenne auch, dass sich die Belastungen für die Beklagte in Grenzen hielten. Es sei auch seine familiäre und persönliche Situation zu berücksichtigen. Der Betriebsrat habe auch im Rahmen seiner Anhörung zu den Möglichkeiten einer Haftverkürzung informiert werden müssen. Aus dem aktuellen Auszug aus dem Vollzugsplan vom xx.xx.2017 ergebe sich das mit einer vorzeitigen Entlassung zum 16. April 2018 zu rechnen sei. Er habe zwischenzeitlich erfolgreich an einer Gruppentherapie "Deliktsbearbeitung" teilgenommen und ein Sozialtraining absolviert. Die Sozialprognose sei demnach, auch unter Berücksichtigung seiner familiären Situation, als überaus positiv zu bewerten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 5. Januar 2017 - 4 Ca 1825/16 - abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 26. September 2016 beendet wurde;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn nach Haftentlassung oder Aufnahme in den offenen Vollzug bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Bäcker weiter zu beschäftigen.

Die Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Sie trägt vor, zum Zeitpunkt der Kündigung sei nicht erkennbar gewesen, dass die Haft verkürzt werden solle oder dem Kläger eine Hafterleichterung zugesprochen werde.

Wegen des weiteren Sachvortrages der Parteien, ihrer Beweisantritte und der von ihnen überreichten Unterlagen sowie ihrer Rechtsausführungen im Übrigen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 5. Januar 2017 - 4 Ca 1825/16 - ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und auch zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1, 3 und 5 ZPO. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, weil das Arbeitsverhältnis aufgrund der ordentlichen Kündigung vom 26. September 2016 sein Ende gefunden hat. Der Kläger kann daher auch keine Weiterbeschäftigung verlangen. Im Einzelnen:

I.

Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender und sehr sorgfältiger Begründung abgewiesen. Das Berufungsgericht folgt den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts und macht sich diese zu eigen, § 69 Abs. 2 ArbGG. Die Berufung des Klägers gibt lediglich Anlass zu folgenden Ergänzungen:

1. Das Arbeitsgericht hat seiner Entscheidung zunächst konsequent die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur haftbedingten Arbeitsverhinderung als personenbedingter Kündigungsgrund zugrunde gelegt. Danach liegt ein personenbedingter Grund für eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich - unbeschadet einer abschließenden Interessenabwägung - zumindest dann vor, wenn der Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt noch eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren zu verbüßen hat und eine vorherige Entlassung nicht sicher zu erwarten steht. In einem solchen Fall kann dem Arbeitgeber regelmäßig nicht zugemutet werden, lediglich Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und auf eine dauerhafte Neubesetzung des Arbeitsplatzes zu verzichten. Dabei ist ua. bedeutsam, dass bei zunehmender Haftdauer die Verwirklichung des Vertragszwecks in Frage gestellt wird. Eine mehrjährige Abwesenheit des Arbeitnehmers geht typischerweise mit einer Lockerung seiner Bindungen an den Betrieb und die Belegschaft sowie dem Verlust von Erfahrungswissen einher, das aus der täglichen Routine resultiert. Dementsprechend muss der Arbeitgeber bei der Rückkehr eines langjährig inhaftierten Arbeitnehmers mit Einarbeitungsaufwand rechnen (BAG 22. Oktober 2015 - 2 AZR 381/14 - NZA 2016, 482 ff.; BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - NZA 2011, 1084 ff.; vgl. auch BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 120/12 - NZA 2013, 1211 ff.).

Das Arbeitsgericht hat vor diesem Hintergrund zutreffend angenommen, dass wegen der Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahre und acht Monaten, mit deren Verbüßung zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung im Umfang von zwei Jahren und sieben Monaten zu rechnen gewesen ist, an sich ein personenbedingter Kündigungsgrund - unbeschadet einer Interessenabwägung - gegeben war. Entgegen der Auffassung des Klägers war die Beklagte nicht gehalten, eine Haftentlassung nach Verbüßung von 2/3 der Haftstrafe oder eine Hafterleichterung in Betracht zu ziehen. Hierfür bestanden zum Kündigungszeitpunkt - wie bereits das Arbeitsgericht auf Seite 8 f. seines Urteils ausgeführt hat - keinerlei Anhaltspunkte. Entscheidend ist dabei nicht, dass nach dem nunmehr in der Berufung vorgelegten Vollzugsplan mit einer voraussichtlichen Entlassung des Klägers am 16. April 2018 zu rechnen ist. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage für die Rechtmäßigkeit einer Kündigung sind die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung. Die tatsächliche Entwicklung nach Kündigungsausspruch kann nur in eng begrenzten Ausnahmefällen Berücksichtigung finden (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - NZA 2011, 1084 ff.). Die Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer in seinem Resozialisierungsbemühen zu unterstützen, geht nicht so weit, diesem auf die vage Aussicht hin, in ferner Zukunft eine Vollzugslockerung zu erreichen, bis zum Zeitpunkt einer Klärung, dh. möglicherweise über Monate hinweg die Rückkehr auf den Arbeitsplatz zu ermöglichen (BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 120/12 - NZA 2013, 1211 ff.).

Auch der Einwand des Klägers, er habe wegen der Geburt seiner Tochter Elternzeit beantragen können, was zur Folge gehabt hätte, dass er ebenfalls für einen längeren Zeitraum keine Arbeitsleistung hätte erbringen können, verfängt nicht. Der Kläger übersieht, dass es für den von ihm beschriebenen Fall der Elternzeit klare gesetzliche Regelungen gibt und er der Beklagten gerade nicht wegen der Inanspruchnahme von Elternzeit als Arbeitskraft nicht zur Verfügung steht. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, selbst bei mehrjähriger Haftstrafe bloße Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen, besteht auch nicht aus Gründen der Resozialisierung. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstands, dass der Gesetzgeber für Fälle, in denen er es für erforderlich erachtet, dem Arbeitnehmer den Arbeitsplatz bei persönlicher Leistungsverhinderung mit Rücksicht auf übergeordnete Interessen (Schutz von Ehe und Familie; Erfüllung staatsbürgerschaftlicher Pflichten) zu sichern, ausdrückliche, eigenständige Regelungen (bspw. §§ 15, 16 BEEG; §§ 3, 4 PflegeZG; § 1 ArbPlSchG) getroffen hat (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - NZA 2011, 1084 ff.).

Auch das Ergebnis der Interessenabwägung durch das Arbeitsgericht ist nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht geht hierbei allerdings zu Gunsten des Klägers von einer bis zu dem Kündigungszeitpunkt mehr als achtjährigen Betriebszugehörigkeit aus, da die Ausbildungszeiten zu berücksichtigen sind. Zu beachten ist auch, dass der Kläger Vater eines Kleinkindes ist, dem er zum Unterhalt verpflichtet ist. Allerdings überwiegt das Beendigungsinteresse der Beklagten. Der Kläger hat seine Ausfallzeiten selbst verschuldet. Diese stehen in keinerlei Zusammenhang mit seiner Tätigkeit bei der Beklagten oder eines außerhalb seiner Sphäre stehenden Faktors wie einer Erkrankung. Die Beklagte hat den Kläger auch bis zum Antritt seiner Haftstrafe beschäftigt, obwohl er sich bereits im Jahr 2014 zunächst in Untersuchungshaft befunden hat. Der am 7. Dezember 1992 geborene Kläger befindet sich zudem in einem Alter, in dem sich die Arbeitssuche nicht schwer gestaltet.

2. Der Rechtswirksamkeit der Kündigung vom 26. September 2016 steht nicht § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG entgegen. Nach dieser Vorschrift ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam. Der nicht erfolgten Betriebsratsanhörung steht die fehlerhafte Anhörung des Betriebsrates gleich (vgl. BAG 22. September 1994 - 2 AZR 31/94 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 68). Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Arbeitsgericht nicht verkannt, dass der Betriebsrat auch im Rahmen seiner Anhörung zu den Möglichkeiten einer Haftverkürzung habe informiert werden müssen. Eine solche Verpflichtung der Beklagten hat im Anlassfall nicht bestanden. Denn diese Möglichkeit war für ihren Kündigungsentschluss nicht bestimmend. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten hat sie den Betriebsrat über die Dauer der zu verbüßenden Haftstrafe und den ihr bekannten Grund hierfür unterrichtet. Damit war der Betriebsrat in der Lage, sich ein Bild über den Kündigungsentschluss und dessen Berechtigung zu machen.

3. Wegen der Rechtswirksamkeit der Kündigung kann der Kläger von der Beklagten auch keine Weiterbeschäftigung verlangen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat der Kläger die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Für die Zulassung der Revision gibt es keinen gesetzlichen Grund nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 - 3 ArbGG.



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