Landesarbeitsgericht Hessen

Urteil vom - Az: 16 Sa 1134/11

Einführung von Mitarbeiterjahresgesprächen: Mitbestimmung des Betriebsrats, Grundrechte der Arbeitnehmer/innen

Bei der Einführung von Mitarbeiterjahresgesprächen hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht (§87 I Nr.1 BetrVG).
Die Einführung von Mitarbeiterjahresgesprächen verletzt die betreffende Arbeitnehmerin auch nicht in unzulässigerweise in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Bei einer Kollision des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit den schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers ist eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich.
Das Gespräch dient der Kommunikation zwischen Führungskräften und Mitarbeitern; der Arbeitgeber hat hieran ein schutzwürdiges Interesse. Da der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht tangiert wird, ist die Teilnahme an diesem Gespräch der Arbeitnehmerin auch zumutbar.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wetzlar vom 25.5.2011 - 2 Ca 186/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Führung von Mitarbeitergesprächen.

Die Beklagte ist ein Betrieb der Metall- und Elektroindustrie.

Die am XXX geborene Klägerin ist seit 1. August 1990 als Sachbearbeiterin bei der Beklagten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 36,4 Stunden zu einer Bruttomonatsvergütung von 2.556,31 € beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft Tarifbindung die Tarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie des Landes H Anwendung. Die Beklagte hat in ihrem Betrieb das Entgeltrahmenabkommen eingeführt. Sie führt in ihrem Betrieb keine methodisch individuelle Leistungsbeurteilung gemäß § 8 ERA durch.

In Zusammenarbeit mit dem bei der Beklagten bestehenden Betriebsrat erarbeitete diese die Einführung von Mitarbeiterjahresgesprächen, die von sämtlichen Mitarbeitern an Hand eines festgelegten Beurteilungskatalogs (Blatt 50 bis 59 der Akten) geführt werden sollen. Hierüber schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat am 15.11.2010 eine Betriebsvereinbarung (Blatt 65, 66 der Akten). Unter deren Nr. 3 ist geregelt, dass die Ergebnisse der Mitarbeitergespräche keinen Einfluss auf das Entgelt des Mitarbeiters/in haben. In Nr. 5 der Betriebsvereinbarung ist die Vertraulichkeit des Mitarbeitergesprächs geregelt. In der Personalabteilung werden die ausgefüllten Formblätter als Excel-Datei in einem separaten Verzeichnis, auf das niemand, außer einer Person im Personalwesen zur Kontrolle der Vollständigkeit, Zugriff hat, abgespeichert. Diese Datei darf niemandem, außer den jeweiligen Gesprächspartnern, zur Einsicht gestellt werden.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte unterlaufe mit den Mitarbeiterjahresgesprächen die Regelungen von § 8 ERA. Die Betriebsvereinbarung vom 15.11.2010 verstoße gegen § 77 Abs. 3 BetrVG. Zudem seien die Mitarbeiterjahresgespräche mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerin unvereinbar.

Wegen der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der Entscheidung des Arbeitsgerichts, Blatt 78 bis 79 der Akten, Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Spätestens mit Abschluss der Betriebsvereinbarung vom 15.11.2010 sei die Klägerin verpflichtet, die Durchführung der Mitarbeitergespräche zu dulden. § 8 ERA werde nicht unterlaufen da die Beklagte mit der Mitarbeiterbefragung keine Leistungszulagen vorbereiten oder ändern will. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG beziehe sich lediglich auf technische Einrichtungen und nicht auf die hier streitgegenständlichen Befragungen. Im übrigen sei der Betriebsrat mit der Datenspeicherung einverstanden.

Dieses Urteil wurde der Beklagten am 14. Juli 2011 zugestellt. Sie hat dagegen mit einem am 4.8.2011 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 14.10.2011 am 7.10.2011 begründet.

Die Durchführung der Mitarbeiterjahresgespräche verstoße gegen § 4 Abs. 3 TVG, da eine Abweichung von dem tariflich vorgesehenen System der Leistungsbewertung nach § 8 ERA nicht gestattet sei. Die Beurteilungsmerkmale der Mitarbeiterjahresgespräche seien im wesentlichen identisch mit denen gemäß ERA Anlage A. Dies zeige, dass die getroffene Leistungsbeurteilung Einfluss auf die Leistungszulage haben wird beziehungsweise hat. Die Betriebsvereinbarung vom 15.11.2010 sei unwirksam, weil sie gegen § 77 Abs. 3 BetrVG verstoße. Schließlich werde dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht hinreichend Rechnung getragen. Es liege auf der Hand, dass die Kritik an Vorgesetzten beziehungsweise auch an anderen Mitarbeitern mit Nachteilen für den Arbeitnehmer selbst verbunden sei. Deshalb seien derartige Fragen unzulässig. Auch das Grundrecht der Klägerin auf Meinungsfreiheit gemäß Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz, das die Freiheit eine Meinung nicht zu äußern (negative Meinungsfreiheit) einschließe, sei verletzt. Ein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers an der Beantwortung der Fragen im Zusammenhang mit dem bestehenden Arbeitsverhältnis bestehe nicht. Schließlich sei das von der Beklagten gewählte Mittel zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks nicht geeignet.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wetzlar vom 25.5.2011 -2 Ca 186/10- abzuändern,
die Beklagte zu verurteilen, die Führung von Mitarbeiterjahresgesprächen nach dem "Gesprächsleitfaden Mitarbeiterjahresgespräch" zu unterlassen,
hilfsweise
festzustellen, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, in dem Mitarbeiterjahresgespräch nach dem "Gesprächsleitfaden Mitarbeiterjahresgespräch" Angaben zu den gestellten Fragen zu machen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts als zutreffend. Die Betriebsvereinbarung über Mitarbeiterjahresgespräche verstoße nicht gegen § 77 Abs. 3 BetrVG, da dort Arbeitsentgelte oder sonstige Arbeitsbedingungen nicht geregelt werden. Mitarbeiterjahresgespräche würden nicht üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer werde durch die Mitarbeiterjahresgespräche nicht verletzt. Der Arbeitgeber habe ein berechtigtes Informationsinteresse im Hinblick auf die Kontrolle der Arbeitsleistung und des Verhaltens der Arbeitnehmer. Der Klägerin bleibe ein unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung. Zu einer Kritik an Vorgesetzten sei die Klägerin nicht verpflichtet. Auch könne sie bei einzelnen Fragen ohne Sanktionsmöglichkeit des Arbeitgebers die Aussage verweigern; sie sei lediglich verpflichtet, am Mitarbeiterjahresgespräch überhaupt teilzunehmen.

Wegen der Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist statthaft, § 8 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz, § 511 Abs. 1 ZPO, § 64 Abs. 2a Arbeitsgerichtsgesetz. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz, § 519, § 520 ZPO.

II.

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, die Führung von Mitarbeiterjahresgesprächen mit der Klägerin zu unterlassen und dass die Klägerin verpflichtet ist, hieran teilzunehmen.

1. Auszugehen ist zunächst davon, dass es sich bei der Einführung von Mitarbeiterjahresgesprächen nach einem formalisierten Beurteilungskatalog um eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG handelt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bei solchen Maßnahmen mitzubestimmen, die das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer im Betrieb betreffen. Mitbestimmungsfrei nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG sind lediglich Maßnahmen, die das Arbeitsverhalten regeln sollen. Dieses ist berührt, wenn der Arbeitgeber kraft seiner Organisations- und Leitungsmacht näher bestimmt, welche Arbeiten auszuführen sind und in welcher Weise das geschehen soll. Danach unterliegen nur solche Anordnungen nicht der Mitbestimmung, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert wird. Anordnungen, die dazu dienen, das sonstige Verhalten der Arbeitnehmer zu koordinieren, betreffen die Ordnung des Betriebs. Über deren Einführung und über deren Inhalt hat der Betriebsrat mitzubestimmen (BAG 19. Januar 1999 - 1 AZR 499/98; 8. Juni 1999 -1 ABR 67/98; 25. Januar 2000 - 1 ABR 3/99 - BAGE 93, 276).

Die Mitarbeiterjahresgespräche konkretisieren nicht unmittelbar die Arbeitspflicht. Vielmehr soll in diesen Gesprächen nach einem vorgegebenen Beurteilungskatalog wechselseitig vom Mitarbeiter beziehungsweise seinem Vorgesetzten dessen Leistung und Verhalten einschließlich des Führungsverhaltens in einem offenen Dialog bewertet werden. Damit ist das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betroffen. Das danach gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bestehende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hat die Beklagte beachtet, in dem sie die Betriebsvereinbarung vom 15.11.2010 (Blatt 65, 66 der Akten) abschloss.

2. Die Mitbestimmung ist nicht nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ausgeschlossen. Eine gesetzliche oder tarifliche Regelung in Bezug auf Mitarbeiterjahresgespräche besteht nicht. Eine solche ergibt sich insbesondere nicht aus § 8 ERA sowie die in Anlage 1 aufgeführten Beurteilungsmerkmale. Die Betriebsvereinbarung vom 15.11.2010 regelt keine Beurteilung im Zusammenhang mit der Bestimmung von Leistungszulagen nach § 8 ERA. Vielmehr haben die Ergebnisse der Mitarbeitergespräche nach Nr. 3 der Betriebsvereinbarung vom 15.11.2010 "keinen Einfluss auf das Entgelt des Mitarbeiters/in, weder auf die Eingruppierung noch auf die Zulagen".

3. Die Betriebsvereinbarung verstößt nicht gegen § 77 Abs. 3 BetrVG. Seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 3.12.1991- GS 2/90 (AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung) gilt der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG im Bereich der nach § 87 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten nicht. Darum geht es hier.

4. Die Betriebsvereinbarung vom 15.11.10 ist nicht wegen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 GG unwirksam. Dieses Grundrecht ist tangiert, weil es auch die negative Meinungsfreiheit gewährleistet (Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl., Art. 5 Rn. 6b) und die Klägerin aufgrund der Betriebsvereinbarung bestimmte vorformulierte Fragen beantworten muss, die sich nicht auf die Mitteilung von Tatsachen beschränken, sondern das Element der Stellungnahme enthalten, wenn auch nur in der Bewertung durch die Vergabe einer Tendenz auf einer Notenskala von 1 bis 5.

Allerdings wird das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG nicht schrankenlos gewährt, sondern durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre (Art. 5 Abs. 2 GG) beschränkt und muss in ein ausgeglichenes Verhältnis mit diesen gebracht werden (BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1467/91 - BVerfGE 93, 266; 10. November 1998 - 1 BvR 1531/96 - BVerfGE 99, 185). Dabei gibt die Verfassung das Ergebnis einer solchen Abwägung nicht vor. Dies gilt insbesondere, wenn, wie hier, auch auf Seiten des Arbeitgebers eine verfassungsrechtlich geschützte Position in Betracht kommt. Durch Art. 12 GG wird die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers geschützt (BVerfG 4. November 1995 - 1 BvR 601/92 - BVerfGE 93, 352). Auch gehört die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Vertragspartei (§ 241 Abs. 2 BGB) zu den allgemeinen Gesetzen (Art. 5 Abs. 2 GG). Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet eine Wechselwirkung statt. Insbesondere die Regelung des § 241 BGB muss ihrerseits der Wert setzenden Bedeutung des Grundrechts in einem freiheitlichen demokratischen Staat Rechnung tragen. Dem besonderen Wertgehalt des Art. 5 GG, der für eine grundsätzliche Freiheit der Meinungsäußerung streitet, muss die gebührende Beachtung geschenkt werden. Die diesem Grundrecht Schranken setzenden Regelungen und gegenläufigen verfassungsrechtlich geschützten Positionen müssen deshalb ihrerseits aus der Erkenntnis der Werte setzenden Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit ausgelegt und so in ihrer dieses Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden (so schon BVerfG 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - BVerfGE 7, 198).

Grundsätzlich ist die Rechtsprechung auch bei der Anwendung tarifvertraglicher Regelungen - für Betriebsvereinbarungen gilt aufgrund deren normativer Wirkung dasselbe (ErfK/Dieterich, GG Einl. Rn. 60)- durch die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet, solchen Regelungen die Durchsetzung zu verweigern, die eine unangemessene Beschränkung eines grundrechtlichen Freiheitsrechts zur Folge haben (BAG 27. Mai 2004 - 6 AZR 129/03). Beschränkungen des Privatlebens von Arbeitnehmern durch tarifvertragliche Regelungen können nur dann gerechtfertigt sein, wenn ein Bezug zu beruflichen Aufgaben besteht (ErfK/Dieterich GG Einl. Rn. 53; MünchArbR/Blomeyer 2. Aufl. § 53 Rn. 122; für deutlich weniger enge Voraussetzungen Pernice in Dreier GG 2. Aufl. Art. 11 Rn. 23; AK-GG-Rittstieg Art. 11 Rn. 46) . Sie müssen durch das Arbeitsverhältnis tatsächlich geboten sein (BAG 7.6.2006 - 4 AZR 316/05, Rn. 31).

Durch die Verpflichtung der Klägerin, an den Mitarbeiterjahresgesprächen teilzunehmen und eine Bewertung ihrer eigenen Leistung und ihres Verhaltens sowie des Führungsverhaltens ihres Vorgesetzten vorzunehmen, wird ihre negative Meinungsfreiheit gleichwohl nicht beeinträchtigt. Die in dem Mitarbeiterjahresgespräch abzugebenden Beurteilungen (Blatt 50 bis 59 der Akten) sind für die erfolgreiche weitere Durchführung des Arbeitsverhältnisses geboten. Die Fragen beziehen sich ausschließlich auf die arbeitsvertragliche Tätigkeit. Zu einem Gespräch über ihre Arbeitsleistung ist die Klägerin bereits aufgrund arbeitsvertraglicher Nebenpflicht verpflichtet. Ohne eine Kommunikation und die (selbst-) kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeitsleistung und dem eigenen Arbeitsverhalten im Betrieb sowie dem Führungsverhalten des Vorgesetzten ist eine dauerhafte erfolgreiche Zusammenarbeit kaum vorstellbar. Auf diese Weise lassen sich Missverständnisse und Meinungsverschiedenheiten frühzeitig erkennen und abstellen. Zudem ist durch Nr. 5 Betriebsvereinbarung die Vertraulichkeit des Mitarbeitergesprächs gewährleistet.

5. Die Betriebsvereinbarung vom 15.11.10 ist nicht wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 GG unwirksam.

Außerhalb des absoluten Kernbereichs privater Lebensgestaltung (vgl. dazu zuletzt insbesondere BVerfG 3. März 2004 -BVerfGE 109, 279, 311 ff., zu C I 3 b aa und bb der Gründe) wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht allerdings nur in den Schranken der verfassungsgemäßen Ordnung garantiert. Diese wird bestimmt durch die Gesamtheit der Normen, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind (vgl. BVerfGE 106, 28, 48 = AP BGB § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 34 = EzA BGB § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 15, zu C II 4 a der Gründe; BAG 21. August 1990 - 1 AZR 567/89 - AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 17 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 16, zu II 3 a der Gründe; 19. Januar 1999 - 1 AZR 499/98 - BAGE 90, 316 = AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 28 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 24, zu A II 3 der Gründe). In das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann daher insbesondere durch verfassungsgemäße Gesetze eingegriffen werden. Auch kann es Beschränkungen erfahren durch die rechtlich geschützten Belange anderer Grundrechtsträger (BGH 25. April 1995 - VI ZR 272/94 - LM BGB § 823 (Ah) Nr. 120, zu III 2 d der Gründe). Zu den Normen, die Einschränkungen des Persönlichkeitsrechts rechtfertigen können, gehören auch die von den Betriebsparteien im Rahmen ihrer Regelungskompetenz abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen (vgl. BAG 21. August 1990 - 1 AZR 567/89 - aaO, zu II 3 a der Gründe; 19. Januar 1999 - 1 AZR 499/98 - aaO, zu A II 3 der Gründe).

Die den Betriebsparteien durch § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG auferlegte Pflicht, die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu schützen, verbietet nicht jede Betriebsvereinbarung, die zu einer Einschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts führt (BAG 21. August 1990 - 1 AZR 567/89 - AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 17 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 16, zu II 3 a der Gründe; 19. Januar 1999 - BAGE 90, 316, 323 = AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 28 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 24, zu A II 3 der Gründe). Der Eingriff muss aber, sofern er nicht durch eine ausdrückliche gesetzliche Regelung gestattet ist, durch schutzwürdige Belange anderer Grundrechtsträger, beispielsweise des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Bei einer Kollision des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit den schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers ist eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich (vgl. BAG 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 36 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B I 3 b bb der Gründe mwN). Das zulässige Maß einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bestimmt sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser Grundsatz konkretisiert auch die den Betriebsparteien gem. § 75 Abs. 2 BetrVG auferlegte Verpflichtung (BAG 19. Januar 1999 - 1 AZR 499/98 - aaO, zu A II 3 der Gründe). Danach muss die von ihnen getroffene Regelung geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen.

Geeignet ist die Regelung dann, wenn mit ihrer Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann (BAG 19. Januar 1999 - 1 AZR 499/98 - BAGE 90, 316, 324 = AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 28 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 24, zu A II 3 der Gründe; BVerfG 3. März 2004 - 1 BvR 2378/98 - und - 1 BvR 1084/99 - BVerfGE 109, 279, 336, zu C II 3 b bb der Gründe). Dabei steht den Betriebsparteien und der Einigungsstelle - ebenso wie in einer vergleichbaren Situation dem Gesetzgeber (vgl. dazu BVerfG 3. März 2004 aaO) - ein gewisser Beurteilungsspielraum zu.

Erforderlich ist die Regelung, wenn kein anderes, gleich wirksames, aber das Persönlichkeitsrecht weniger einschränkendes Mittel zur Verfügung steht (vgl. BAG 19. Januar 1999 - 1 AZR 499/98 - BAGE 90, 316, 324 = AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 28 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 24, zu A II 3 der Gründe). Auch insoweit haben Betriebsparteien und Einigungsstelle einen gewissen Beurteilungsspielraum (vgl. zum Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers BVerfG 3. März 2004 aaO, zu C II 3 b cc (1) der Gründe).

Angemessen ist die Regelung, wenn sie verhältnismäßig im engeren Sinn erscheint. Es bedarf hier einer Gesamtabwägung zwischen der Intensität des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe; die Grenze der Zumutbarkeit darf nicht überschritten werden (BAG 19. Januar 1999 - 1 AZR 499/98 - BAGE 90, 316, 324 = AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 28 = EzA BetrVG 1972 Betriebliche Ordnung Nr. 24, zu A II 3 der Gründe mwN; vgl. auch 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 36 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B I 3 b bb der Gründe mwN). Die erforderliche Rechtsgüterabwägung kann nicht abstrakt vorgenommen werden. Weder geht das Eigentum (Art. 14 GG) stets dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht vor noch ist dieses stets vorrangig. Vielmehr sind jeweils die Gesamtumstände maßgeblich. Dabei ist für die Angemessenheit einer grundrechtsbeschränkenden Maßnahme die Eingriffsintensität mitentscheidend (vgl. BVerfG 3. März 2004 - 1 BvR 2378/98 - und - 1 BvR 1084/99 - BVerfGE 109, 279, zu C II 3 b ee (3) (a) der Gründe).

Der Kernbereich privater Lebensgestaltung der Klägerin wird durch die Verpflichtung zur Teilnahme an dem Mitarbeiterjahresgespräch nicht betroffen. Sie hat ausschließlich Angaben in Bezug auf ihr Arbeitsverhältnis zu machen. Dieser Eingriff ist durch schutzwürdige Belange des Arbeitgebers gerechtfertigt. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist es der Klägerin zuzumuten, die in dem Erhebungsbogen (Blatt 50 bis 59 der Akten) geforderten Angaben zu machen. Das Mitarbeiterjahresgespräch dient einer Verbesserung der Kommunikation zwischen Führungskräften und Mitarbeitern. Dieses Ziel kann durch das Mitarbeiterjahresgespräch erreicht werden. Dadurch, dass die Führungskraft und der Mitarbeiter sich einmal im Jahr zusammensetzen und und in sachlicher Atmosphäre die einzelnen Beurteilungspunkte wechselseitig durchgehen, kommen sie ins Gespräch über die zuletzt zurückgelegte Zeit des Arbeitsverhältnisses. Bereits dies stellt eine Verbesserung der Kommunikation gegenüber dem Zustand dar, dass ein derartiges Mitarbeitergespräch nicht stattfindet. In dem Mitarbeitergespräch können unterschiedliche Wahrnehmungen der Leistungen ausgetauscht und auf dieser Grundlage Verbesserungspotenziale entwickelt werden.

Die Mitarbeitergespräche sind auch erforderlich, um die gewünschte Verbesserung der Kommunikation zu erreichen. Dadurch, dass sie in regelmäßigen Abständen (einmal im Jahr) geführt werden, findet ein regelmäßiger Austausch statt. Hierdurch wird sichergestellt, dass die gemeinsame Rückschau und Bewertung der zuletzt erbrachten Leistungen nicht im Alltagsgeschäft untergeht.

Das Führen der Mitarbeitergespräche ist der Klägerin auch zumutbar. Die Eingriffsintensität ist niedrig. Die Klägerin hat lediglich Angaben mit dienstlichem Bezug zu machen. Das Gespräch findet in einer offenen Atmosphäre mit ihrem Vorgesetzten statt. Die Befürchtung der Klägerin, die Äußerung von Kritik an ihrem Vorgesetzten könne für sie zu Nachteilen im Arbeitsverhältnis führen, ist jedenfalls dann unbegründet, wenn sie diese in sachlicher Form äußert. Die Vertraulichkeit ihrer Angaben ist durch Nr. 5 Betriebsvereinbarung gewährleistet.

III.

Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 72 Arbeitsgerichtsgesetz.

 



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