Landesarbeitsgericht Hessen

Urteil vom - Az: 16 TaBV 191/21

Arbeitgeber droht Strafe bei Kündigung ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats

Es kann eine grobe Pflichtverletzung des Arbeitgebers nach § 23 Absatz 3 BetrVG darstellen, wenn er Kündigungen ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Absatz 1 BetrVG ausspricht.
(Leitsatz des Gerichts)

Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber in den Jahren 2019 und 2020 mehreren Mitarbeitern gekündigt, ohne den Betriebsrat zuvor beteiligt zu haben.
Der Arbeitgeber entschuldigte dies damit, dass der Betriebsrat entweder auf Wunsch des Betroffenen nicht informiert worden sei, weil dieser die Kündigung „gewünscht“ habe, oder wegen eines Versehens durch den Personalsachbearbeiter. Daraufhin beantragte der Betriebsrat beim zuständigen Arbeitsgericht, dem Arbeitgeber aufzugeben, es unter Androhung eines Ordnungsgeldes zu unterlassen, Kündigungen auszusprechen, ohne zuvor den Betriebsrat nach § 102 BetrVG zu beteiligen. Nachdem das Arbeitsgericht den Antrag zunächst abwies, entschied das LAG im Sinne des Betriebsrates. Der Arbeitgeber habe mit seinem Verhalten grob gegen seine Verpflichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz verstoßen. Die ausgebliebene Anhörung sei auch schwerwiegend, da der Betriebsrat seine kollektiven Rechte nicht zu Gunsten der von den Kündigungen betroffenen Arbeitnehmern gegenüber dem Arbeitgeber wahrnehmen konnte. Auch wenn der Arbeitnehmer im Rahmen von Aufhebungsverhandlungen darum gebeten hat, eine Kündigung auszusprechen, um aus einer Aufhebungs- eine Abwicklungsvereinbarung zu machen, sei vor dem Ausspruch dieser "gewünschten" Kündigung eine Betriebsratsanhörung erforderlich.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 9. November 2021 - 24 BV 534/20 - abgeändert:

1. Der Arbeitgeberin wird aufgegeben, es zu unterlassen, Kündigungen auszusprechen, ohne zuvor den Betriebsrat nach § 102 BetrVG zu beteiligen.

2. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen ihre Verpflichtung aus Ziffer 1 wird der Arbeitgeberin ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 10.000,00 EUR (in Worten: Zehntausend und 0/100 Euro) angedroht.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über einen Unterlassungsantrag des Betriebsrats (Antragsteller) gegenüber dem Arbeitgeber (Beteiligter zu 2) nach § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG sowie über die Androhung eines Ordnungsgeldes.

Ende Februar 2019 erklärte der Arbeitgeber gegenüber dem Mitarbeiter A eine Kündigung, ohne den Betriebsrat zuvor angehört zu haben. Der Betriebsrat beanstandete dies (sowie verschiedene Verstöße gegen § 99 Abs. 1 BetrVG) mit Schreiben vom 16. April 2019 (Bl. 7, 8 der Akte). Daraufhin teilte der Arbeitgeber der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats unter dem 24. April 2019 (Bl. 9, 10 der Akte) mit, dass im Fall des Herrn A eine Anhörung des Betriebsrats deshalb unterblieben sei, weil die Kündigung in Abstimmung mit dem Rechtsbeistand und auf dessen Wunsch ausgesprochen wurde, um aus der Aufhebungsvereinbarung eine Abwicklungsvereinbarung zu machen.

Ende September 2020 erklärte der Arbeitgeber sechs krankheitsbedingte Kündigungen, ohne den Betriebsrat zuvor beteiligt zu haben. Der Arbeitgeber entschuldigte dies mit einem Versehen des zuständigen Sachbearbeiters der Personalabteilung und versicherte dem Betriebsrat, dass dieser -außer in den Fällen, in denen die Kündigung auf Wunsch des Arbeitnehmers ausgesprochen werde- künftig zu jeder Kündigung angehört werde.

Mit seinem am 27. November 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag hat der Betriebsrat geltend gemacht, dem Arbeitgeber aufzugeben, es unter Androhung eines Ordnungsgeldes zu unterlassen, Kündigungen auszusprechen, ohne zuvor den Betriebsrat nach § 102 BetrVG zu beteiligen.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter A (Bl. 48-50 der Akte) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge zurückgewiesen; wegen der Begründung wird auf die Ausführungen im Beschluss unter B (Bl. 50-53 der Akte) verwiesen.

Dieser Beschluss wurde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats am 3. Dezember 2021 zugestellt, die dagegen am 27. Dezember 2021 Beschwerde eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis 3. März 2022 am 3. März 2022 begründet hat.

Der Betriebsrat rügt, das Arbeitsgericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass es eine hohe Anzahl von Kündigungen gab, die ohne Betriebsratsbeteiligung ausgesprochen wurden. Das Arbeitsgericht habe übersehen, dass im Falle der Durchsetzung im individualrechtlichen Verfahren die Rechte des Betriebsrats außen vor blieben. Daher treffe die Argumentation des Arbeitgebers, durch das Unterlassen der Anhörung des Betriebsrats finde eine ausreichende (individualrechtliche) Sanktion statt, nicht zu. Aufgrund der Vielzahl der Verstöße im September 2020 sei von einem groben Verstoß des Arbeitgebers auszugehen. Im Übrigen könne auch eine einmalige Pflichtverletzung einen groben Verstoß darstellen, wenn sie schwer genug sei. Der Vortrag des Arbeitgebers, es habe ein Versehen des Sachbearbeiters vorgelegen, sei lediglich vorgeschoben. Tatsächlich hätten die gekündigten Arbeitnehmer auf ein Schreiben des Arbeitgebers nicht reagiert, der diese dann durch den Ausspruch der Kündigungen "wachrütteln" wollte. Es reiche nicht aus, dass sich der Arbeitgeber für den Pflichtverstoß entschuldigt habe und sich auf ein Versehen berufe.

Der Betriebsrat beantragt,

1. unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 9. November 2021 -24 BV 534/20- der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, Kündigungen auszusprechen, ohne zuvor den Betriebsrat nach § 102 BetrVG zu beteiligen;

Hilfsweise

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 9. November 2021 -24 BV 534/20- der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, Kündigungen auszusprechen, ohne zuvor den Betriebsrat nach § 102 BetrVG zu beteiligen, es sei denn, die von der Kündigung betroffene Person selbst hat darum gebeten, dass eine Kündigung ausgesprochen wird;

2. für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen ihre Verpflichtung aus Ziffer 1 der Arbeitgeberin ein Ordnungsgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, anzudrohen.

Der Arbeitgeber beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Arbeitgeber ist der Ansicht, ein grober Verstoß gegen seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten liege nicht vor. Hinsichtlich der vom Betriebsrat angeführten Kündigung aus dem Jahr 2019 sei zu berücksichtigen, dass diese auf ausdrücklichen Wunsch des Arbeitnehmers erfolgte, um aus einer Aufhebungs- eine Abwicklungsvereinbarung zu machen. Bei den sechs krankheitsbedingten Kündigungen aus September 2020 sei durch ein Versehen des Sachbearbeiters die vorherige Betriebsratsanhörung unterblieben. Im September 2020 habe zwischen dem damaligen Personalleiter des Arbeitgebers, dem Personalsachbearbeiter und dem Verfahrensbevollmächtigten des Arbeitgebers zu einem völlig anderen Thema ein Gespräch stattgefunden. Im Rahmen dieses Gesprächs sei seitens des Arbeitgebers beiläufig erwähnt worden, dass sechs langzeiterkrankte Arbeitnehmer auf Kontaktaufnahmeversuche des Arbeitgebers nicht reagierten. Daraufhin habe der Verfahrensbevollmächtigte des Arbeitgebers erklärt, es wäre eine Möglichkeit den Mitarbeitern zu kündigen, dann müssten sie ja reagieren und man käme ins Gespräch. Im Nachgang zu diesem Gespräch habe der Personalleiter dem Personalsachbearbeiter mitgeteilt, dass es erheblichen Druck aus dem Konzern gäbe, den Headcount zu reduzieren, weshalb er jetzt die Kündigungen aussprechen solle, wie mit dem Verfahrensbevollmächtigten besprochen. Daraufhin habe der Personalsachbearbeiter den sechs Langzeiterkrankten noch am selben Tag gekündigt, wobei er die erforderliche Betriebsratsanhörung vergessen habe. Dies lasse sich nur damit erklären, dass er sich außerhalb seines ihm vertrauten Ablaufs bei Kündigungen befunden habe. Normalerweise gebe es bei jeder Kündigung einen strukturierten Prozess. Ferner sei zu berücksichtigen, dass der Betriebsrat erst seit 2 Jahren bestanden habe. Zudem sei die Personalabteilung von vielen Vorgesetztenwechseln geprägt gewesen. Es habe noch keine eingeschwungene Praxis für den Ausspruch von Kündigungen gegeben, an der sich der Personalsachbearbeiter hätte orientieren können. Vielmehr sei immer von Fall zu Fall neu überlegt worden, was zu tun sei. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 19. Juli 2002 -10 TaBV 42/02- liege kein grober Verstoß, der einen Unterlassungsanspruch begründen könne, vor. Allein die Anzahl der Kündigungen (sechs) begründe keine grobe Pflichtverletzung, da über sämtliche Kündigungen auf einmal entschieden worden sei. Zudem sei die Nichtbeteiligung des Betriebsrats versehentlich und nicht etwa bewusst und zielgerichtet erfolgt. Dass der Betriebsrat in diesen Fällen hätte angehört werden müssen, stehe außer Zweifel. Aufgrund der geschilderten Umstände liege jedoch kein grober Verstoß gegen die Arbeitgeberpflichten aus dem BetrVG vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Anhörungsprotokolle Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG, und zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet wurde, § 87 Abs. 2 S. 1, § 66 Abs. 1 S. 1, § 89 Abs. 1 und 2 ArbGG, § 594 ZPO.

2. Die Beschwerde ist begründet.

Der Antrag ist zulässig.

Der Betriebsrat ist antragsbefugt im Sinne von § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG.

Der Antrag ist hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er ist darauf gerichtet, dem Arbeitgeber aufzugeben, es zu unterlassen, Kündigungen auszusprechen, ohne ihn zuvor nach § 102 BetrVG zu beteiligen. Der Begriff der Kündigung ist eindeutig. Es handelt sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, gerichtet auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Betriebsrat begehrt die Unterlassung von arbeitgeberseitigen Kündigungen von Arbeitsverhältnissen, ohne zuvor nach § 102 BetrVG beteiligt zu werden. Der Antrag ist als Globalantrag dahingehend zu verstehen, dass der Betriebsrat bei jedweder Art von arbeitgeberseitigen Kündigungen von Arbeitsverhältnissen beteiligt werden möchte.

Der Hauptantrag zu 1 ist begründet.

Nach § 23 Abs. 3 BetrVG kann der Betriebsrat dem Arbeitgeber bei einem groben Verstoß gegen seine Verpflichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz durch das Arbeitsgericht aufgeben lassen, eine Handlung zu unterlassen. Die Regelung dient dem Schutz der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung gegen grobe Verstöße des Arbeitgebers. Es soll ein Mindestmaß gesetzmäßigen Verhaltens des Arbeitgebers im Rahmen der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung sichergestellt werden. Mit dieser Vorschrift soll der Arbeitgeber zur Erfüllung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten angehalten werden (BAG 12. März 2019 - 1 ABR 42/17- Rn. 72). Aus diesem Grund kommt § 23 Abs. 3 bei groben Verstößen gegen § 102 Abs. 1 S. 1 und 2 in Betracht, um dessen Beachtung für die Zukunft zu erzwingen (GK-BetrVG-Oetker, 12. Aufl., § 23 Rn. 197). Nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Damit verknüpft die Norm die dem Arbeitgeber nach § 102 Abs. 1 S. 1 und 2 BetrVG obliegenden betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten mit der individualrechtlichen Sanktion, der Unwirksamkeit der ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochenen Kündigung. Hieraus folgt jedoch nicht, dass ein Verstoß gegen die Anhörungspflicht allein auf diese individualvertragliche Folge beschränkt ist. Vielmehr beinhalten die Sätze 1 und 2 des § 102 BetrVG Verpflichtungen des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat. Hierbei handelt es sich um "Verpflichtungen aus diesem Gesetz" im Sinne von § 23 Abs. 3 BetrVG. Diese Norm gewährt dem Betriebsrat ein eigenes Recht, die Unterlassung grober Verstöße gegen dieses Gesetz geltend zu machen. Durch die Beteiligung des Betriebsrats vor dem Ausspruch von Kündigungen soll dieser Gelegenheit erhalten, dem Arbeitgeber die Sicht und Überlegungen der Arbeitnehmerseite zum Kündigungsentschluss zur Kenntnis zu bringen, um ihm Gelegenheit zu geben, mögliche Bedenken zu Gunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (Bundesarbeitsgericht 28. Juni 2005 -1 ABR 35/04-Rn. 18). Die Norm gewährleistet damit die Wahrnehmung kollektiver Rechte des Betriebsrats vor der Ausübung individualvertraglicher Befugnisse des Arbeitgebers gegenüber Arbeitnehmern.

Der als Globalantrag formulierte Antrag zu 1 des Betriebsrats ist nicht zu weit gefasst. Danach hat es der Arbeitgeber zu unterlassen (jedwede) Kündigungen auszusprechen, ohne zuvor den Betriebsrat zu beteiligen. Entgegen der Auffassung des Arbeitgebers sind keine Fallgestaltungen denkbar, in denen Kündigungen ohne die vorherige Anhörung des Betriebsrats möglich wären. Soweit das LAG Hamm (19. Juli 2002 -10 TaBV 42/02- Rn. 40) eine Anhörungspflicht des Betriebsrats verneint, wenn sich die Arbeitsvertragsparteien bereits vorher auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einen Abwicklungsvertrag vollständig geeinigt haben und der Arbeitgeber gleichzeitig eine Kündigung ausspricht, ist die Entscheidung durch den entgegenstehenden Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Juni 2005 (1 ABR 35/04-Rn. 18 ff) überholt. Zwar unterliegt der Abschluss eines Aufhebungsvertrages nicht der Beteiligungspflicht nach § 102 BetrVG. Anders ist dies jedoch, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem Personalgespräch eine Verständigung darüber erzielt haben, dass der Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung und der Abschluss einer Abwicklungsvereinbarung erfolgen soll. Bei der Kündigung handelt es sich hier nicht um ein Scheingeschäft, da diese zur Herbeiführung des von den Parteien tatsächlich beabsichtigten Erfolgs der wirksamen Vornahme des betreffenden Rechtsgeschäfts gerade bedarf (BAG a.a.O., Rn. 21ff).

Ein grober Verstoß des Arbeitgebers im Sinne von § 23 Abs. 3 BetrVG ist bei einer objektiv erheblichen und offensichtlich schwerwiegenden Pflichtverletzung zu bejahen (BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 77/10 - Rn. 15). Auf ein Verschulden des Arbeitgebers kommt es dabei nicht an. Der Annahme eines groben Verstoßes kann entgegenstehen, dass der Arbeitgeber seine Rechtsposition in einer schwierigen und ungeklärten Rechtsfrage verteidigt (BAG 19. Januar 2010 - 1 ABR 55/08 - Rn. 28, BAGE 133, 75). Eine grobe Pflichtverletzung indiziert die Wiederholungsgefahr. Diese ist nur dann ausgeschlossen, wenn aus faktischen oder rechtlichen Gründen eine Wiederholung des betriebsverfassungswidrigen Verhaltens ausscheidet. Die bloße Zusicherung, zukünftig betriebsvereinbarungswidriges Verhalten zu unterlassen, genügt hierfür hingegen nicht (BAG 18. März 2014 - 1 ABR 77/12- Rn. 15; 7. Februar 2012 - 1 ABR 77/10 - Rn. 15).

Danach liegt hier ein grober Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus dem BetrVG vor.

Dies ergibt sich zum einen aus der Ende Februar 2019 gegenüber dem Mitarbeiter A ausgesprochenen Kündigung ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats. Auch wenn dessen Rechtsbeistand im Rahmen von Aufhebungsverhandlungen darum gebeten hatte, eine Kündigung auszusprechen, um aus einer Aufhebungs- eine Abwicklungsvereinbarung zu machen, war vor dem Ausspruch dieser "gewünschten" Kündigung eine Betriebsratsanhörung erforderlich (Bundesarbeitsgericht 28. Juni 2005 -1 ABR 25/ 04 -Rn. 22). Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts war die vom LAG Hamm (19. Juli 2002 -10 TaBV 42/02- Rn. 41) - damals - noch als "höchstrichterlich nicht geklärt" bezeichnete Frage zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung gegenüber dem Mitarbeiter A Ende Februar 2019 seit langem geklärt.

Hinzu kommt der Ausspruch der sechs Kündigungen aus September 2020 für die offensichtlich eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG erforderlich war. Dies stellt der Arbeitgeber auch nicht in Abrede, sondern beruft sich auf ein Versehen des Personalsachbearbeiters. Im Hinblick darauf, dass vor jeder Kündigung der Betriebsrat zu hören ist und der Personalsachbearbeiter die Kündigungen nicht versehentlich, sondern bewusst auf Anweisung des Personalleiters ausstellte, war die Rechtslage eindeutig. Insoweit liegt eine objektiv erhebliche und offensichtlich schwerwiegende Pflichtverletzung vor. Dies gilt selbst dann, wenn man den Ausspruch der sechs Kündigungen zu einem einheitlichen Verstoß zusammenfasst. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts lag auch keine höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage vor. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob der Ausspruch von Kündigungen ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats einen Unterlassungsanspruch gemäß § 23 Abs. 3 BetrVG rechtfertigen kann. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Ausspruch von sechs Kündigungen ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats gegen § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG verstößt. Dies ist offensichtlich. Aus diesem Grund ist auch nicht von ausschlaggebender Bedeutung, dass nach dem Vortrag des Arbeitgebers zum fraglichen Zeitpunkt die Personalabteilung von vielen Vorgesetztenwechseln geprägt gewesen sei und noch keine "eingeschwungene Praxis" beim Ausspruch von Kündigungen bestanden habe. Vielmehr hätte der Personalsachbearbeiter dann im Rahmen der von ihm vorzunehmenden Einzelfallbearbeitung ohne weiteres erkennen können, dass der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigungen anzuhören ist. Der Verstoß war auch objektiv erheblich. § 102 Abs. 1 BetrVG ist eines der wesentlichen Beteiligungsrechte des Betriebsrats. Die Pflichtverletzung war schwerwiegend, denn der Betriebsrat konnte seine kollektiven Rechte nicht zu Gunsten der von den Kündigungen betroffenen Arbeitnehmern gegenüber dem Arbeitgeber wahrnehmen.

Die festgestellte grobe Pflichtverletzung indiziert die Wiederholungsgefahr. Faktische oder rechtliche Gründe, die eine Wiederholung des betriebsverfassungswidrigen Verhaltens ausschließen, liegen nicht vor. Im Gegenteil: Es kann jederzeit wieder vorkommen, dass der Personalsachbearbeiter vor dem Ausspruch von Kündigungen die Anhörung des Betriebsrats vergisst. Die Zusicherung, künftig betriebsverfassungswidriges Verhalten zu unterlassen, schließt die Wiederholungsgefahr nicht aus.

Der Antrag zu 2 ist begründet. Dem Schuldner kann für den Fall, dass er der Verpflichtung zuwiderhandelt, eine bestimmte Handlung zu unterlassen, gemäß § 890 Abs. 1 und 2 ZPO auf Antrag wegen einer jeden Zuwiderhandlung die Festsetzung von Ordnungsgeldern angedroht werden. Der Antrag kann mit dem Sachantrag im Erkenntnisverfahren verbunden werden, wobei die Höchstgrenze des § 23 Abs. 3 S. 5 BetrVG zu beachten ist (Bundesarbeitsgericht 24. April 2007 -1 ABR 47/06- Rn. 24).

III.

Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, liegen nicht vor, §§ 92Abs. 1, 72 ArbGG.



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