Arbeitsgericht Darmstadt

Beschluss vom - Az: 7 BVGa 13/09

Produktionsausfall ("Just-in-time") steht Betriebsversammlung nicht entgegen

Die Durchführung von Betriebsversammlungen hat gem. §44 I BetrVG während der Arbeitszeit stattzufinden. Dies ist nur dann unzumutbar, wenn technisch organisatorische Gründe entgegenstehen. Unbeachtlich hingegen sind wirtschaftliche Verluste durch Produktionsausfall, auch wenn dadurch ein höherer Schaden als üblich eintritt (hier: Just-in-time-Organisation mit Vertragsstrafenregelung). Ausnahmsweise folgt die Unzumutbarkeit jedoch, wenn wegen der Versammlung ruinöse wirtschaftliche Nachteile für den Betrieb entstehen.

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Gründe

I. Die Beteiligten streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Untersagung der Durchführung einer Betriebsversammlung.

Der Beteiligte zu 2) beabsichtigt, am 8. Mai 2009 ab 11:00 Uhr im Betrieb der Beteiligten zu 1) eine ordentliche Betriebsversammlung mit der aus Blatt 49 der Akten ersichtlichen Tagesordnung durchzuführen. Die Beteiligte zu 1) beliefert die A. GmbH mit Zubehörteilen im so genannten Just-in-time-System. Ihre Mitarbeiter arbeiten in einem Zwei Schicht System.

Die Beteiligte zu 1) ist der Auffassung, dass aufgrund der besonderen Eigenart ihres Betriebes eine Betriebsversammlung nicht während der Arbeitszeit durchgeführt werden kann, zumal die Produktion ihres Kunden auf Hochtouren laufe. Da mit dem Kunden eine Konventionalstrafe in Höhe von 500,00 US-Dollar je verursachter Minute Bandstillstand, zahlbar ab der fünften Minute, vereinbart sei, müsse sie bei einem Stillstand von nur 60 Minuten schon mit einer Konventionalstrafe von 28.000,00 US-Dollar rechnen. Angesichts des Umfanges der auf der Betriebsversammlung zu besprechenden Themen sei mit einem vielfachen dieses Betrages zu rechnen, da der geschätzte Zeitaufwand wenigstens drei bis vier Stunden betrage.

Sie beantragt,

1. dem Beteiligten zu 2) im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, die Durchführung der angekündigten ordentlichen Betriebsversammlung am 8. Mai 2009 ab 11:00 Uhr zu unterlassen;
2. dem Beteiligten zu 2) im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, die Durchführung der angekündigten ordentlichen Betriebsversammlung am 8. Mai 2009 zu einem anderen Zeitpunkt während der Arbeitszeit einer der Schichten zu unterlassen;
3. für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen eines der Verbote zu 1. und 2. dem Beteiligten zu 2) eine im Hinblick auf die Dauer in das Ermessen des Gerichts gestellte Ordnungshaft, mindestens jedoch 15 Tage, anzudrohen.

Der Beteiligte zu 2) beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass keine ausreichenden Gründe vorliegen, um von der gesetzlichen Regel abzuweichen, die eine Durchführung der ordentlichen Betriebsversammlung während der Arbeitszeit vorsieht. Nach seinem Kenntnisstand gestehe der Kunde einen Produktionsausfall von bis zu 60 Minuten zu, wenn eine Betriebsversammlung stattfinde. Es sei von einer Dauer von ca. 2,5 Stunden für die Betriebsversammlung auszugehen und auch am 7. November und 20. November 2008 habe im Betrieb der Beteiligten zu 1) eine Betriebsversammlung während der Arbeitszeit stattgefunden, ohne dass über eine Konventionalstrafe gesprochen worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen.

II. Die Anträge sind unbegründet. Zu Gunsten der Beteiligten zu 1) besteht kein Unterlassungsanspruch, da die beabsichtigte Durchführung der ordentlichen Betriebsversammlung rechtmäßig ist.

Auszugehen ist von dem Grundsatz des § 44 Abs. 1 S. 1 BetrVG, wonach die regelmäßigen Betriebsversammlungen während der Arbeitszeit stattfinden, soweit nicht die Eigenart des Betriebs eine andere Regelung zwingend erfordert. Unter der Eigenart des Betriebs ist in erster Linie die organisatorisch technische Besonderheit des konkreten Einzelbetriebes zu verstehen (BAG vom 9. März 1976,1 ABR 74/74 = AP Nr. 3 zu § 40 BetrVG 1972). Grundsätzlich zählen wirtschaftliche Zumutbarkeitserwägungen nicht zu den zwingenden Erfordernissen im Sinne dieser Vorschrift, denn das Gesetz spricht von der Eigenart des Betriebes, nicht des Unternehmens. Eine absolute wirtschaftliche Unzumutbarkeit wäre allerdings nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, insbesondere nach § 2 Abs. 1 BetrVG, erheblich (BAG a. a. O.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist festzustellen, dass die Eigenart des Betriebes eine Durchführung der ordentlichen Betriebsversammlung außerhalb der Arbeitszeit nicht zwingend erfordert. Auch wenn es zutreffen mag, dass bei einer zeitlich sehr straffen Just-in-time-Organisation ein Vorarbeiten nicht möglich ist und daraus die von der Beteiligten zu 1) genannte Konventionalstrafe resultiert, handelt es sich dabei allenfalls um eine Frage der wirtschaftlichen Zumutbarkeit, nicht jedoch um organisatorisch technische Besonderheiten des Einzelbetriebes. Eine Betriebsversammlung während der Arbeitszeit führt in allen Produktionsbetrieben dazu, dass die Produktion für die Zeit der Betriebsversammlung ruht. Genauso wenig ist es eine Besonderheit, dass es dabei zu Beeinträchtigungen von Lieferungen und Kundenbeziehungen kommen kann. Eine Besonderheit besteht allenfalls darin, dass die entstehenden wirtschaftlichen Nachteile größer sind, als es der Regelfall ist. Gleichwohl kann eine absolute wirtschaftliche Unzumutbarkeit, die einen Verstoß gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit im Sinne des § 2 Abs. 1 BetrVG darstellen würde, nicht festgestellt werden. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn das Ruhen der Produktion für die Zeit der Betriebsversammlung dazu führen würde, dass ein wirtschaftlich ruinöser Schaden entsteht. Dies ist jedoch aus dem Vorbringen der Beteiligten nicht zu ersehen.

Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1) spielt es auch keine entscheidende Rolle, dass ein möglicher Investor des Kunden der Meinung sein könnte, ein Produktionsausfall infolge einer Betriebsversammlung des Lieferanten zeige, dass der Lieferant nicht vertrauenswürdig sei (Imageverlust). Wenngleich nicht auszuschließen ist, dass es Investoren gibt, die der Meinung sind, die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes müssten nicht befolgt werden, kann dies mit Sicherheit nicht dazu führen, dass daraus ein zwingender Grund für die Durchführung einer Betriebsversammlung außerhalb der Arbeitszeit entgegen der Regel des § 44 Abs. 1 S. 1 BetrVG folgt.



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