Arbeitsgericht Darmstadt

Beschluss vom - Az: 8 BV 4/02

Leiharbeitnehmer vergrößern den Betriebsrat

Bei der Ermittlung der Betriebsratsgröße gem. §9 BetrVG sind die im Betrieb regelmäßig beschäftigten Leiharbeitnehmer mitzuzählen.

Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I. Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit der Wahl des Betriebsrates.

Bei dem Beteiligten zu 2. handelt es sich um den im Betrieb der Antragstellerin (Beteiligte zu 1., im Folgenden: Arbeitgeberin) gebildeten Betriebsrat.

Die Betriebsratswahl fand am 23. April 2002 statt. Zu diesem Zeitpunkt waren einschließlich der Reinigungskraft 54 Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt. Wie viele dieser Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt bereits gekündigt waren und Abwicklungsverträge unterschrieben hatten, ist zwischen den Beteiligten streitig. Weiterhin waren 5 Leiharbeitnehmer i.S.d. Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, die bereits länger als 3 Monate im Betrieb eingesetzt waren, beschäftigt. Der Betriebsleiter ... wird von beiden Beteiligten als leitender Angestellter betrachtet.

Mit Interessenausgleich und Sozialplan vom 8. Februar 2002 hatten die Beteiligten die Absenkung des Personalbestandes von 59 auf 48 Personen vereinbart.

Es wurde ein Betriebsrat mit 5 Mitgliedern gewählt. Die Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgte noch am 23. April 2002.

Die Arbeitgeberin macht mit dem am 7. Mai 2002 eingeleiteten Wahlanfechtungsverfahren die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl vom 23. April 2002 geltend. Sie ist der Auffassung, es hätte nur ein aus 3 Mitgliedern bestehender Betriebsrat gewählt werden dürfen, da nur von 49 wahlberechtigten Arbeitnehmern i.S.d. § 9 habe ausgegangen werden dürfen. Die Arbeitgeberin meint, die Leiharbeitnehmer hätten nicht mitgezählt werden dürfen.

Die Arbeitgeberin behauptet, zum Zeitpunkt der Betriebsratswahl hätten bereits 5 Arbeitnehmer Kündigungen erhalten und jeweils Abwicklungsverträge unterschrieben gehabt.

Die Arbeitgeberin beantragt

festzustellen, dass die Betriebsratswahl vom 23. April 2002 unwirksam ist.

Der Betriebsrat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, es seien mehr als 50 wahlberechtigte Arbeitnehmer i.S.d. § 9 BetrVG im Betrieb beschäftigt gewesen, da die Leiharbeitnehmer mitzuzählen seien. Dies sei gerechtfertigt, da diese Arbeitnehmer ständig besetzte Arbeitsplätze inne hätten. Darüberhinaus hätten die bereits gekündigten Arbeitnehmer berücksichtigt werden müssen. Hierzu behauptet der Betriebsrat, es seien lediglich 4 Arbeitnehmer gekündigt gewesen. Den Interessenausgleich und Sozialplan habe die Arbeitgeberin, so behauptet der Betriebsrat, nicht umgesetzt.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 22. Oktober 2002 (Blatt 24 d. A.) Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist nicht begründet.

Gem. § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Betriebsratswahl beim Arbeitsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.

Absatz zwei dieser Vorschriften bestimmt, dass unter anderem der Arbeitgeber anfechtungsberechtigt ist und die Wahlanfechtung nur binnen einer Frist von 2 Wochen, vom Tage der Bekanntgabe des Wahlergebnisses angerechnet, zulässig ist. Diese Frist hat die Arbeitgeberin mit dem per Fax am 7. Mai 2002 eingeleiteten Wahlanfechtungsverfahrens eingehalten.

Die Wahlanfechtung scheitert jedoch daran, dass entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren nicht verletzt wurden. Auf der Grundlage des eigenen Sachvortrags der Arbeitgeberin war bei der Berechnung der Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder von 54 im Betrieb beschäftigten wahlberechtigten Arbeitnehmern i.S.d. § 9 S. 1 BetrVG auszugehen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob 5 oder lediglich 4 Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens bereits ihre Kündigung erhalten und Abwicklungsverträge unterschrieben hatten und ob es fest stand, dass in Durchführung des Interessenausgleichs und Sozialplans vom 8. Februar 2002 "in der Regel" (vgl. GKBetrVG-Kreutz § 9 Rn. 9) unter Berücksichtigung einer Prognose über die wirtschaftliche Entwicklung des Betriebes nur noch 49 oder 50 -- je nach dem, ob 4 oder 5 Arbeitnehmer bereits gekündigt waren -- beschäftigt waren. Die Anwendung der dritten Staffel des § 9 S. 1 BetrVG folgt nämlich daraus, dass die Leiharbeitnehmer als wahlberechtigte Arbeitnehmer im Sinne des § 9 S. 1 anzusehen sind und damit eine Beschäftigtenzahl von mehr als 50 anzunehmen ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur alten Fassung des § 9 BetrVG gehören zu den bei der Betriebsratsgröße zu berücksichtigenden betriebsangehörigen Arbeitnehmern nicht die im Betrieb beschäftigten Leiharbeitnehmer, die in arbeitsvertraglichen Beziehungen zu einem nicht gewerbsmäßig tätigen Arbeitgeber stehen (Beschluss vom 18. Januar 1989, EZA Nr. 4 zu § 9 BetrVG 1972). Auch zu der durch das Betriebsverfassungsreformgesetz geänderten Vorschrift des § 9 S. 1 BetrVG wird in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertreten, die Leiharbeitnehmer im Sinne des AÜG seien bei der Ermittlung der Betriebsratsgröße nicht zu berücksichtigen (Arbeitsgericht Düsseldorf, DB 2002, 1781 Arbeitsgericht Herne, ebenda S. 1782, Schieffer, ebenda S. 1774, Maschmann DB 2001, 2446, 2448 m.w.Nachw.). Diese Auffassung ("Leiharbeitnehmer wählen, ohne zu zählen") stützt sich darauf, dass Arbeitnehmer des Betriebs nur sei, wer aufgrund eines Arbeitsvertrags mit dem Betriebsinhaber tätig werde. Hätte der Gesetzgeber eine generelle Einbeziehung der Leiharbeitnehmer in die Betriebsverfassung gewollt, so hätte er eine entsprechende Klarstellung vornehmen müssen. Hierfür wäre der systematisch richtige Standort die Arbeitnehmerdefinition des § 5 Abs. 1 BetrVG, zumal dort seit der Neuordnung ausdrücklich Regelungen über die im Außendienst oder mit Telearbeit Beschäftigten verankert worden seien. Dazu sei es aber nicht gekommen. Der Gesetzgeber habe ausweislich der amtlichen Begründung nicht vorgehabt, die "Randbelegschaft" vollkommen dem BetrVG zu unterstellen; vielmehr habe sie nur an die Stammbelegschaft "herangeführt" werden sollen. Es seien lediglich "behutsame Eingriffe" geplant gewesen. Hiermit sei eine spezifisch betriebsverfassungsrechtliche Neudefinition des Arbeitnehmerbegriffs nicht zu vereinbaren. Den Begriff der wahlberechtigten Arbeitnehmer habe das Gesetz allein deshalb verwandt, um ihn von dem der nicht wahlberechtigten Arbeitnehmer abzugrenzen; die Frage der Wahlberechtigung i.S.d. § 9 S. 1 BetrVG sei aber bislang nur eine solche des Alters gewesen, nicht jedoch eine der Arbeitnehmereigenschaft. Es spreche nichts dafür, den Begriff des wahlberechtigten Arbeitnehmers anders als bisher zu verstehen, zumal das Gesetz auch den nicht zwingend an die Arbeitnehmereigenschaft gekoppelten Begriff des Wahlberechtigten, und zwar z. B. in § 19 Abs. 2 S. 1 BetrVG, kenne (Maschmann, a.a.O.).

Die Kammer folgt dieser Auffassung nicht. Sie ist ebenso wie verschiedene Autoren (Nachweise bei Fitting u.a. BetrVG § 9 Rn. 21) der Meinung, dass Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung der Anzahl der Betriebsratsmitglieder mitzuzählen sind. Seit der Änderung der §§ 7 - 9 BetrVG ist der Schluss, mit dem Begriff Arbeitnehmer in § 9 S. 1 BetrVG seien die mit der Legaldefinition des § 5 BetrVG angesprochenen Arbeitnehmer ausschließlich gemeint, nicht mehr zwingend. Gem. § 7 S. 2 BetrVG sind neuerdings Arbeitnehmer eines anderes Arbeitgebers, welche zur Arbeitsleistung überlassen sind, wahlberechtigt, wenn sie länger als 3 Monate im Betrieb eingesetzt werden. Damit stellt das Gesetz nunmehr die gem. AÜG überlassenen Leiharbeitnehmer neben die dem Betrieb arbeitsvertraglich unmittelbar verbundenen Arbeitnehmer i.S.d. § 5 Abs. 1 BetrVG. Diese Leiharbeitnehmer gelten also als wahlberechtigte Arbeitnehmer i.S.d. § 7 BetrVG. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass diese Arbeitnehmer lediglich das Recht haben, zu wählen, ohne zu zählen, so hätte er dies in § 9 S. 1 BetrVG durch eine Änderung des Gesetzestextes zum Ausdruck bringen müssen. Dies gilt vor allem deshalb, weil sich die Vorschriften der §§ 7 und 9 beide im selben Abschnitt "Zusammensetzung und Wahl des Betriebsrates" befinden und darüberhinaus es naheliegend ist, dass der Gesetzgeber, welcher den Kreis der Wahlberechtigten erweitert, im Zweifel diese Wahlberechtigten, die vom Wortlaut der einschlägigen Vorschrift ohne weiteres erfasst werden, sodann auch bei der Ermittlung der Betriebsratsgröße berücksichtigt. Die Legaldefinition des § 5 Abs. 1 BetrVG verliert durch die hier vorgenommene Auslegung des § 9 S. 1 BetrVG nicht ihre Bedeutung. Sie kommt beispielsweise bei der Ermittlung des Schwellenwertes der §§ 95 Abs. 2 S. 1, 106 Abs. 1 S. 1, 110 Abs. 1, wo das Gesetz lediglich von "Arbeitnehmern" spricht, zur Geltung. Damit wird auch deutlich, dass die Auffassung, welche die Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer ablehnt, nicht damit argumentieren kann, der Gesetzgeber habe die "Randbelegschaft" nicht vollkommen dem BetrVG unterstellen wollen.

Schließlich sprechen die Beschlussempfehlung und der Bericht des Arbeits- und Sozialausschusses (BT-Drucks. 14/6352 Seite 54) dafür, dass die Leiharbeitnehmer dem Einsatzbetrieb zugehörig sind und bei der Ermittlung der Betriebsratsgröße mitzählen, wenn sie regelmäßig beschäftigt werden.

 



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