Arbeitsgericht Darmstadt

Beschluss vom - Az: 12 BV 18/06

Außerordentliche Kündigung bzw. Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds

Wird einem Betriebsratsmitglied lediglich die Verletzung einer Amtspflicht zum Vorwurf gemacht, so ist die Kündigung unzulässig und nur ein Ausschlussverfahren nach § 23 BetrVG möglich. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur dann in Betracht, wenn zugleich eine schwere Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis vorliegt, wobei an die Berechtigung der fristlosen Entlassung ein "strengerer Maßstab" anzulegen ist als bei einem Arbeitnehmer, der dem Betriebsrat nicht angehört.
Ein grober Verstoß des Betriebsratsmitglieds im Sinne des §23 BetrVG ist indes nur anzunehmen, wenn die weitere Amtsausübung des Betriebsratsmitglieds untragbar erscheint. Es genügt nicht, darzutun, dass es dem Arbeitgeber nicht zuzumuten sei, mit dem Auszuschließenden weiter zusammenzuarbeiten. Erforderlich ist vielmehr, dass der Auszuschließende durch ein ihm anrechenbares Verhalten die Funktionsfähigkeit des Betriebsrates ernstlich bedroht oder lahmgelegt hat.

Tenor

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Beteiligten zu 1) und 2) streiten um die Ersetzung der Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung gegenüber der Beteiligten zu 3), hilfsweise um den Ausschluss der Beteiligten zu 3) aus dem Betriebsrat bei der Beteiligten zu 1).

Die Beteiligte zu 1) ist ein ...-Vertragshändler mit angeschlossenem Reparaturbetrieb. Der Beteiligte zu 2) ist der bei der Beteiligten zu 1) gebildete fünfköpfige Betriebsrat. Die Beteiligte zu 3) gehört dem Betriebsrat seit 4 Jahren als Vorsitzende an.

Die am 12. Dezember 1961 geborene, verheiratete Beteiligte zu 3) ist seit dem 01. Juli 2000 bei der Beteiligten zu 1) bzw. deren Rechtsvorgängerin als Neu- und Gebrauchtwagendisponentin mit sachbearbeitenden Tätigkeiten zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt in Höhe von 2.437,- € beschäftigt.

Im Hinblick auf anstehende Umstrukturierungsmaßnahmen in dem Betrieb in Darmstadt beabsichtigte die Beteiligte zu 1) im August 2006 sieben Personalmaßnahmen umzusetzen. Es handelte sich um vier Beendigungskündigungen, zwei Änderungskündigungen sowie einer Versetzung. Mit Schreiben vom 21. August 2006 leitete die Beteiligte zu 1) dem Beteiligten zu 2) sieben schriftliche Anhörungen zu den geplanten Personalmaßnahmen zu. Im Einzelnen hörte sie den Beteiligten zu 2) zur geplanten Kündigung des Mitarbeiters der Disposition ..., zur geplanten Änderungskündigung der Mitarbeiterin der Disposition und Beteiligten zu 3), zur geplanten Versetzung des Fahrers der Disposition ..., zur geplanten Kündigung des Lageristen ..., zur geplanten Kündigung der Mitarbeiterin ... im Kassenbereich, zu der geplanten Änderungskündigung des Gebrauchtwagenverkaufsleiters ... sowie zur geplanten Kündigung des Verkaufsleiters ... an. Hintergrund der Personalmaßnahmen im Bereich der Disposition (die Beteiligte zu 3, Herrn ... und Herrn ...) war die Ausgliederung der Dispositionsabteilung der Beteiligten zu 1) von Darmstadt nach Hamburg. Die personellen Maßnahmen der anderen Mitarbeiter waren Folge der Ausgliederung nach Hamburg (Herr ... und Frau ...) bzw. eines Umsatzrückganges.

Mit Antragsschrift vom 22. August 2006 begehrte der Beteiligte zu 2) im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens die Umsetzung dieser personellen Maßnahmen bis zum Abschluss oder Scheitern der Verhandlungen über einen Interessenausgleich oder der Einsetzung einer Einigungsstelle zu verhindern. Dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung waren eine eidesstattliche Versicherung der Beteiligten zu 3) und die Anhörungsbögen der Beteiligten zu 1) vom 21. August 2006 beigefügt.

Die eidesstattliche Versicherung hat u.a. folgenden Wortlaut:

"... Die Geschäftsleitung der ... GmbH hat dem Betriebsrat am Montag, den 21.08.2006 im Rahmen der an diesem Tag eingeleiteten Anhörungsverfahren mitgeteilt, dass sie die im Bereich "Disposition" in Darmstadt beschäftigten Arbeitnehmer Herr ..., Frau ..., Herr ... und Herr ... kündigen wolle, da ihre Aufgaben zukünftig in Hamburg ausgeübt werden sollen. Außerdem soll eine Änderungskündigung bzw. Versetzung der Arbeitnehmer ... ausgesprochen und die Arbeitnehmer ... und ... versetzt werden."

"Über die geplante Abspaltung des Bereichs "Disposition" war der Betriebsrat bis zu diesem Zeitpunkt weder informiert noch waren Beratungen zum Abschluss eines Interessenausgleiches/Sozialplan mit ihm aufgenommen worden ..."

Wegen des Inhalts des Antrags der einstweiligen Verfügung sowie der eidesstattlichen Versicherung und den Anhörungsbögen werden auf die zur Akte gereichten Kopien verwiesen (Blatt 8 - 25 d.A.).

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist der Beteiligten zu 1) per Telefax am 23. August 2006 zugegangen. Am 24. und 25. August 2006 erörterte der Geschäftsführer der Beteiligten zu 1) den Sachverhalt einschließlich der Personalstruktur des Betriebes in Darmstadt im Bereich der Disposition mit dem zuständigen Niederlassungsleiter Herrn ....

Das Arbeitsgericht Darmstadt wies den Antrag ohne mündliche Verhandlung unter dem Aktenzeichen 12 BVGa 15/06 durch Beschluss vom 25.August 2006 zurück. Wegen der Begründung des Beschlusses wird auf die zur Akte gereichte Kopie verwiesen (Blatt 26 - 32 d.A.).

Am 30. August 2006 reiste der Geschäftsführer der Beteiligten zu 1) nach Darmstadt um die Beteiligte zu 3) auf die nach ihrer Ansicht falsche eidesstattliche Versicherung anzusprechen.

Am 06. September 2006 beantragte die Beteiligte zu 1) gegenüber dem Beteiligten zu 2) die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) (Blatt 37 - 42 d.A.). Vorwurf der gegenüber der Beteiligten zu 3) geplanten außerordentlichen Kündigung ist nach Ansicht der Beteiligten zu 1) die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung in dem einstweiligen Verfügungsverfahren. Mit Schreiben vom 08. September 2006 lehnte der Beteiligte zu 2) die Zustimmungserteilung ab.

Nach der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Darmstadt vom 02. Oktober 2006 beantragte die Beteiligte zu 1) hilfsweise mit Schreiben vom 06. Oktober 2006 erneut die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung, die der Beteiligte zu 2) mit Schreiben vom 10. Oktober 2006 ablehnte. Vorwurf des weiteren Zustimmungsverfahrens war die Tatsache, dass die Beteiligte zu 3) durch den Prozessbevollmächtigten des Beteiligten zu 2) erklärte, dass sie diesen auf die Unrichtigkeit der Einsatzgebiete der Mitarbeiter hingewiesen habe, und die Beteiligte zu 3) ohne den veränderten Inhalt der eidesstattlichen Versicherung gelesen zu haben, eine Blankounterschrift unter diese setzte.

Mit den bei dem Arbeitsgericht Darmstadt vom 12. und 13. September 2006 eingereichten Anträgen begehrt die Beteiligte zu 1) die Zustimmungsersetzung zur geplanten außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3), hilfsweise den Ausschluss der Beteiligten zu 3) aus dem Betriebsrat.

Sie ist der Auffassung, dass die Beteiligte zu 3) eine falsche eidesstattliche Versicherung in dem Verfahren 12 BVGa 15/06 abgegeben habe. Die eidesstattliche Versicherung sei abgegeben worden, um die von der Beteiligten zu 1) geplanten Personalmaßnahmen zu verhindern. Die Beteiligte zu 1) beschäftige im Bereich der Disposition lediglich die Arbeitnehmer ..., ... und die Beteiligte zu 3). Frau ... sei im Bereich Kasse/Service, Herr ... als Verkaufsleiter und Herr ... als Fahrer für das Ersatzteillager eingesetzt. Die Einsatzgebiete der vorbenannten Mitarbeiter seien der Beteiligten zu 3) bekannt gewesen. Trotz dieser Kenntnis habe sie sämtliche Mitarbeiter bei Abgabe der eidesstattlichen Versicherung dem Bereich Disposition zugeordnet, um die Zahlenwerte im Hinblick auf Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates erreichen zu können. Die Beteiligte zu 1) ist ferner der Ansicht, dass zumindest ein fahrlässiges Handeln der Beteiligten zu 3) gegeben sei. Selbst wenn sie den Prozessbevollmächtigten des Beteiligten zu 2) in dem einstweiligen Verfügungsverfahren hingewiesen habe, dass er den Bereich der Disposition zu weit gezogen habe, habe sie keine Blankounterschrift abgeben dürfen.

Die Beteiligte zu 1) beantragt daher,

die Zustimmung des Antragsgegners zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) wird gemäß § 103 BetrVG ersetzt,

hilfsweise

die Beteiligte zu 3) aus dem Betriebsrat auszuschließen.

Der Beteiligte zu 2) sowie die Beteiligte zu 3) beantragen,

die Anträge zurückzuweisen.

Die Beteiligten zu 2) und 3) sind der Auffassung, dass die Beteiligte zu 3) keine falsche Versicherung an Eides Statt abgegeben habe. Die eidesstattliche Versicherung habe lediglich zur Glaubhaftmachung der Auswirkungen gegenüber dem Betriebsrat und dessen Nichtbeteiligung gedient. Der Bereich der Disposition sei keine eigenständige Abteilung mit festen Vertretungsregeln. Durch die eidesstattliche Versicherung habe dem Arbeitsgericht nur die Folge der Verlagerung des Bereiches Disposition nach Hamburg und deren Auswirkungen auf die betroffenen Mitarbeiter im Bereich Disposition und der Mitarbeiter, die Berührungspunkte zur Disposition aufweisen, kenntlich gemacht werden sollen. Die eidesstattliche Versicherung sei im Zusammenhang mit den der Antragsschrift übergegebenen Anhörungsbogen zu sehen. Sie diene nicht der Täuschung über den Zahlenwert der in der Disposition beschäftigten Arbeitnehmer. Dies habe das Arbeitsgericht in seinem Beschluss erkannt, so dass das Schutzgut der Strafrechtsnorm nicht verletzt sei. Sie behaupten ferner, dass die Beteiligte zu 3) den Prozessbevollmächtigten des Beteiligten zu 2) im einstweiligen Verfügungsverfahren daraufhin gewiesen habe, dass die Arbeitnehmer Petzold, Wels, Schreiner und Wolf andere Einsatzgebiete bei der Beteiligten zu 1) zugewiesen seien. Dass trotz des Hinweises der Beteiligten zu 2) sämtliche Arbeitnehmer dem Bereich Disposition zugeordnet worden seien, sei ein Fehler des Prozessbevollmächtigten des Beteiligten zu 2) gewesen.

Wegen des weiteren Tatsachenvorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) ist zulässig, aber unbegründet. Ebenso ist der Antrag auf Ausschluss der Beteiligten zu 3) aus dem Betriebsrat der Beteiligten zu 1) zulässig, aber unbegründet.

Im Einzelnen:

1. Die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung nach § 103 BetrVG ist nicht zu ersetzen.

a) Die Beteiligte zu 1) hat die gerichtliche Zustimmungsersetzung nicht fristgemäß i.S.d. § 626 Absatz 2 BGB im Hinblick auf den Vorwurf der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung beantragt. Die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Absatz 2 BGB gilt auch für die außerordentliche Kündigung gegenüber Arbeitnehmern, die den besonderen Kündigungsschutz des § 15 KSchG genießen. Die Frist beginnt auch im Regelungsbereich des § 103 BetrVG mit der Kenntnis des Arbeitgebers von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen (BAG 16.10.1986 2 ABR 71/85 AP Nr.95 zu § 626 BGB).

Nach dem Sachvortrag der Beteiligten zu 1) hat der Geschäftsführer, Herr Stephan Krüll, den Sachverhalt einschließlich der Personalstruktur des Betriebes der Beteiligten zu 1) in Darmstadt am 24. August 2006 erörtert. Ferner trägt die Beteiligte zu 1) vor, dass die rechtliche Bewertung im Hinblick auf die von dem Beteiligten zu 2) begehrte einstweilige Verfügung mit Hilfe anwaltlicher Beratung am 24. und 25. August 2006 erörtert und geprüft wurde. Der Frist i.S.d. § 626 Absatz 2 BGB begann somit spätestens am 25. August 2006 zu laufen. Der Antrag auf Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung ist jedoch erst am 12. September 2006 per Fax beim Arbeitsgericht Darmstadt und daher nicht innerhalb der zweiwöchigen Ausschlussfrist eingegangen. Entgegen der Rechtsauffassung der Beteiligten zu 1) war der Fristlauf auch nicht bis zum 30. August 2006 gehemmt oder begann erst zu diesem Zeitpunkt zu laufen. Das Gespräch am 30. August 2006 zwischen dem Geschäftsführer der Beteiligten zu 1) und der Beteiligten zu 3) diente nicht der Aufklärung des Sachverhaltes. Die Frist i.S.v. § 626 Absatz 2 BGB beginnt, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis vom Kündigungssachverhalt hat, die ihm die Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht. Die Ausschlussfrist des § 626 Absatz 2 BGB soll nach dem Gebot der Rechtsklarheit den Kündigenden veranlassen, sich alsbald schlüssig zu werden, ob er aus einem bestimmten wichtigen Grund kündigen möchte. Andernfalls würde bei einer extensiven Auslegung des Gesetzeswortlauts zweifelhaft werden, ob der Grund so schwer wiegt, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar erscheint. Nach dem eigenen Sachvortrag der Beteiligten zu 1) war ihr bereits spätestens am 25. August 2006 der vollständige Sachverhalt bekannt. Der Geschäftsführer der Beteiligten zu 1) führte an diesem Tag ein Gespräch mit dem Niederlassungsleiter in Darmstadt, Herr ..., über die Zuordnung der Mitarbeiter zum Bereich Disposition. Die Beteiligte zu 1) trägt selbst vor, dass der Geschäftsführer am 30. August 2006 lediglich nach Darmstadt reiste, um die Beteiligte zu 3) auf den Inhalt ihrer eidesstattlichen Versicherung und die von ihr gemachten unzutreffenden Angaben anzusprechen. Das Gespräch zwischen dem Geschäftsführer der Beteiligten zu 1) und der Beteiligten zu 3) war nicht geeignet, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Die Anhörung des Arbeitnehmers zur Aufklärung des Kündigungssachverhaltes ist im Gegensatz zur Verdachtskündigung nicht Wirksamkeitsvoraussetzung. Der tatsächliche Sachverhalt war der Beteiligten zu 1) vollständig am 25.August 2006 bekannt.

b) Selbst wenn die zweiwöchige Ausschlussfrist i.S.d. § 626 Absatz 2 BGB erst am 30. August 2006 zu laufen beginnen sollte, liegt kein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Absatz 1 BGB vor, der den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen würde.

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung in zwei Schritten zu prüfen. Auf der ersten Stufe ist zu prüfen, ob die vorgeworfene Pflichtverletzung an sich einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellt. Auf der zweiten Prüfungsebene erfolgt eine umfassende Güter- und Interessenabwägung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 11.12.1975 2 AZR 426/74 AP Nr.1 zu § 15 KSchG 1969; BAG 25.05.1982 7 AZR 155/80 AP Nr.1 zu § 103 BetrVG 1972), der sich die Kammer anschließt, ist bei der beabsichtigten Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes darüber hinaus zunächst danach zu differenzieren, ob diesem eine reine Verletzung einer Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis vorgeworfen wird oder ob die Arbeitspflichtverletzung im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Betriebsratsmitglied steht. Wird einem Betriebsratsmitglied lediglich die Verletzung einer Amtspflicht zum Vorwurf gemacht, so ist die Kündigung unzulässig und nur ein Ausschlussverfahren nach § 23 BetrVG möglich. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur dann in Betracht, wenn zugleich eine schwere Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis vorliegt, wobei an die Berechtigung der fristlosen Entlassung ein "strengerer Maßstab" anzulegen ist als bei einem Arbeitnehmer, der dem Betriebsrat nicht angehört (BAG a.a.O.; BAG 16.10.1986 2 ABR 71/85 AP Nr.95 zu § 626 BGB). Eine Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsvertrag, die im Rahmen einer Amtstätigkeit begangen wird, kann aus einer Konfliktsituation entstanden sein, der der Arbeitnehmer, der nicht Betriebsratsmitglied ist, nicht ausgesetzt ist. Die in dem strengeren Prüfungsmaßstab zum Ausdruck kommende Tat- und Situationsgerechtigkeit ist in solchen Fällen keine verbotene Besserstellung des Betriebsratsmitglieds, sondern Folge der Beachtung der besonderen Sachlage

Vorliegend ist bereits unter Zugrundelegung des "strengeren Maßstabes" für die Berechtigung einer fristlosen Kündigung gegenüber der Beteiligten zu 3) kein wichtiger Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung gegeben. Die Abgabe einer vorsätzlichen falschen eidesstattlichen Versicherung ist zwar geeignet, eine fristlose Kündigung eines Betriebsratsmitglieds zu rechtfertigen (BAG 20.11.1987 2 AZR 266/87 juris). Die Beteiligte zu 3) hat weder eine vorsätzliche, noch eine fahrlässige falsche eidesstattliche Versicherung in dem einstweiligen Verfügungsverfahren abgegeben. Sowohl in der Antragsschrift vom 22. August 2006, als auch in der eidesstattlichen Versicherung erklärte weder der Prozessbevollmächtigte des Beteiligten zu 2), noch die Beteiligte zu 3), dass es sich bei dem Bereich Disposition um einen eigenständigen Betriebsteil i.S.d. § 111 BetrVG handelte. Zwar mag der Wortlaut unter Verwendung des Wortes Dispositionsbereich eine solche Auslegung nahe legen. Andererseits wir durch das Setzen der Anführungszeichen unmissverständlich erkennbar, dass der Erklärende mit dem Bereich Disposition nicht einen eigenständigen Betriebsteil gemeint haben kann. Der Wortlaut der Antragsschrift und die mit ihr identische Wortwahl der eidesstattlichen Versicherung lässt vielmehr ausschließlich den Schluss zu, dass durch die eidesstattliche Versicherung lediglich der Bereich, der von der Ausgliederung nach Hamburg betroffen gewesen ist respektive die in diesem Zusammenhang stehenden Personalentscheidungen dargestellt werden sollten. Durch die Verwendung der Anführungszeichen ist eindeutig zum Ausdruck gebracht worden, dass eine Auslegung des Begriffs Disposition nicht restriktiv am Wortlaut erfolgen sollte. Eine Verwendung von Anführungszeichen wie vorliegend erfolgt stets dann, wenn der Erklärende nicht am tatsächlichen Wortlaut seiner Erklärung festgehalten werden will. In diesem Kontext ist auch der zweite Absatz der eidesstattlichen Versicherung zu beachten. Durch die Zufügung des zweiten Absatzes der eidesstattlichen Versicherung ging es sowohl dem Beteiligten zu 2), als auch der Beteiligten zu 3) um die Darstellung, der nach Ansicht des Beteiligten zu 2) nicht ordnungsgemäßen Beteiligung des Betriebsrates und der Auswirkungen auf die betroffenen Arbeitnehmer. In Verbindung mit den zur Antragsschrift gereichten sieben Anhörungsbögen wird durch die Beteiligten zu 2) und 3) kenntlich gemacht, dass eben gerade nicht der Dispositionsbereich im engeren Sinne gemeint war. Aus den Anhörungsbögen wird vielmehr deutlich, welcher Arbeitnehmer unmittelbar im Bereich Disposition tätig ist respektive nur mittelbar von den Personalmaßnahmen betroffen ist. Es mag insofern für die rechtliche Beurteilung dahinstehen, ob die Einleitung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens von vorneherein keine Aussicht auf Erfolg haben konnte oder welche Motivation des Beteiligten zu 2) hinter dessen Einleitung stand, da die Schwellenwerte des § 111 BetrVG i.V.m. § 17 KSchG bei der Beteiligten zu 1) nicht erreicht waren. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte über Sinn und Zweck der Einleitung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens, sondern lediglich über deren rechtliche Voraussetzungen zu urteilen.

Zumindest ist die von der Beteiligten zu 3) abgegebene eidesstattliche Versicherung in dem Beschlussverfahren 12 BVGa 15/06 nicht falsch. Schutzgut des § 156 und § 163 StGB ist eine wahrheitsgemäße Tatsachenfeststellung durch das erkennende Gericht. Strafbewehrt verhindert werden sollen vorsätzliche oder fahrlässig durch derartige Versicherungen initiierte Manipulationen des objektiven Sachverhaltes, die geeignet sein können, das erkennende Gericht zu täuschen. Die Beteiligten zu 2) und 3) haben durch die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und den Anhörungsbögen im Rahmen des § 294 ZPO mangels anderer Beweismöglichkeiten festgelegt, welche Mittel sie zur Glaubhaftmachung des nach ihrer Ansicht bestehenden Verfügungsanspruches und Verfügungsgrundes wählen möchten. Insofern darf die eidesstattliche Versicherung nicht isoliert betrachtet werden. Sie steht in einem engen Zusammenhang mit den Anhörungsbögen und der Antragsschrift. Durch die Beifügung der Anhörungsbögen zur Antragsschrift war für die Kammer im damaligen einstweiligen Verfügungsverfahren erkennbar, dass die in der eidesstattlichen Versicherung aufgezählten Arbeitnehmer nicht sämtlich dem Bereich Disposition bei der Beteiligten zu 1) angehörten. Die Kammer führt in ihren Gründen des Beschlusses dazu aus, dass soweit der Inhalt der Anhörungsbögen wiedergegeben werden sollte, die Ausführungen in der eidesstattlichen Versicherung unzutreffend sind. Sollte der Erklärung einen anderen Inhalt beigewohnt werden, so ist der Beteiligten zu 2) seiner Mitwirkungspflicht nicht nachvollziehbar nachgekommen. Eine Manipulation des objektiven Sachverhaltes im Hinblick auf das Schutzgut der §§ 156, 163 StGB ist durch die der Antragsschrift beigefügten Anhörungsbögen nicht erkennbar. Die Ausführungen in der eidesstattlichen Versicherung unter Bezugnahme der Anhörungsbögen lassen auch bei einer restriktiver Auslegung des Wortlautes Disposition den Inhalt und Reichweite des Begriffes Disposition als offensichtlich nicht unrichtig erscheinen. Durch die Verwendung der Anführungszeichen wird kein objektiv falscher Sachverhalt mitgeteilt. Die wahrheitsgemäße Tatsachenfeststellung als Ausfluss des Rechtsgutes der §§ 156, 163 StGB wurde nicht behindert. Augenscheinlich anders wäre der Sachverhalt zu beurteilen gewesen, wenn das Wort Disposition nicht in Anführungszeichen gesetzt und der Antragsschrift nicht die sieben Anhörungsbögen beigefügt gewesen wären.

c) Ebenso rechtfertigt der von der Beteiligten zu 1) vorgetragene hilfsweise Sachverhalt nicht die Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 103 BetrVG. Zwar ist im Hinblick auf diesen Sachvortrag die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Absatz 2 BGB eingehalten, eine falsche eidesstattliche Versicherung ist von der Beteiligten zu 3) allerdings nicht abgegeben worden. Der Vorwurf gegenüber der Beteiligten zu 3), dass sie eine Blankounterschrift geleistet haben soll, ist nicht geeignet an sich einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Absatz 1 BGB darzustellen. Zwar mag eine Blankounterschrift unter eine eidesstattliche Versicherung in höchstem Maße fahrlässig im Hinblick auf die Straftatbestände des § 156, 163 StGB sein, eine falsche Versicherung an Eides statt hat die Beteiligte zu 3) wie bereits ausgeführt jedoch nicht abgegeben. Es kann insofern dahingestellt bleiben, ob der Beteiligten zu 3) ein Fahrlässigkeitsvorwurf im Hinblick auf den Straftatbestand des § 163 StGB gemacht werden kann. Eine falsche Versicherung an Eides statt liegt bereits nicht vor.

2. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Ausschluss der Beteiligten zu 3) aus dem Betriebsrat der Beteiligten zu 2) ist zulässig. Die Beteiligte zu 1) hat den Antrag hilfsweise für den Fall gestellt, sofern das Gericht nicht die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung nach § 103 BetrVG ersetzt. Nach Eintritt der zulässigerweisen gestellten innerprozessualen Bedingung des Unterliegens mit dem Hauptantrag, trat Rechtshängigkeit des Hilfsantrages ein. Der hilfsweise geltend gemachte Antrag auf Ausschluss der Beteiligten zu 3) ist neben dem Zustimmungsersetzungsantrag rechtlich zulässig (vgl. statt vieler Fitting, § 103 BetrVG Rn.44, 23.Auflage).

Der Antrag nach § 23 Absatz 1 BetrVG ist allerdings nicht begründet. Gemäß § 23 Absatz 1 BetrVG ist der Ausschluss eines Mitglieds des Betriebsrates möglich, sofern dieses eine grobe Verletzung seiner Pflichten begangen hat. Ob der Verstoß grob ist, richtet sich danach, ob die Pflichtverletzung objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend ist (BAG 21.02.1978 1 ABR 54/76 AP Nr. 1 zu § 23 BetrVG). Dies kann nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der betrieblichen Gegebenheiten und des Anlasses der Pflichtverletzung beurteilt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Ausschluss eines Mitgliedes des Betriebsrats eine besonders einschneidende Sanktion ist. Dementsprechend ist ein grober Verstoß des Betriebsratsmitglieds nur anzunehmen, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände die weitere Amtsausübung des Betriebsratsmitglieds untragbar erscheint. Es genügt zur Begründung des Antrages nach § 23 Absatz 1 BetrVG nicht, darzutun, dass es dem Arbeitgeber nicht zuzumuten sei, mit dem Auszuschließenden weiter zusammenzuarbeiten. Vielmehr kann der Ausschluss nur erfolgen, wenn der Auszuschließende durch ein ihm anrechenbares Verhalten die Funktionsfähigkeit des Betriebsrates ernstlich bedroht oder lahmgelegt hat (vgl. BAG 05.09.1967 1 ABR 1/67 juris für den Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds durch den Betriebsrat).

Insofern ist vorliegend kein grober Verstoß nach § 23 Absatz 1 BetrVG gegeben. Der Hilfsantrag ist mit gleicher Begründung wie der Hauptantrag zurückzuweisen. Die Beteiligte zu 3) hat nach dem zur außerordentlichen Kündigung bereits Ausgeführten keine falsche Versicherung an Eides statt abgegeben. Eine Pflichtverletzung i.S.d. § 23 Absatz 1 BetrVG ist somit nicht gegeben. Ebenso stellt der Vorwurf der Abgabe einer Blankounterschrift keine offensichtlich erkennbare und schwerwiegende Pflichtverletzung dar.

Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei, § 2 Absatz 2 GKG.

 



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