Arbeitsgericht Darmstadt

Beschluss vom - Az: 7 BVGa 17/09

Anspruch auf Unterlassung der weiteren Durchführung einer Betriebsratswahl; Nichtkeit einer Betriebsratswahl

Die weitere Durchführung einer Betriebsratswahl kann im Wege einer einstweiligen Verfügung untersagt werden, wenn abzusehen ist, dass die Wahl nichtig ist.
Eine Betriebsratswahl ist nichtig, wenn bereits ein Betriebsrat gewählt wurde, dessen Wahl nicht nichtig ist, und kein begründeter Anlass besteht diesen abzulösen.

Tenor

Dem Beteiligten zu 2 wird aufgegeben, es zu unterlassen, die im Betrieb Weiterstadt bei der Beteiligten zu 1 geplante Betriebsratswahl fortzusetzen. Den Mitgliedern des Beteiligten zu 2 wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen diese Verpflichtung ein Ordnungsgeld von bis zu 10.000,00 EUR (in Worten: Zehntausend Euro) ersatzweise Ordnungshaft, angedroht.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Beteiligten zu 3 wird zurückgewiesen.

Tatbestand

I.

Die Beteiligte zu 1 begehrt im einstweiligen Verfügungsverfahren den Abbruch einer Betriebsratswahl.

Die Beteiligte zu 1 übernahm mit Wirkung zum 1. März 2009 das Distributionszentrum der X GmbH in Dreieich und legte dieses mit ihrer Betriebsstätte in Weiterstadt zusammen. In ihrer Betriebsstätte in Weiterstadt beschäftigt sie mehr Arbeitnehmer als zuvor in dem Distributionszentrum in Dreieich beschäftigt waren. Die Arbeitnehmer des Distributionszentrums in Dreieich werden nun in Weiterstadt beschäftigt.

Der Beteiligte zu 3 ist der für das Distributionszentrum der X GmbH in Dreieich gewählte Betriebsrat. Für die Betriebsstätte in Weiterstadt erfolgte im März 2006 die Wahl eines gemeinschaftlichen Betriebsrats mehrerer Betriebsstätten der Beteiligten zu 1 und anderer Unternehmen, u. a. für Darmstadt und Weiterstadt. Die Wahl dieses Gemeinschaftsbetriebsrates wurde nicht angefochten, ist aber Gegenstand des Verfahrens 4 BV 4/09 beim Arbeitsgericht Darmstadt.

Mit Schreiben vom 24. Juni 2009 (Blatt 34 der Akten) teilte der Beteiligte zu 3 der Geschäftsleitung der Beteiligten zu 1 mit, dass er davon ausgehe, dass die gemeinsame Betriebsratswahl der Arbeitnehmer in Darmstadt und Weiterstadt im Jahr 2006 nichtig gewesen sei und deshalb in Weiterstadt kein rechtmäßig gewählter Betriebsrat existiere, so dass er die Aufgabe habe, im Rahmen eines Übergangsmandats einen Wahlvorstand für die neue Wahl des Betriebsrats für die Betriebsstätte Weiterstadt zu bestellen. Zum Wahlvorstand habe er den Beteiligten zu 2, bestehend aus den dort genannten Mitgliedern, bestellt.

Die Beteiligte zu 1 ist der Auffassung, dass es keine Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit der Betriebsratswahl des Gemeinschaftsbetriebsrates im Jahr 2006 gebe, so dass die von den Beteiligten zu 2 und 3 angestrebte Wahl ihrerseits nichtig sei. Neben dem vorhandenen Betriebsrat könne es für die Betriebsstätte in Weiterstadt keinen weiteren Betriebsrat geben.

Sie beantragt,

1. den Antragsgegnern aufzugeben, es zu unterlassen, die Wahl zu einem Betriebsrat in der Betriebsstätte Weiterstadt der Antragstellerin fortzuführen;

2. für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Nr. 1 wird den Mitgliedern der Antragsgegner - bezogen auf jeden Tag der Fortsetzung des Wahlverfahrens - ein Ordnungsgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, ersatzweise Ordnungshaft angedroht.

Die Beteiligte zu 4 ist den Anträgen beigetreten.

Die Beteiligten zu 2 und 3 beantragen,

die Anträge zurückzuweisen.

Sie sind der Auffassung, dass der Beteiligte zu 3 ein Übergangsmandat habe, welches ihn berechtige und verpflichte, die Wahl eines Betriebsrats zu initiieren. Denn für die Betriebsstätte Weiterstadt gebe es keinen wirksam gewählten Betriebsrat. Die Wahl aus dem Jahr 2006 sei nichtig, weil grob fehlerhaft und willkürlich von einem gemeinschaftlichen Betrieb ausgegangen worden sei, obwohl es dafür keinerlei tatsächliche Grundlage gebe. Sämtliche tatbestandlichen Voraussetzungen eines gemeinsamen Betriebs seien offenkundig nicht erfüllt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen.

Die Akten des Arbeitsgerichts Darmstadt zu dem Aktenzeichen 4 BV 4/09 hat das Gericht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Entscheidungsgründe

II.

Der Antrag gegen den Beteiligten zu 2 ist begründet, wohingegen der Antrag gegen den Beteiligten zu 3 unbegründet ist.

1. Dem Wahlvorstand ist aufzugeben, die Fortsetzung der eingeleiteten Betriebsratswahl zu unterlassen.

Für eine Korrektur der Wahl ist ein ausreichender Grund im Sinne der §§ 935, 940 ZPO gegeben. In laufende Betriebsratswahlen kann im Wege der einstweiligen Verfügung eingegriffen werden, wenn die Wahl als nichtig anzusehen wäre (Hess. LAG in st. Rspr., zuletzt etwa Beschluss vom 28. Mai 2008 - 9 TaBVGa 133/08 - n. v.; Beschluss vom 19. März 2006 - 9 Ta 149/06 - n. v.; Beschluss vom 17. Febr. 2005 - 9 TaBVGa 28/05 - EzAÜG § 14 AÜG Betriebsverfassung Nr. 61 m. w. N.; Hess. LAG Beschluss vom 24. Juni 2004 - 9 TaBVGa 83/04 - n. v.) oder zumindest eine mit Sicherheit erfolgreiche Wahlanfechtung wegen feststehender Wahlfehler festgestellt werden kann (Hess. LAG a. a. O., ferner LAG Berlin Beschluss vom 7. Febr. 2006 - 4 TaBV 214/06 - NZA 2006, 509; LAG Düsseldorf Beschluss vom 25. Juni 2003 - 12 TaBV 34/03 - Juris; Veit/Wichert DB 2006, 390; Rieble/Triskatis NZA 2006, 233; Bram FA 2006, 66).

Vorliegend ist bei Durchführung der geplanten Wahl von deren Nichtigkeit auszugehen. Eine nichtige Betriebsratswahl ist allerdings nur bei so schwerwiegenden Verstößen gegen wesentliche Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts gegeben, dass keine Wahl im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes mehr vorliegt (vgl. BAG Beschluss vom 21. Juli 2004 - 7 ABR 38/03 - AP Nr. 8 zu § 9 BetrVG 1972; BAG Beschluss vom 19. November 2003 - 7 ABR 25/03 - EzA § 19 BetrVG 2001 Nr. 1; BAG Beschluss vom 10. Juni 1983 - 6 ABR 50/82 - AP Nr. 10 zu § 19 BetrVG 1972; BAG Beschluss vom 11. April 1978 - 6 ABR 22/77 - AP Nr. 8 zu § 19 BetrVG 1972). Die Betriebsratswahl muss den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen. Das ist der Fall.

Ein Nichtigkeits- oder sicherer Anfechtungsgrund ist hier zwar nicht in einer Verkennung des Betriebsbegriffs und der Verneinung eines gemeinsamen Betriebs durch den Wahlvorstand zu sehen. Die Verkennung des Betriebsbegriffs gemäß §§ 1, 4 BetrVG hat nicht die Nichtigkeit, sondern bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 19 BetrVG nur die Anfechtbarkeit einer darauf beruhenden Betriebsratswahl zur Folge (BAG Beschluss vom 31. Mai 2000 - 7 ARR 78/98 - NZA 2000, 1350 m. w. N.). Genauso wenig wie einzelne Verstöße gegen Vorschriften des Wahlverfahrens die Nichtigkeit der Betriebsratswahl begründen (vgl. BAG Urteil vom 27. April 1976 - 1 AZR 482/75 - AP Nr. 4 zu § 19 BetrVG 1972), kann auch eine Verkennung des Betriebsbegriffs bei im Übrigen ordnungsgemäßer Wahl zu deren Nichtigkeit führen. Bereits die erfolgreiche Anfechtung der Betriebsratswahl setzt einen Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren voraus.

Allerdings liegt ein grober und offensichtlicher Verstoß gegen wesentliche Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts vor, der nicht einmal mehr den Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl zulässt, weil der Beteiligte zu 4 eindeutig aufgrund eines Übergangsmandats gemäß § 21 a II 1, 2 BetrVG weiterhin im Amt ist. Wenn während der Amtszeit eines ordnungsgemäß gewählten Betriebsrates für denselben Betrieb ohne begründeten Anlass ein weiterer Betriebsrat mit dem Ziel gewählt wird, den amtierenden Betriebsrat abzulösen, trägt diese Wahl den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn. Diese Wahl verstößt gegen den für eine demokratische Wahl geltenden Grundsatz, dass es in einem Betrieb nur einen Betriebsrat geben kann (BAG 11. April 1978 - 6 ABR 22/77 = AP Nr. 8 zu § 19 BetrVG 1972).

Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 2 und 3 ändert auch deren Vorgehen gegen die Wahl des amtierenden Betriebsrats nichts an diesem Ergebnis. Die summarische Prüfung der Argumente, die im hiesigen Verfahren und im Verfahren 4 BV 4/09 vorgebracht werden, führt zu der Einschätzung, dass die Wahl des Beteiligten zu 4 ihrerseits nicht nichtig ist. Auf die Frage der Anfechtbarkeit kommt es nicht an, weil die Anfechtungsfrist des § 19 BetrVG abgelaufen ist. Wie bereits vorstehend gesagt, hat die Verkennung des Betriebsbegriffs gemäß §§ 1, 4 BetrVG in der Regel nicht die Nichtigkeit, sondern allenfalls die Anfechtbarkeit einer darauf beruhenden Betriebsratswahl zur Folge. Soweit sich die Beteiligten zu 2 und 3 also darauf berufen, es habe nie ein Gemeinschaftsbetrieb bestanden, kann dieser Einwand nicht zu einer Nichtigkeit führen, weil es dabei um den Vorwurf geht, den Betriebsbegriff verkannt zu haben. Bei der Bestimmung des Betriebsbegriffs und seiner Anwendung auf die konkrete betriebliche Organisation ist eine Vielzahl von Gesichtspunkten zu beachten, die eine auf den jeweiligen Einzelfall bezogene Entscheidung erfordern. Unterlaufen dabei Fehler, sind diese in der Regel nicht so grob und offensichtlich, dass der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht besteht (BAG 19.11.2003 - 7 ABR 25/03 = AP Nr. 55 zu § 19 BetrVG 1972; 7. Dezember 1988 - 7 ABR 10/88 - BAGE 60, 276 = AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 15 = EzA BetrVG 1972 § 19 Nr. 25, zu B der Gründe).

Vorliegend ist nicht zu erkennen, dass der Betriebsbegriff willkürlich oder zum Zwecke des Missbrauches falsch angewendet wurde, zumal bis zur Zusammenlegung der Betriebe im März 2009 bereits drei Jahre vergangen sind, in denen der Beteiligte zu 4 tatsächlich und unbeanstandet die Betriebsratstätigkeit für den Betrieb in Weiterstadt durchführte. Es ist nichts vorgetragen, was den Schluss auf einen Rechtsmissbrauch zulässt. Die Wahl im März 2006 trägt gerade nicht den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn. Man kann im Grundsatz nicht davon ausgehen, dass nicht einmal mehr der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl vorliegt, wenn alle an der Wahl Beteiligten und alle von ihr Betroffenen drei Jahre lang einhellig ihr Ergebnis akzeptieren und praktizieren. Es kommen zwar Ausnahmefälle, die eine andere Betrachtung zulassen, in Frage, dafür ist aber nichts dargelegt oder objektiv erkennbar.

Im Rahmen der nach §§ 85 Abs. 2 ArbGG, 935, 940 ZPO vorzunehmenden Interessenabwägung ist abzuwägen, ob der Wahlabbruch, der keine Regelung eines einstweiligen Zustandes darstellt, sondern endgültig ist und weiter geht als eine erfolgreiche Wahlanfechtung, bei der der Betriebsrat jedenfalls vorübergehend wirksam im Amt ist, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Wahl belastet die Beteiligte 1 mit den Wahlkosten, die sie nach § 21 Abs. 3 BetrVG zu tragen hat, falls sich die Wahl am Ende als ungültig erweist, mit der Vergütung für die Zeit der Stimmabgabe sowie mit dem Personalaufwand und den Kosten der vorübergehenden Betriebsratstätigkeit. Dies ist insgesamt ein erheblicher Kostenaufwand. Auf der anderen Seite sind ohne die Betriebsratswahl die Arbeitnehmer des Betriebes in Weiterstadt auch nicht ohne jegliche betriebliche Interessenvertretung, weil der Beteiligte zu 4 dieses Amt ausübt.

2. Der Antrag gegen den Beteiligten zu 3 ist schon deswegen unbegründet, weil dieser ausweislich des Schreibens vom 24. Juni 2009 die weiteren Wahlvorbereitungsmaßnahmen dem Wahlvorstand überlässt, so dass die für eine Unterlassungsverfügung notwendige Wiederholungs- oder Fortsetzungsgefahr fehlt.

3. Das Beschlussverfahren ist gerichtskostenfrei.

 

 



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