Europäischer Gerichtshof

Urteil vom - Az: C-463/19

Zusätzlicher Mutterschaftsurlaub darf Müttern vorbehalten werden

(1.) Ein Tarifvertrag, der einem männlichen Arbeitnehmer, der sein Kind selbst erzieht, einen zusätzlichen Urlaub nach Ablauf des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs verwehrt, führt zu einer Ungleichbehandlung zwischen männlichen und weiblichen Arbeitnehmern.

(2.) Eine solche Ungleichbehandlung ist mit der Gleichbehandlungsrichtlinie jedoch vereinbar, wenn sie den Schutz der Mutter sowohl hinsichtlich der Folgen der Schwangerschaft als auch hinsichtlich ihrer Mutterschaft betrifft. Ein solcher zusätzlicher Urlaub muss gerade dazu dienen, den Schutz der körperlichen Verfassung der Frau sowie der besonderen Beziehung der Mutter zu ihrem Kind in der Zeit nach der Entbindung zu gewährleisten.
(Redaktionelle Orientierungssätze)

Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ABl. 2006, L 204, S. 23).

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Syndicat CFTC du personnel de la Caisse primaire d’assurance maladie de la Moselle (Gewerkschaft CFTC [Confédération française des travailleurs chrétiens – französische Vereinigung christlicher Arbeitnehmer] des Personals der Caisse primaire d’assurance maladie de la Moselle [Gesetzliche Krankenkasse des Departements Moselle, im Folgenden: CPAM], im Folgenden: Gewerkschaft CFTC) und der CPAM über deren Weigerung, CY, dem Vater eines Kindes, den Urlaub für Arbeitnehmerinnen, die ihr Kind selbst erziehen, zu gewähren, der in Art. 46 der Convention collective nationale de travail du personnel des organismes de sécurité sociale, du 8 février 1957 (nationaler Tarifvertrag für Personal der Sozialversicherungsträger vom 8. Februar 1957) in ihrer für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung (im Folgenden: Tarifvertrag) vorgesehen ist.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 92/85/EWG

Die Erwägungsgründe 14 bis 18 der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. 1992, L 348, S. 1) lauten:

„Die Empfindlichkeit der schwangeren Arbeitnehmerin, der Wöchnerin oder der stillenden Arbeitnehmerin machen einen Anspruch auf Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen ohne Unterbrechung erforderlich, die sich auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung aufteilen; ferner muss ein Mutterschaftsurlaub von mindestens zwei Wochen obligatorisch gemacht werden, der auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung aufzuteilen ist.

Die Gefahr, aus Gründen entlassen zu werden, die mit ihrem Zustand in Verbindung stehen, kann sich schädlich auf die physische und psychische Verfassung von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen oder stillenden Arbeitnehmerinnen auswirken; daher ist es erforderlich, ihre Kündigung zu verbieten.

Die arbeitsorganisatorischen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der schwangeren Arbeitnehmerinnen, der Wöchnerinnen oder der stillenden Arbeitnehmerinnen hätten keine praktische Wirksamkeit, wenn nicht gleichzeitig die mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte, einschließlich der Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder des Anspruchs auf eine angemessene Sozialleistung, gewährleistet wären.

Desgleichen hätten die Bestimmungen über den Mutterschaftsurlaub keine praktische Wirksamkeit, wenn nicht gleichzeitig die mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte und die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder der Anspruch auf eine angemessene Sozialleistung gewährleistet wären.

Der Begriff der angemessenen Sozialleistung beim Mutterschaftsurlaub ist als ein technischer Bezugspunkt zur Festlegung des Mindestschutzstandards anzusehen; er darf keinesfalls als eine Gleichstellung von Schwangerschaft und Krankheit ausgelegt werden“.

Art. 1 („Ziel“) dieser Richtlinie bestimmt:

„(1) Ziel dieser Richtlinie, die die zehnte Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG [des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. 1989, L 183, S. 1)] darstellt, ist die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz.

(2) Die Bestimmungen der Richtlinie [89/391] mit Ausnahme von Artikel 2 Absatz 2 gelten unbeschadet strengerer und/oder spezifischer Bestimmungen dieser Richtlinie uneingeschränkt für den gesamten Bereich im Sinne von Absatz 1.

(3) Aus dieser Richtlinie lässt sich bei ihrer Umsetzung keine Rechtfertigung für einen Abbau des der schwangeren Arbeitnehmerin, der Wöchnerin oder der stillenden Arbeitnehmerin gewährten Schutzes im Vergleich mit der Lage ableiten, die in den einzelnen Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Richtlinie besteht.“

Art. 8 („Mutterschaftsurlaub“) der Richtlinie 92/85 sieht vor:

„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass den Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 ein Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen ohne Unterbrechung gewährt wird, die sich entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung aufteilen.

(2) Der Mutterschaftsurlaub gemäß Absatz 1 muss einen obligatorischen Mutterschaftsurlaub von mindestens zwei Wochen umfassen, die sich entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung aufteilen.“

Art. 10 („Verbot der Kündigung“) der Richtlinie 92/85 legt fest:

„Um den Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 die Ausübung der in diesem Artikel anerkannten Rechte in Bezug auf ihre Sicherheit und ihren Gesundheitsschutz zu gewährleisten, wird Folgendes vorgesehen:

1. Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um die Kündigung der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 während der Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs nach Artikel 8 Absatz 1 zu verbieten; davon ausgenommen sind die nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle, die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig sind, wobei gegebenenfalls die zuständige Behörde ihre Zustimmung erteilen muss.

2. Wird einer Arbeitnehmerin im Sinne des Artikels 2 während der in Nummer 1 genannten Zeit gekündigt, so muss der Arbeitgeber schriftlich berechtigte Kündigungsgründe anführen.

3. Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 vor den Folgen einer nach Nummer 1 widerrechtlichen Kündigung zu schützen.“

Art. 11 („Mit dem Arbeitsvertrag verbundene Rechte“) der Richtlinie lautet:

„Um den Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 die Ausübung der in diesem Artikel anerkannten Rechte in Bezug auf ihre Sicherheit und ihren Gesundheitsschutz zu gewährleisten, wird Folgendes vorgesehen:

1. In den in den Artikeln 5, 6 und 7 genannten Fällen müssen die mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2, einschließlich der Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder des Anspruchs auf eine angemessene Sozialleistung, entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten gewährleistet sein.

2. In dem in Artikel 8 genannten Fall müssen gewährleistet sein:

a) die mit dem Arbeitsvertrag der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 verbundenen anderen Rechte als die unter dem nachstehenden Buchstaben b) genannten;

b) die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder der Anspruch auf eine angemessene Sozialleistung für die Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2.

3. Die Sozialleistung nach Nummer 2 Buchstabe b) gilt als angemessen, wenn sie mindestens den Bezügen entspricht, die die betreffende Arbeitnehmerin im Falle einer Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen erhalten würde, wobei es gegebenenfalls eine von den einzelstaatlichen Gesetzgebern festgelegte Obergrenze gibt.

4. Es steht den Mitgliedstaaten frei, den Anspruch auf die Fortzahlung des Arbeitsentgelts oder die in Nummer 1 und Nummer 2 Buchstabe b) genannte Sozialleistung davon abhängig zu machen, dass die betreffende Arbeitnehmerin die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehenen Bedingungen für das Entstehen eines Anspruchs auf diese Leistungen erfüllt.

Nach diesen Bedingungen darf keinesfalls vorgesehen sein, dass dem voraussichtlichen Zeitpunkt der Entbindung eine Erwerbstätigkeit von mehr als zwölf Monaten unmittelbar vorangegangen sein muss.“

Richtlinie 2006/54

In den Erwägungsgründen 24 und 25 der Richtlinie 2006/54 heißt es:

„(24) Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass der Schutz der körperlichen Verfassung der Frau während und nach einer Schwangerschaft sowie Maßnahmen zum Mutterschutz legitime Mittel zur Erreichung einer nennenswerten Gleichstellung sind. Diese Richtlinie sollte somit die Richtlinie [92/85] unberührt lassen. Sie sollte ferner die Richtlinie 96/34/EG des Rates vom 3. Juni 1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub [ABl. 1996, L 145, S. 4] unberührt lassen.

(25) Aus Gründen der Klarheit ist es außerdem angebracht, ausdrücklich Bestimmungen zum Schutz der Rechte der Frauen im Bereich der Beschäftigung im Falle des Mutterschaftsurlaubs aufzunehmen, insbesondere den Anspruch auf Rückkehr an ihren früheren Arbeitsplatz oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz ohne Verschlechterung der Arbeitsbedingungen aufgrund dieses Mutterschaftsurlaubs sowie darauf, dass ihnen auch alle Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zugutekommen, auf die sie während ihrer Abwesenheit Anspruch gehabt hätten.“

Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2006/54 lautet:

„Ziel der vorliegenden Richtlinie ist es, die Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sicherzustellen.

Zu diesem Zweck enthält sie Bestimmungen zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in Bezug auf

a) den Zugang zur Beschäftigung einschließlich des beruflichen Aufstiegs und zur Berufsbildung,

b) Arbeitsbedingungen einschließlich des Entgelts,

c) betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit.

Weiter enthält sie Bestimmungen, mit denen sichergestellt werden soll, dass die Verwirklichung durch die Schaffung angemessener Verfahren wirksamer gestaltet wird.“

Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie sieht in Abs. 1 Buchst. a vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a) ‚unmittelbare Diskriminierung‘ eine Situation, in der eine Person aufgrund ihres Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“.

Art. 14 („Diskriminierungsverbot“) Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Im öffentlichen und privaten Sektor einschließlich öffentlicher Stellen darf es in Bezug auf folgende Punkte keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben:

a) die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position einschließlich des beruflichen Aufstiegs;

b) den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung einschließlich der praktischen Berufserfahrung;

c) die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen sowie das Arbeitsentgelt nach Maßgabe von Artikel 141 [EG];

d) die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisation oder einer Organisation, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Organisationen.“

Art. 15 („Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub“) dieser Richtlinie lautet wie folgt:

„Frauen im Mutterschaftsurlaub haben nach Ablauf des Mutterschaftsurlaubs Anspruch darauf, an ihren früheren Arbeitsplatz oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz unter Bedingungen, die für sie nicht weniger günstig sind, zurückzukehren, und darauf, dass ihnen auch alle Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, auf die sie während ihrer Abwesenheit Anspruch gehabt hätten, zugutekommen.“

Art. 28 („Verhältnis zu gemeinschaftlichen und einzelstaatlichen Vorschriften“) der Richtlinie 2006/54 bestimmt:

„(1) Diese Richtlinie steht Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, nicht entgegen.

(2) Diese Richtlinie berührt nicht die Bestimmungen der Richtlinien [96/34] und [92/85].“

Französisches Recht

Code du travail (Arbeitsgesetzbuch)

Art. L. 1225-17 des Arbeitsgesetzbuchs lautet:

„Die Arbeitnehmerin hat Anspruch auf Mutterschaftsurlaub während eines Zeitraums, der sechs Wochen vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin beginnt und zehn Wochen danach endet.

Auf Antrag der Arbeitnehmerin kann der Zeitraum der Aussetzung des Arbeitsvertrags, der vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin beginnt, um höchstens drei Wochen verkürzt werden, sofern das sie betreuende medizinische Fachpersonal dies befürwortet. Der Zeitraum nach dem voraussichtlichen Entbindungstermin verlängert sich dann entsprechend.

Hat die Arbeitnehmerin einen Teil des Mutterschaftsurlaubs bis nach der Geburt des Kindes verschoben und wird in der Zeit vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin ihre Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt festgestellt, so wird die Verschiebung unwirksam, und der Zeitraum der Aussetzung des Arbeitsvertrags wird ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin berechnet. Der ursprünglich verschobene Zeitraum verkürzt sich entsprechend.“

Tarifvertrag

Art. 1 des Tarifvertrags lautet:

„Dieser Vertrag regelt die Beziehungen zwischen auf der einen Seite den Sozialversicherungsträgern, Familienbeihilfenkassen und allen anderen von ihnen kontrollierten Einrichtungen (Nationaler Verband der Sozialversicherungsträger, Nationaler Verband der Familienbeihilfenkassen, gesetzliche Krankenkassen, regionale Alters- und Invaliditätsversicherungskassen, Familienbeihilfenkassen, Beitragseinziehungsstellen, Sozialdienste, Vorsorgekassen für das Personal usw.) und auf der anderen Seite dem Personal dieser Einrichtungen und ihrer Zweigstellen mit Sitz in Frankreich oder in den überseeischen Departements.“

Die Art. 45 und 46 des Tarifvertrags gehören zu dessen Abschnitt „L.“ („Mutterschaftsurlaub“).

Art. 45 des Tarifvertrags bestimmt:

„Während der Dauer des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs erhalten die Bediensteten weiter ihr Gehalt, sofern ihr Arbeitsverhältnis seit mindestens sechs Monaten besteht. Diese Zahlung darf nicht mit dem Tagegeld kombiniert werden, das ihnen als Versicherten aus der Sozialversicherung gezahlt wird.

Dieser Urlaub wird für den Anspruch auf Abwesenheit im Krankheitsfall nicht angerechnet und kann nicht zu einer Verringerung der Dauer des Jahresurlaubs führen.“

Art. 46 des Tarifvertrags sieht vor:

„Nach Ablauf des im vorstehenden Artikel vorgesehenen Urlaubs hat eine Arbeitnehmerin, die ihr Kind selbst erzieht, nacheinander Anspruch auf

– drei Monate Urlaub bei halber Bezahlung oder eineinhalb Monate Urlaub bei voller Bezahlung;

– ein Jahr unbezahlten Urlaub.

Ist die Arbeitnehmerin alleinerziehend oder verfügt ihr Ehegatte oder Partner nicht über sein oder ihr gewöhnliches Einkommen (Invalidität, längere Erkrankung, Militärdienst), so hat sie Anspruch auf drei Monate Urlaub bei voller Bezahlung.

Nach Ablauf des oben vorgesehenen Urlaubs wird die Berechtigte uneingeschränkt weiterbeschäftigt.

Ausnahmsweise kann der Verwaltungsrat unbezahlten Urlaub von einem weiteren Jahr gewähren. Vorbehaltlich des Art. 16 wird die Arbeitnehmerin im letztgenannten Fall nur dann weiterbeschäftigt, wenn es entweder bei ihrer Einrichtung oder bei einer Schwestereinrichtung freie Stellen gibt; diese sind vorrangig mit ihr zu besetzen.

Wird der Urlaub verlängert, kann sich der Verwaltungsrat in besonderen Fällen förmlich verpflichten, die Arbeitnehmerin unverzüglich weiterzubeschäftigen.

Unbezahlter Urlaub im Sinne dieses Artikels hat in Bezug auf die Bestimmungen dieses Tarifvertrags und das Rentensystem dieselben Rechtsfolgen wie der in Art. 40 vorgesehene Urlaub.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

CY wurde von der CPAM als Arbeitnehmer in der Eigenschaft als „Prüfer für Leistungen der Kategorie Arbeitnehmer oder leitender Angestellter“ eingestellt. Er ist Vater eines im April 2016 geborenen Kindes.

In diesem Zusammenhang beantragte er den Urlaub nach Art. 46 des Tarifvertrags, dem zufolge die Arbeitnehmerin, die ihr Kind selbst erzieht, nach Ablauf des in Art. 45 dieses Tarifvertrags vorgesehenen Urlaubs nacheinander Anspruch entweder auf drei Monate Urlaub bei halber Bezahlung oder auf eineinhalb Monate Urlaub bei voller Bezahlung sowie auf ein Jahr unbezahlten Urlaub hat.

Die CPAM lehnte den Antrag von CY mit der Begründung ab, dass die in Art. 46 des Tarifvertrags vorgesehene Vergünstigung Arbeitnehmerinnen vorbehalten sei, die ihr Kind selbst erzögen.

Die Gewerkschaft CFTC beantragte bei der Leitung des Sozialversicherungsträgers, die Regelung des Art. 46 des Tarifvertrags auf männliche Arbeitnehmer auszudehnen, die ihr Kind selbst erziehen.

Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass der vorgesehene Urlaub nach dem Wortlaut dieses Artikels nur der Mutter des Kindes gewährt werde, da der Begriff „employée“ („Arbeitnehmerin“) ein weibliches Substantiv sei, und dass dieser Artikel insoweit nicht diskriminierend sei, als er an Art. 45 des Tarifvertrags gekoppelt sei, der nur Frauen eine Vergünstigung gewähre.

Am 27. Dezember 2017 erhob die Gewerkschaft CFTC, die zugunsten von CY tätig wird, vor dem Conseil de prud’hommes de Metz (Arbeitsgericht Metz, Frankreich), dem vorlegenden Gericht, Klage gegen die CPAM und machte geltend, dass die Entscheidung, CY den Urlaub nach Art. 46 des Tarifvertrags zu verweigern, eine sowohl nach dem Unionsrecht als auch nach französischem Recht verbotene Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstelle. Art. 46 des Tarifvertrags sei nämlich nicht an Art. 45 dieses Tarifvertrags gekoppelt, da Art. 46 des Tarifvertrags im Unterschied zu Art. 45 des Tarifvertrags nicht mit physiologischen Erwägungen zusammenhänge. Da Männer und Frauen bei der Aufgabe der Erziehung ihrer Kinder gleichberechtigt seien, müsste auch den bei der CPAM beschäftigten männlichen Arbeitnehmern die Vergünstigung nach Art. 46 des Tarifvertrags gewährt werden.

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) mit Urteil vom 21. September 2017 entschieden habe, dass Art. 46 des Tarifvertrags die Gewährung eines zusätzlichen Mutterschaftsurlaubs bei Ablauf des in Art. 45 dieses Tarifvertrags genannten gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs zum Gegenstand habe und somit dem Schutz der besonderen Beziehung zwischen der Frau und ihrem Kind in der Zeit nach der Schwangerschaft und der Entbindung diene.

Unter diesen Umständen hat der Conseil de prud’hommes de Metz (Arbeitsgericht Metz) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist die Richtlinie 2006/54 unter Berücksichtigung der Art. 8 und 157 AEUV, der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts der Gleichbehandlung und des Diskriminierungsverbots sowie der Art. 20, Art. 21 Abs. 1 und Art. 23 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass die Bestimmungen des Art. 46 des Tarifvertrags, der Arbeitnehmerinnen von Sozialversicherungsträgern, die ihre Kinder selbst erziehen, nach dem Mutterschaftsurlaub einen dreimonatigen Urlaub bei halber Bezahlung oder einen eineinhalbmonatigen Urlaub bei voller Bezahlung und einen einjährigen unbezahlten Urlaub vorbehält, von ihrem materiellen Geltungsbereich ausgenommen sind?

Zur Vorlagefrage

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

Die CPAM macht im Wesentlichen geltend, der Gerichtshof sei im Hinblick auf Art. 267 AEUV für die Beantwortung der Vorlagefrage offensichtlich unzuständig. Im Rahmen der vorliegenden Rechtssache werde der Gerichtshof nämlich nicht ersucht, über die Auslegung der Verträge oder über die Gültigkeit oder die Auslegung irgendeiner Handlung eines Organs, einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union zu entscheiden.

In Wirklichkeit versuche die Gewerkschaft CFTC unter dem Deckmantel eines Vorabentscheidungsersuchens, eine „supranationale Ungültigerklärung“ von Art. 46 des Tarifvertrags in seiner Auslegung durch die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) im Hinblick auf die allgemeinen Grundsätze der Gleichbehandlung und des Diskriminierungsverbots zu erreichen. Der Gerichtshof sei aber weder für die Prüfung der Vereinbarkeit des nationalen Rechts einschließlich der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten mit dem Unionsrecht noch für die Auslegung des nationalen Rechts zuständig.

Hierzu ist festzustellen, dass das in Art. 267 AEUV errichtete System der Zusammenarbeit auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht. Im Rahmen eines gemäß diesem Artikel eingeleiteten Verfahrens ist die Auslegung der nationalen Vorschriften Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten und nicht des Gerichtshofs, und es kommt diesem nicht zu, sich zur Vereinbarkeit von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts mit den Bestimmungen des Unionsrechts zu äußern. Dagegen ist der Gerichtshof befugt, dem nationalen Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es diesem Gericht ermöglichen, die Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht zu beurteilen (Urteil vom 30. April 2020, CTT – Correios de Portugal, C‑661/18, EU:C:2020:335, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zwar wird der Gerichtshof durch die Vorlagefrage, liest man sie im Zusammenhang mit der vom vorlegenden Gericht dargelegten Begründung, aufgefordert, sich zur Vereinbarkeit einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift mit dem Unionsrecht zu äußern, doch hindert ihn nichts daran, dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, indem er diesem Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts liefert, anhand deren es selbst über die Vereinbarkeit des innerstaatlichen Rechts mit dem Unionsrecht entscheiden kann. Soweit die Vorlagefrage die Auslegung des Unionsrechts betrifft, ist der Gerichtshof daher grundsätzlich gehalten, über sie zu entscheiden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. April 2020, CTT – Correios de Portugal, C‑661/18, EU:C:2020:335, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall betrifft der Ausgangsrechtsstreit, der sich auf die Gewährung eines Urlaubs auf der Grundlage von Art. 46 des Tarifvertrags bezieht, die Arbeitsbedingungen im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/54. Daher fällt dieser Rechtsstreit in den Anwendungsbereich der Richtlinie, um die es in der Vorlagefrage geht.

Entgegen dem Vorbringen der CPAM ersucht das vorlegende Gericht somit um die Auslegung eines Unionsrechtsakts.

Daher ist es Sache des Gerichtshofs, dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es diesem ermöglichen, selbst über die Frage der Vereinbarkeit seines innerstaatlichen Rechts mit dem Unionsrecht zu entscheiden.

Folglich ist der Gerichtshof für die Beantwortung der Vorlagefrage zuständig.

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

Die französische Regierung trägt vor, die Vorlageentscheidung genüge nicht den Anforderungen des Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, da sie keinerlei Begründung in Bezug darauf enthalte, warum es erforderlich sei, dem Gerichtshof eine Frage vorzulegen, um über den Ausgangsrechtsstreit zu entscheiden. Das vorlegende Gericht beschränke sich darauf, die vor ihm vorgebrachten Argumente zu wiederholen, ohne die genauen Gründe anzugeben, aus denen es die Vorlage einer Frage an den Gerichtshof für erforderlich halte.

Außerdem beziehe sich das vorlegende Gericht auf mehrere Bestimmungen des AEU-Vertrags und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), ohne jedoch ihren Zusammenhang mit der Vorlagefrage zu erläutern. Die französische Regierung macht geltend, dass diese Frage im Falle der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens insoweit zu beantworten sei, als sie sich auf die Richtlinie 2006/54 beziehe, und nicht insoweit, als sie die Art. 8 und 157 AEUV sowie die Art. 20, 21 und 23 der Charta betreffe.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen des nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat (Urteil vom 2. April 2020, Reliantco Investments und Reliantco Investments Limassol Sucursala Bucureşti, C‑500/18, EU:C:2020:264, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Jedoch kann zum einen der Gerichtshof, wenn die erbetene Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind, das Vorabentscheidungsersuchen als unzulässig zurückweisen (Urteil vom 2. April 2020, Reliantco Investments und Reliantco Investments Limassol Sucursala Bucureşti, C‑500/18, EU:C:2020:264, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zum anderen führt im Hinblick auf den Geist der Zusammenarbeit, der das Verhältnis zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens bestimmt, das Fehlen bestimmter vorheriger Feststellungen durch das vorlegende Gericht nicht zwingend zur Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens, wenn sich der Gerichtshof anhand der in der Akte enthaltenen Angaben trotz dieser Unzulänglichkeiten in der Lage sieht, dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben (Urteil vom 2. April 2020, Reliantco Investments und Reliantco Investments Limassol Sucursala Bucureşti, C‑500/18, EU:C:2020:264, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Vorlageentscheidung zwar hinsichtlich der Darstellung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung der Richtlinie 2006/54 hat, knapp gefasst ist und dass die Bestimmungen des AEU-Vertrags und der Charta nur in der Vorlagefrage erwähnt werden.

Das vorlegende Gericht hat jedoch erstens das Vorbringen der Gewerkschaft CFTC zur Unvereinbarkeit von Art. 46 des Tarifvertrags mit dem Unionsrecht wiedergegeben. Wie die französische Regierung selbst ausgeführt hat, hat sich das vorlegende Gericht dadurch, dass es die Vorlagefrage genauso gestellt hat, wie sie ihm von der Gewerkschaft CFTC vorgeschlagen worden war, implizit die von dieser Gewerkschaft geäußerten Zweifel an der Vereinbarkeit dieses Artikels des Tarifvertrags mit der Richtlinie 2006/54 zu eigen gemacht. Die Vorlageentscheidung ermöglicht es daher zu verstehen, weswegen das vorlegende Gericht es für erforderlich gehalten hat, dem Gerichtshof diese Frage vorzulegen.

Im Übrigen sind sowohl die CPAM als auch die französische und die portugiesische Regierung sowie die Europäische Kommission sehr wohl in der Lage gewesen, zu der gestellten Frage Stellung zu nehmen.

Zweitens ist die Vorlagefrage dahin formuliert, dass sie sich auf die Richtlinie 2006/54 bezieht, die „unter Berücksichtigung“ der Art. 8 und 157 AEUV sowie von Art. 20, Art. 21 Abs. 1 und Art. 23 der Charta auszulegen sei. Das vorlegende Gericht ersucht daher nicht um eine isolierte Auslegung dieser Bestimmungen des AEU-Vertrags und der Charta, da sie nur zur Stützung der Auslegung der Richtlinie 2006/54 angeführt werden.

Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Vorlageentscheidung den Anforderungen des Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs genügt.

Demnach ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

Zur Vorlagefrage

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2006/54 dahin auszulegen ist, dass sie einer Bestimmung eines nationalen Tarifvertrags entgegensteht, die Arbeitnehmerinnen, die ihr Kind selbst erziehen, den Anspruch auf Urlaub nach Ablauf des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs vorbehält, während männliche Arbeitnehmer keinen Anspruch auf einen solchen Urlaub haben.

Insoweit verbietet Art. 14 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/54 jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bezug auf die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen.

Im Kontext dieser Richtlinie erstreckt sich das Verbot der Diskriminierung zwischen männlichen und weiblichen Arbeitnehmern auf alle Vereinbarungen, die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regeln (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. November 2004, Sass, C‑284/02, EU:C:2004:722, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im Übrigen stellt nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/54 zwar „eine Situation, in der eine Person aufgrund ihres Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“, eine unmittelbare Diskriminierung dar; Art. 28 macht aber klar, dass diese Richtlinie den Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, nicht entgegensteht und die Bestimmungen der Richtlinie 92/85 nicht berührt.

Zum Schutz der Mutter eines Kindes ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass der Anspruch schwangerer Arbeitnehmerinnen auf Mutterschaftsurlaub als ein arbeits- und sozialrechtliches Schutzinstrument von besonderer Bedeutung anzusehen ist. Der Unionsgesetzgeber ist daher zu der Ansicht gelangt, dass wesentliche Änderungen in den Lebensbedingungen der Frauen während des begrenzten Zeitraums von mindestens 14 teils vor und teils nach der Entbindung liegenden Wochen ein triftiger Grund dafür sind, die Ausübung ihrer Berufstätigkeit auszusetzen, ohne dass die Triftigkeit dieses Grundes von den Behörden oder den Arbeitgebern in irgendeiner Weise in Frage gestellt werden kann (Urteile vom 20. September 2007, Kiiski, C‑116/06, EU:C:2007:536, Rn. 49, und vom 21. Mai 2015, Rosselle, C‑65/14, EU:C:2015:339, Rn. 30).

Es besteht nämlich, wie der Unionsgesetzgeber im 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 92/85 anerkannt hat, bei der schwangeren Arbeitnehmerin, der Wöchnerin oder der stillenden Arbeitnehmerin eine besondere Situation der Verletzlichkeit, die einen Anspruch auf Mutterschaftsurlaub erforderlich macht, aber, speziell während dieses Urlaubs, nicht der Lage eines Mannes oder einer Frau im Krankheitsurlaub gleichgesetzt werden kann (Urteile vom 27. Oktober 1998, Boyle u. a., C‑411/96, EU:C:1998:506, Rn. 40, und vom 18. März 2014, D., C‑167/12, EU:C:2014:169, Rn. 33).

Dieser Mutterschaftsurlaub soll zum einen dem Schutz der körperlichen Verfassung der Frau während und nach ihrer Schwangerschaft und zum anderen dem Schutz der besonderen Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind während der Zeit nach der Schwangerschaft und Entbindung dienen, damit diese Beziehung nicht durch die Doppelbelastung infolge der gleichzeitigen Ausübung eines Berufs gestört wird (Urteile vom 12. Juli 1984, Hofmann, 184/83, EU:C:1984:273, Rn. 25, und vom 4. Oktober 2018, Dicu, C‑12/17, EU:C:2018:799, Rn. 34).

Außerdem schließt die Richtlinie 92/85, die Mindestvorschriften enthält, keineswegs die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten aus, den schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen oder stillenden Arbeitnehmerinnen einen weiter gehenden Schutz zu gewähren, indem sie Schutzmaßnahmen beibehalten oder treffen, die für diese günstiger sind, sofern diese Maßnahmen mit dem Unionsrecht vereinbar sind (Urteile vom 13. Februar 2014, TSN und YTN, C‑512/11 und C‑513/11, EU:C:2014:73, Rn. 37, sowie vom 14. Juli 2016, Ornano, C‑335/15, EU:C:2016:564, Rn. 35).

Der Gerichtshof hat hinzugefügt, dass eine Maßnahme wie ein der Frau nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist gewährter Mutterschaftsurlaub in den Anwendungsbereich von Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 fällt, da sie den Schutz der Frau sowohl hinsichtlich der Folgen der Schwangerschaft als auch hinsichtlich ihrer Mutterschaft bezweckt. Unter diesem Gesichtspunkt kann ein derartiger Urlaub zulässigerweise unter Ausschluss aller anderen Personen der Mutter vorbehalten werden, da allein die Mutter dem unerwünschten Druck ausgesetzt sein kann, ihre Arbeit verfrüht wieder aufnehmen zu müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juli 1984, Hofmann, 184/83, EU:C:1984:273, Rn. 26).

Zur Eigenschaft als Elternteil hat der Gerichtshof klargestellt, dass die Lage eines männlichen Arbeitnehmers und die einer Arbeitnehmerin, die beide diese Eigenschaft besitzen, vergleichbar ist, soweit es um die Kindererziehung geht (Urteile vom 25. Oktober 1988, Kommission/Frankreich, 312/86, EU:C:1988:485, Rn. 14, sowie vom 12. Dezember 2019, Instituto Nacional de la Seguridad Social [Rentenzulage für Mütter], C‑450/18, EU:C:2019:1075, Rn. 51). Daher können Maßnahmen, die den Schutz von Frauen in ihrer Eigenschaft als Elternteil bezwecken, nicht durch Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 gerechtfertigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. November 2001, Griesmar, C‑366/99, EU:C:2001:648, Rn. 44).

Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich somit, dass ein Mitgliedstaat nach Ablauf des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs der Mutter des Kindes einen zusätzlichen Urlaub vorbehalten kann, wenn dieser die Mutter nicht in ihrer Eigenschaft als Elternteil, sondern hinsichtlich der Folgen der Schwangerschaft und hinsichtlich ihrer Mutterschaft betrifft.

Wie aus Rn. 52 des vorliegenden Urteils hervorgeht, soll ein solcher zusätzlicher Urlaub den Schutz der körperlichen Verfassung der Frau sowie der besonderen Beziehung der Mutter zu ihrem Kind in der Zeit nach der Entbindung gewährleisten.

Wie der Generalanwalt in Nr. 61 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, kann das Ziel des Schutzes der besonderen Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind für sich genommen jedoch nicht ausreichen, um Vätern einen zusätzlichen Urlaubszeitraum zu verwehren.

Im vorliegenden Fall heißt es in Art. 46 des Tarifvertrags, dass die Arbeitnehmerin, die ihr Kind selbst erzieht, nach Ablauf des in Art. 45 dieses Tarifvertrags vorgesehenen gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs nacheinander Anspruch auf drei Monate Urlaub bei halber Bezahlung oder auf eineinhalb Monate Urlaub bei voller Bezahlung sowie auf ein Jahr unbezahlten Urlaub hat, wobei die Verlängerung des letztgenannten Urlaubs um ein Jahr möglich ist.

Ein Tarifvertrag, der einem männlichen Arbeitnehmer, der sein Kind selbst erzieht, einen solchen zusätzlichen Urlaub verwehrt, schafft eine Ungleichbehandlung zwischen männlichen und weiblichen Arbeitnehmern.

Wie sich aus den Rn. 52 und 54 des vorliegenden Urteils ergibt, erscheint eine solche Ungleichbehandlung nur dann mit der Richtlinie 2006/54 vereinbar, wenn sie den Schutz der Mutter sowohl hinsichtlich der Folgen der Schwangerschaft als auch hinsichtlich ihrer Mutterschaft bezweckt, d. h., wenn sie den Schutz der körperlichen Verfassung der Frau sowie der besonderen Beziehung der Mutter zu ihrem Kind in der Zeit nach der Entbindung gewährleisten soll. Sollte Art. 46 des Tarifvertrags für Frauen allein in ihrer Eigenschaft als Elternteil gelten, schüfe dieser Artikel eine nach Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie verbotene unmittelbare Diskriminierung der männlichen Arbeitnehmer.

Wie der Generalanwalt in Nr. 70 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, betreffen die Gesichtspunkte, die zu berücksichtigen sind, damit ein im Anschluss an den gesetzlichen Mutterschaftsurlaub gewährter Urlaub den Arbeitnehmerinnen vorbehalten werden kann, insbesondere die Voraussetzungen für die Gewährung dieses Urlaubs, seine Dauer und Ausgestaltung sowie das mit diesem Urlaub verbundene rechtliche Schutzniveau.

Zunächst müssen die Voraussetzungen für die Gewährung eines solchen Urlaubs unmittelbar an den Schutz der körperlichen und psychischen Verfassung der Frau sowie der besonderen Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind in der Zeit nach der Entbindung geknüpft sein. Mithin ist dieser Urlaub insbesondere allen Frauen zu gewähren, die unter die fragliche nationale Regelung fallen, unabhängig von ihrer Beschäftigungsdauer und ohne dass es einer Zustimmung des Arbeitgebers bedarf.

Sodann müssen auch Dauer und Ausgestaltung eines zusätzlichen Mutterschaftsurlaubs entsprechend angepasst werden, um den körperlichen und psychischen Schutz der Frau sowie den Schutz der besonderen Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind in der Zeit nach der Entbindung zu gewährleisten, ohne die Dauer zu überschreiten, die für einen solchen Schutz erforderlich erscheint.

Was schließlich das rechtliche Schutzniveau anbelangt, muss dieser Urlaub, da er denselben Zweck hat wie der gesetzliche Mutterschaftsurlaub, dem für diesen gesetzlichen Urlaub durch die Richtlinien 92/85 und 2006/54 garantierten Mindestschutz entsprechen. Insbesondere muss die rechtliche Regelung des zusätzlichen Urlaubs den Schutz vor Kündigung und die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder den Anspruch auf eine angemessene Sozialleistung für die Arbeitnehmerinnen unter Bedingungen gewährleisten, die mit den in den Art. 10 und 11 der Richtlinie 92/85 genannten Bedingungen im Einklang stehen, und den Anspruch darauf, an ihren früheren Arbeitsplatz oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz unter Bedingungen, die für sie nicht weniger günstig sind, zurückzukehren, sowie darauf, dass ihnen auch alle Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, auf die die Arbeitnehmerinnen während ihrer Abwesenheit Anspruch gehabt hätten, zugutekommen, in der Form sicherstellen, wie dieser Anspruch in Art. 15 der Richtlinie 2006/54 vorgesehen ist.

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob der in Art. 46 des Tarifvertrags vorgesehene Urlaub die Voraussetzungen für die Annahme erfüllt, dass er bezweckt, die Arbeitnehmerinnen sowohl hinsichtlich der Folgen der Schwangerschaft als auch hinsichtlich ihrer Mutterschaft zu schützen.

Wie in Rn. 29 des vorliegenden Urteils betont worden ist, hat sich der Gerichtshof im Rahmen der vorliegenden Rechtssache nicht zur Vereinbarkeit dieses Artikels des Tarifvertrags mit der Richtlinie 2006/54 zu äußern. Hingegen hat er dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung dieser Richtlinie zu geben, die es diesem ermöglichen, die Frage dieser Vereinbarkeit zu beurteilen.

Hierzu ist erstens festzustellen, dass ein Urlaub, der nach Ablauf des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs gewährt wird, als integraler Bestandteil eines Mutterschaftsurlaubs, dessen Dauer für Arbeitnehmerinnen länger und günstiger ist als die gesetzliche Dauer, angesehen werden könnte.

Allerdings ist in Anbetracht der in Rn. 54 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung die Möglichkeit, einen den Müttern vorbehaltenen Urlaub nach Ablauf des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs einzuführen, von der Voraussetzung abhängig, dass er selbst den Schutz der Frauen bezweckt. Folglich genügt die bloße Tatsache, dass ein Urlaub unmittelbar auf den gesetzlichen Mutterschaftsurlaub folgt, nicht für die Annahme, dass er den Arbeitnehmerinnen, die ihr Kind selbst erziehen, vorbehalten werden kann.

Zweitens ist die Überschrift des Kapitels des Tarifvertrags, zu dem die Vorschrift, die einen solchen zusätzlichen Urlaub vorsieht, gehört, kein relevanter Gesichtspunkt für die Prüfung der Vereinbarkeit einer solchen Bestimmung mit dem Unionsrecht. Das vorlegende Gericht muss nämlich konkret prüfen, ob der vorgesehene Urlaub im Wesentlichen den Schutz der Mutter sowohl hinsichtlich der Folgen der Schwangerschaft als auch hinsichtlich ihrer Mutterschaft bezweckt.

Drittens beruft sich die französische Regierung auf das Urteil vom 30. April 1998, Thibault (C‑136/95, EU:C:1998:178), in dem der Gerichtshof anerkannt habe, dass Art. 46 des Tarifvertrags einen Mutterschaftsurlaub darstelle.

Rn. 12 dieses Urteils, auf die sich die französische Regierung bezieht, betrifft jedoch nicht die rechtlichen Erwägungen und die Auslegung durch den Gerichtshof, sondern nur den Sachverhalt, wie er sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache ergibt, in der dieses Urteil ergangen ist.

Viertens kann die in Art. 46 des Tarifvertrags vorgesehene Urlaubsdauer – von eineinhalb Monaten bis zu zwei Jahren und drei Monaten – stark variieren. Diese Dauer kann somit erheblich länger sein als die des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs von 16 Wochen nach Art. L. 1225‑17 des Arbeitsgesetzbuchs, auf den Art. 45 des Tarifvertrags verweist. Außerdem ist der Urlaub, wenn er für die Dauer von einem oder zwei Jahren in Anspruch genommen wird, „unbezahlt“, was für die Arbeitnehmerin nicht die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder den Anspruch auf eine angemessene Sozialleistung zu gewährleisten scheint, was nach Art. 11 Nr. 2 der Richtlinie 92/85 für den Mutterschaftsurlaub aber zwingend vorausgesetzt wird.

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass im Licht der Richtlinie 92/85 die Art. 14 und 28 der Richtlinie 2006/54 dahin auszulegen sind, dass sie der Bestimmung eines nationalen Tarifvertrags nicht entgegenstehen, der den Arbeitnehmerinnen, die ihr Kind selbst erziehen, einen Anspruch auf Urlaub nach Ablauf des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs vorbehält, sofern dieser zusätzliche Urlaub den Schutz der Arbeitnehmerinnen sowohl hinsichtlich der Folgen der Schwangerschaft als auch hinsichtlich ihrer Mutterschaft bezweckt, was das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung insbesondere der Voraussetzungen für die Gewährung dieses Urlaubs, seiner Ausgestaltung und Dauer sowie des mit diesem Urlaub verbundenen rechtlichen Schutzniveaus zu prüfen hat.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Die Art. 14 und 28 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sind im Licht der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) dahin auszulegen, dass sie der Bestimmung eines nationalen Tarifvertrags nicht entgegenstehen, der den Arbeitnehmerinnen, die ihr Kind selbst erziehen, einen Anspruch auf Urlaub nach Ablauf des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs vorbehält, sofern dieser zusätzliche Urlaub den Schutz der Arbeitnehmerinnen sowohl hinsichtlich der Folgen der Schwangerschaft als auch hinsichtlich ihrer Mutterschaft bezweckt, was das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung insbesondere der Voraussetzungen für die Gewährung dieses Urlaubs, seiner Ausgestaltung und Dauer sowie des mit diesem Urlaub verbundenen rechtlichen Schutzniveaus zu prüfen hat.



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