Europäischer Gerichtshof

Urteil vom - Az: C 624/19

Gleicher Lohn für alle – auch bei gleichwertiger Arbeit

(1.) Der Grundsatz der Entgeltgleichheit für Männer und Frauen gilt nicht nur bei „gleicher“, sondern auch bei lediglich „gleichwertiger“ Arbeit.

(2.) Ob die betreffenden Arbeitnehmer die gleiche oder gleichwertige Arbeit im Sinne von Art. 157 AEUV verrichten, ist eine Frage der Tatsachenwürdigung durch das nationale Gericht.

(3.) Auch die verschiedenen Betriebe eines Arbeitgebers führen nicht zu einer Unanwendbarkeit des Art. 157 AEUV, soweit sich die Entgeltbedingungen auf ein und dieselbe Quelle zurückführen lassen. Dies gilt auch dann, wenn die zu vergleichenden Beschäftigungen in verschiedenen Betrieben des Arbeitgebers verrichtet werden.
(Redaktionelle Orientierungssätze)

Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 157 AEUV.

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen rund 6 000 Arbeitnehmern und der Tesco Stores Ltd, in deren Ladengeschäften die Arbeitnehmer beschäftigt sind bzw. waren, wegen eines geltend gemachten Anspruchs auf gleiches Entgelt für Männer und Frauen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Vorschriften über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union

Mit seinem Beschluss (EU) 2020/135 vom 30. Januar 2020 über den Abschluss des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2020, L 29, S. 1, im Folgenden: Austrittsabkommen) hat der Rat der Europäischen Union dieses Abkommen im Namen der Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) genehmigt. Das Abkommen ist dem Beschluss beigefügt (ABl. 2020, L 29, S. 7).

Art. 86 („Vor dem Gerichtshof der Europäischen Union anhängige Rechtssachen“) des Austrittsabkommens bestimmt in den Abs. 2 und 3:

„(2) Der Gerichtshof der Europäischen Union ist weiterhin für Vorabentscheidungsersuchen der Gerichte des Vereinigten Königreichs zuständig, die vor Ende des Übergangszeitraums vorgelegt werden.

(3) Für die Zwecke dieses Kapitels gilt ein Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu dem Zeitpunkt als eingeleitet und ein Vorabentscheidungsersuchen zu dem Zeitpunkt als vorgelegt, zu dem die Unterlagen zur Einleitung des Verfahrens von der Kanzlei des Gerichtshofs … registriert wurden.“

Nach Art. 126 des Austrittsabkommens hat der Übergangszeitraum am Tag des Inkrafttretens des Abkommens begonnen und am 31. Dezember 2020 geendet.

Vorschriften über den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen

Art. 119 EWG-Vertrag (nach Änderung Art. 141 EG, jetzt Art. 157 AEUV) lautete:

„Jeder Mitgliedstaat wird während der ersten Stufe den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anwenden und in der Folge beibehalten.

Unter ‚Entgelt‘ im Sinne dieses Artikels sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und ‑gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar und unmittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt.

Gleichheit des Arbeitsentgelts ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bedeutet:

b) dass für eine nach Zeit bezahlte Arbeit das Entgelt bei gleichem Arbeitsplatz gleich ist.“

Art. 157 AEUV bestimmt:

„(1) Jeder Mitgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher.

(2) Unter ‚Entgelt‘ im Sinne dieses Artikels sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und ‑gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt.

Gleichheit des Arbeitsentgelts ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bedeutet,

b) dass für eine nach Zeit bezahlte Arbeit das Entgelt bei gleichem Arbeitsplatz gleich ist.

…“

Recht des Vereinigten Königreichs

Section 79 des Equality Act 2010 (Gesetz über die Gleichheit von 2010), der die Frage der Vergleichbarkeit betrifft, bestimmt:

„(1) Diese Section findet für die Zwecke dieses Chapters Anwendung.

(2) Ist A in einem Betrieb beschäftigt, ist B eine Vergleichsperson, falls Subsection (3) oder (4) Anwendung finden.

(4) Diese Subsection findet Anwendung, wenn –

(a) B bei dem Arbeitgeber von A oder bei einem mit dem Arbeitgeber von A verbundenen Arbeitgeber beschäftigt ist,

(b) B in einem anderen Betrieb als A arbeitet und

(c) in den Betrieben gleiche Arbeitsbedingungen Anwendung finden (entweder allgemein oder im Verhältnis zwischen A und B).

…“

 

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Tesco Stores ist ein Einzelhändler, der seine Waren sowohl online als auch in 3 200 Ladengeschäften im Vereinigten Königreich vertreibt. In diesen Ladengeschäften, die unterschiedlich groß sind, sind insgesamt rund 250 000 Arbeitnehmer beschäftigt. Sie werden stundenweise bezahlt und üben verschiedene Arten von Tätigkeiten aus. Tesco Stores verfügt auch über ein Vertriebsnetz mit 24 Vertriebszentren, in denen rund 11 000 Arbeitnehmer beschäftigt sind, die ebenfalls stundenweise bezahlt werden und verschiedene Arten von Tätigkeiten ausüben.

Die Kläger der Ausgangsverfahren sind Arbeitnehmer oder ehemalige Arbeitnehmer von Tesco Stores, die in deren Ladengeschäften beschäftigt sind oder waren. Es handelt sich sowohl um Frauen (im Folgenden: Klägerinnen der Ausgangsverfahren) als auch um Männer. Die Kläger der Ausgangsverfahren erhoben gegen Tesco Stores beim vorlegenden Gericht, dem Watford Employment Tribunal (Arbeitsgericht Watford, Vereinigtes Königreich), ab Februar 2018 Klagen. Sie machen geltend, dass sie für die gleiche Arbeit nicht das gleiche Entgelt erhalten hätten. Dies verstoße gegen den Equality Act 2010 und gegen Art. 157 AEUV.

Die Verfahren betreffend die Klagen der männlichen Kläger der Ausgangsverfahren hat das vorlegende Gericht ausgesetzt, weil die Entscheidung über diese Klagen von der Entscheidung über die Klagen der Klägerinnen der Ausgangsverfahren abhänge.

Zur Stützung ihrer Klagen auf gleiches Arbeitsentgelt machen die Klägerinnen der Ausgangsverfahren geltend, dass ihre Arbeit und die der Männer, die in den Vertriebszentren des Vertriebsnetzes von Tesco Stores beschäftigt seien, gleichwertig seien, und dass es, obwohl die Arbeit in unterschiedlichen Betrieben verrichtet werde, sowohl nach dem Equality Act 2010 als auch nach Art. 157 AEUV zulässig sei, ihre Arbeit mit der Arbeit dieser Arbeitnehmer zu vergleichen. Nach Section 79(4) des Equality Act 2010 fänden in den Ladengeschäften und in den Vertriebszentren gleiche Arbeitsbedingungen Anwendung. Und nach Art. 157 AEUV ließen sich ihre Arbeitsbedingungen und die der in den Vertriebszentren beschäftigten Männer auf eine einheitliche Quelle zurückführen, nämlich Tesco Stores.

Tesco Stores vertritt die Auffassung, dass sich die Klägerinnen der Ausgangsverfahren zu Unrecht mit den Männern verglichen, die in den Vertriebszentren ihres Vertriebsnetzes beschäftigt seien. Es gebe keine gemeinsamen Arbeitsbedingungen im Sinne von Section 79(4) des Equality Act 2010. Art. 157 AEUV habe bei Klagen, die auf eine gleichwertige Arbeit gestützt würden, keine unmittelbare Wirkung. Die Klägerinnen der Ausgangsverfahren könnten sich vor dem vorlegenden Gericht daher nicht auf Art. 157 AEUV berufen. Jedenfalls könne Tesco Stores nicht als „einheitliche Quelle“ angesehen werden, auf die sich die Arbeitsbedingungen in den Ladengeschäften und in den Vertriebszentren ihres Vertriebsnetzes zurückführen ließen.

Das vorlegende Gericht stellt fest, dass die Klägerinnen der Ausgangsverfahren und die männlichen Arbeitnehmer, mit denen sie sich verglichen, zwar in verschiedenen Betrieben beschäftigt seien, aber denselben Arbeitgeber hätten. Es weist ferner darauf hin, dass es im Wege prozessleitender Maßnahmen Sachverständigengutachten eingeholt habe, um festzustellen, ob die Arbeit der Klägerinnen der Ausgangsverfahren und die der Vergleichsgruppe gleichwertig seien.

Zu Art. 157 AEUV führt das vorlegende Gericht aus, dass bei den Gerichten des Vereinigten Königreichs Unsicherheit hinsichtlich der unmittelbaren Wirkung dieses Artikels bestehe. Dies hänge insbesondere mit der Unterscheidung zusammen, die der Gerichtshof in Rn. 18 des Urteils vom 8. April 1976, Defrenne (43/75, EU:C:1976:56), zwischen den Diskriminierungen, die sich schon an Hand der Merkmale „gleiche Arbeit“ und „gleiches Entgelt“ allein feststellen ließen, und denjenigen, die nur nach Maßgabe eingehenderer unionsrechtlicher oder innerstaatlicher Durchführungsvorschriften festgestellt werden könnten, vorgenommen habe. Die Klagen, die Gegenstand der Ausgangsverfahren seien, könnten unter diese zweite Kategorie von Diskriminierungen fallen, bei denen Art. 157 AEUV keine unmittelbare Wirkung habe.

Das Watford Employment Tribunal (Arbeitsgericht Watford) hat die Verfahren deshalb ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Findet Art. 157 Abs. 1 AEUV unmittelbare Anwendung auf Klagen, die darauf gestützt werden, dass die Kläger eine gleichwertige Arbeit wie die Vergleichspersonen verrichten?

2. Falls Frage 1 zu verneinen ist: Unterscheidet sich das Kriterium der einheitlichen Quelle, auf das bei dem Vergleich, der gemäß Art. 157 AEUV vorgenommen wird, abgestellt wird, von der Frage der Gleichwertigkeit und, falls ja, ist das Kriterium der einheitlichen Quelle unmittelbar anwendbar?

 

Zu den Vorlagefragen

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

Zunächst ist festzustellen, dass der Gerichtshof nach Art. 86 des Austrittsabkommens, das am 1. Februar 2020 in Kraft getreten ist, für Vorabentscheidungsersuchen der Gerichte des Vereinigten Königreichs, die – wie hier – vor Ende des Übergangszeitraums (31. Dezember 2020), vorgelegt werden, weiterhin zuständig ist.

Zur Frage 1

Mit Frage 1 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 157 AEUV dahin auszulegen ist, dass er in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten, in denen ein Verstoß gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei „gleichwertiger Arbeit“ im Sinne der Vorschrift geltend gemacht wird, unmittelbare Wirkung entfaltet.

Nach der Vorlageentscheidung hat Tesco Stores in den Ausgangsverfahren geltend gemacht, dass Art. 157 AEUV in Fällen wie denen der Ausgangsverfahren, in denen die verglichenen Arbeitnehmer nicht dieselbe Arbeit verrichteten, keine unmittelbare Wirkung habe. In den Erklärungen, die sie beim Gerichtshof eingereicht hat, führt Tesco Stores hierzu weiter aus, dass das Merkmal der „gleichwertigen Arbeit“ im Gegensatz zu dem Merkmal „gleicher Arbeit“ durch Bestimmungen des nationalen Rechts oder des Unionsrechts konkretisiert werden müsse. Diese Auslegung werde durch die Ausführungen des Gerichtshofs in den Rn. 18 bis 23 des Urteils vom 8. April 1976, Defrenne (43/75, EU:C:1976:56), und die im Anschluss daran ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt. Wer sich im Rahmen des Vergleichs einer gleichwertigen Arbeit auf den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen berufe, mache implizit geltend, dass eine Diskriminierung vorliege. Eine Diskriminierung könne jedoch nur auf der Grundlage von Vorschriften festgestellt werden, die eingehender seien als die von Art. 157 AEUV.

Hierzu ist festzustellen, dass bereits der Wortlaut von Art. 157 AEUV eine solche Auslegung nicht hergibt. Nach dieser Bestimmung stellt jeder Mitgliedstaat die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher. Art. 157 AEUV erlegt mithin eindeutig und bestimmt eine Ergebnispflicht auf und hat zwingenden Charakter. Dies gilt sowohl in Bezug auf eine „gleiche“ als auch in Bezug auf eine „gleichwertige Arbeit“.

Entsprechend hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass aufgrund des zwingenden Charakters von Art. 157 AEUV das Verbot diskriminierender Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen nicht nur für staatliche Stellen verbindlich ist, sondern sich auch auf alle Tarifverträge, die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regeln, sowie alle Verträge zwischen Privaten erstreckt (Urteil vom 8. Mai 2019, Praxair MRC, C‑486/18, EU:C:2019:379, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs entfaltet Art. 157 AEUV unmittelbare Wirkung, indem er für Einzelne Rechte begründet, die die nationalen Gerichte zu gewährleisten haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Oktober 2019, Safeway, C‑171/18, EU:C:2019:839, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Die Betroffenen können sich vor den innerstaatlichen Gerichten auf den in Art. 157 AEUV aufgestellten Grundsatz u. a. im Fall von Diskriminierungen berufen, die ihren Ursprung unmittelbar in Rechtsvorschriften oder in Kollektivverträgen haben, sowie in dem Fall, dass die Arbeit in ein und demselben privaten oder öffentlichen Betrieb oder Dienst verrichtet wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. April 1976, Defrenne, 43/75, EU:C:1976:56, Rn. 40, und vom 13. Januar 2004, Allonby, C‑256/01, EU:C:2004:18, Rn. 45).

In den Rn. 18 und 21 bis 23 des Urteils vom 8. April 1976, Defrenne (43/75, EU:C:1976:56), hat der Gerichtshof insbesondere festgestellt, dass die Diskriminierungen, die sich aus Rechtsvorschriften oder Kollektivverträgen ergeben, zu denen zählen, die sich schon an Hand der in Art. 119 EWG-Vertrag (nach Änderung Art. 141 EG, jetzt Art. 157 AEUV) verwendeten Merkmale „gleiche Arbeit“ und „gleiches Entgelt“ allein feststellen lassen, im Gegensatz zu denjenigen, die nur nach Maßgabe eingehenderer Durchführungsvorschriften festgestellt werden können. Er hat weiter festgestellt, dass hierher auch der Fall ungleichen Entgelts für männliche und weibliche Arbeitnehmer bei gleicher Arbeit in einem und demselben öffentlichen oder privaten Dienst oder Betrieb gehört und dass der Richter in diesen Fällen in der Lage ist, alle die Tatsachenfeststellungen zu treffen, die es ihm ermöglichen, zu beurteilen, ob eine Arbeitnehmerin ein geringeres Entgelt bezieht als ein mit der gleichen Arbeit betrauter Arbeitnehmer.

Der Gerichtshof hat klargestellt, dass der Richter in diesen Fällen in der Lage ist, alle die Tatsachenfeststellungen zu treffen, die es ihm ermöglichen, zu beurteilen, ob eine Arbeitnehmerin ein geringeres Entgelt bezieht als ein Arbeitnehmer, der die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit leistet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. März 1981, Worringham und Humphreys, 69/80, EU:C:1981:63, Rn. 23).

Ferner hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 119 EWG-Vertrag (nach Änderung Art. 141 EG, jetzt Art. 157 AEUV) die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen für den Fall gleicher oder nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs gleichwertiger Arbeit vorschreibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Februar 1988, Murphy u. a., 157/86, EU:C:1988:62, Rn. 9).

Im Übrigen stellt Art. 119 EWG-Vertrag (nach Änderung Art. 141 EG, jetzt Art. 157 AEUV) den Grundsatz auf, dass für gleiche oder als gleichwertig anerkannte Arbeit unabhängig davon, ob sie von einem Mann oder von einer Frau verrichtet wird, gleiches Entgelt gewährt werden muss; dieser Grundsatz ist spezifischer Ausdruck des allgemeinen Gleichheitssatzes, wonach gleiche Sachverhalte nicht ungleich behandelt werden dürfen, es sei denn, dass eine derartige Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juni 2001, Brunnhofer, C‑381/99, EU:C:2001:358, Rn. 27 und 28 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Ferner ist zu beachten, dass die Begriffe „gleiche Arbeit‘“, „gleicher Arbeitsplatz“ und „gleichwertige Arbeit“ im Sinne von Art. 157 AEUV eine rein qualitative Bedeutung haben, da sie ausschließlich mit der Art der von den betroffenen Arbeitnehmern verrichteten Arbeit zusammenhängen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juni 2001, Brunnhofer, C‑381/99, EU:C:2001:358, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Somit ergibt sich aus einer ständigen Rechtsprechung, dass die unmittelbare Wirkung von Art. 157 AEUV entgegen dem Vorbringen von Tesco Stores nicht auf Fälle beschränkt ist, in denen die miteinander verglichenen Arbeitnehmer unterschiedlichen Geschlechts die „gleiche Arbeit“ verrichten, und nicht eine „gleichwertige Arbeit“.

Ob die betreffenden Arbeitnehmer die „gleiche Arbeit“ oder „gleichwertige Arbeit“ im Sinne von Art. 157 AEUV verrichten, ist eine Frage der Tatsachenwürdigung durch das Gericht. Es ist Sache des nationalen Gerichts, das allein für die Ermittlung und Würdigung des Sachverhalts zuständig ist, zu entscheiden, ob die Tätigkeiten der betroffenen Arbeitnehmer angesichts ihrer konkreten Natur als gleichwertig anerkannt werden können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 31. Mai 1995, Royal Copenhagen, C‑400/93, EU:C:1995:155, Rn. 42, und vom 26. Juni 2001, Brunnhofer, C‑381/99, EU:C:2001:358, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im Übrigen ist eine solche Beurteilung von der Einstufung der sich aus Art. 157 AEUV ergebenden Rechtspflicht zu unterscheiden. Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 20), erlegt Art. 157 AEUV eindeutig und bestimmt eine Ergebnispflicht auf.

Die vorstehende Auslegung wird durch das mit Art. 157 AEUV verfolgte Ziel bestätigt, bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit in Bezug auf sämtliche Entgeltsbestandteile und ‑bedingungen jede Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu beseitigen.

Insoweit ist festzustellen, dass der in Art. 157 AEUV aufgestellte Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit zu den Grundlagen der Union gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Oktober 2006, Cadman, C‑17/05, EU:C:2006:633, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Weiter ist festzustellen, dass die Union nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 EUV insbesondere die Gleichstellung von Frauen und Männern fördert und dass nach Art. 23 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union die Gleichheit von Frauen und Männern in allen Bereichen, einschließlich der Beschäftigung, der Arbeit und des Arbeitsentgelts, sicherzustellen ist.

Die Auslegung, wonach hinsichtlich der unmittelbaren Wirkung von Art. 157 AEUV danach zu unterscheiden ist, ob der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen in Bezug auf die „gleiche“ oder in Bezug auf eine „gleichwertige Arbeit“ geltend gemacht wird, ist mithin geeignet, die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung und die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu beeinträchtigen.

Ferner ist zu beachten, dass, wenn sich die bei den Entgeltbedingungen für Arbeitnehmer, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, festgestellten Unterschiede nicht auf ein und dieselbe Quelle zurückführen lassen, eine Einheit fehlt, die für die Ungleichbehandlung verantwortlich ist und die die Gleichbehandlung wiederherstellen könnte, so dass eine solche Situation nicht unter Art. 157 AEUV fällt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. September 2002, Lawrence u. a., C‑320/00, EU:C:2002:498, Rn. 17 und 18, und vom 13. Januar 2004, Allonby, C‑256/01, EU:C:2004:18, Rn. 46). Daraus folgt, dass eine Situation, in der sich die Entgeltbedingungen für Arbeitnehmer unterschiedlichen Geschlechts, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, auf ein und dieselbe Quelle zurückführen lassen, unter Art. 157 AEUV fällt und dass die Arbeit und das Entgelt dieser Arbeitnehmer nach dieser Bestimmung verglichen werden können, selbst wenn die Arbeitnehmer ihre Arbeit in verschiedenen Betrieben verrichten.

In einem Rechtsstreit, in dem es um eine gleichwertige Arbeit geht, die von Arbeitnehmern verschiedenen Geschlechts, die denselben Arbeitgeber haben, in verschiedenen Betrieben dieses Arbeitgebers verrichtet wird, kann Art. 157 AEUV daher vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden, sofern der Arbeitgeber eine solche einheitliche Quelle darstellt.

Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass Tesco Stores als Arbeitgeber eine einheitliche Quelle darstellt, auf die sich die Entgeltbedingungen der Arbeitnehmer, die ihre Arbeit in den Ladengeschäften und in den Vertriebszentren von Tesco Stores verrichten, zurückführen lassen, und für eine nach Art. 157 AEUV verbotene Diskriminierung verantwortlich sein könnte, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Somit ist auf Frage 1 zu antworten, dass Art. 157 AEUV dahin auszulegen ist, dass er in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten, in denen ein Verstoß gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei „gleichwertiger Arbeit“ im Sinne der Vorschrift geltend gemacht wird, unmittelbare Wirkung entfaltet.

Zu Frage 2

In Anbetracht der Antwort auf Frage 1 ist Frage 2 nicht zu beantworten.

 

Kosten

Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Art. 157 AEUV ist dahin auszulegen, dass er in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten, in denen ein Verstoß gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei „gleichwertiger Arbeit“ im Sinne der Vorschrift geltend gemacht wird, unmittelbare Wirkung entfaltet.



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