Europäischer Gerichtshof

Urteil vom - Az: C-585/19

Bei mehreren Arbeitsverträgen mit demselben Arbeitgeber – Ruhezeit zählt insgesamt

(1.) Ein Arbeitnehmer, der mit demselben Arbeitgeber mehrere Arbeitsverträge geschlossen hat, darf die täglich erlaubten Stunden bei seiner Tätigkeit insgesamt nicht überschreiten. Es gilt die tägliche Mindestruhezeit für die Verträge zusammengenommen und nicht für jeden dieser Verträge allein. Andernfalls könnte die Mindestruhezeit nicht gewährleistet werden, wenn sie für jeden Vertrag getrennt geprüft werde.

(2.) Aus der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG sind alle Mitgliedsstaaten nämlich dazu verpflichtet, jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von 11 zusammenhängenden Stunden zu gewähren.

(3.) Im Übrigen ist die „Ruhezeit“ als jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit definiert. „Ruhezeit“ und „Arbeitszeit“ sind somit Begriffe, die einander ausschließen. Die Arbeitszeitrichtlinie sieht keine Zwischenkategorie zwischen den Arbeitszeiten und den Ruhezeiten vor.
(Redaktionelle Orientierungssätze)

Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Nr. 1, Art. 3 und Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9).

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Academia de Studii Economice din Bucureşti (Akademie für wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge Bukarest, Rumänien, im Folgenden: ASE) und dem Organismul Intermediar pentru Programul Operaţional Capital Uman – Ministerul Educaţiei Naţionale (Zwischengeschaltete Stelle für das operationelle Programm „Humankapital“ – Ministerium für Bildung, Rumänien, im Folgenden: OI POCU MEN) wegen einer Finanzkorrektur, die Letzterer im Rahmen eines Finanzierungsprogramms vorgenommen hatte, weil die ASE die Höchststundenzahl, die eine Person pro Tag arbeiten darf, nicht eingehalten hatte.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Art. 1 der Richtlinie 2003/88 bestimmt:

„(1) Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung.

(2) Gegenstand dieser Richtlinie sind

a) die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten, der Mindestjahresurlaub, die Ruhepausen und die wöchentliche Höchstarbeitszeit sowie

b) bestimmte Aspekte der Nacht- und der Schichtarbeit sowie des Arbeitsrhythmus.

(3) Diese Richtlinie gilt unbeschadet ihrer Artikel 14, 17, 18 und 19 für alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie 89/391/EWG [des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. 1989, L 183, S. 1)].

…“

In Art. 2 der Richtlinie 2003/88 heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie sind:

1. Arbeitszeit: jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt;

Ruhezeit: jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit;

…“

Art. 3 („Tägliche Ruhezeit“) dieser Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird.“

Art. 6 („Wöchentliche Höchstarbeitszeit“) der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer:

a) die wöchentliche Arbeitszeit durch innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder in Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern festgelegt wird;

b) die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet.“

Art. 17 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1) Unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer können die Mitgliedstaaten von den Artikeln 3 bis 6, 8 und 16 abweichen, wenn die Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen und/oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann, und zwar insbesondere in Bezug auf nachstehende Arbeitnehmer:

a) leitende Angestellte oder sonstige Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis;

b) Arbeitskräfte, die Familienangehörige sind;

c) Arbeitnehmer, die im liturgischen Bereich von Kirchen oder Religionsgemeinschaften beschäftigt sind.

…“

Art. 23 der Richtlinie 2003/88 sieht vor:

„Unbeschadet des Rechts der Mitgliedstaaten, je nach der Entwicklung der Lage im Bereich der Arbeitszeit unterschiedliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie Vertragsvorschriften zu entwickeln, sofern die Mindestvorschriften dieser Richtlinie eingehalten werden, stellt die Durchführung dieser Richtlinie keine wirksame Rechtfertigung für eine Zurücknahme des allgemeinen Arbeitnehmerschutzes dar.“

Rumänisches Recht

Art. 111 der Legea nr. 53/2003 privind Codul muncii (Gesetz Nr. 53/2003 über das Arbeitsgesetzbuch) vom 24. Januar 2003 in geänderter Fassung (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 345 vom 18. Mai 2011) (im Folgenden: Arbeitsgesetzbuch) bestimmt:

„Arbeitszeit ist jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den Bestimmungen seines Arbeitsvertrags, des anwendbaren Tarifvertrags und/oder der geltenden Rechtsvorschriften arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt.“

Art. 112 Abs. 1 des Arbeitsgesetzbuchs sieht vor:

„Für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer beträgt die Regelarbeitszeit 8 Stunden pro Tag und 40 Stunden pro Woche.“

Art. 114 Abs. 1 des Arbeitsgesetzbuchs bestimmt:

„Die gesetzliche Höchstarbeitszeit darf 48 Stunden pro Woche einschließlich der Überstunden nicht überschreiten.“

Art. 119 des Arbeitsgesetzbuchs lautet:

„Der Arbeitgeber ist verpflichtet, ein Verzeichnis der von jedem Arbeitnehmer geleisteten Arbeitsstunden zu führen und dieses Verzeichnis der Arbeitsaufsichtsbehörde auf Verlangen vorzulegen.“

Art. 120 des Arbeitsgesetzbuchs sieht vor:

„1. Die Arbeit, die außerhalb der in Art. 112 vorgesehenen wöchentlichen Regelarbeitszeit geleistet wird, gilt als Mehrarbeit.

2. Mehrarbeit darf nicht ohne Zustimmung des Arbeitnehmers geleistet werden, außer in Fällen höherer Gewalt oder bei dringenden Aufgaben zur Verhütung von Unfällen oder zur Beseitigung von deren Folgen.“

Art. 135 Abs. 1 des Arbeitsgesetzbuchs bestimmt:

„Die Arbeitnehmer haben zwischen zwei Arbeitstagen Anspruch auf eine Ruhezeit, die nicht weniger als 12 zusammenhängende Stunden betragen darf.“

 

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Die ASE beteiligt sich am Projekt POSDRU/89/1.5/S/59184, einem sektoriellen operationellen Programm zur Personalentwicklung mit dem Titel „Leistung und Exzellenz in der Postdoktoranden-Forschung in den Wirtschaftswissenschaften in Rumänien“ (im Folgenden: Projekt).

Mit Protokoll über die Feststellung von Unregelmäßigkeiten und die Festlegung von Finanzkorrekturen vom 4. Juni 2018 (im Folgenden: Protokoll über die Feststellung von Unregelmäßigkeiten) belastete der OI POCU MEN die ASE mit einer Haushaltsforderung in Höhe von 13 490,42 rumänischen Lei (RON) (ungefähr 2 800 Euro), die Gehaltskosten für Arbeitnehmer der Arbeitsgruppe zur Durchführung des Projekts entsprach. Die diesen Kosten entsprechenden Beträge wurden für nicht erstattungsfähig erklärt, weil die Höchststundenzahl, die diese Arbeitnehmer täglich hätten arbeiten können, überschritten worden war.

Eine von der ASE gegen das Protokoll über die Feststellung von Unregelmäßigkeiten eingelegte Verwaltungsbeschwerde wurde vom OI POCU MEN u. a. auf der Grundlage von Art. 3 der Richtlinie 2003/88 zurückgewiesen, der eine Begrenzung von 13 Stunden vorsehe, die ein Arbeitnehmer täglich arbeiten könne, denn diese Grenze gelte nicht für jeden Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers für sich genommen.

Mit einer beim vorlegenden Gericht erhobenen Klage wendet sich die ASE gegen diese zurückweisende Entscheidung.

Das vorlegende Gericht führt aus, dass die für nicht erstattungsfähig erklärten Beträge den Kosten der Gehälter bestimmter Sachverständiger entsprächen, die in der Zeit von Oktober 2012 bis Januar 2013 an bestimmten Tagen die im Rahmen der Regelarbeitszeit gearbeiteten Stunden, d. h. 8 Stunden pro Tag, mit den im Rahmen des Projekts oder im Rahmen von anderen Projekten oder Tätigkeiten gearbeiteten Stunden kumuliert hätten. Die Gesamtzahl der pro Tag geleisteten Arbeitsstunden habe für diese Sachverständigen die in den Anweisungen der das Projekt verwaltenden Behörde vorgesehene Obergrenze von 13 Stunden pro Tag überschritten, die sich nach Ansicht des OI POCU MEN aus den Art. 3 und 6 der Richtlinie 2003/88 ergebe.

Daher hat das Tribunalul Bucureşti (Landgericht Bukarest, Rumänien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist unter dem Begriff „Arbeitszeit“, wie er in Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG definiert ist, „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer … arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt“ auf der Grundlage eines einzigen (Vollzeit‑)Vertrags oder auf der Grundlage aller von diesem Arbeitnehmer geschlossenen (Arbeits‑)Verträge zu verstehen?

2. Sind die an die Mitgliedstaaten gestellten Anforderungen aus Art. 3 der Richtlinie 2003/88/EG (die Verpflichtung, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird) und aus Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88/EG (die Festlegung der Höchstgrenze für die durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche auf 48 Stunden einschließlich der Überstunden) dahin auszulegen, dass sie Grenzen für einen einzigen Vertrag oder für alle Verträge mit demselben Arbeitgeber oder mit verschiedenen Arbeitgebern festlegen?

3. Kann sich in dem Fall, dass die Antworten auf die erste und die zweite Frage eine Auslegung enthalten, die die Mitgliedstaaten daran hindert, auf nationaler Ebene vorzusehen, dass die Art. 3 und 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88/EG pro Vertrag angewandt werden, wenn es keine nationalen Rechtsvorschriften gibt, wonach sich die tägliche Mindestruhezeit und die wöchentliche Höchstarbeitszeit auf den Arbeitnehmer beziehen (unabhängig davon, wie viele Arbeitsverträge mit demselben oder verschiedenen Arbeitgebern geschlossen werden), eine öffentliche Einrichtung eines Mitgliedstaats, die für Rechnung des Staates handelt, auf die unmittelbare Anwendung der Art. 3 und 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88/EG berufen und den Arbeitgeber wegen Überschreitung der in der Richtlinie festgelegten Grenzen für die tägliche Ruhezeit und/oder für die wöchentliche Höchstarbeitszeit mit einer Sanktion belegen?

Zu den Vorlagefragen

Zur Zulässigkeit der Vorlagefragen

Die Europäische Kommission macht geltend, die vom vorlegenden Gericht dargestellte Sach- und Rechtslage enthalte keine hinreichenden Angaben und Erläuterungen, die die vorgelegten Fragen, sowie die Notwendigkeit, sie zu beantworten, rechtfertigten. Sie führt ferner, ebenso wie die polnische Regierung, aus, dass die zweite und die dritte Vorlagefrage unzulässig seien, da sie Art. 6 der Richtlinie 2003/88 beträfen. Die polnische Regierung fügt hinzu, dass eine Antwort des Gerichtshofs in Bezug auf den Fall, dass ein Arbeitnehmer Verträge mit mehreren verschiedenen Arbeitgebern geschlossen habe, für das vorlegende Gericht nicht von Nutzen sei, da sich die in einer Vorabentscheidung vorgenommene Würdigung auf den Fall beziehen müsse, um den es im Ausgangsverfahren gehe, d. h. in der vorliegenden Rechtssache um den Fall, dass ein Arbeitnehmer mehrere Verträge mit einem einzigen Arbeitgeber geschlossen habe. Im Übrigen äußert die Kommission Zweifel an der Anwendbarkeit der Richtlinie 2003/88 auf den Ausgangsrechtsstreit, da dieser die Frage der Vergütung der Arbeitnehmer aufwerfe, während diese Richtlinie diese Frage nach der Rechtsprechung nicht regle.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Unionsrechts, ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (Urteil vom 19. Dezember 2019, Darie, C‑592/18, EU:C:2019:1140, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Folglich spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen zum Unionsrecht. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 8. Oktober 2020, Union des industries de la protection des plantes, C‑514/19, EU:C:2020:803, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall ist erstens hinsichtlich der Vorlagefragen, soweit sie die tägliche Mindestruhezeit betreffen, festzustellen, dass die Vorlageentscheidung die notwendigen Angaben zum Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits enthält und die anwendbaren Bestimmungen des Unionsrechts und der nationalen Regelung anführt, die es ermöglichen, den Gegenstand dieses Rechtsstreits und die Vorlagefragen hinreichend zu verstehen.

Insbesondere heißt es in der Vorlageentscheidung neben der Nennung der Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuchs über die täglichen Arbeits- und Ruhezeiten, nämlich den Art. 111, 112 und 135 des Arbeitsgesetzbuchs, dass das OI POCU MEN den Forderungstitel mit der Begründung ausgestellt habe, dass die ASE die Regelung über die Höchstzahl der Stunden, die eine Person pro Tag arbeiten könne, nicht beachtet habe, und es werden nähere Angaben zur Berechnung der täglichen Arbeitsstunden gemacht, die von den bei der ASE beschäftigten Sachverständigen geleistet wurden.

Die Vorlagefragen sind daher insoweit zulässig.

Zweitens ist in Bezug auf die zweite und die dritte Vorlagefrage, soweit sie die Nichteinhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit betreffen, festzustellen, dass sich das OI POCU MEN nach der Vorlageentscheidung zur Rechtfertigung des Protokolls über die Feststellung von Unregelmäßigkeiten zwar sowohl auf Art. 3 als auch auf Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88 berufen hat, dass das vorlegende Gericht jedoch, wie der Generalanwalt in Nr. 23 seiner Schlussanträge angemerkt hat, nichts dazu ausführt hat, warum die letztgenannte Bestimmung relevant sein sollte, und nur zur der ASE vorgeworfenen Nichteinhaltung der täglichen Mindestruhezeiten nähere Ausführungen macht.

Unter diesen Umständen sind die zweite und die dritte Vorlagefrage, soweit sie sich auf Art. 6 der Richtlinie 2003/88 beziehen, unzulässig.

Drittens ist zu den Vorlagefragen, soweit sie sich auf die Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 im Fall von Arbeitsverträgen beziehen, die ein Arbeitnehmer mit mehreren Arbeitgebern geschlossen hat, festzustellen, dass aus der Vorlageentscheidung nicht hervorgeht, dass die Vergütungen, die der OI POCU MEN im Protokoll über die Feststellung von Unregelmäßigkeiten als nicht erstattungsfähig angesehen hat, mit Arbeitsverträgen zusammenhingen, die die Sachverständigen einerseits mit der ASE und andererseits mit anderen Arbeitgebern geschlossen hätten. Es werden nämlich nur die Ausgaben im Zusammenhang mit den Arbeitsverträgen genannt, die diese Sachverständigen mit der ASE geschlossen haben.

Die Vorlagefragen sind daher auch unzulässig, soweit sie die Auslegung von Art. 2 Nr. 1 und Art. 3 der Richtlinie 2003/88 im Fall von Arbeitsverträgen betreffen, die ein Arbeitnehmer mit mehreren Arbeitgebern geschlossen hat.

Was viertens den Standpunkt der Kommission angeht, wonach der Ausgangsrechtsstreit, da es darin um die Vergütung der Arbeitnehmer gehe, nicht die Richtlinie 2003/88 betreffe, ist darauf hinzuweisen, dass diese sich mit Ausnahme des in ihrem Art. 7 Abs. 1 geregelten besonderen Falles des bezahlten Jahresurlaubs darauf beschränkt, bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten, so dass sie grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer findet (Urteil vom 30. April 2020, Készenléti Rendőrség, C‑211/19, EU:C:2020:344, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Diese Feststellung bedeutet jedoch nicht, dass die in der vorliegenden Rechtssache gestellten Fragen nicht zu beantworten wären.

Das vorlegende Gericht ist nämlich der Ansicht, dass die Auslegung bestimmter Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 erforderlich sei, um ihm die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der vom OI POCU MEN geltend gemachten Haushaltsforderung zu ermöglichen. Um festzustellen, ob die ASE die von ihren Sachverständigen geleisteten Arbeitsstunden zu Recht vergütet hat, möchte es insbesondere wissen, ob diese die Regelung über die Höchstzahl von Stunden eingehalten hat, die eine Person pro Tag arbeiten kann.

Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die Vorlagefragen, soweit sie sich auf die Nichtbeachtung der Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 über die Höchstzahl von Stunden beziehen, die eine Person pro Tag arbeiten kann, für die Entscheidung des beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreits relevant und somit zulässig sind.

Zur ersten und zur zweiten Frage

Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Nr. 1 und Art. 3 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen sind, dass die in diesem Art. 3 vorgesehene tägliche Mindestruhezeit, wenn ein Arbeitnehmer mit demselben Arbeitgeber mehrere Arbeitsverträge geschlossen hat, für diese Verträge zusammen genommen gilt oder dahin, dass sie für jeden dieser Verträge für sich genommen gilt.

Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass das Recht eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf – insbesondere tägliche – Ruhezeiten, nicht nur eine Regel des Sozialrechts der Union ist, die besondere Bedeutung hat, sondern auch in Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der nach Art. 6 Abs. 1 EUV der gleiche rechtliche Rang wie den Verträgen zukommt, ausdrücklich verbürgt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Mai 2019, CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88, insbesondere ihr Art. 3, konkretisieren dieses Grundrecht und sind daher in dessen Licht auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Mai 2019, CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch der Zusammenhang, in den sie sich einfügt, und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. u. a. Urteil vom 6. Oktober 2020, Jobcenter Krefeld, C‑181/19, EU:C:2020:794, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Was erstens den Wortlaut von Art. 2 Nr. 1 und Art. 3 der Richtlinie 2003/88 betrifft, ist festzustellen, dass Art. 2 Nr. 1 dieser Richtlinie den Begriff „Arbeitszeit“ definiert als jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt.

Art. 3 dieser Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit „jedem Arbeitnehmer“ pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Mai 2019, CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 38)

Die Verwendung des Ausdrucks „jedem Arbeitnehmer“ spricht für eine Auslegung dieses Art. 3 im Sinne einer Anwendung pro Arbeitnehmer, wenn zwischen einem Arbeitnehmer und demselben Arbeitgeber mehrere Arbeitsverträge geschlossen wurden. Durch die Verwendung des unbestimmten Adjektivs „jedem“ legt der genannte Art. 3 nämlich für die Gewährung einer Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden pro 24-Stunden-Zeitraum den Akzent auf den Arbeitnehmer, und zwar unabhängig davon, um was für einen Arbeitnehmer es sich handelt und ob er mehrere Verträge mit seinem Arbeitgeber geschlossen hat oder nicht.

Was zweitens den Zusammenhang betrifft, in den sich Art. 2 Nr. 1 und Art. 3 der Richtlinie 2003/88 einfügen, ist darauf hinzuweisen, dass die „Ruhezeit“ in Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie als jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit definiert ist.

Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass dieser Begriff und der Begriff „Arbeitszeit“ einander ausschließen und dass die Richtlinie 2003/88 keine Zwischenkategorie zwischen den Arbeitszeiten und den Ruhezeiten vorsieht (Urteil vom 10. September 2015, Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones obreras, C‑266/14, EU:C:2015:578, Rn. 25 und 26 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Außerdem gehört Art. 2 der Richtlinie nicht zu den Vorschriften dieser Richtlinie, von denen abgewichen werden darf (Urteil vom 10. September 2015, Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones obreras, C‑266/14, EU:C:2015:578, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Unter diesen Umständen kann die Anforderung nach Art. 3 der Richtlinie, dass jedem Arbeitnehmer täglich mindestens elf zusammenhängende Ruhestunden gewährt werden, nicht erfüllt werden, wenn diese Ruhezeiten für jeden Vertrag zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber getrennt geprüft werden. In einem solchen Fall könnten die Stunden, die im Rahmen eines Vertrags als Ruhezeiten angesehen werden, nämlich, wie der Ausgangsrechtsstreit zeigt, im Rahmen eines anderen Vertrags Arbeitszeiten darstellen. Nach der in Rn. 43 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung kann ein und derselbe Zeitraum jedoch nicht gleichzeitig als Arbeitszeit und als Ruhezeit eingestuft werden.

Daraus folgt, dass die Arbeitsverträge, die ein Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber geschlossen hat, zusammen zu prüfen sind, damit festgestellt werden kann, dass der als tägliche Ruhezeit eingestufte Zeitraum der Definition der Ruhezeit in Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2003/88 entspricht, d. h., dass es sich um einen Zeitraum handelt, der keine Arbeitszeit darstellt.

Drittens wird die Auslegung, die sich aus dem Wortlaut und dem Kontext von Art. 2 Nr. 1 und Art. 3 der Richtlinie 2003/88 ergibt, auch durch das Ziel dieser Richtlinie bestätigt.

Nach ständiger Rechtsprechung sollen durch die Richtlinie 2003/88 nämlich Mindestvorschriften festgelegt werden, die dazu bestimmt sind, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer durch eine Angleichung namentlich der innerstaatlichen Arbeitszeitvorschriften zu verbessern (Urteil vom 14. Mai 2019, CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Diese Harmonisierung der Arbeitszeitgestaltung auf der Ebene der Europäischen Union bezweckt, einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer durch die Gewährung von – u. a. täglichen – Mindestruhezeiten zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Mai 2019, CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Würden die in Art. 3 der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Mindestvorschriften dahin ausgelegt, dass sie gesondert für jeden Vertrag gelten, den der Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber geschlossen hat, würde dadurch die Gewährleistung eines besseren Schutzes des Arbeitnehmers geschwächt, da es aufgrund der Kumulierung der in jedem mit dem Arbeitgeber geschlossenen Vertrag getrennt vorgesehenen Arbeitszeiten unmöglich sein könnte, für jeden 24-Stunden-Zeitraum die Ruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden zu gewährleisten, obwohl dieser Zeitraum vom Unionsgesetzgeber als das Minimum angesehen wurde, das notwendig ist, damit sich der Arbeitnehmer von der mit der täglichen Arbeit verbundenen Ermüdung erholen kann.

Außerdem ist der Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen, so dass verhindert werden muss, dass der Arbeitgeber ihm eine Beschränkung seiner Rechte auferlegen kann (Urteil vom 14. Mai 2019, CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Ein Arbeitnehmer kann aufgrund dieser schwächeren Position davon abgeschreckt werden, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber ausdrücklich geltend zu machen, da insbesondere die Einforderung dieser Rechte ihn Maßnahmen des Arbeitgebers aussetzen könnte, die sich zu seinem Nachteil auf das Arbeitsverhältnis auswirken können (Urteil vom 14. Mai 2019, CCOO, C‑55/18, EU:C:2019:402, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Wären die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 über die tägliche Mindestruhezeit dahin auszulegen, dass sie gesondert auf jeden von einem Arbeitnehmer mit demselben Arbeitgeber geschlossenen Arbeitsvertrag anwendbar sind, würde dies den Arbeitnehmer der Möglichkeit aussetzen, dass sein Arbeitgeber Druck ausübt, damit seine Arbeitszeit auf mehrere Verträge aufgeteilt wird, was diesen Bestimmungen ihre praktische Wirksamkeit nehmen könnte.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der von der ASE sowie von der polnischen und der rumänischen Regierung angeführte Spielraum, über den die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Modalitäten der Umsetzung von Art. 3 dieser Richtlinie verfügen, für die Beantwortung der ersten und der zweiten Vorlagefrage nicht von Belang ist. Wie der Generalanwalt in Nr. 57 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, betrifft die dem Gerichtshof vorgelegte Frage nämlich nicht die Modalitäten der Umsetzung dieser Bestimmung, sondern dessen Tragweite. Nach Art. 23 dieser Richtlinie sind unbeschadet des Rechts der Mitgliedstaaten, im Bereich der Arbeitszeit unterschiedliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie Vertragsvorschriften zu entwickeln, die Mindestvorschriften der Richtlinie 2003/88 einzuhalten.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass im vorliegenden Fall, da einige für die Durchführung des Projekts eingesetzte Sachverständige mehrere Arbeitsverträge mit der ASE geschlossen haben, eine gemeinsame Prüfung dieser Verträge erforderlich ist, um zu überprüfen, ob die Bestimmungen des Art. 3 der Richtlinie 2003/88 eingehalten wurden.

Hinzuzufügen ist, dass die Kommission angesichts der besonderen Merkmale der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverständigen im Wesentlichen darauf hinweist, dass die Richtlinie 2003/88 nur auf „Arbeitnehmer“ im Sinne dieser Richtlinie anwendbar sei.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs besteht das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält (Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a., C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 41).

Folglich setzt ein Arbeitsverhältnis voraus, dass zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber ein Unterordnungsverhältnis besteht. Ob es vorliegt, muss in jedem Einzelfall anhand aller Gesichtspunkte und aller Umstände geprüft werden, die die Beziehungen zwischen den Beteiligten kennzeichnen (Urteil vom 11. April 2019, Bosworth et Hurley, C‑603/17, EU:C:2019:310, Rn. 26).

Folglich ist die von den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverständigen für die Erbringung von Leistungen im Rahmen des Projekts aufgewendete Zeit für die Prüfung, ob die in Art. 3 der Richtlinie 2003/88 vorgesehene tägliche Mindestruhezeit eingehalten wurde, nur relevant, wenn im Rahmen dieses Projekts zwischen der ASE und diesen Sachverständigen ein Unterordnungsverhältnis bestand. Nach den dem Gerichtshof vorliegenden Akten scheint dies der Fall gewesen zu sein, doch ist es Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu überprüfen.

Im Übrigen haben sich die ASE und die dänische Regierung auf die abweichenden Bestimmungen der Richtlinie 2003/88, insbesondere deren Art. 17 Abs. 1, berufen, um die Nichtanwendung von Art. 3 dieser Richtlinie auf bestimmte Arbeitnehmer zu rechtfertigen.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den in der Richtlinie 2003/88, insbesondere ihrem Art. 17, vorgesehenen Abweichungsmöglichkeiten müssen diese Abweichungen jedoch als Ausnahmen von der Unionsregelung über die Arbeitszeitgestaltung so ausgelegt werden, dass ihr Anwendungsbereich auf das zur Wahrung der Interessen, deren Schutz sie ermöglichen, unbedingt Erforderliche begrenzt wird (Urteil vom 21. Februar 2018, Matzak, C‑518/15, EU:C:2018:82, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Ferner wurde bereits entschieden, dass Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 für Arbeitnehmer gilt, deren gesamte Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann (Urteil vom 26. Juli 2017, Hälvä u. a., C‑175/16, EU:C:2017:617, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverständigen Vollzeitarbeitsverträge hatten, die 40 Arbeitsstunden pro Woche vorsahen. Unter diesen Umständen wurde offenbar zumindest ein Teil der Arbeitszeit dieser Sachverständigen, selbst im Fall von Hochschuldozenten, von ihrem Arbeitgeber festgelegt, was ausschließen würde, dass die abweichende Regelung des Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 auf sie angewandt werden könnte. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu überprüfen.

Nach alledem ist auf die erste und die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Nr. 1 und Art. 3 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen sind, dass die in diesem Art. 3 vorgesehene tägliche Mindestruhezeit, wenn ein Arbeitnehmer mit demselben Arbeitgeber mehrere Arbeitsverträge geschlossen hat, für diese Verträge zusammengenommen und nicht für jeden dieser Verträge für sich genommen gilt.

Zur dritten Frage

Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob sich für den Fall, dass Art. 3 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass sich die in dieser Bestimmung vorgesehene tägliche Ruhezeit auf die Gesamtheit der Arbeitsverträge bezieht, die ein Arbeitnehmer mit demselben Arbeitgeber geschlossen hat, eine im Namen des Staates handelnde öffentliche Einrichtung gegenüber einem Arbeitgeber, der diese Bestimmung nicht einhält, auf deren unmittelbare Wirkung berufen kann.

Aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass in all den Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, eine Berufung auf diese Bestimmungen vor nationalen Gerichten gegenüber dem Staat möglich ist, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. November 2018, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, C‑684/16, EU:C:2018:874, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Vorab ist jedoch darauf hinzuweisen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 81 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, im vorliegenden Fall keine nationale Vorschrift mit der Begründung angefochten worden ist, dass sie mit den Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 unvereinbar sei.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob eine nationale Bestimmung wegen Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht unangewendet bleiben muss, nur, wenn keine unionsrechtskonforme Auslegung dieser Bestimmung möglich ist (Urteil vom 6. November 2018, Bauer und Willmeroth, C‑569/16 und C‑570/16, EU:C:2018:871, Rn. 65).

Der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts, wonach es dem nationalen Gericht obliegt, sein nationales Recht so weit wie möglich in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht auszulegen, ist dem System der Verträge immanent, da dem nationalen Gericht dadurch ermöglicht wird, im Rahmen seiner Zuständigkeit die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen, wenn es über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheidet (Urteil vom 14. Mai 2020, Staatsanwaltschaft Offenburg, C‑615/186, EU:C:2020:376‚ Rn. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall weist die rumänische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen jedoch darauf hin, dass in Rumänien, wenn ein Arbeitnehmer mehrere Verträge mit demselben Arbeitgeber geschlossen habe, Art. 135 Abs. 1 des Arbeitsgesetzbuchs in Verbindung mit dessen Art. 119 und 120 anzuwenden sei.

Dieser Art. 135 Abs. 1 sieht vor, dass Arbeitnehmer zwischen zwei Arbeitstagen Anspruch auf eine Ruhezeit haben, die nicht weniger als zwölf zusammenhängende Stunden betragen darf.

Die in Art. 135 Abs. 1 des Arbeitsgesetzbuchs anerkannten Rechte gewähren somit einen besseren Schutz als die in Art. 3 der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Rechte, wonach die für die Mindestruhezeit pro 24-Stunden-Zeitraum vorgesehene Dauer elf zusammenhängende Stunden beträgt.

Unter diesen Umständen deutet, wie der Generalanwalt in Nr. 82 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nichts darauf hin, dass der OI POCU MEN seine Entscheidung nicht auf die rumänischen Rechtsvorschriften, ausgelegt im Licht der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2003/88, hätte stützen können.

Da die Vereinbarkeit des rumänischen Rechts mit Art. 3 der Richtlinie 2003/88 nicht bestritten wird und jedenfalls offensichtlich ist, dass dieses Recht im Einklang mit diesem Artikel ausgelegt werden kann, ist die dritte Vorlagefrage nicht zu beantworten.

Zur zeitlichen Beschränkung der Wirkungen des vorliegenden Urteils

Die rumänische Regierung und die ASE ersuchen den Gerichtshof in ihren schriftlichen Erklärungen, die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich zu beschränken.

Was zunächst den Antrag der rumänischen Regierung für den Fall betrifft, dass der Gerichtshof eine Anwendung von Art. 2 Nr. 1 und Art. 3 der Richtlinie 2003/88 pro Arbeitnehmer bejahen sollte, ist darauf hinzuweisen, dass dieser Antrag damit begründet wird, dass eine solche Anwendung systemische Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in Rumänien haben würde, wo zahlreiche Arbeitnehmer Verträge mit mehreren Arbeitgebern hätten. Der Antrag wird folglich für den Fall gestellt, dass das vorliegende Urteil die Fälle betrifft, in denen Arbeitsverträge mit mehreren Arbeitgebern geschlossen wurden. Da das Vorabentscheidungsersuchen jedoch unzulässig ist, soweit es die Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 für solche Fälle betrifft, ist der Antrag auf zeitliche Beschränkung der Wirkungen des vorliegenden Urteils insoweit nicht zu beantworten.

Was sodann den Antrag der rumänischen Regierung für den Fall betrifft, dass der Gerichtshof die Anwendung von Art. 2 Nr. 1 und Art. 3 der Richtlinie 2003/88 auf jeden vom Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber geschlossenen Vertrag für sich genommen bejaht, ist darauf ebenfalls nicht zu antworten, da sich aus Rn. 64 des vorliegenden Urteils ergibt, dass sich die in Art. 3 dieser Richtlinie vorgesehene tägliche Mindestruhezeit auf die Gesamtheit der vom Arbeitnehmer mit demselben Arbeitgeber geschlossenen Verträge bezieht.

Was schließlich den Antrag der ASE angeht, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung durch die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 267 AEUV vornimmt, erläutert und verdeutlicht wird, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite die Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die Gerichte die Vorschrift in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse anwenden können und müssen, die vor dem Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung der Vorschrift betreffenden Streit vorliegen (Urteil vom 3. Oktober 2019, Schuch‑Ghannadan, C‑274/18, EU:C:2019:828, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Nur ganz ausnahmsweise kann sich der Gerichtshof aufgrund des allgemeinen der Unionsrechtsordnung innewohnenden Grundsatzes der Rechtssicherheit veranlasst sehen, die für alle Betroffenen bestehende Möglichkeit zu beschränken, sich auf eine von ihm ausgelegte Vorschrift zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsbeziehungen in Frage zu stellen. Eine solche Beschränkung ist nur dann zulässig, wenn zwei grundlegende Kriterien erfüllt sind, nämlich guter Glaube der Betroffenen und die Gefahr schwerwiegender Störungen (Urteil vom 3. Oktober 2019, Schuch‑Ghannadan, C‑274/18, EU:C:2019:828, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Der Gerichtshof hat auf diese Lösung nur unter ganz bestimmten Umständen zurückgegriffen, namentlich, wenn eine Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen bestand, die insbesondere mit der großen Zahl von Rechtsverhältnissen zusammenhingen, die in gutem Glauben auf der Grundlage der als gültig betrachteten Regelung eingegangen worden waren, und wenn sich herausstellte, dass die Einzelnen und die nationalen Behörden zu einem mit dem Unionsrecht unvereinbaren Verhalten veranlasst worden waren, weil hinsichtlich der Tragweite der Unionsbestimmungen eine bedeutende objektive Unsicherheit bestand, zu der eventuell auch das Verhalten anderer Mitgliedstaaten oder der Kommission beigetragen hatte (Urteil vom 3. Oktober 2019, Schuch‑Ghannadan, C‑274/18, EU:C:2019:828, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall ist jedoch festzustellen, dass sich die ASE ohne weitere Ausführungen auf die Behauptung beschränkt, dass sowohl der gute Glaube der Betroffenen als auch die Gefahr schwerwiegender Störungen der Wirtschaft in Rumänien zu berücksichtigen seien. Damit führt sie keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür an, dass das Kriterium des guten Glaubens der Betroffenen erfüllt ist, und macht dem Gerichtshof auch keine genauen Angaben zur Zahl der betroffenen Rechtsbeziehungen oder zu Art und Umfang etwaiger wirtschaftlicher Auswirkungen des vorliegenden Urteils. Daher können die beiden in Rn. 79 des vorliegenden Urteils genannten Kriterien, die die zeitliche Beschränkung der Wirkungen des vorliegenden Urteils rechtfertigen könnten, nicht als erfüllt angesehen werden.

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Wirkungen des vorliegenden Urteils nicht zeitlich zu beschränken sind.

 

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 2 Nr. 1 und Art. 3 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sind dahin auszulegen, dass die in diesem Art. 3 vorgesehene tägliche Mindestruhezeit, wenn ein Arbeitnehmer mit demselben Arbeitgeber mehrere Arbeitsverträge geschlossen hat, für diese Verträge zusammengenommen und nicht für jeden dieser Verträge für sich genommen gilt.



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