Europäischer Gerichtshof

Urteil vom - Az: C 148/22

Auch öffentliche Arbeitgeber können das Kopftuch verbieten

Eine öffentliche Verwaltung kann das sichtbare Tragen von Zeichen, die weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen ausdrücken, untersagen, um ein neutraleres Arbeitsumfeld zu schaffen. Solch ein Verbot ist nicht diskriminierend, wenn sie allgemein und gleichmäßig auf das gesamte Personal angewendet wird und auf das absolut Notwendige beschränkt ist.
(Redaktioneller Orientierungssatz)

Im konkreten Fall wurde einer klagenden Bediensteten einer belgischen Gemeinde, die überwiegend als Büroleiterin ohne Publikumskontakt tätig ist, untersagt, das islamische Kopftuch am Arbeitsplatz zu tragen. Die Gemeinde änderte daraufhin ihre Arbeitsordnung, um eine strikte Neutralität sicherzustellen, die das Tragen auffälliger religiöser Zeichen für alle Mitarbeiter, auch diejenigen ohne Publikumskontakt, verbietet. Das Verbot erstreckte sich auch auf Beschäftigte, die keinen Publikumskontakt hatten. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens behauptet, dass ihre Religionsfreiheit verletzt wurde und erhebt entsprechend Diskriminierungsvorwürfe. Das Arbeitsgericht Lüttich hat den Gerichtshof um Klärung gebeten, ob diese Regelung der strikten Neutralität eine gegen das Unionsrecht verstoßende Diskriminierung begründet.
Der Europäische Gerichtshof hat festgestellt, dass eine öffentliche Verwaltung das sichtbare Tragen von Zeichen, die weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen signalisieren, verbieten kann, um eine vollständig neutrale Arbeitsumgebung zu gewährleisten. Eine solche Regelung sei nicht diskriminierend, sofern sie allgemein und gleichmäßig auf das gesamte Personal angewendet wird und sich auf das unbedingt Erforderliche beschränkt. Die Politik der strikten Neutralität, die ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld ihren Arbeitnehmern gegenüber schaffen will, könne als rechtmäßiges Ziel betrachtet werden kann – so der EuGH.
Die Mitgliedstaaten und ihre untergeordneten staatlichen Einheiten verfügen über einen Wertungsspielraum bei der Gestaltung der Neutralität im öffentlichen Dienst. Dieses Ziel müsse jedoch zusammenhängend und systematisch verfolgt werden, und die ergriffenen Maßnahmen müssen auf das absolut Notwendige beschränkt sein. Es liegt in der Verantwortung der nationalen Gerichte, zu überprüfen, ob diese Anforderungen erfüllt sind.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen OP, einer Vertragsbediensteten der Gemeinde Ans (im Folgenden: Gemeinde), und der Gemeinde über das von dieser ihren Arbeitnehmern gegenüber ausgesprochene Verbot, sichtbare Zeichen zu tragen, die die ideologische oder weltanschauliche Zugehörigkeit oder die politischen oder religiösen Überzeugungen der Arbeitnehmer erkennen lassen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Art. 1 der Richtlinie 2000/78 bestimmt:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.“

Art. 2 („Der Begriff ‚Diskriminierung‘“) dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)      Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2)      Im Sinne des Absatzes 1

a)      liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

b)      liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, eines bestimmten Alters oder mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn:

i)      diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich, …

…“

In Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:

„Im Rahmen der auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf

c)      die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts;

…“

Belgisches Recht

Mit der Loi tendant à lutter contre certaines formes de discrimination (Gesetz zur Bekämpfung bestimmter Formen von Diskriminierung) vom 10. Mai 2007 (Moniteur belge vom 30. Mai 2007, S. 29016, deutsche Übersetzung in Auszügen veröffentlicht im Belgischen Staatsblatt vom 22. Mai 2009, S. 38412) in ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: allgemeines Antidiskriminierungsgesetz) wird die Richtlinie 2000/78 in belgisches Recht umgesetzt.

Art. 4 dieses Gesetzes bestimmt:

„Für die Anwendung des vorliegenden Gesetzes versteht man unter:

1.      Arbeitsverhältnissen: die Beziehungen, die unter anderem die Beschäftigung, die Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung, die Arbeitsbedingungen und die Kündigungsregelungen umfassen, und dies:

–        sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor,

4.      geschützten Merkmalen: Alter, sexuelle Ausrichtung, Personenstand, Geburt, Vermögen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugung, politische Überzeugung, Sprache, aktueller oder künftiger Gesundheitszustand, eine Behinderung, ein körperliches oder genetisches Merkmal, soziale Herkunft,

6.      unmittelbarer Unterscheidung: Situation, die entsteht, wenn eine Person aufgrund eines der geschützten Merkmale eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde,

7.      unmittelbarer Diskriminierung: unmittelbare Unterscheidung aufgrund eines der geschützten Merkmale, die nicht aufgrund der Bestimmungen von Titel II gerechtfertigt werden kann,

8.      mittelbarer Unterscheidung: Situation, die entsteht, wenn dem Anschein nach neutrale Bestimmungen, Kriterien oder Verfahren Personen, die durch ein bestimmtes geschütztes Merkmal gekennzeichnet sind, gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können,

9.      mittelbarer Diskriminierung: mittelbare Unterscheidung aufgrund eines der geschützten Merkmale, die nicht aufgrund der Bestimmungen von Titel II gerechtfertigt werden kann,

…“

Art. 5 § 1 dieses Gesetzes sieht vor:

„Mit Ausnahme der Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit der Gemeinschaften oder Regionen fallen, ist vorliegendes Gesetz auf sämtliche Personen sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor, einschließlich der öffentlichen Einrichtungen, anwendbar …“

Art. 7 des allgemeinen Antidiskriminierungsgesetzes lautet:

„Jede unmittelbare Unterscheidung aufgrund eines der geschützten Merkmale stellt eine unmittelbare Diskriminierung dar, es sei denn, diese unmittelbare Unterscheidung ist durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und notwendig.“

Art. 8 dieses Gesetzes bestimmt:

„§ 1      In Abweichung von Artikel 7 und unbeschadet sonstiger Bestimmungen des vorliegenden Titels kann eine unmittelbare Unterscheidung aufgrund des Alters, der sexuellen Ausrichtung, der religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung oder einer Behinderung in den in Artikel 5 § 1 Nrn. 4, 5 und 7 erwähnten Angelegenheiten ausschließlich aufgrund wesentlicher und entscheidender beruflicher Anforderungen gerechtfertigt werden.

§ 2      Von einer wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung kann nur die Rede sein, wenn:

–        ein bestimmtes Merkmal, das im Zusammenhang mit dem Alter, der sexuellen Ausrichtung, der religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung oder einer Behinderung steht, aufgrund der Art der betreffenden spezifischen Berufstätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung wesentlich und entscheidend ist und

–        die Anforderung auf einem rechtmäßigen Ziel beruht und im Verhältnis zu diesem erstrebten Ziel steht.

§ 3      Es obliegt dem Richter, im Einzelfall zu untersuchen, ob ein bestimmtes Merkmal eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt.

…“

Art. 9 des Gesetzes lautet:

„Jede mittelbare Unterscheidung aufgrund eines der geschützten Merkmale stellt eine mittelbare Diskriminierung dar,

–        es sei denn, die dem Anschein nach neutralen Bestimmungen, Kriterien oder Verfahren, die dieser mittelbaren Unterscheidung zugrunde liegen, sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und notwendig, oder

–        es sei denn, im Falle von mittelbarer Unterscheidung aufgrund einer Behinderung wird nachgewiesen, dass keine angemessenen Vorkehrungen getroffen werden können.“

 

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens arbeitet seit dem 11. April 2016 für die Gemeinde und bekleidet seit dem 11. Oktober 2016 die Stelle einer „Büroleiterin“. Im Rahmen dieser Tätigkeit kommt sie grundsätzlich nicht in Kontakt mit Personen, die die öffentlichen Dienstleistungen in Anspruch nehmen („back office“). Sie übte ihre Tätigkeit aus, ohne Zeichen zu tragen, die ihre religiösen Überzeugungen erkennen ließen, oder schriftlich einen entsprechenden Anspruch geltend zu machen, bis sie am 8. Februar 2021 beantragte, ab dem 22. Februar 2021 „am Arbeitsplatz Kopftuch“ tragen zu dürfen.

Mit Entscheidung vom 18. Februar 2021 lehnte das Gemeindekollegium der Gemeinde (im Folgenden: Kollegium) diesen Antrag ab und untersagte der Klägerin des Ausgangsverfahrens bis zum Erlass einer allgemeinen Regelung über das Tragen solcher Zeichen in der Gemeindeverwaltung vorläufig, in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit Zeichen zu tragen, die ihre religiösen Überzeugungen erkennen lassen.

Am 26. Februar 2021 erließ das Kollegium nach Anhörung der Klägerin des Ausgangsverfahrens eine zweite Entscheidung, mit dem das fragliche Verbot bis zum Erlass einer solchen allgemeinen Regelung bestätigt wurde.

Am 29. März 2021 änderte der Gemeinderat der Gemeinde deren Arbeitsordnung und führte eine Verpflichtung zur „exklusiven Neutralität“ am Arbeitsplatz ein, die dahin verstanden wird, dass es allen Arbeitnehmern der Gemeinde verboten ist, am Arbeitsplatz irgendein sichtbares Zeichen zu tragen, das ihre u. a. religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen erkennen lässt, und zwar unabhängig davon, ob sie Publikumskontakt haben. So sieht Art. 9 der Arbeitsordnung u. a. vor:

„Der Arbeitnehmer verfügt über das Recht auf freie Meinungsäußerung unter Einhaltung des Grundsatzes der Neutralität, seiner Verschwiegenheitsverpflichtung und seiner Loyalitätspflicht.

Der Arbeitnehmer ist zur Einhaltung des Grundsatzes der Neutralität verpflichtet, was bedeutet, dass er sich jeder Form von Proselytismus enthält und es ihm untersagt ist, auffällige Zeichen zu tragen, die seine ideologische oder weltanschauliche Zugehörigkeit bzw. politische oder religiöse Überzeugung erkennen lassen. Dies gilt sowohl für Kontakte im Publikumsverkehr als auch im Verhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen.

…“

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens strengte mehrere Verfahren an, um feststellen zu lassen, dass sie in ihrer Religionsfreiheit verletzt worden sei, insbesondere erhob sie beim vorlegenden Gericht eine Unterlassungsklage gegen die beiden in den Rn. 13 und 14 des vorliegenden Urteils genannten Einzelentscheidungen sowie gegen die Änderung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arbeitsordnung. Zur Stützung dieser Klage macht sie geltend, sie sei wegen ihrer Religion diskriminiert worden.

Zu diesen Einzelentscheidungen führt das vorlegende Gericht aus, dass das Verbot des Tragens des islamischen Kopftuchs durch die Klägerin des Ausgangsverfahrens eine unmittelbar auf ihrer Religion beruhende Ungleichbehandlung gegenüber anderen Gemeindebediensteten darstelle, da die Gemeinde in der Vergangenheit andere Zeichen auch religiöser Überzeugungen, die unauffällig getragen worden seien, am Arbeitsplatz geduldet habe und noch immer dulde. Diese Ungleichbehandlung sei außerdem nicht im Sinne von Art. 8 des allgemeinen Antidiskriminierungsgesetzes aufgrund wesentlicher und entscheidender beruflicher Anforderungen gerechtfertigt, da die Klägerin des Ausgangsverfahrens hauptsächlich im „back office“ arbeite, und stelle damit eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Richtlinie 2000/78 dar. Das vorlegende Gericht gab der Klage der Klägerin des Ausgangsverfahrens daher für den Zeitraum vom 18. Februar 2021, als die erste Einzelentscheidung erging, bis zum 29. März 2021, als die Änderung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arbeitsordnung verabschiedet wurde, statt.

Zu dieser Änderung führt das vorlegende Gericht aus, dass sie sicherstellen solle, dass sowohl die Handlungen des öffentlichen Bediensteten als auch dessen Erscheinungsbild – unabhängig von der Art seiner Aufgaben und dem Kontext, in dem sie ausgeübt würden – streng neutral seien. Die mit dieser Änderung eingeführte Regel stelle dem Anschein nach eine mittelbare Diskriminierung dar, da sie zwar neutral sei, von der Gemeinde aber variabel angewandt werde. Daher sei diese Regel der Klägerin des Ausgangsverfahrens gegenüber „exklusiv“, für ihre Kollegen mit anderen Überzeugungen dagegen „inklusiver“. Das Gericht hat der Klägerin des Ausgangsverfahrens daher vorläufig erlaubt, sichtbar ein Zeichen zu tragen, das ihre religiösen Überzeugungen erkennen lässt, allerdings nur dann, wenn sie im „back-office“ arbeitet, nicht aber, wenn sie Kontakt mit dem Publikum hat oder eine Aufgabe ausübt, bei der sie Weisungen erteilt.

Das vorlegende Gericht hat jedoch Zweifel, ob eine Bestimmung einer Arbeitsordnung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die für alle Arbeitnehmer einer öffentlichen Verwaltung, auch für diejenigen, die keinen Kontakt zum Publikum haben, eine Verpflichtung zur „exklusiven Neutralität“ vorsieht, mit den Bestimmungen der Richtlinie 2000/78 vereinbar ist.

Unter diesen Umständen hat das Tribunal du travail de Liège (Arbeitsgericht Lüttich, Belgien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen, dass er der öffentlichen Verwaltung erlaubt, ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu gestalten und folglich dem gesamten Personal unabhängig davon, ob ein direkter Kontakt im Publikumsverkehr besteht, das Tragen von Zeichen bestimmter Überzeugungen zu verbieten?

2.      Ist Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen, dass er der öffentlichen Verwaltung erlaubt, ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu gestalten und folglich dem gesamten Personal unabhängig davon, ob ein direkter Kontakt im Publikumsverkehr besteht, das Tragen von Zeichen bestimmter Überzeugungen selbst dann zu verbieten, wenn dieses neutrale Verbot offenbar mehrheitlich Frauen trifft und es sich daher um eine verdeckte Diskriminierung wegen des Geschlechts handeln könnte?

 

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass eine interne Regel einer Gemeindeverwaltung, die es deren Personal allgemein und undifferenziert verbietet, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen zu tragen, die u. a. weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen erkennen lassen, damit gerechtfertigt werden kann, dass die Gemeindeverwaltung ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld schaffen möchte.

Vorab ist zum einen darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Religion“ in Art. 1 der Richtlinie 2000/78 sowohl das forum internum,d. h. den Umstand, Überzeugungen zu haben, als auch das forum externum, d. h. die Bekundung des religiösen Glaubens in der Öffentlichkeit, umfasst (Urteil vom 14. März 2017, G4S Secure Solutions, C‑157/15, EU:C:2017:203, Rn. 28). Ferner wird in dieser Bestimmung die Religion wie auch die Weltanschauung gleichermaßen angeführt, in Übereinstimmung mit Art. 19 AEUV, wonach der Unionsgesetzgeber Vorkehrungen treffen kann, um Diskriminierungen aus Gründen u. a. „der Religion oder der Weltanschauung“ zu bekämpfen, oder mit Art. 21 der Charta, der unter den verschiedenen in dieser Vorschrift aufgeführten Diskriminierungsgründen die „Religion oder [die] Weltanschauung“ nennt. Daraus folgt, dass für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie 2000/78 die Begriffe „Religion“ und „Weltanschauung“ die zwei Seiten ein und desselben Diskriminierungsgrundes sind (Urteil vom 15. Juli 2021, WABE und MH Müller Handel, C‑804/18 und C‑341/19, EU:C:2021:594, Rn. 47).

Zum anderen fällt, da die Richtlinie 2000/78 nach ihrem Art. 3 Abs. 1 für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, gilt, eine Bestimmung wie § 9 der Arbeitsordnung der Gemeinde, der es deren Personal verbietet, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen zu tragen, in den Geltungsbereich der Richtlinie. Außerdem ist davon auszugehen, dass eine solche Bestimmung zu den „Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie gehört.

Demzufolge ist festzustellen, dass sich die erste Frage des vorlegenden Gerichts sowohl auf Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 bezieht, der die „unmittelbare Diskriminierung“ betrifft, als auch auf Art. 2 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie, der die „mittelbare Diskriminierung“ betrifft.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass eine von einem Arbeitgeber aufgestellte interne Regel, die am Arbeitsplatz nur das Tragen von Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen verbietet, die auffällig und großflächig sind, eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 darstellen kann, wenn das Kriterium des Tragens solcher Zeichen untrennbar mit einer oder mehreren bestimmten Religionen oder Weltanschauungen verbunden ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Juli 2021, WABE und MH Müller Handel, C‑804/18 und C‑341/19, EU:C:2021:594, Rn. 72 bis 78, sowie vom 13. Oktober 2022, S.C.R.L. [Kleidungsstück mit religiösem Bezug], C‑344/20, EU:C:2022:774, Rn. 31). Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch nicht hervor, dass es sich bei der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regel um einen solchen Fall handeln würde.

Umgekehrt stellt eine von einem Arbeitgeber aufgestellte interne Regel, die das Tragen jedes sichtbaren Zeichens u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, keine solche unmittelbare Diskriminierung dar, da sie unterschiedslos für jede Bekundung solcher Überzeugungen gilt und alle Arbeitnehmer des Unternehmens gleichbehandelt, indem ihnen allgemein und undifferenziert u. a. vorgeschrieben wird, sich neutral zu kleiden, was das Tragen solcher Zeichen ausschließt (Urteil vom 14. März 2017, G4S Secure Solutions, C‑157/15, EU:C:2017:203, Rn. 30 und 32, sowie vom 15. Juli 2021, WABE und MH Müller Handel, C‑804/18 und C‑341/19, EU:C:2021:594, Rn. 52).

Da jede Person eine Religion oder religiöse, weltanschauliche oder spirituelle Überzeugungen haben kann, begründet eine solche Regel, sofern sie allgemein und unterschiedslos angewandt wird, nämlich keine Ungleichbehandlung, die auf einem Kriterium beruht, das untrennbar mit der Religion oder der Weltanschauung verbunden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2021, WABE und MH Müller Handel, C‑804/18 und C‑341/19, EU:C:2021:594, Rn. 52, und vom 13. Oktober 2022, S.C.R.L. [Kleidungsstück mit religiösem Bezug], C‑344/20, EU:C:2022:774, Rn. 33 und 34).

Sofern also das vorlegende Gericht nicht feststellt, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens trotz der allgemeinen und undifferenzierten Formulierung von Art. 9 der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arbeitsordnung anders behandelt wurde als andere Arbeitnehmer, denen gestattet worden wäre, ihre u. a. religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen durch das Tragen eines sichtbaren Zeichens, das diese Überzeugungen erkennen lässt, oder auf andere Weise zu bekunden, und sie dadurch wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 unmittelbar diskriminiert wurde, wird es zu prüfen haben, ob die Regel in Art. 9 der Arbeitsordnung der Gemeinde Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligen kann, was tatsächlich eine mittelbare Diskriminierung wegen eines dieser Gründe im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie darstellt.

Insoweit ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass eine von einem Arbeitgeber aufgestellte interne Regel, die das sichtbare Tragen jedes Zeichens u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, eine mittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann, wenn sich erweist, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die diese Regel enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. März 2017, G4S Secure Solutions, C‑157/15, EU:C:2017:203, Rn. 34, und vom 15. Juli 2021, WABE und MH Müller Handel, C‑804/18 und C‑341/19, EU:C:2021:594, Rn. 59).

Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 führt eine solche Ungleichbehandlung jedoch nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (Urteil vom 15. Juli 2021, WABE und MH Müller Handel, C‑804/18 und C‑341/19, EU:C:2021:594, Rn. 60).

Insoweit ist festzustellen, dass es zwar letztlich Sache des allein für die Beurteilung des Sachverhalts zuständigen nationalen Gerichts ist, darüber zu befinden, ob und inwieweit die im Ausgangsverfahren fragliche Bestimmung der Arbeitsordnung diesen Anforderungen genügt, dass der Gerichtshof, der die Fragen des nationalen Gerichts sachdienlich zu beantworten hat, jedoch auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der ihm unterbreiteten schriftlichen und mündlichen Erklärungen Hinweise geben kann, die es dem nationalen Gericht ermöglichen, über den konkreten bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden.

Was erstens die Voraussetzung des Vorliegens eines rechtmäßigen Ziels betrifft, geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass Art. 9 der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arbeitsordnung, der ein Verbot des sichtbaren Tragens jedes Zeichens, das u. a. die weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen der Gemeindebediensteten erkennen lässt, unabhängig davon vorsieht, ob diese Kontakt mit dem Publikum haben, nach Ansicht der Gemeinde den Grundsatz der Neutralität des öffentlichen Dienstes umsetzen soll, der seine Rechtsgrundlage in den Art. 10 und 11 der belgischen Verfassung, im Grundsatz der Unparteilichkeit und im Grundsatz der Neutralität des Staates findet.

Insoweit ist jedem Mitgliedstaat, gegebenenfalls einschließlich seiner unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten unter Wahrung der ihnen zuerkannten Befugnisse, ein Wertungsspielraum bei der Ausgestaltung der Neutralität des öffentlichen Dienstes, die er am Arbeitsplatz fördern möchte, zuzuerkennen. Daher kann eine Politik der „exklusiven Neutralität“, die eine öffentliche Verwaltung, im vorliegenden Fall eine Gemeindeverwaltung, in dem für sie spezifischen Kontext und im Rahmen ihrer Befugnisse ihren Arbeitnehmern gegenüber durchsetzen will, um bei sich ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen, als im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt angesehen werden. Ebenso verhält es sich, wenn sich eine andere öffentliche Verwaltung in ihrem konkreten Kontext und im Rahmen ihrer Befugnisse für eine andere Neutralitätspolitik entscheidet, wie etwa eine allgemeine und undifferenzierte Genehmigung, sichtbare Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen zu tragen, und zwar auch bei Publikumskontakt, oder ein Verbot des Tragens solcher Zeichen, das auf Situationen beschränkt ist, in denen es zu Publikumskontakt kommt.

Die Richtlinie 2000/78 legt nämlich nur einen allgemeinen Rahmen für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf fest, der den Mitgliedstaaten und gegebenenfalls ihren unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten einen Wertungsspielraum lässt, der es ihnen ermöglicht, im Hinblick auf die Vielfalt der von ihnen verfolgten Ansätze in Bezug auf den Platz, den sie in ihrem Inneren der Religion oder weltanschaulichen Überzeugungen im öffentlichen Sektor einräumen, ihrem jeweiligen Kontext Rechnung zu tragen. Der den Mitgliedstaaten und gegebenenfalls ihren unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten damit zuerkannte Wertungsspielraum bei fehlendem Konsens auf Unionsebene muss jedoch mit einer Kontrolle einhergehen, die Sache der nationalen Gerichte und der Unionsgerichte ist und die insbesondere darin besteht, zu prüfen, ob die auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene getroffenen Maßnahmen grundsätzlich gerechtfertigt sind und ob sie verhältnismäßig sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2021, WABE und MH Müller Handel, C‑804/18 und C‑341/19, EU:C:2021:594, Rn. 86 und 88 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Im Übrigen ergibt sich aus der Richtlinie 2000/78, dass der Unionsgesetzgeber nicht selbst den erforderlichen Einklang zwischen der Gedanken‑, der Weltanschauungs- und der Religionsfreiheit und den rechtmäßigen Zielen, die zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i dieser Richtlinie geltend gemacht werden können, hergestellt hat, sondern es den Mitgliedstaaten und gegebenenfalls ihren unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten sowie ihren Gerichten überlassen hat, diesen Einklang herzustellen (Urteil vom 15. Juli 2021, WABE und MH Müller Handel, C‑804/18 und C‑341/19, EU:C:2021:594, Rn. 87).

Daher kann davon ausgegangen werden, dass mit einer Bestimmung wie Art. 9 der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arbeitsordnung ein rechtmäßiges Ziel im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 verfolgt wird.

Zweitens muss, wie in Rn. 30 des vorliegenden Urteils ausgeführt, eine interne Regel wie die im Ausgangsverfahren fragliche, um nicht als „mittelbare Diskriminierung“ im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 eingestuft zu werden, ferner geeignet sein, die ordnungsgemäße Umsetzung des vom Arbeitgeber verfolgten Ziels zu gewährleisten. Dies setzt im vorliegenden Fall voraus, dass das Ziel der „exklusiven Neutralität“, das sich die Gemeinde gesetzt hat, tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise verfolgt wird und dass sich das in Art. 9 der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arbeitsordnung festgelegte Verbot des Tragens jedes sichtbaren Zeichens u. a. weltanschaulicher und religiöser Überzeugungen auf das absolut Notwendige beschränkt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2021, WABE und MH Müller Handel, C‑804/18 und C‑341/19, EU:C:2021:594, Rn. 68).

Insoweit wird das vorlegende Gericht zunächst zu prüfen haben, ob die Gemeinde dieses Ziel tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise gegenüber allen Arbeitnehmern verfolgt.

Sodann ist darauf hinzuweisen, dass das rechtmäßige Ziel, durch eine Politik der „exklusiven Neutralität“ wie die in Art. 9 der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arbeitsordnung festgelegte ein völlig neutrales Verwaltungsumfeld zu gewährleisten, nur dann wirksam verfolgt werden kann, wenn überhaupt keine sichtbaren Bekundungen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen erlaubt sind, wenn die Arbeitnehmer mit Personen, die die öffentlichen Dienstleistungen in Anspruch nehmen, oder untereinander in Kontakt stehen, da das Tragen jedes noch so kleinen Zeichens die Eignung der Maßnahme zur Erreichung des angeblich verfolgten Ziels beeinträchtigt und damit die Kohärenz dieser Politik der Neutralität selbst in Frage stellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2021, WABE und MH Müller Handel, C‑804/18 und C‑341/19, EU:C:2021:594, Rn. 77). Eine solche Regelung ist daher erforderlich.

Das vorlegende Gericht wird ferner anhand sämtlicher Merkmale, die den Kontext des Erlasses dieser Regel kennzeichnen, eine Abwägung der betroffenen Belange vorzunehmen und dabei zum einen die in Rede stehenden Grundrechte und Grundsätze, hier also das in Art. 10 der Charta garantierte Recht auf Gedanken‑, Gewissens- und Religionsfreiheit, das mit dem in Art. 21 der Charta verankerten Verbot von Diskriminierungen wegen der Religion einhergeht, und zum anderen den Grundsatz der Neutralität zu berücksichtigen haben, in dessen Anwendung die betreffende öffentliche Verwaltung mit der auf den Arbeitsplatz beschränkten Regel den Personen, die ihre Dienstleistungen in Anspruch nehmen, und ihrem Personal ein Verwaltungsumfeld ohne sichtbare Bekundungen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen garantieren will.

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass eine interne Regel einer Gemeindeverwaltung, die es deren Personal allgemein und undifferenziert verbietet, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen zu tragen, die u. a. weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen erkennen lassen, damit gerechtfertigt werden kann, dass die Gemeindeverwaltung unter Berücksichtigung ihres spezifischen Kontexts ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld schaffen möchte, sofern diese Regel im Hinblick auf diesen Kontext und unter Berücksichtigung der verschiedenen betroffenen Rechte und Belange geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist.

Zur zweiten Frage

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass er der öffentlichen Verwaltung erlaubt, ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu gestalten, indem sie dem gesamten Personal unabhängig davon, ob ein direkter Kontakt im Publikumsverkehr besteht, das Tragen von Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen verbietet, wenn dieses neutrale Verbot offenbar mehrheitlich Frauen trifft und es sich daher um eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts handeln kann.

Hierzu ist festzustellen, dass aus dem Geist der Zusammenarbeit, in dem das Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen ist, folgt, dass es unerlässlich ist, dass das nationale Gericht in seiner Vorlageentscheidung die genauen Gründe darlegt, aus denen es eine Beantwortung seiner Fragen nach der Auslegung bestimmter Vorschriften des Unionsrechts für entscheidungserheblich hält (Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Nach ständiger Rechtsprechung macht es im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht dienlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, erforderlich, dass dieses Gericht die Anforderungen an den Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens, die ausdrücklich in Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs aufgeführt sind, sorgfältig beachtet (Urteil vom 19. April 2018, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi, C‑152/17, EU:C:2018:264, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

So ist es zum einen gemäß Art. 94 Buchst. a der Verfahrensordnung unerlässlich, dass das vorlegende Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die von ihm gestellten Fragen einfügen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen sie beruhen. Der Gerichtshof ist nämlich in einem Verfahren nach Art. 267 AEUV nur befugt, sich auf der Grundlage des ihm vom nationalen Gericht unterbreiteten Sachverhalts zur Auslegung einer Unionsvorschrift zu äußern (Urteil vom 2. März 2023, Bursa Română de Mărfuri, C‑394/21, EU:C:2023:146, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zum anderen ist es nach Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung unerlässlich, dass die Vorlageentscheidung eine Darstellung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang enthält, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt (Urteil vom 2. September 2021, Irish Ferries, C‑570/19, EU:C:2021:664, Rn. 133 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die in den Vorabentscheidungsersuchen enthaltenen Informationen nicht nur dazu dienen, den Gerichtshof in die Lage zu versetzen, sachdienliche Antworten zu geben, sondern auch dazu, den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten die Möglichkeit zu geben, Erklärungen gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union abzugeben. Der Gerichtshof hat darauf zu achten, dass diese Möglichkeit gewahrt bleibt, und zwar in Anbetracht der Tatsache, dass den Beteiligten nach dieser Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden (Urteil vom 2. September 2021, Irish Ferries, C‑570/19, EU:C:2021:664, Rn. 134 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall ist zu dem in dieser zweiten Frage angesprochenen etwaigen Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts festzustellen, dass dieser Grund in den Geltungsbereich der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ABl. 2006, L 204, S. 23) fällt, die in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b ausdrücklich den Begriff der mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts definiert, und nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78, den einzigen Rechtsakt, auf den sich diese Frage bezieht.

Außerdem enthält die Vorlageentscheidung keine Angaben, anhand derer sich bestimmen ließe, auf welchen tatsächlichen Annahmen die die zweite Frage beruht und aus welchen Gründen eine Antwort auf diese Frage zusätzlich zur Antwort auf die erste Frage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erforderlich wäre.

Die zweite Frage ist daher unzulässig.

Kosten

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf

ist dahin auszulegen, dass

eine interne Regel einer Gemeindeverwaltung, die es deren Personal allgemein und undifferenziert verbietet, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen zu tragen, die u. a. weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen erkennen lassen, damit gerechtfertigt werden kann, dass die Gemeindeverwaltung unter Berücksichtigung ihres spezifischen Kontexts ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld schaffen möchte, sofern diese Regel im Hinblick auf diesen Kontext und unter Berücksichtigung der verschiedenen betroffenen Rechte und Belange geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist.



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