Bundesarbeitsgericht

Urteil vom - Az: 5 AZR 556/17

Kein Mindestlohn wegen Unterbrechung des Praktikums

1. Wird ein Orientierungspraktikum iSd. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG aus Gründen in der Person des Praktikanten rechtlich oder tatsächlich unterbrochen, kann es um die Zeit der Unterbrechung verlängert werden, wenn zwischen den einzelnen Praktikumsabschnitten ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht und die tatsächliche Tätigkeit die Höchstdauer von insgesamt drei Monaten nicht überschreitet.
(Leitsatz des Gerichts)

(2.) Das Orientierungspraktikum soll einerseits den Praktikanten die Möglichkeit eröffnen, sich ein Bild von der angestrebten beruflichen Tätigkeit oder vom angestrebten Studium zu verschaffen. Daneben soll jedoch das sinnvolle Instrument des Praktikums einer missbräuchlichen Anwendung dadurch entzogen werden, dass im Gesetz die Herausnahme von Ansprüchen auf den gesetzlichen Mindestlohn bei einer Praktikumsdauer von bis zu drei Monaten angeordnet wird.

(3.) Wird das Orientierungspraktikum aus persönlichen Gründen, die der Praktikant zu verantworten hat, unterbrochen - etwa wegen Arbeitsunfähigkeit oder des auf eigenen Wunsch genommenen Urlaubes – so wird dieser Zeitraum nicht angerechnet und begründet mithin keinen Mindestlohnanspruch.
(Redaktionelle Orientierungssätze)

Die klagende Praktikantin absolvierte bei der Beklagten, die eine Reitanlage betreibt, ein dreimonatiges Praktikum zur Orientierung für eine Berufsausbildung zur Pferdewirtin. Das Praktikum begann am 6. Oktober 2015 und endete mit Ablauf des 25. Januar 2016. Während des Praktikums war die Klägerin einige Tage krankheitsbedingt arbeitsunfähig und trat sodann in Absprache mit der Beklagten einen längeren Familienurlaub an. In dieser Zeit wurde zwischen den Parteien vereinbart, dass die Klägerin erst am 12. Januar 2016 in das Praktikum bei der Beklagten zurückkehrt, um in der Zwischenzeit auf anderen Reiterhöfen „Schnuppertage“ verbringen zu können. Die Beklagte zahlte der Klägerin während des Praktikums keine Vergütung. Die Klägerin forderte für den Zeitraum ihres Praktikums bei der Beklagten nun eine Vergütung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns von 5.491,00 Euro (brutto), da die gesetzlich festgelegte Höchstdauer eines Orientierungspraktikums von drei Monaten überschritten sei und daher ihre Tätigkeit nunmehr mit 8,50 Euro pro Stunde zu vergüten wäre. Hilfsweise stehe ihr eine Aufwandsentschädigung als vollwertig eingesetzte Arbeitskraft zu
Während das ArbG der Klage stattgegeben hat, wies das LAG die Klage auf die Berufung des Beklagten ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Im konkreten Fall sei das Praktikum wegen Zeiten der Krankheit sowie der Teilnahme an einem Familienurlaub unterbrochen und im Anschluss daran unverändert fortgesetzt worden. Die Höchstdauer von drei Monaten sei mithin nicht überschritten worden. Ein Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn bestehe folglich nicht. Weiterhin sei die Klage in Bezug auf die hilfsweise geforderte Aufwandsentschädigung unsubstantiiert
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 25. Oktober 2017 - 7 Sa 995/16 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Vergütung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns für die Zeit eines Praktikums.

Die Klägerin vereinbarte mit der Beklagten, die eine Reitanlage betreibt, ein dreimonatiges Praktikum zur Orientierung für eine Berufsausbildung zur Pferdewirtin. Das Praktikum begann am 6. Oktober 2015. Die Klägerin putzte und sattelte Pferde, stellte sie auf ein Laufband, brachte sie zur Weide und holte sie wieder ab, fütterte sie und half bei der Stallpflege. In der Zeit vom 3. bis zum 6. November 2015 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Ab dem 20. Dezember 2015 trat sie in Absprache mit der Beklagten einen Familienurlaub an. Während dieser Zeit verständigten sich die Parteien darauf, dass die Klägerin erst am 12. Januar 2016 in das Praktikum bei der Beklagten zurückkehren solle, um in der Zwischenzeit auf anderen Reiterhöfen „Schnuppertage“ verbringen zu können. Das Praktikum bei der Beklagten endete mit Ablauf des 25. Januar 2016. Die Beklagte zahlte keine Vergütung an die Klägerin.

Die Klägerin hat von der Beklagten für die Zeit des Praktikums Vergütung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns von zuletzt 5.491,00 Euro brutto verlangt. Die gesetzlich festgelegte Höchstdauer eines Orientierungspraktikums von drei Monaten sei überschritten. Daher sei ihre Tätigkeit mit 8,50 Euro pro Stunde zu vergüten. Hilfsweise stehe ihr eine Aufwandsentschädigung als vollwertig eingesetzte Arbeitskraft zu.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.491,00 Euro brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Das Mindestlohngesetz finde keine Anwendung. Durch die Zeiten der Krankheit und Abwesenheit der Klägerin sei das Praktikum unterbrochen worden, es habe die Höchstdauer von drei Monaten nicht überschritten.

Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit für die Revision von Bedeutung - stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten zu Recht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vergütung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns, weil die gesetzlich festgelegte Höchstdauer eines Orientierungspraktikums von drei Monaten nicht überschritten wurde. Die Klage ist auch in Bezug auf die hilfsweise geforderte Aufwandsentschädigung unbegründet. Es fehlt an Vortrag zu einer geeigneten Schätzgrundlage.

I. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde nach § 1 Abs. 1 und Abs. 2 iVm. § 22 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 MiLoG. Sie unterfällt nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes, weil ihr Praktikum zur Orientierung für eine Berufsausbildung die Dauer von drei Monaten nicht überschritten hat.

1. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 MiLoG erstreckt sich der persönliche Anwendungsbereich des Gesetzes auf „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“. Erweitert wird der persönliche Anwendungsbereich durch § 22 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 MiLoG, indem Praktikantinnen und Praktikanten iSd. § 26 BBiG im Wege einer gesetzlichen Fiktion den Arbeitnehmern gleichgestellt werden (vgl. Picker/Sausmikat NZA 2014, 942, 943). Damit will der Gesetzgeber der Schwierigkeit einer Unterscheidung von echtem Praktikum und missbräuchlichem Scheinpraktikum begegnen (vgl. Greiner NZA 2016, 594, 595).

2. Die Klägerin hat bei der Beklagten ein Praktikum zur Orientierung für eine Berufsausbildung iSd. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG iVm. § 26 BBiG absolviert. An die dieser rechtlichen Würdigung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist der Senat unter Berücksichtigung der erfolgten Tatbestandsberichtigungen gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die rechtliche Bewertung der Vertragsbeziehung der Parteien als sog. Orientierungspraktikum lässt keinen Rechtsfehler erkennen und wird von der Revision auch nicht in Frage gestellt.

3. Das Praktikum der Klägerin hat aufgrund der Unterbrechungen die in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG geregelte Höchstdauer von drei Monaten nicht überschritten. Wird das Orientierungspraktikum aus Gründen in der Person des Praktikanten rechtlich oder tatsächlich unterbrochen, kann es um die Zeit der Unterbrechung verlängert werden, wenn zwischen den einzelnen Abschnitten ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht und die tatsächliche Tätigkeit die Höchstdauer von insgesamt drei Monaten nicht überschreitet.

a) Der Wortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG fordert nicht zwingend einen ununterbrochenen Zeitraum des Orientierungspraktikums. Ein Praktikum von „bis zu drei Monaten“ kann auch in mehreren Praktikumsabschnitten geleistet werden (so auch HWK/Sittard 8. Aufl. § 22 MiLoG Rn. 16; Schaub ArbR-Hdb/Vogelsang 17. Aufl. § 66 Rn. 16; Bayreuther NZA 2014, 865, 872; aA Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 22 Rn. 90).

b) In systematischer Hinsicht spricht die unterschiedliche Gestaltung der Ausnahmeregelungen beim Orientierungspraktikum nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG und beim freiwilligen ausbildungsbegleitenden Praktikum nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 MiLoG für ein solches Verständnis. Für Letzteres enthält das Gesetz eine Rückausnahme von der Ausnahmeregelung mit der Folge der Mindestlohnpflicht, wenn zuvor schon „ein solches Praktikumsverhältnis“ mit demselben Ausbildenden bestanden hat. Das Fehlen einer solchen Regelung beim Orientierungspraktikum deutet darauf hin, dass dort die Aufteilung in mehrere Praktikumsabschnitte der Mindestlohnfreiheit nicht entgegensteht (vgl. HK-MiLoG/Schubert/Jerchel 2. Aufl. § 22 Rn. 37). Zwingend ist dies indessen nicht, weil weder Wortlaut noch Gesetzessystematik hinreichend klaren Aufschluss dazu geben, ob im Fall einer Aufteilung des Praktikums noch von „einem“ Praktikum gesprochen werden kann.

c) Die Zulässigkeit einer Unterbrechung des Orientierungspraktikums ergibt sich jedoch hinreichend deutlich aus dem Zweck der gesetzlichen Regelung in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG. Diese soll einerseits den Praktikanten die Möglichkeit eröffnen, sich ein Bild von der angestrebten beruflichen Tätigkeit oder vom angestrebten Studium zu verschaffen. Zugleich soll durch die im Gesetz angeordnete Herausnahme von Ansprüchen auf den gesetzlichen Mindestlohn bei einer Praktikumsdauer von bis zu drei Monaten das sinnvolle Instrument des Praktikums einer missbräuchlichen Anwendung entzogen werden (vgl. BT-Drs. 18/1558 S. 42). Dieser Zweck der Norm erfordert es nicht, Unterbrechungen rechtlicher oder tatsächlicher Art bei der Berechnung der Dauer des Praktikumsverhältnisses unberücksichtigt zu lassen, wenn zwischen den einzelnen Abschnitten ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht. Unter Zugrundelegung dieses Normverständnisses stellt die gesetzliche Regelung sicher, dass der Praktikant drei Monate Gelegenheit hat, den angestrebten Beruf oder das in den Blick genommene Studium tatsächlich kennenzulernen, um sodann auf dieser Grundlage entscheiden zu können, ob dies für ihn geeignet ist. Durch das Erfordernis des zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs der einzelnen Praktikumsabschnitte wird unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls die Einheit des Praktikums sichergestellt. Zugleich wird ein Missbrauch des Praktikumsverhältnisses verhindert, weil der Unternehmer, der einen Praktikanten beschäftigt, nur zeitlich begrenzt von der Pflicht zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns befreit ist. Schließlich darf insoweit nicht außer Acht bleiben, dass der Unternehmer während der Dauer der Unterbrechung keine Leistungen des Praktikanten entgegennimmt und der Praktikant während dieser Zeit somit nicht unlauter ausgenutzt wird. Unter Zugrundelegung dieser Gesichtspunkte kommt es auch nicht darauf an, ob die Unterbrechung von vornherein geplant war oder im Laufe des Praktikums zwischen den Parteien vereinbart wurde (aA BeckOK ArbR/Greiner Stand 1. Dezember 2018 MiLoG § 22 Rn. 31, der aber andererseits [Rn. 36] spätere Verlängerungen des Praktikums, die in der Summe zu keinem Überschreiten der dreimonatigen Höchstdauer führen, für wirksam erachtet).

4. Hiernach ist die Revision der Klägerin in Bezug auf den erhobenen Mindestlohnanspruch unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage insoweit zu Recht abgewiesen.

a) Das Praktikumsverhältnis der Parteien wurde um die Tage der Unterbrechung wegen Krankheit der Klägerin, Teilnahme an einem Familienurlaub und wegen der „Schnuppertage“ auf anderen Reiterhöfen wirksam verlängert. Die jeweiligen Unterbrechungen haben nur wenige Tage angedauert und das Praktikum wurde jeweils im Anschluss daran - sachlich unverändert - fortgesetzt.

b) Bei einer Aufteilung in einzelne Abschnitte ist eine pauschalierende Berechnungsweise auf der Grundlage von 30 Tagen monatlich zugrunde zu legen. Dies berücksichtigt die in § 191 BGB niedergelegte gesetzliche Wertung, wonach ein Monatszeitraum zu 30 Tagen gerechnet wird (vgl. Popella Praktikanten zwischen Mindestlohngesetz und Berufsbildungsgesetz S. 292; vgl. zur Berechnungsweise im Rahmen der Entgeltfortzahlung BAG 16. Mai 2012 - 5 AZR 251/11 - Rn. 24, BAGE 141, 340). Eine vergleichbare gesetzliche Wertung findet sich in § 18 Abs. 1 Satz 2 BBiG, die vom Verweis des § 22 Abs. 1 Satz 2 MiLoG auf § 26 BBiG umfasst ist. Danach finden die §§ 10 bis 23 und § 25 BBiG Anwendung. Ausgehend davon hat das Praktikum der Klägerin bei der Beklagten aufgrund der Unterbrechungen die Dauer von drei Monaten nicht überschritten.

II. Die Revision ist auch unbegründet, soweit die Klägerin hilfsweise eine Aufwandsentschädigung als vollwertig eingesetzte Arbeitskraft verlangt. Die Klägerin beruft sich zur Ermittlung der Höhe der Entschädigung auf die Vergütung von Berufseinsteigern in der Pferdepflege. Diese Vergütung stellt jedoch keine geeignete Schätzgrundlage dar, weil das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, dass zwischen den Parteien ein Praktikumsverhältnis, nicht ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Die Klägerin hat gegen diese Feststellung keinen begründeten Revisionsangriff geführt. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist auch aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Hiervon ausgehend hätte die Klägerin darlegen müssen, welche Vergütung für Praktikanten in der Pferdepflege angemessen ist. Hieran fehlt es indes.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.



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