Arbeitnehmer

Das Gesetz unterscheidet verschiedentlich zwischen Arbeitnehmern1, Auszubildenden, Beamten, etc. Je nach Status, genießt man also andere Rechte.

Das private Arbeitsrecht gilt zunächst einmal nur für Arbeitnehmer. Andere Personengruppen sind nur ausnahmsweise erfasst. Arbeitnehmer sind Personen, die aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages, dem Arbeitsvertrag, entgeltliche Dienste für einen anderen, den Arbeitgeber, erbringen und hierbei in persönlicher Abhängigkeit (Weisungsgebundenheit) stehen. Sie sind damit das genaue Gegenteil eines Selbständigen. Der Selbständige ist sowohl wirtschaftlich als auch persönlich unabhängig. Um den persönlich und wirtschaftlich abhängigen Arbeitnehmer vor möglicher Willkür des Arbeitgebers zu schützen, schafft das Arbeitsrecht den notwendigen rechtlichen Rahmen. Nur innerhalb dieses rechtlichen Rahmens dürfen Arbeitsverträge geschlossen und durchgeführt werden.

Abhängig sind aber nicht nur „klassische“ Arbeitnehmer.  Wer eine Berufsausbildung absolviert, ist ebenso weisungsgebunden wie ein Arbeitnehmer. Auszubildende genießen daher in großem Umfang gleiche Rechte wie Arbeitnehmer.

Für Beamtenverhältnisse hingegen gelten die arbeitsrechtlichen Vorschriften grundsätzlich gar nicht. Nur das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) findet entsprechende Anwendung.


1 Aus Gründen der Lesbarkeit wird innerhalb dieses Textes das geschlechtsneutral zu verstehende generische Maskulinum als Formulierungsvariante verwendet.

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Maßgeblicher Zeitpunkt der Kündigungserklärung bei Massenentlassung

Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber ist gem. § 134 BGB i.V. mit § 17 Abs. 1 KSchG unwirksam, wenn die Kündigungserklärung erfolgt, bevor die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen ist. Die Kündigungserklärung ist erfolgt, wenn das Kündigungsschreiben unterzeichnet ist. Auf den Zugang der Kündigungserklärung beim Arbeitnehmer kommt es nicht an.

(Leitsatz des Gerichts)

 

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung. Nachdem mit Beschluss vom 01. Juni 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, verhandelte der beklagte Arbeitgeber mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich. In den Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs wurde der Betriebsrat sowohl von der Gewerkschaft als auch von einem Rechtsanwalt beraten. Der Beklagte erstellte am 22. Juni 2017 eine Massenentlassungsanzeige, die am 26. Juni 2017 zusammen mit einem beigefügten Interessenausgleich bei der Agentur für Arbeit einging. Mit Schreiben vom 26. Juni 2017 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers sowie die Arbeitsverhältnisse der anderen noch 44 beschäftigten Arbeitnehmer ordentlich zum 30. September 2017. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 27. Juni 2017 zu. Der Kläger wandte sich gegen die Wirksamkeit seiner Kündigung. Nachdem die Klage erstinstanzlich abgewiesen wurde, gab das LAG der Kündigungsschutzklage auf die Berufung des Klägers hin statt. Da nicht festzustellen sei, ob der Beklagte die Kündigung erst ausgesprochen habe, nachdem die Massenentlassungsanzeige am 26. Juni 2017 bei der Agentur für Arbeit eingegangen war, sei die Kündigung unwirksam. Bei anzeigepflichtigen Entlassungen könne das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers erst dann wirksam gekündigt werden, wenn die Massenentlassungsanzeige zuvor bei der Agentur für Arbeit eingegangen sei.

(Redaktionelle Zusammenfassung)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 27. November 2017 (11 Ca 219/17) abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 26. Juni 2017 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte das gemeinsame Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 26. Juni 2017 zum 30. September 2017 wirksam kündigen konnte.

Der Kläger, geboren am ... Juni 1957, verheiratet, war bei der P Produktionsgesellschaft mbH & Co. KG (P) und deren Rechtsvorgängerin seit dem 03. April 1978 beschäftigt. Er war zuletzt stellvertretender Vorsitzender des Betriebsrats. Für den Mai 2017 erhielt er eine Vergütung einschließlich des Urlaubsgeldes in Höhe von 3.546,88 Euro brutto.

Die P wurde am 01. Januar 2004 in Folge eines Betriebsübergangs Arbeitgeberin des Klägers. Komplementärin ist die Produktionsverwaltungs GmbH, Kommanditistin die P & A GmbH & Co. KG in Solingen. Die P stellte Gussteile aus Kupfer, Messing und Bronze her. Sie hatte keinen eigenständigen Marktauftritt und Vertrieb. Die einzigen Auftraggeberinnen waren die Kommanditistin und deren Tochtergesellschaften, die Produktionsgesellschaft S GmbH & Co. KG in S und die F GmbH in Sp.

Am 01. Juni 2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der P eröffnet und der Beklagte als Insolvenzverwalter bestellt. Bereits zuvor im Mai 2017 hatte der Beklagte in seiner damaligen Funktion als vorläufiger Insolvenzverwalter dem Betriebsrat einen ersten Entwurf eines Interessenausgleichs zugesandt, weil beabsichtigt war, den Betrieb der P zum 30. September des Jahres zu schließen. Zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschäftigte die P 45 Arbeitnehmer.

In den Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs wurde der Betriebsrat sowohl von der Gewerkschaft als auch von einem Rechtsanwalt beraten.

Am 21. Juni 2017 verfasste der Prozessbevollmächtigte des Beklagten in dessen Auftrag folgendes Schreiben an den Betriebsrat:

„Mit diesem Anschreiben möchten wir Sie im Auftrag des Insolvenzverwalters nochmals über die Situation bei der Insolvenzschuldnerin, Ihrer ehemaligen Arbeitgeberin, P... unterrichten. Der Insolvenzverwalter selbst hat Ihnen ja bereits mündlich den Stand mitgeteilt.

Nachdem von ursprünglich 62 Mitarbeitern nur noch 45 Mitarbeiter vorhanden sind, gestaltet sich die Durchführung der weiteren Produktion und Auftragsbearbeitung schwierig.

Die Muttergesellschaft P... und A... hat eine Auftragsauslastung bis Ende September 2017 zugesichert. Danach soll die Produktion gänzlich nach Sp und S verlagert werden, sodass keine weiteren Aufträge in Buchen mehr vorhanden sind.

Deshalb ist die Betriebsschließung für die P... leider die einzige Möglichkeit.

Ein Übernehmer, der sowohl Arbeitnehmer, als auch Gewerbeimmobilie und Maschinenpark übernommen hätte, hat sich leider nicht gefunden. Dies lag wohl hauptsächlich daran, dass die Maschinen nicht der Insolvenzschuldnerin gehörten, sondern der Muttergesellschaft.

Um nunmehr die verbliebenen 45 Mitarbeiter freizusetzen, ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass bei so einer großen Anzahl von Entlassungen vorher eine Anzeige an die Bundesagentur für Arbeit durchgeführt wird. Das entsprechende Formular habe ich bereits ausgefüllt.

Ihre Stellungnahme haben Sie bereits in dem Interessenausgleich vorgenommen, sodass dieses Schreiben lediglich noch als ergänzende Information zu sehen ist.

Sollten Sie zu der Angelegenheit noch Fragen haben, steht Ihnen der Unterzeichner oder der Insolvenzverwalter Dr. E... gerne zur Verfügung.“

Am 22. Juni 2017 übergab der Beklagte dem vollständig anwesenden Betriebsratsgremium die letzte Fassung des Interessensausgleichs zur Unterschrift. Danach zogen sich die Betriebsratsmitglieder, der beratende Rechtsanwalt und der Gewerkschaftssekretär zurück. Nach etwa 15 Minuten erschienen sie wieder und gaben den vom Betriebsrat unterzeichneten Interessenausgleich zurück.

Der abgeschlossene Interessenausgleich enthält u.a. folgende Feststellungen:

„§ 2 Gegenstand und Durchführung der Betriebsänderung

Der Betrieb in B... wird zum 30.09.2017 stillgelegt. Auf Grund der Stilllegung entfallen sämtliche Arbeitsplätze der Beschäftigten ersatzlos. Bis dahin werden die noch vorhandenen Aufträge abgearbeitet. Je nach Abwicklung der Aufträge kann der Abbau der Fertigungseinrichtung schon vor dem 30.09.2017 erfolgen.

§ 4 Weitere Beteiligungsrechte

(1) Der Arbeitgeber hat gegenüber dem Betriebsrat am 22.06.2017 die Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG schriftlich eingeleitet. Im Rahmen der Anhörungsverfahren gibt der Betriebsrat folgende Stellungnahme ab:

Der Betriebsrat hat seine Bedenken in Bezug auf die geplante Betriebsänderung im Rahmen der Beratungen über einen Interessenausgleich vorgebracht. Im Rahmen der Anhörungsverfahren nimmt der Betriebsrat auf seine vorgebrachten Bedenken Bezug und macht diese durch seine Stellungnahme zum Gegenstand der Anhörungsverfahren; damit sind die Anhörungsverfahren beendet.

(2) Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat am 22.06.2017 gemäß § 17 Abs. 2 KSchG schriftlich unterrichtet. Nachfolgend haben die Betriebsparteien die Beratungen gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG durchgeführt. Es besteht Einigkeit, dass die Unterrichtung und die Beratung mit Abschluss dieser Vereinbarung abgeschlossen sind. Der Interessenausgleich bildet gleichzeitig die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG. Der Arbeitgeber wird diese Vereinbarung einer eventuell erforderlichen Anzeige nach § 17 Abs. 3 KSchG als Anlage beifügen.“

Zu den weiteren Einzelheiten s. Anlage B 4 zum Schriftsatz des Beklagten vom 26. September 2017, Prozessakte des Arbeitsgerichts (im Folgenden: Arb), Bl. 57 ff.

Der Beklagte erstellte am 22. Juni eine Massenentlassungsanzeige, der er den abgeschlossenen Interessenausgleich beifügte. Die Massenentlassungsanzeige ging am 26. Juni bei der Bundesagentur für Arbeit ein. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien wie alle anderen Arbeitsverhältnisse, die er von der P übernommen hatte, mit Schreiben vom 26. Juni ordentlich zum 30. September 2017. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 27. Juni zu. Seine Kündigungsschutzklage erreichte das Arbeitsgericht am 13. Juli und wurde dem Beklagten am 19. Juli 2017 zugestellt.

Zwischen Kündigung und Kündigungstermin wurden die Beschäftigten des Beklagten per Aushang darüber informiert, dass es bei den Konzerngesellschaften in S und Sp freie Stellen gebe. Bereits vor dem 30. September verlagerte die Kommanditistin der Beklagten Maschinen nach S und Sp. Der Beklagte stellte die Produktion am 30. September 2017 ein.

Der Kläger hat vorgetragen,

die Kündigung des Beklagten sei nicht sozial gerechtfertigt. Der Betrieb der P sei nicht stillgelegt worden, sondern in Folge der Verlagerung der Maschinen auf die Kommanditistin übergegangen. Auch das Angebot offener Stellen in S und Sp zeige, dass die Tätigkeit des Betriebs verlagert worden sei.

Zudem sei die ausgesprochene Kündigung unwirksam, weil der Betriebsrat nicht gem. § 102 Abs. 1 BetrVG ordnungsgemäß angehört worden sei. Ihm seien am 22. Juni keine Anhörungsbogen zu den einzelnen Kündigungen übergeben worden. Es habe auch keine Betriebsratssitzung mit dem Tagesordnungspunkt Anhörungen zu den beabsichtigten Kündigungen stattgefunden. Darüber hinaus sei der vom Beklagten im Laufe des Verfahrens vorgelegte Anhörungsbogen bezüglich seiner Person unvollständig. Die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 BetrVG sei nicht eingehalten.

Der Betriebsrat sei ebenso wenig nach § 17 Abs. 2 KSchG konsultiert worden. Er bestreite, dass die Massenentlassungsanzeige des Beklagten ordnungsgemäß gewesen sei.

Der Kläger hat beantragt,

es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 26.06.2017, dem Kläger am 27.06.2017 zugegangen, nicht aufgelöst worden ist.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen,

die ordentliche Kündigung vom 26. Juni 2017 sei aus dringenden betrieblichen Erfordernissen sozial gerechtfertigt. Der Betrieb der P sei zum 30. September 2017 geschlossen worden. Ein Betriebsübergang habe nicht stattgefunden. Die Muttergesellschaft der P habe lediglich die an die P verpachteten Maschinen und Gerätschaften zurückgeholt. An welchen Stellen sie zum Einsatz kämen, wisse er nicht. Nach seinem Wissen arbeiteten die Produktionsgesellschaft S GmbH & Co. KG und die F GmbH die Aufträge in ihren Betrieben mit ihrem Personal ab.

Die Anforderungen der §§ 102 Abs. 1 BetrVG und 17 Abs. 2 KSchG seien erfüllt. Dem Betriebsrat seien am 22. Juni 2017 neben der letzten Fassung des Interessenausgleichs auch die Anhörungsbogen zu allen Kündigungen, auch zu der des Klägers, übergeben worden (s. hierzu Anlage B 9 zum Schriftsatz des Beklagten vom 06. September 2017, Arb Bl. 84). Eine separate Unterrichtung nach § 17 Abs. 2 KSchG sei mit dem Schreiben vom 21. Juni 2017 erfolgt (s. o. S. 2 f.).

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 27. November 2017 abgewiesen. Die ordentliche Kündigung des Beklagten sei sozial gerechtfertigt. Die Kündigungsvoraussetzungen des § 15 Abs. 4 KSchG seien erfüllt. Zum Zeitpunkt der Kündigung habe festgestanden, dass der Betrieb der P zum 30. September 2017 geschlossen werde. Das sei auch geschehen. Ein Betriebsübergang habe nicht stattgefunden. Allein der Umstand, dass die Muttergesellschaft Maschinen im Rahmen des bestehenden Pachtverhältnisses zurückgeholt und an anderen Standorten Personal eingestellt habe, lasse nicht den Schluss zu, eine identitätswahrende Einheit sei durch Rechtsgeschäft auf die Muttergesellschaft übergegangen.

Die Kündigung sei nicht deshalb unwirksam, weil der Beklagte die Massenentlassungsanzeige gem. § 17 KSchG fehlerhaft erstattet habe. Der Beklagte habe den Betriebsrat am 22. Juni 2017 gem. § 17 Abs. 2 KSchG unterrichtet. Der Betriebsrat habe im Interessenausgleich unter § 4 Abs. 2 bestätigt, dass Beratungen durchgeführt worden seien und der Interessenausgleich gleichzeitig seine Stellungnahme gem. § 17 Abs. 3 KSchG bilde. Die Massenentlassungsanzeige habe der Beklagte gegenüber der Bundesagentur für Arbeit mit Schreiben vom 22. Juni 2017 erstattet. Konkrete Fehler des Anzeigeverfahrens seien vom Kläger nicht geltend gemacht worden und auch nicht erkennbar.

Die ordentliche Kündigung vom 26. Juni 2017 sei auch nicht gem./entsprechend § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Das Anhörungsverfahren sei am 22. Juni 2017 mit der Übergabe der Anhörungsschreiben an den Betriebsratsvorsitzenden eingeleitet und mit der Erklärung des Betriebsrats in § 4 Abs. 1 des Interessenausgleichs abgeschlossen worden. Der Betriebsrat sei auf Grund der Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan vollständig über den Kündigungsgrund, die Betriebsstilllegung zum 30. September 2017, und den Umstand unterrichtet gewesen, dass wegen der Betriebsstilllegung sämtliche Arbeitsverhältnisses gekündigt würden.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 09. Februar 2018 zugestellt. Die Berufung ging am 05. März, die Berufungsbegründung am 03. April beim Landesarbeitsgericht ein. Die Berufungsbegründung wurde der Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 10. April zugestellt. Die Berufungserwiderung erreichte das Landesarbeitsgericht am 09. Mai 2018.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien vorsorglich mit Schreiben vom 28. März zum 30. Juni 2018. Gegen diese Kündigung hat der Kläger keine Kündigungsschutzklage erhoben.

Der Kläger trägt vor,

selbst wenn man von einer Stilllegung des Betriebs in B ausgehe, sei die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nicht nach § 15 Abs. 4 KSchG zulässig gewesen. § 15 Abs. 4 KSchG setze voraus, dass eine Weiterbeschäftigung des Betriebsratsmitglieds nicht möglich sei. Hier sei aber davon auszugehen, dass die Gesellschaften der P-Gruppe unter einer einheitlichen Leitung stünden. Es handele sich um ein einheitliches Unternehmen, sodass es möglich gewesen wäre, ihn in S oder Sp weiterzubeschäftigen.

Der Betriebsrat sei vom Beklagten entgegen dessen Vortrag nicht im Rahmen eines Konsultationsverfahrens schriftlich unterrichtet worden, schon gar nicht habe der Betriebsrat eine ordnungsgemäße Unterrichtung nach § 17 Abs. 2 KSchG erhalten. Es habe auch keine Beratung stattgefunden. Am 22. Juni sei dem Gremium mit dem Interessenausgleich ein Stapel an Blättern übergeben worden. Nachdem sie sich zur Beratung zurückgezogen hätten, sei ihnen von ihren Beratern gesagt worden, das müsse halt jetzt unterschrieben werden. Daraufhin seien sie zurückgegangen und hätten den Stapel wieder zurückgegeben. Das sei keine Anhörung, sondern eine Überrumpelung gewesen. Der Beklagte habe sie nicht gem. § 17 Abs. 2 KSchG unterrichtet. Im erstinstanzlichen Verfahren habe er kein derartiges Schreiben vorlegen können.

Zur Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG s. Berufungsbegründung vom 29. März 2018, S. 8 ff. (Bl. 68 ff. der Akte).

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Mannheim vom 27. November 2017, AZ: 11 Ca 219/17, festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 26. Juni 2017, dem Kläger am 27. Juni 2017 zugegangen, nicht aufgelöst worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung wird zurückgewiesen.

Er trägt vor,

der Betriebsrat habe in § 4 des Interessenausgleichs ausdrücklich bestätigt, dass er am 22. Juni 2017 gem. § 17 Abs. 2 KSchG schriftlich unterrichtet worden sei. Es seien anschließend Beratungen durchgeführt worden, die abgeschlossen seien. Der Interessenausgleich bilde die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 KSchG.

Spätestens seit dem 12. Mai 2017 habe sich der Betriebsrat mit der Betriebsschließung auseinandersetzen können. Er habe deshalb auch einen Rechtsanwalt als Berater eingeschaltet. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass der Betriebsrat intern die Betriebsstilllegung sowie das Ausarbeiten eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans beraten habe. Es erschließe sich ihm deshalb nicht, weshalb der Betriebsrat allein auf die 15 Minuten am 22. Juni 2017 verweise. Der Betriebsrat habe jedenfalls ausreichend Gelegenheit gehabt, die Sache insgesamt und speziell die Frage der Stilllegung des Betriebs mit allen Konsequenzen zu beraten. Sofern dies nicht geschehen sei, sei das nicht ihm (dem Beklagten) anzulasten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die Schriftsätze der Parteien verwiesen, die diese in beiden Instanzen gewechselt haben.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 27. November 2017 (11 Ca 219/17) ist zulässig. Sie ist gem. § 64 Abs. 1, Abs. 2 c ArbGG statthaft und wurde formgerecht eingelegt (§ 519 ZPO i.V. mit § 64 Abs. 6 ArbGG). Der Kläger hat sowohl die Berufungsfrist als auch die Berufungsbegründungsfrist (§ 66 Abs. 1 ArbGG) eingehalten.

Die Berufungsbegründung erfüllt die Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO i.V. mit § 64 Abs. 6 ArbGG. Sie setzt sich mit den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts auseinander und greift dieses u.a. mit dem Argument an, die ausgesprochene Kündigung sei gem. § 15 Abs. 4 KSchG unzulässig, weil für ihn in S oder Sp eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestanden habe. Die P-Konzerngesellschaften stünden unter einer einheitlichen Leitung und stellten deshalb ein einheitliches Unternehmen dar, das ihn an den genannten Standorten hätte einsetzen können. Auf die Qualität dieses Arguments kommt es bei der Frage, ob sich die Berufungsbegründung mit dem erstinstanzlichen Urteil auseinandersetzt, nicht an.

Die Berufung des Klägers ist zulässig.

II.

Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist abzuändern. Es ist festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 26. Juni 2017 nicht aufgelöst worden ist. Die ordentliche Kündigung des Beklagten ist gem. § 134 BGB i.V. mit § 17 Abs. 1 KSchG unwirksam. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beklagte die Kündigung gem. § 17 Abs. 1 KSchG erst ausgesprochen hat, nachdem die Massenentlassungsanzeige am 26. Juni 2017 bei der Agentur für Arbeit eingegangen war.

1. Der Beklagte war gem. § 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG verpflichtet, der Agentur für Arbeit die beabsichtigten Entlassungen aller 45 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen anzuzeigen. Er ist dieser Verpflichtung nachgekommen. Die Massenentlassungsanzeige ging am 26. Juni 2017 bei der Agentur für Arbeit ein.

2. Ein Arbeitnehmer darf gem. § 17 Abs. 1 KSchG nur entlassen werden, wenn die Massenentlassungsanzeige zuvor bei der Agentur für Arbeit eingegangen ist. Der Begriff der Entlassung ist europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass er die Kündigungserklärung des Arbeitgebers meint. Bei nach § 17 Abs. 1 KSchG anzeigenpflichtigen Entlassungen kann das Arbeitsverhältnis eines betroffenen Arbeitnehmers erst wirksam gekündigt werden, wenn die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen ist (vgl. EuGH - 27. Januar 2005 - C-188/03, NJW 2005, 1099, Rn. 35 ff.; BAG - 23. März 2006 - 2 AZR 343/05, NJW 2006, 3161 (3163 f.); 09. Juni 2016 - 6 AZR 405/15, NZA 2016, 1198, Rn. 17).

3. Dabei ist auf die Kündigungserklärung, die Unterzeichnung des Kündigungsschreibens, nicht auf den Zugang der Kündigung beim Arbeitnehmer abzustellen (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 36 f.; BAG, NZA 2016, 1198, Rn. 18; unklar BAG, NJW 2006, 3161 (3162 unter B II 1 a aa 2. Absatz, 3165 unter B II 3; a.A. BAG - 22. November 2012 - 2 AZR 371/11, NZA 2013, 845, 3. Orientierungssatz; von Hoyningen-Huene, Kündigungsschutzgesetz, 15. Aufl. 2013, § 17 Rn. 25; Moll, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 18 Rn. 43a). Nach § 17 Abs. 3 KSchG muss die Massenentlassungsanzeige u.a. Angaben zu den Gründen für die „geplanten“ Entlassungen sowie zu den „vorgesehenen“ Kriterien für die Auswahl der „zu entlassenden“ Arbeitnehmer enthalten. Die Massenentlassungsanzeige ist zu einem Zeitpunkt zu erstellen, in dem Kündigungen geplant, aber noch nicht entschieden sind. Die Anzeige muss daher die Agentur für Arbeit erreichen, bevor der Arbeitgeber die Kündigungsentscheidung trifft und das Kündigungsschreiben unterzeichnet. Bei Zugang der Kündigung wird diese zwar erst wirksam (§ 130 Abs. 1 BGB). Die zu Grunde liegende Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers wurde aber bereits zu einem früheren Zeitpunkt getroffen und manifestiert sich in der Abgabe der Kündigungserklärung mit Unterzeichnung des Kündigungsschreibens.

4. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beklagte das Kündigungsschreiben vom 26. Juni 2017 erst unterschrieb, nachdem die Massenentlassungsanzeige - ebenfalls am 26. Juni 2017- bei der Agentur für Arbeit eingegangen war. Er hat hierzu keine näheren Angaben gemacht. Es ist daher nicht ersichtlich, dass die ordentliche Kündigung des Beklagten die Wirksamkeitsvoraussetzungen des § 17 Abs. 1 und 3 KSchG erfüllt. Die ausgesprochene Kündigung ist gem. § 134 BGB unwirksam.

5. Im Hinblick auf dieses Ergebnis kann die Frage offenbleiben, ob der Beklagte das Konsultationsverfahren gem. § 17 Abs. 2 KSchG vor Ausspruch der Kündigung durchgeführt hat, ob es dazu ausreicht, dass Interessenausgleichsverhandlungen stattgefunden haben und der Betriebsrat im Interessenausgleich das nicht ausdrücklich eingeleitete Verfahren für abgeschlossen erklärt.

Auf die Berufung des Klägers ist das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 26. Juni 2017 nicht aufgelöst worden ist.

III.

1. Als unterlegene Partei hat der Beklagte die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).

2. Die Revision ist gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. Die Rechtsfrage, ob es bei Anwendung des § 17 Abs. 1 KSchG auf die Abgabe der Kündigungserklärung und nicht auf deren Zugang ankommt, ist von grundsätzlicher Bedeutung.

 



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