Arbeitsgericht Ludwigshafen

Urteil vom - Az: 4 Ca 827/02

Zur Zulässigkeit einer Videoüberwachung am Arbeitsplatz

Eine Überwachung des Arbeitsplatzes durch versteckt aufgestellte Videokameras kann gerechtfertigt sein, wenn überwiegende schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers dies erfordern, wie z.B. bei in nennenswertem Umfang entstandenen Warenverlusten, wenn der Einsatz von versteckten Kameras das einzige Mittel darstellt, um die Täter zu ermitteln.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit einer Videoüberwachung am Arbeitsplatz.

Der Kläger ist auf Grund schriftlichen Arbeitsvertrags vom 17. 4. 1996 seit 1. 5. 1996 beim Beklagten in dessen Erotik-Geschäft als Filialleiter beschäftigt. Der Beklagte betreibt insgesamt sieben Erotik-Fachgeschäfte in Deutschland. In der Filiale des Beklagten in Ludwigshafen sind neben dem Kläger in der Regel drei Aushilfskräfte beschäftigt. Der Beklagte installierte insgesamt fünf für den Kläger sichtbare Videokameras in der Filiale in Ludwigshafen. Mit anwaltlichem Schreiben vom 20. 2. 2002 forderte der Kläger den Beklagte unter Fristsetzung zum 28. 2. 2002 zur Demontage der Kameras mit der Begründung auf, er fühle sich durch die dauerhafte Überwachung mittels elektronischer Aufzeichnungsgeräte und dem hierdurch verursachten Überwachungsdruck in seinem Persönlichkeitsrecht erheblich gestört. Der Beklagte erwiderte hierauf mit anwaltlichem Schreiben vom 5. 3. 2002, dass in dem Einzelhandels-Fachgeschäft in Ludwigshafen eine außerordentlich hohe Diebstahlsquote zu verzeichnen sei und er daher die Videoüberwachung zur Vermeidung weiterer Eigentumsdelikte beibehalten müsse. Bei der letzten Inventur in der Filiale in Ludwigshafen für das Jahr 2001 wurden Inventurdifferenzen festgestellt, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob eine Differenz in Höhe von 6000 DM - so der Kläger - oder ein Warenverlust in Höhe von 12000 DM bezogen auf den Netto-Einkaufspreis - so der Beklagte - aufgetreten ist. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger vom Beklagten die Unterlassung der Videoüberwachung in den Geschäftsräumen der Filiale in Ludwigshafen.

Die Klage hatte keinen Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Dem Kläger steht kein Unterlassungsanspruch entsprechend §§ 12, 862, 1004 BGB wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 I i.V. mit 1 I GG) gegen den Beklagte zu.

Die vom Beklagten durchgeführte Videoüberwachung beinhaltet keinen rechtswidrigen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht des Kläger, weil ein solches Persönlichkeitsrecht nicht schrankenlos gewährleistet wird und vorliegend der mit der Videoüberwachung verbundene Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers durch überwiegende schutzwürdige Interessen des Beklagten gerechtfertigt ist. Kollidieren schützenswerte betriebliche Interessen des Arbeitgebers mit dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers, so bedarf es einer Güter- und Interessenabwägung. Hiernach können Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht bei Überwachung des Arbeitnehmers durch die Wahrung überwiegender schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein (vgl. z.B. BAG [18. 11. 1999], NZA 2000, 418 [420] zu sog. Ehrlichkeitskontrollen). Nach der zutreffenden Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 7. 10. 1987, NZA 1988, 92 = AP Nr. 15 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht) kann daher selbst eine Überwachung des Arbeitsplatzes durch versteckt aufgestellte Videokameras gerechtfertigt sein, wenn überwiegende schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers dies erfordern, wie z.B. bei in nennenswertem Umfang entstandenen Warenverlusten, wenn der Einsatz von versteckten Kameras das einzige Mittel darstellt, um die Täter zu ermitteln (vgl. hierzu auch ErfK/Dieterich, 1. Aufl., Art. 2 GG Rdnr. 108; Schaub, ArbeitsRHdb., 9. Aufl., § 95 Rdnr. 7; Kreutz, in: GK-BetrVG, Band I, 6. Aufl., § 75 Rdnr. 73). Im vorliegenden Fall ist das Persönlichkeitsrecht des Kläger zwar dadurch beeinträchtigt, dass er auf Grund der eingerichteten Videoüberwachung in der Filiale in Ludwigshafen an seinem dortigen Arbeitsplatz einem ständigen Überwachungsdruck ausgesetzt ist, dem er sich während seiner Tätigkeit nicht entziehen kann. Der mit der Videoüberwachung verbundene Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers ist jedoch vorliegend durch überwiegende schutzwürdige Interessen des Beklagten gerechtfertigt. Der Beklagte hat sichdiesbezüglich insbesondere darauf berufen, dass er sich mit den Maßnahmen der Videoüberwachungangesichts der aufgetretenen Inventurdifferenzen gegen die Gefahr des Warenverlustes sowohl durch die Kundschaft als auch durch die Mitarbeiter wenden Kläger In der Filiale des Beklagte in Ludwigshafen sind unstreitig Inventurdifferenzen aufgetreten, die unabhängig von der zwischen den Parteien streitigen Höhe (12000 DM bezogen auf den Netto-Einkaufspreis nach den Angaben des Beklagte, 6000 DM nach dem Vortrag des Kläger) jedenfalls in nennenswertem Umfang entstanden sind. Auch der Kläger konnte diesbezüglich keine nachvollziehbare Erklärung dafür abgeben, auf Grund welcher Umstände derartige Inventurdifferenzen aufgetreten sind. Soweit der Kläger u.a. darauf verwiesen hat, dass verkaufte Ware nicht immer in das System eingegeben und beispielsweise Aushilfemitarbeiter bei gleichzeitigem Kundenansturm bisweilen den Überblick verlieren würden, ist dieser Vortrag zur Begründung der aufgetretenen „Minus-Differenzen“ nicht geeignet, zumal sich bei unterbliebener Registrierung der verkauften Ware gerade umgekehrt entsprechende „Plus-Differenzen“ bei der Kassenabrechnung hätten ergeben müssen. Auch die vom Kläger angeführten Zwischenverkäufe während der Inventur vermögen derartige Inventurdifferenzen nicht zu erklären. Vielmehr besteht jedenfalls der begründete Verdacht, dass die Warenverluste zumindest auch auf Eigentumsdelikte von Seiten der Kunden und der in der Filiale eingesetzten Mitarbeiter zurückzuführen sind. Die betrieblichen Interessen des Beklagte an der Aufklärung und Verhütung von Warenverlusten durch Ausübung des Eigentumsrechts haben mit Rücksicht auf die Eigentumsgarantie gem. Art. 14 GG erhebliches Gewicht. Zur Aufklärung der eingetretenen Warenverluste in jedenfalls nennenswertem Umfang ist eine Videoüberwachung die einzige effektive Möglichkeit, neben Eigentumsdelikten durch Kunden gerade auch gegenüber den eingesetzten Arbeitnehmern Unterschlagungen nachzuweisen (ebenso Röckl/Fahl, NZA 1998, 1035 [1036]). Insbesondere Mitarbeiter, die an den Kassen tätig sind, vermögen Methoden zur Begehung nicht nachweisbarer Unterschlagungen von Waren und Geldbeträgen zu entwickeln, wie dies z.B. bei Verkäufen insbesondere von kleineren Artikeln der Fall ist, die zwar abkassiert, aber nicht oder nicht ordnungsgemäß boniert werden, mit der Folge, dass der Mitarbeiter den nicht registrierten Geldbetrag an sich nehmen kann, ohne dass sich ein Fehlbestand bei der Kassenabrechnung ergibt; erst im Rahmen der jährlichen Inventur ist dann ein entsprechender Warenverlust zu verzeichnen (vgl. Röckl/Fahl, NZA 1988, 1035 [1036]). Verdachtsmomente für Warenverluste durch Unterschlagungen tauchen daher häufig nicht personenbezogen auf, sondern ergeben sich aus betriebswirtschaftlichen Daten, wie vorliegend aus erheblichen Inventurdifferenzen (vgl. Röckl/Fahl, NZA 1998, 1035 [1036]). In derartigen Fällen fällt der Verdacht nicht auf einen bestimmten Mitarbeiter, sondern auf sämtliche Arbeitnehmer des betroffenen Bereichs. Allein die Videoüberwachung ermöglicht hinsichtlich des eingesetzten Personals eine nachprüfbare Ermittlung etwaiger Täter unter den eingesetzten Arbeitnehmern. Die vom Kläger angeführte  Diebstahlwarnanlage mit auf den Waren befindlichen Sicherungsetiketten vermag derartige Eigentumsdelikte nicht zu verhindern, da auch insoweit Manipulationsmöglichkeiten von Seiten des eingesetzten Personals gemäß dem vom Beklagten mit Schriftsatz vom 29. 5. 2002 diesbezüglich geschilderten Beispiel ohne weiteres möglich sind. Angesichts der nicht nachvollziehbar aufzuklärenden Inventurdifferenzen in der Filiale in Ludwigshafen ist mithin der Einsatz einer Videoüberwachung die einzige Möglichkeit zur Aufklärung der Warenverluste und zur Ermittlung etwaiger Täter, auch und gerade unter den eingesetzten Arbeitnehmern, so dass vorliegend der Einsatz von Videokameras durch überwiegende schutzwürdige Interessen des Beklagten gerechtfertigt ist. Ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz liegt insoweit nicht vor. Eine Maßnahme ist nur dann unverhältnismäßig, wenn das angestrebte Ziel auch durch mildere Mittel erreicht werden kann, die im Hinblick auf den verfolgten Zweck gleich wirksam sind. Ebenfalls zur Aufklärung und Verhinderung von Warenverlusten durch Unterschlagungen der eingesetzten Mitarbeiter sind vorliegend gemäß den obigen Ausführungen keine weniger weitreichenden Maßnahmen ersichtlich, die gleich wirksam zur Erreichung des erstrebten Erfolgs sein könnten. Die Kameras sind zudem für den Kläger sichtbar aufgestellt, so dass sich auch aus diesem Gesichtspunkt - anders als in dem vom BAG mit Urteil vom 7. 10. 1987 (NZA 1988, 92 = AP Nr. 15 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht) entschiedenen Fall - kein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ableiten lässt. 2. Auch ein Verstoß gegen die Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes ist nicht gegeben. Für „öffentlich zugängliche Räume“, wie z.B. Ladenpassagen, Einzelhandelsgeschäfte, Gaststätten, Tankstellen, Bankfilialen usw., enthält § 6b BDSG n.F. eine Sonderregelung zur Videoüberwachung (vgl. hierzu Däubler, NZA 2001, 874 [878]); für andere Arbeitsräume gelten die bisherigen Grundsätze. Eine vom Arbeitgeber initiierte Videoüberwachung ist danach nur zulässig, soweit sie der Wahrnehmung des Hausrechts dient (§ 6bI Nr. 2 BDSG), also den Zutritt Unbefugter verhindern will, oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist (§ 6bI Nr. 3 BDSG). Diese können beispielsweise in der Abwehr von Eigentumsdelikten liegen. Die Konkretheit des Zwecks muss genauso wie im Rahmen des § 28I 2 BDSG n.F. bestimmt werden, damit unter Berücksichtigung des konkret verfolgten Zwecks die Erforderlichkeit der Videoüberwachung nachprüfbar ist. Im vorliegenden Fall ist die vom Beklagte in seinem öffentlich zugänglichen Ladengeschäft in Ludwigshafen durchgeführte Videoüberwachung gemäß den obigen Ausführungen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für den vom Beklagte festgelegten Zweck der Aufklärung und Verhütung von Warenverlusten durch Eigentumsdelikte der Kunden sowie der Mitarbeiter erforderlich, während ein gegenläufiges schutzwürdiges Interesse des Klägers, während seiner Arbeitstätigkeit keiner ständigen Überwachung ausgesetzt zu sein, angesichts der aufgetretenen Inventurdifferenzen das betriebliche Interesse des Beklagte an der Aufklärung und Verhütung von Warenverlusten durch Ausübung des Eigentumsrechts (Art. 14 GG) nicht zu überwiegen vermag.

Mithin ist die vom Beklagte eingerichtete Videoüberwachung gem. §§ 6bI Nr. 3, 28I Nr. 2 BDSG n.F. zulässig.



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