Arbeitsgericht Ludwigshafen

Urteil vom - Az: 4 Ca 3679/03

Zur Frage, wann eine Berufung auf die tarifliche Ausschlussfrist gegen Treu und Glauben verstößt

Von einem Arbeitnehmer wird verlangt, dass er sich selbst über vermeintlich bestehende Ansprüche informiert und vermeintlich nicht bestehende Ansprüche auch kritisch hinterfragt.

I. Die Klage wird abgewiesen. 

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen. 

III. Der Streitwert wird auf 332,34 EUR festgesetzt. 

IV. Die Berufung wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand 

Die Parteien streiten über den Anspruch der Klägerin auf tarifliches Urlaubsgeld während des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit im Jahr 2002.

Die Klägerin ist bei der Beklagten angestellt. Auf das Beschäftigungsverhältnis finden die Vorschriften des BAT Anwendung. Die Klägerin befand sich in der Zeit vom 06.01.2002 bis 06.05.2002 im Mutterschutz und im Anschluss daran in Elternzeit. 

Das Urlaubsgeld beträgt 332,34 EUR. Gem. § 1 Abs. 1 des Tarifvertrages über Urlaubsgeld für Angestellte steht einer Angestellten das Urlaubsgeld nicht zu, wenn sie in der ersten Hälfte des Kalenderjahres Mutterschaftsgeld in Anspruch nahm und auch nach dem 1. Juli die Arbeit weder fortsetzte noch einen Anspruch auf Arbeitsentgelt hatte. Mit Urteil vom 20.8.2002 (9 AZR 353/01) entschied das BAG, dass diese Bestimmung nicht mit Art. 6 Abs. 4 GG vereinbar und somit nichtig sei. 

Nachdem die Klägerin hiervon durch einen Zeitungsartikel vom 07.03.2003 Kenntnis erlangt hatte, forderte sie die Beklagte mit Schreiben vom 03.04.2003 zur Zahlung des Urlaubsgeldes auf. Die Beklagte kam dieser Zahlungsaufforderung nicht nach und berief sich auf die Ausschlussfrist des § 70 BAT. Die Klägerin hat daraufhin am 20.11.2003 Klage zum Arbeitsgericht Ludwigshafen erhoben. Sie ist der Ansicht, die Berufung der Beklagten auf die Verfallsfrist des § 70 BAT verstoße gegen Treu und Glauben. Sie, die Klägerin, habe auf die Wirksamkeit der von der Beklagten vorgegebenen Vertragsbedingungen vertraut und sich vertragstreu verhalten wollen. 

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 332,34 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem gesetzlichen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. 

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen. 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen. Es wird Bezug genommen auf die Feststellungen in den Sitzungsprotokollen vom 22.12.2003 und vom 18.03.2004.

  

Entscheidungsgründe 

Die Klage war abzuweisen, weil der Anspruch der Klägerin auf tarifliches Urlaubsgeld für das Jahr 2002 gemäß § 70 BAT verfallen ist. 

Nach der bislang gem. § 1 des Tarifvertrags über Urlaubsgeld für Angestellte geltenden Regelung entfiel der Anspruch auf das Urlaubsgeld, wenn eine werdende Mutter sich vor der Geburt entschied, die Schutzfrist nach § 3 Abs. 2 MuSchG in Anspruch zu nehmen anstatt weiterzuarbeiten. In seiner Entscheidung vom 20.8.2002 N 9 AZR 353/01 - stellte das BAG die Unwirksamkeit dieser Regelung fest, weil die tarifliche Regelung objektiv geeignet ist, Druck auf schwangere Frauen auszuüben, sich in der Zeit der vorgeburtlichen Schutzfrist zur Arbeitsleistung bereit zu erklären, um sich den Anspruch auf das Urlaubsgeld zu erhalten. Dies ist nicht mit Art. 6 Abs. 4 GG vereinbar. Der Verstoß hat zur Folge, dass der Anspruch auf das Urlaubsgeld auch bei Inanspruchnahme der Schutzfrist erhalten bleibt.

Die Klägerin hat ihren Anspruch jedoch nicht rechtzeitig geltend gemacht. Nach § 70 BAT verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Gem. § 4 Abs. 1 des Tarifvertrags über Urlaubsgeld für Angestellte ist das Urlaubsgeld mit den Bezügen für den Monat Juli auszuzahlen. Es war daher nach § 36 Abs. 1 BAT am 15. Juli 2002 fällig und hätte somit spätestens am 15. Januar 2003 gegenüber der Beklagten geltend gemacht werden müssen. Vorliegend hat die Klägerin den Anspruch erst mit Schreiben vom 03. April 2003 und somit nach Ablauf der 6-Monatsfrist geltend gemacht. Daher ist der Anspruch verfristet.

Der Beklagten ist es entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht verwehrt, sich auf die tarifliche Ausschlussfrist zu berufen. Eine gegen Treu und Glauben verstoßende und damit gemäß § 242 BGB unzulässige Rechtsausübung stellt die Berufung auf eine Ausschlussfrist dann dar, wenn die zum Verfall des Anspruchs führende Untätigkeit des Arbeitnehmers hinsichtlich der gemäß § 70 BAT erforderlichen schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs bzw. der Einhaltung der Verfallfrist durch ein Verhalten des Arbeitgebers veranlasst worden ist. Der Arbeitgeber muss also den Arbeitnehmer von der Geltendmachung des  Anspruchs bzw. der Einhaltung der Verfallfrist abgehalten haben. Das wird angenommen, wenn der Arbeitgeber durch positives Tun oder durch pflichtwidriges Unterlassen dem Arbeitnehmer die Geltendmachung des Anspruchs oder die Einhaltung der Frist erschwert oder unmöglich gemacht hat bzw. an objektiven Maßstäben gemessen den Eindruck erweckt hat, der Arbeitnehmer könne darauf vertrauen, dass der Anspruch auch ohne Wahrung der tariflichen Ausschlussfrist erfüllt werde (BAG vom 22.01.1997 - 10 AZR 459/96 - AP Nr. 27 zu § 70 BAT m.w.N.). Im vorliegenden Fall ist die Klägerin nicht durch ein Verhalten der Beklagten davon abgehalten worden, den streitgegenständlichen Anspruch innerhalb der Ausschlussfrist des § 70 BAT geltend zu machen. Die Einbeziehung tariflicher Regelungen in das Arbeitsverhältnis, die sich im nachhinein als verfassungswidrig erweisen, stellt kein positives Tun der Beklagten dar, mit welchem sie der Klägerin die Geltendmachung des Anspruchs oder die Einhaltung der Frist erschwert oder unmöglich gemacht hätte. Die Klägerin durfte nicht auf die Wirksamkeit der von der Beklagten vorgegebenen Regelungen vertrauen. Von einem Arbeitnehmer wird verlangt, dass er sich selbst über vermeintlich bestehende Ansprüche informiert und vermeintlich nicht bestehende Ansprüche auch kritisch hinterfragt. Die Unkenntnis über die rechtlichen oder tatsächlichen Voraussetzungen eines tariflichen Anspruchs sind für dessen Verfall aufgrund einer tariflichen Ausschlussfrist rechtlich unbeachtlich (BAG vom 05.08.1999 - 6 AZR 752/97 - juris). Dies gilt auch für den Fall, dass - wie hier - die Klägerin erst nach Ablauf der Ausschlussfrist von der tatsächlichen Existenz eines Anspruchs aufgrund der Verfassungswidrigkeit einer tariflichen Ausschlussnorm erfährt. 

Die Beklagte hatte ebenso wie die Klägerin keine Kenntnis von der Verfassungswidrigkeit der tariflichen Regelung. Über die Einbeziehung der tariflichen Regelung in die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses hinaus hat die Beklagte keinerlei Einfluss auf die Klägerin genommen, einen Anspruch auf das tarifliche Urlaubsgeld nicht geltend zu machen. Der Klägerin blieb es unbenommen, innerhalb der durch den BAT vorgegebenen Ausschlussfristen auf die ihrer Auffassung nach gegebene Verfassungswidrigkeit der Norm hinzuweisen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO, 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO. Im Hinblick auf die gesetzlichen Kriterien des § 64 Abs. 3 ArbGG bestand keine Veranlassung, die Berufung gegen das Urteil zuzulassen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes liegt unter 600 EUR. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch betrifft sie die Auslegung des BAT. Die Frage, wann die Berufung auf die tarifliche Ausschlussfrist gegen Treu und Glauben verstößt, ist längst hinreichend höchstrichterlich geklärt.



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