Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 5 Sa 80/13

Zur Darlegungs- und Beweislast bezüglich geleisteter Überstunden

Für die Darlegung und den Beweis der Leistung von Überstunden gelten dieselben Grundsätze wie für die Behauptung des Arbeitnehmers, die geschuldete (Normal-)Arbeit verrichtet zu haben. Verlangt der Arbeitnehmer Arbeitsvergütung für Überstunden, hat er darzulegen und - im Bestreitensfall - zu beweisen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet hat. Dabei genügt der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast, in dem er vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Auf diesen Vortrag muss der Arbeitgeber im Rahmen einer gestuften Darlegungslast substantiiert erwidern und im Einzelnen vortragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen - nicht - nachgekommen ist. Diese Grundsätze dürfen allerdings nicht schematisch angewendet werden, sondern bedürfen stets der Berücksichtigung der im jeweiligen Streitfall zu verrichtenden Tätigkeit und der konkreten betrieblichen Abläufe.

Tenor

Der Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 03.06.2013 - 5 Sa 80/13 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens, einschließlich der Säumniskosten, zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten (im Berufungsverfahren nur noch) um die Zahlung von Überstundenvergütung.

Die Klägerin war vom 01.04.2010 bis zum 31.05.2012 als Buchhalterin bei dem Beklagten beschäftigt. Vereinbart war eine Bruttomonatsvergütung von 2.000,00 €.

Die Klägerin hat vorgetragen,

sie habe vom 01.04.2011 bis Januar 2012 insgesamt 243 Überstunden nach Maßgabe der Stundenauflistung im Schriftsatz vom 18.07.2012, hinsichtlich derer auf Bl. 28 ff. d. A. Bezug genommen wird, geleistet. Diese habe der Beklagte - was zwischen den Parteien unstreitig ist - nicht vergütet. Der Stundensatz betrage 12,50 € brutto. Diese Überstunden seien angeordnet oder jedenfalls geduldet worden. Sie seien auch notwendig und üblich gewesen. Bereits im Einstellungsgespräch habe der Beklagte darauf hingewiesen, dass die Arbeitszeit in aller Regel nicht ausreiche und es üblich sei, die Mittagspause durchzuarbeiten und weitere Stunden darüber hinaus zu leisten. Der Beklagte habe selbst in der Firma mitgearbeitet und deshalb zwangsläufig Kenntnis von den geleisteten Überstunden gehabt. Anfang Dezember 2011 habe er gegenüber der Klägerin auch ausdrücklich erklärt, er wisse, dass sie "in ganz erheblichem Maße" Überstunden geleistet habe und werde diese vergüten.

Die Klägerin hat - einschließlich geltend gemachter Urlaubsabgeltung - beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 4.037,50 € brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat - soweit für das Berufungsverfahren von Belang - vorgetragen,

Überstunden seien nicht geleistet worden und zudem von ihm weder angeordnet noch geduldet gewesen.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat daraufhin mit Urteil vom 16.01.2013 - 4 Ca 1967/12 - den Beklagten verurteilt, an die Klägerin (Urlaubsabgeltung in Höhe von) 923,08 € brutto zu zahlen, im Übrigen - hinsichtlich der Überstundenvergütung - hat es die Klage abgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 77-83 d. A. Bezug genommen.

Gegen das ihr am 31.01.2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin durch am 20.02.2013 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 27.03.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Klägerin wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, sie habe jede einzelne Überstunde aufgeschlüsselt, ebenso wie die normale Arbeitszeit und die Pausen und ihren Sachvortrag auch unter Beweis gestellt. Sie habe auch im Einzelnen dargelegt, welche Tätigkeit sie in diesen Stunden geleistet habe. Zudem liege zumindest eine Duldung vermeintlicher Überstunden vor. Mit der Erklärung des Beklagten im Einstellungsgespräch sei bereits erkennbar sein Einverständnis mit Ableistung von Überstunden erteilt; diese Erklärung gehe noch über ein Einverständnis hinaus, da der Beklagte ausdrücklich erklärt habe, dass Überstunden erwartet würden. Die Klägerin habe seine Erklärung auch gar nicht anders verstehen können, weil der Beklagte, was dieser gar nicht bestritten habe, die Überstunden in der Vergangenheit tatsächlich auch ausgeglichen habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 16.01.2013 - 4 Ca 1967/12 - teilweise aufzuheben;

die Beklagte zu verurteilen, weitere 3.037,50 brutto an die Klägerin zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, eigene Angaben könne der Beklagte nicht machen, da er nicht ständig im Betrieb gewesen sei und somit eine konkrete Kontrolle der Stunden an sich, insbesondere auch über das, was die Klägerin in diesen Stunden vermeintlich geleistet habe, nicht gehabt habe. Überstunden seien von ihm weder angeordnet noch geduldet worden.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz am 03.06.2013, zu dem der Beklagte ordnungsgemäß durch Empfangsbekenntnis vom 04.04.2013 geladen worden war, ist für ihn niemand erschienen. Auf Antrag der Klägerin erging daher folgendes Versäumnisurteil:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 16.01.2013 - 4 Ca 1967/12 - wird teilweise aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, weitere € 3.037,50 brutto an die Klägerin zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dagegen hat der Beklagte durch am 17.06.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangem Schriftsatz Einspruch eingelegt.

Zur Begründung des Einspruchs hat der Beklagte vorgetragen:

Die Klägerin habe nicht substantiiert vortragen lassen, an welchen Tagen und zu welchen Tageszeiten sie über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus Arbeitsleistungen erbracht haben wolle und dass dies auf Anordnung oder Billigung des Beklagten geschehen sei. Zudem genüge eine reine Kenntnis an Überstunden - so durch die Klägerin behauptet - insofern nicht.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 03.06.2013 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

den Einspruch unter Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils vom 03.06.2013 zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das ergangene Versäumnisurteil unter Wiederholung ihres erst- und zweitinstanzlichen Vorbringens.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 12.08.2013.

Entscheidungsgründe

I.  Der Einspruch gegen das Versäumnisurteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 03.06.2013 - 5 Sa 80/13 - ist form- und fristgerecht erfolgt; er erweist sich insgesamt als statthaft und auch sonst als zulässig.

II.  In der Sache hat der Einspruch aber keinen Erfolg.

Denn entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts und des Beklagten ist die Klage im durch das Versäumnisurteil ausgeurteilten Umfang hinsichtlich der Vergütung von Überstunden begründet.

Die Klägerin hat entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts und des Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Überstundenvergütung aus § 611 Abs. 1 i. V. m. § 612 Abs. 2 BGB.

Ein allgemeiner Rechtsanspruch auf gesonderte Überstundenvergütung für jede Mehrarbeitszeit oder jede dienstliche Anwesenheitszeit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus besteht zwar grds. nicht (BAG 21.09.2011 EzA § 612 BGB 2002 Nr. 11 = NZA 2012, 145; 22.02.2012 - 5 AZR 765/10 - NZA 2012, 861). Sie liegt aber nahe, wenn die Überarbeit über die persönliche regelmäßige Arbeitszeit des Arbeitnehmers hinausgeht. Bei Fehlen einer (wirksamen) Vergütungsregelung verpflichtet § 612 Abs. 1 BGB den Arbeitgeber, geleistete Mehrarbeit zusätzlich zu vergüten, wenn diese den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Eine entsprechende objektive Vergütungserwartung ist regelmäßig gegeben, wenn der Arbeitnehmer - wie vorliegend - kein herausgehobenes Entgelt bezieht (BAG 22.02.2012 - 5 AZR 765/10 - NZA 2012, 861). Für derartige Überarbeit kann grds. eine zusätzliche Vergütung nach dem Maßstab verlangt werden, nach dem auch sonst der Lohn berechnet wird (vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoss, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 10. Aufl. 2013, Kap. 3, Rn. 86 ff.)

Der Arbeitnehmer muss im Streitfall insoweit allerdings eindeutig vortragen (BAG 15.06.1961 AP Nr. 7 zu § 253 ZPO; LAG Köln 03.07.2003 - 8 (3) Sa 220/03 - EzA-SD 2/04,  S. 9 LS), - je nach Fallgestaltung - ob die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet oder zur Erledigung der ihm obliegenden Arbeit notwendig oder vom Arbeitgeber gebilligt oder geduldet worden sind (BAG 15.06.1961 AP Nr. 7 zu § 253 ZPO; 25.11.1993 EzA§ 253 ZPO Nr. 14; 03.11.2004 - 5 AZR 648/03, EzA-SD 2/05 S. 8; 25.05.2005 EzA § 611 BGB 2002 Mehrarbeit Nr. 1; s. a. BAG 26.07.2006 EzA § 14 TzBfG Nr. 31; LAG Köln 25.06.1999 ZTR 2000, 128; 16.12.2000 ZTR 2001, 329 LS; LAG SchlH 05.11.2002 NZA-RR 2003, 242, 14.11.2007 - 6 Sa 492/06, EzA-SD 6/2008 S. 8 LS). Der Arbeitgeber duldet Überstunden dann, wenn er die Arbeitsleistungen, die über die regelmäßige Arbeitszeit hinausgehen, entgegennimmt. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Erbringung von Überstunden über mehrere Wochen erfolgt und der Arbeitgeber keinerlei ernst gemeinte organisatorische Vorkehrungen trifft, um eine freiwillige Ableistung von Überstunden zu unterbinden (LAG Bln.-Bra. 03.06.2010 LAGE § 307 BGB 2002 Nr. 24). Der Arbeitgeber muss sich die Duldung von Überstunden durch den Vorgesetzten zudem als Direktionsbefugten zurechnen lassen (LAG Bln.-Bra 23.12.2011 LAGE § 611 BGB 2002 Überarbeit Nr. 3).

Dem Arbeitgeber obliegt es sodann, dem Sachvortrag des Arbeitnehmers substantiiert entgegenzutreten (abgestufte Darlegungs- und Beweislast; vgl. BAG 25.05.2005 EzA § 611 BGB 2002 Mehrarbeit Nr. 1; LAG SchlH 31.05.2005 NZA-RR 2005, 458).

Zusammengefasst gilt insoweit Folgendes (BAG 16.05.2012 EzA § 611 BGB 2002 Mehrarbeit Nr. 6 = NZA 2012, 939; s. LAG Berlin-Brandenburg 10.09.2012 - 15 Ta 1766/12 AuR 2013, S. 54 LS: Bauer/Arnold/Willemsen DB 2012, 1986 ff.; Strecker BB 2013, 949):

Für die Darlegung und den Beweis der Leistung von Überstunden gelten dieselben Grundsätze wie für die Behauptung des Arbeitnehmers, die geschuldete (Normal-)Arbeit verrichtet zu haben. Verlangt der Arbeitnehmer Arbeitsvergütung für Überstunden, hat er darzulegen und - im Bestreitensfall - zu beweisen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet hat. Dabei genügt der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast, in dem er vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Auf diesen Vortrag muss der Arbeitgeber im Rahmen einer gestuften Darlegungslast substantiiert erwidern und im Einzelnen vortragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen - nicht - nachgekommen ist. Diese Grundsätze dürfen allerdings nicht schematisch angewendet werden, sondern bedürfen stets der Berücksichtigung der im jeweiligen Streitfall zu verrichtenden Tätigkeit und der konkreten betrieblichen Abläufe. Die Darlegung der Leistung von Überstunden durch den Arbeitnehmer und die substantiierte Erwiderung hierauf durch den Arbeitgeber haben entsprechend § 130 Nr. 3 und Nr. 4 ZPO schriftsätzlich zu erfolgen. Beigefügte Anlagen können den schriftsätzlichen Vortrag lediglich erläutern oder belegen, verpflichten das Gericht aber nicht, sich die unstreitigen oder streitigen Arbeitszeiten aus den Anlagen selbst zusammenzusuchen (BAG 16.05.2012 EzA § 611 BGB 2002 Mehrarbeit Nr. 6 = NZA 2012, 939; s. Bauer/Arnold/Willemsen DB 2012, 1986 ff.; Strecker BB 2013, 949).

Vorliegend ist die Klägerin der ihr insoweit obliegenden Darlegungslast voll umfänglich nachgekommen. Sie hat alle wesentlichen Einzeldaten bzgl. der von ihr täglich geleisteten Arbeitszeit dargelegt. Sie hat des Weiteren vorgetragen, dass sie in dieser Zeit auch tatsächlich gearbeitet hat, also für den Beklagten tätig war. Dass der Beklagte selbst davon Kenntnis hatte, hat sie vorgetragen; der Beklagte hat dies nicht substantiiert bestritten, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass er nicht immer am Betriebssitz anwesend gewesen sei. An den insoweit maßgeblichen Einzelheiten fehlte es im Vorbringen des Beklagten vollständig. Mit dem entsprechenden Tatsachenvortrag nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen (substantiiertes Vorbringen) wird vom Beklagten auch nichts Unmögliches verlangt, weil es ihm ohne Weiteres möglich gewesen wäre, die nach der Rechtsprechung des BAG (a. a. O.) geforderten Einzelheiten aufgrund des Prinzips der "Sachnähe" vorzutragen. Daran fehlt es in beiden Rechtszügen vollständig, sodass der Sachvortrag der Klägerin als zugestanden gilt, mit der weiteren Folge, dass die Klage der Klägerin im ausgeurteilten Umfang begründet ist.

Nach alledem war das angefochtene Urteil auf die Berufung der Klägerin aufzuheben und der Klage hinsichtlich der Überstundenvergütung stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 344 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.



Sie kennen die Kanzlei Labisch aus folgenden Medien:

Logo SWR1
Logo SWR4
Logo RPR1
Logo Wiesbadener Kurier
Logo Geißener Anzeiger
Logo Wormser Zeitung
Logo Wiesbadener Tagblatt
Logo Main Spitze
Logo Frankfurter Rundschau
Logo Handelsblatt
Logo Allgemeine Zeitung
Logo Darmstädter Echo
Logo Focus
Logo NTV
Logo ZDF WISO
Lexikon schließen
Schließen