Arbeitsgericht Siegburg

Beschluss vom - Az: 2 Ca 2144/09

Zulässigkeit von Altergruppen bei der Sozialauswahl

Dem Europäischen Gerichtshof wird die Frage vorgelegt, ob zur Sozialauswahl (bei betriebsbedingten Kündigungen) zunächst Altergruppen gebildet werden dürfen. Dadurch soll eine gleichmäßige Altersstruktur im Betrieb gewährleistet werden.

Tenor:

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird nach Art. 234 EGV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Artikel 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, die es erlaubt, bei der Auswahl der aus betrieblichen Gründen zu kündigenden Mitarbeiter zur Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur Altersgruppen zu bilden und die Auswahl unter den vergleichbaren Mitarbeitern dergestalt zu vollziehen, dass das Verhältnis der Zahl der aus der jeweiligen Altersgruppe auszuwählenden Mitarbeiter zur Zahl der insgesamt zu kündigenden vergleichbaren Mitarbeiter dem Verhältnis der Zahl der in der jeweiligen Altersgruppe beschäftigten Mitarbeiter zur Zahl aller vergleichbaren Mitarbeiter des Betriebes entspricht?

G r ü n d e :

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten sowie über den Anspruch des Klägers auf Weiterbeschäftigung.

Der am 3. geborene, verheiratete und 2 Kindern unterhaltspflichtige Kläger seit Oktober 2000 bei der Beklagten als Maschinenarbeiter beschäftigt. Die Beklagte erzielt die Wertschöpfung im Wesentlichen durch Personaleinsatz. Bis zum Sommer 2009 ließ sie von montags bis freitags in 3 vollen Schichten, samstags in einer Früh- und einer Spätschicht und sonntags in einer Nachtschicht produzieren. Im Frühjahr 2009 beschloss sie, künftig nur in 2-Schichtbetrieb zu arbeiten und die Wochenendschichten zu streichen, mithin 8 von 18 Schichten wegfallen zu lassen. Mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat vereinbarte sie am 06.07.2009 einen Interessenausgleich mit Namensliste, nach dem der Personalbestand um 95 Personen reduziert werden sollte. Von zuvor 261 Maschinenbedienern waren 20 Mitarbeiter befristet beschäftigt, deren Arbeitsverhältnis nicht verlängert wurde. 76 weitere Maschinenbediener nahmen das Angebot der Beklagten auf Wechsel in eine Transfergesellschaft an bzw. wurden von der Beklagten gekündigt, so auch der Kläger mit Schreiben vom 29.07.2009, dem Kläger am gleichen Tage zugegangen, zum 31.10.2009. Der Auswahl der zu kündigenden Mitarbeiter lag eine Auswahlrichtlinie zugrunde, welche die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat ebenfalls am 06.07.2009 vereinbart hatte. Hierin war zum Einen ein Punktesystem vorgesehen sowie die Bildung von Altersgruppen, wobei zur Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur der Personalabbau jeweils proportional zur Größe der jeweiligen Altersgruppe an der Gesamtbelegschaft durchgeführt werden sollte. Der Kläger befindet sich in der Altersgruppe, die von der Vollendung des 36. Lebensjahres bis zur Vollendung des 45. Lebensjahres reicht und erzielt mit seinen Sozialdaten 78 Punkte. In seiner Altersgruppe wäre er erst ab einer Punktzahl von 80 nicht zu kündigen gewesen. Bei einem Verzicht auf die Altersgruppenbildung wäre der Kläger hingegen der Gruppe der nicht zu kündigenden Mitarbeiter zuzurechnen gewesen, da in diesem Falle nur Mitarbeiter mit bis zu 77 Punkten hätten gekündigt werden können. In der Altersgruppe der bis zu 35 Jahre alten Mitarbeiter weisen nur 8 von insgesamt 63 Mitarbeitern eine Punktzahl über 77 auf.

§ 1 Abs. 3 des KSchG lautet:

Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen

im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 06.11.2008 - 2 AZR 523/07) kann die nach dieser Vorschrift vorzunehmende soziale Auswahl der zu kündigenden Mitarbeiter auch in der Weise vorgenommen werden, dass zum Zweck der Erhaltung der Altersstruktur (§ <link http: dejure.org gesetze kschg _blank kschg: sozial ungerechtfertigte>1 Abs. 3 S. 2 KSchG) Altersgruppen gebildet werden, innerhalb derer die Sozialauswahl vorzunehmen ist. Dabei muss die bisherige Verteilung der Beschäftigten auf die Altersgruppen ihre prozentuale Entsprechung in der Anzahl der in den jeweiligen Altersgruppen zu kündigenden Mitarbeitern finden, wodurch die Erhaltung der bisherigen prozentualen Anteile der Altersgruppen an der Gesamtbelegschaft - in etwa - erreicht wird. Diese Altersgruppenbildung kann dazu führen, dass von 2 Arbeitnehmern mit ansonsten gleichen altersunabhängigen Punktzahlen, aber Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Altersgruppen der eine gekündigt werden kann, der andere nicht. Während das Bundesarbeitsgericht die Berücksichtigung des Lebensalters bei der Sozialauswahl und die damit verbundene tendenzielle Bevorzugung älterer Mitarbeiter grundsätzlich als legitim ansieht, da damit die typischerweise schlechteren Chancen älterer Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt werden sollen, wird die Legitimation der durch die Altersgruppenbildung entstehende Ungleichbehandlung wegen unterschiedlichen Alters im Ziel der Erhaltung der Altersstruktur gesehen. Dieser Zweck ist nach Ansicht der vorlegenden Kammer ein betriebs- und unternehmensbezogener Zweck.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat jedoch in seinem Urteil vom 05.03.2009 (C-388/07) entschieden, dass Ausnahmen vom Grundsatz des Verbots von Diskriminierungen aus Gründen des Alters nur durch sozialpolitische Ziele wie solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung gerechtfertigt sein können. Diese Ziele - so der Gerichtshof - unterschieden sich dadurch, dass sie im Allgemeininteresse stünden, von rein individuellen Beweggründen, die der Situation des Arbeitgebers eigen seien, wie etwa die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit.

Die vorliegende Kammer hat daher Zweifel daran, ob angesichts dieser Rechtsprechung die mit der Altersgruppenbildung im Rahmen der Sozialauswahl verbundene Ungleichbehandlung wegen des unterschiedlichen Alters durch das Ziel der Erhaltung der Altersstruktur legitimiert werden kann. Zwar wirkt die Altersgruppenbildung insbesondere bei Massenentlassungen einer Überalterung der Belegschaft entgegen und relativiert die durch die Berücksichtigung des Alters bei der Sozialauswahl entstehende Ungleichbehandlung wegen des Alters. Die Bildung der Altersgruppen liegt aber vordinglich im Interesse des Arbeitgebers. Ein Allgemeininteresse ist allenfalls mittelbar dadurch betroffen, dass es nicht im Sinne der Volkswirtschaft sowie der Sozialsysteme sein kann, dass überproportional jüngere Arbeitnehmer von Arbeitslosigkeit betroffen sind, die in wirtschaftlich angespannten Zeiten gleichfalls Schwierigkeiten haben, eine neue Beschäftigung zu finden. Ebenso wenig liegt es in ihrem Interesse, wenn gleichzeitig Unternehmen eine überalterte Belegschaft aufweisen. Für die Vereinbarkeit mit dem europäischen Recht könnte nach Ansicht der vorliegenden Kammer sprechen, dass auch Buchstabe c der nicht abschließenden Aufzählung des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG ausschließlich Arbeitgeberinteressen berücksichtigt. Zudem hat der Gerichtshof der europäischen Gemeinschaften in seinem bereits zitierten Urteil vom 05.03.2009 als ein eine Ungleichbehandlung nicht legitimierendes Arbeitgeberinteresse beispielhaft die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit genannt, während der Erhalt der Altersstruktur lediglich dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit dienen dürfte.



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