Arbeitsgericht Mainz

Urteil vom - Az: 5 Ca 283/95

Zu den Anforderungen an eine verhaltensbedingte Kündigung (hier: Schlechtleistung)

Die Annahme einer Schlechtleistung ist erst dann möglich, wenn festgestellt werden kann, welche Leistung allgemein von einem vergleichbaren Arbeitnehmer erwartet werden kann und dass die von dem gekündigten Arbeitnehmer erbrachten Leistungen auf Dauer und nicht nur vorübergehend unerheblich unter den als Normalwert anzusehenden Leistungen bleiben.

Zum Sachverhalt 

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 30. Jan. 1995 zum 30. Juni 1995 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin über den 30. Juni 1995 hinaus zu den bisherigen tatsächlichen und vertraglichen Bedingungen bis zum Zeitpunkt einer rechtskräftigen Entscheidung weiter zu beschäftigen. 

 

Tatbestand 

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten sowie über einen Weiterbeschäftigungsanspruch. 

Die Beklagte, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, hat die medizinische Beratung und Begutachtung für die Krankenversicherung gem. § 275 SGB V sicherzustellen. Ihr Tätigkeitsbereich erstreckt sich auf Rheinland-Pfalz. Sie beschäftigt in diesem Bezirk etwa 300 Arbeitnehmer. Geschäftsführer der Beklagten ist Herr ... der gem. 13 Abs. 1 der Satzung. der Beklagten hauptamtlich die Verwaltungsgeschäfte nach den Richtlinien des weiteren Organs Verwaltungsrat führt und die Beklagte gerichtlich und außergerichtlich vertritt. Die Klägerin, geb. am 15. März 1938, verheiratet, ist Ärztin für Neurologie und Psychiatrie. Sie ist bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin - dem vertrauensärztlichen Dienst - seit dem 1. Okt. 1985 in der Filiale Bad Kreuznach zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt etwa 8.400,00 DM tätig. Zuvor war sie ab dem 1. Febr. 1980 in der Landesnervenklinik Alzey (bis 31. Juli 1981) und im Neurologischen Landeskrankenhaus Meisenheim (1. Aug. bis 30. Sept. 1985) beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehörte bis zu ihrer Freistellung vom Dienst Ende Dezember 1994 in erster Linie die Erstellung sozialmedizinischer Gutachten. Seit Mitte April 1995 ist die Klägerin bei der Beklagten wieder tätig, indem sie die ICD-Verschlüsselung von Gutachten vornimmt. Diese Arbeiten führt sie unter Vorbehalt aus. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten des medizinischen Dienstes (MDK-T) Anwendung. Gem. § 34 Abs. 1 MDK-T kann einem Mitarbeiter der Beklagten nach Vollendung des 40. Lebensjahres und einer Beschäftigungsdauer von 15 Jahren nur noch außerordentlich gekündigt werden. Für ihre Tätigkeit als Gutachterin fertigte die damalige Vorgesetzte der Klägerin, ... am 19. März 1992 eine dienstliche Beurteilung der Klägerin an. Die Gesamtnote betrug „gut“. Die Fachkenntnisse und die Arbeitsqualität der Klägerin wurden mit der Note „gut bis sehr gut (1,5)“ bewertet. Auf den Inhalt der dienstlichen Beurteilung wird Bezug genommen. Die Parteien führten am 20. Okt. 1994 ein Gespräch über Gutachten, die von der Klägerin erstellt wurden. Auf Seiten der Beklagten nahmen an dieser Unterredung der Leiter der Verwaltung, ..., sowie der leitende Arzt, ..., teil. Über den Inhalt des Gesprächs fertigte ... am 1. Dez. 1994 einen Vermerk an. Danach sei der Klägerin vorgehalten worden, dass sie über ein mangelhaftes, medizinisches Wissen verfüge und dass die von ihr getroffenen Entscheidungen und Empfehlungen sehr häufig nicht nachvollziehbar gewesen seien. 

Sie habe ohne objektive Anhaltspunkte die Ursachen der Arbeitsunfähigkeit meist im Amalgam- oder Lösungsmittelbereich gesehen. Weiterhin sei ihr mangelhafte Entscheidungsfreudigkeit in Bezug auf die Beendigung der Arbeitsunfähigkeit von Arbeitnehmern vorgeworfen worden. Die Klägerin treffe in ihren Gutachten keine weiterführenden Empfehlungen und kenne nicht die einschlägigen Bestimmungen des Sozialgesetzbuches. Des Weiteren habe die Klägerin der Ehefrau eines schwerpflegebedürftigen Patienten anlässlich eines Hausbesuches empfohlen, in Anbetracht des nahen Todes eine Obduktion wegen des Verdachtes einer Lösungsmittelvergiftung anordnen zu lassen. Der Klägerin sei mitgeteilt worden, dass sie mit ihrer jetzigen Begutachtungspraxis für den Dienst nicht mehr tragbar sei und nahegelegt, die Mängel mit sofortiger Wirkung abzustellen. Andernfalls sei die Beklagte gezwungen, entsprechende arbeitsrechtliche Schritte einzuleiten, da das bisherige Verhalten nicht mehr geduldet werde. Auf den weiteren Inhalt des Vermerks vom 1. Dez. 1994 wird verwiesen. 

Die bemängelten Gutachten wurden der Klägerin im Rahmen dieses Gesprächs nicht vorgelegt. Die Beklagte schickte der Klägerin mit Schreiben vom 27. Oktober 1994 eine Liste der Patientennamen, die die Klägerin untersucht hat. Die über diese Personen erstellten Gutachten seien nach Ansicht der Beklagten besonders zu bemängeln. Am 11. Nov. 1994 erstellte die Klägerin ein sozialmedizinisches Gutachten über .... Die hierin enthaltenen Aussagen und Ergebnisse sah die Beklagte als fehlerhaft an. 

Nach Anhörung des Personalrates kündigte die Beklagte mit der Klägerin am 29. Dez. 1994 zugegangenem Schreiben vom 27. Dez. 1994 das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung. Gleichzeitig sprach die Beklagte hilfsweise eine ordentliche Kündigung aus. Die Beklagte begründete die Kündigung im Wesentlichen damit, dass der Bezirksleiter des MDK Koblenz und kommissarischer Leiter der Dienststelle Bad Kreuznach, ... in einer großen Anzahl von Gutachten, die von der Klägerin erstellt worden waren, eklatante Fehler festgestellt habe und die entsprechenden Korrekturhinweise von ihr nicht beachtet worden seien. Die Gutachten würden in wesentlichen Teilen nicht dem sozialmedizinischen Standard entsprechen. Des Weiteren würden die sozialmedizinischen Kenntnisse der Klägerin erhebliche Mängel aufweisen. Schließlich fehle ihr die notwendige Kenntnis einschlägiger Rechtsvorschriften. 

Zur Darlegung der Kündigung stützt sich die Beklagte auf insgesamt acht durch die Klägerin erstellte Gutachten. Zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit bezieht sich Beklagte auf eine Stellungnahme des ... vom 23. Jan. 1995 und vom 26. April 1995.

In dem auf die Klage der Klägerin vor dem Arbeitsgericht Mainz-Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - durchgeführten Verfahren (5Ca 26/95) erklärte die Beklagte am 2. Febr. 1995, dass sie die ordentliche sowie die außerordentliche Kündigung vom 27. Dezember 1994 nicht mehr weiterverfolgen werde. Daraufhin nahm die Klägerin ihre Klage zurück. 

Vor dieser Erklärung kündigte die Beklagte erneut mit Schreiben vom 30. Jan. 1995 das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. Juni 1995. Nachdem der Personalrat am 31. Jan. 1995 dieser Kündigung zugestimmt hatte, wurde das Kündigungsschreiben der Beklagten per Boten noch am selben Tag gegen 19.20 Uhr zugestellt. In ihrem Schreiben bezieht sich die Beklagte im Wesentlichen auf die Gründe der Kündigung vom 27. Okt. 1994. Auf den Inhalt des Kündigungsschreibens im Übrigen wird verwiesen.

 

Ebenfalls am 31. Jan. 1995 legte die Klägerin gegen einen auf ihren Antrag hin ergangenen Bescheid des Versorgungsamtes Koblenz, in dem ein Grad der Schwerbehinderung von 20 % anerkannt wurde, Widerspruch ein. Über den Antrag beim Versorgungsamt war die Beklagte am 26. Jan. 1995 in Kenntnis gesetzt worden. Gleichzeitig stellte die Klägerin am 31. Jan. 1995 einen Gleichstellungsantrag gem. § 2 SchwbG beim Arbeitsamt Bad Kreuznach. Mit Bescheid vom 12. Mai 1995 wurde dieser Antrag abgelehnt, wogegen die Klägerin Rechtsmittel eingelegt hat. 

Gegen die ordentliche Kündigung vom 30. Jan. 1995 wendet sich die Klägerin mit vorliegender, am 9. Febr. 1995 bei Gericht eingegangener Klage. 

Die Klägerin ist der Ansicht, die Kündigung sei rechtswidrig, weil die Gründe der streitbefangenen Kündigung denjenigen der außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 27. Dez. 1994 entsprächen. Durch die Rücknahme der Kündigungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren sowie die Weiterzahlung des Gehaltes sei zwischen den Parteien eine Rücknahmevereinbarung getroffen. Die die streitbefangene Kündigung stützenden Gründe seien damit verbraucht worden. Der Personalrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden und es sei nicht auszuschließen, dass Druck ausgeübt worden sei. Die Beklagte habe vor der Anhörung auf die gebotene Eile hingewiesen. Das Anhörungsschreiben vom 30. Jan. 1995 enthalte wie das beigefügte Kündigungsschreiben nur pauschale und schlagwortartige Angaben. Außerdem fehle die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle. Mit der ordentlichen Kündigung vom 31. Jan. 1995 habe die Beklagte auf treuwidrige Weise den ab dem 1. Febr. 1995 eingreifenden Sonderkündigungsschutz des § 34 MDK-T umgangen. Dies ergebe sich aus der Eile und dem Aufwand für die Zustimmung der Kündigung noch am 31. Jan. 1995. Diese Umstände hätten einzig und allein dazu gedient, den Eintritt des Sonderkündigungsschutzes zu vereiteln. In dem Gespräch am 20. Okt. 1994 seien ihr keine konkreten Fälle vorgetragen worden. Aus den von ihr erstellten und von der Beklagten bemängelten Gutachten seien lediglich zusammenhangslos einzelne Passagen zitiert worden. Für eine Abmahnung seien die im Gespräch erhobenen Vorwürfe zeitlich und gegenständlich zu unbestimmt. Auch habe sie gem. § 9 Abs. 2 MDK-T Gelegenheit erhalten müssen, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Unabhängig davon seien die erhobenen Vorwürfe nicht haltbar, da die Gutachten nicht fehlerhaft gewesen seien. Die vor dem 20. Okt. 1994 liegenden Gutachten seien überdies als Kündigungsgründe verbraucht und könnten ohnehin nicht zur Rechtfertigung einer Kündigung herangezogen werden. Lediglich das Gutachten vom 11. Nov. 1994 bezüglich ... komme insoweit in Betracht. In dem Gutachten sei sie jedoch zu vertretbaren Ergebnissen gelangt. Zumindest seien keine elementaren sozialmedizinischen Regeln missachtet worden. Des Weiteren habe sie nicht unbegründet Berufserkrankungen angezeigt. Es müsse Berücksichtigung finden, dass einer derartigen Anzeige ohnehin lediglich eine Verdachtsdiagnose zugrunde liege. Sie habe durchschnittlich im Jahr etwa 1000 Gutachten und z.B. im Jahre 1992 etwa 20 Anzeigen wegen Berufskrankheit erstattet. Dies liege noch unterhalb der Quote von 4-5 %, die nach Mitteilung des MDK-Hessen, Dienststelle Kassel, üblich sei. 

Insgesamt genüge der Beklagtenvortrag weder in zeitlicher noch in gegenständlicher Hinsicht den Anforderungen an ein substantiiertes, eine Kündigung rechtfertigendes Vorbringen. 

Die Klägerin beantragt, 

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 30. Jan. 1995 zum 30. Juni 1995 nicht aufgelöst worden ist, 

die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin über den 30. Juni 1995 hinaus zu den bisherigen tatsächlichen, vertraglichen Bedingungen weiter zu beschäftigen. 

Die Beklagte beantragt, 

die Klage abzuweisen. 

Sie trägt vor, die Klägerin habe sehr oft elementare sozialmedizinische Grundüberlegungen bei der Erstellung von Gutachten nicht beachtet. Die Aufforderung zur Mängelbeseitigung sei stets ignoriert worden. Daran habe sich trotz der Abmahnung vom 20. Oktober 1994 nichts geändert. Insgesamt habe sich die Klägerin als medizinisch inkompetent erwiesen. Zwar sei die Begründung der Kündigung mit derjenigen vom 27. Dez. 1994 identisch. Doch stütze sich die erneute Kündigung auf nach dem 20. Okt. 1994 wiederholt fehlerhaft erstellte Gutachten. Insbesondere das über Frau M. L. am 11. Nov. 1994 erstattete Gutachten weise Mängel auf. So gehe aus dem Gutachten nicht hervor, wo und von wem die Voruntersuchung durchgeführt worden sei. Das Gutachten sei im Allgemeinen sehr unübersichtlich und verworren. Es fehle eine klare Gliederung in Familien- und Sozialanamnese sowie Ausführungen über die Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitsfähigkeit. Aufgrund weiterer innerer Widersprüche sei das Gutachten insgesamt kaum brauchbar. Die die streitige Kündigung stützenden Gründe seien nicht verbraucht, da es sich um ein fehlerhaftes Dauerverhalten der Klägerin gehandelt habe. Der tarifliche Sonderkündigungsschutz sei nicht treuwidrig umgangen worden, da lediglich eine gesetzliche Frist ausgeschöpft worden sei. Die Anhörung des Personalrats sei ordnungsgemäß verlaufen. Auf die Mitarbeitervertretung sei kein unzulässiger Druck ausgeübt worden. Die Einholung der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle sei nicht erforderlich gewesen. Die Abmahnung sei unter Hinweis auf bestimmte, von der Klägerin erstellte Gutachten erfolgt. Aus dem Vermerk vom 1. Dez. 1994 ergebe sich, dass die erhobenen Vorwürfe bestimmt genug seien, um den Anforderungen, die an eine Abmahnung gestellt würden, zu genügen. Da der Vermerk nicht zur Personalakte gelangt sei, sei auch eine Anhörung gem. § 9 Abs. 2 MDK-T nicht erforderlich gewesen. Schließlich habe sich ein niedergelassener Arzt, ... über die Klägerin beschwert. 

Wegen der weiteren Einzelheiten, Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt, insbesondere auf die von den Parteiengewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie Protokolle Bezug genommen. Zur Informationszwecken hat das Gericht die Verfahrensakte 5 Ca 26/95 beigezogen.

 

Entscheidungsgründe 

Die zulässige Klage ist begründet. 

Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. Jan. 1995 beendet worden. Überdies ist die Klägerin über den 30. Juni 1995 hinaus zu den bisherigen tatsächlichen und vertraglichen Bedingungen weiter zu beschäftigen. 

Nach Auffassung der Kammer liegen die Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung gem. § 1 KSchG nicht vor. 

Gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ist die ordentliche Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen, § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG. Vorliegend stützt die Beklagte die streitige Kündigung auf fachliche Leistungsmängel der Klägerin. Der Klägerin wird vorgeworfen, die von ihr erstatteten Gutachten seien zum Teil fehlerhaft und genügten nicht den medizinischen Anforderungen. 

Zur Darlegung der Kündigungsgründe konnte sich die Beklagte auf Einzeltatsachen, die bereits zur Begründung der früheren fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 27. Dez. 1994 dienten, beziehen. Die Heranziehung dieser Gründe ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass im vorangegangenen Kündigungsschutzprozess (Az: 5 Ca 26/95) die Beklagte am 2. Febr. 1995 erklärt hat, die Kündigungen nicht mehr weiter zu verfolgen. Soweit damit eine wirksame Rücknahmevereinbarung zwischen den Parteien bzgl. der früheren Kündigungen zustande gekommen ist, hatte dies jedoch nach Auffassung der Kammer nicht zur Folge, dass die ursprünglichen Gründe der Kündigung vom 27. Dez. 1994 verbraucht sind. Die streitbefangene Kündigung wurde am 31. Jan. 1995 und damit vor der möglichen Rücknahmevereinbarung ausgesprochen.  Mithin konnte bei der Klägerin nach „Rücknahme“ der ursprünglichen Kündigung vom 27.12.1994 kein Vertrauen dahin entstehen, dass auch an den dieser Kündigung zugrundeliegenden inhaltlichen Vorwürfen nicht festgehalten werde. Ein Verbrauch der Kündigungsgründe ist somit nicht eingetreten (vgl. auch BAG, Urt. v. 21.2.1957, AP Nr. 22 zu § 1 KSchG 1951). 

Die streitige Kündigung ist jedoch sowohl unter dem Gesichtspunkt der verhaltensbedingten als auch der personenbedingten Kündigung nicht sozial gerechtfertigt i.S. des § 1 Abs. 2 KSchG. Erbringt ein Arbeitnehmer nur unzureichende Arbeitsleistungen kann dies nach vorheriger Abmahnung eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen (vgl. BAG, Urt. v. 22.7.1982, AP Nr. 5 zu § 1 KSchG „Verhaltensbedingte Kündigung“). Es kommen nur solche Umstände in Betracht, die einen ruhig und verständig urteilenden Arbeitgeber zur Kündigung bestimmen können (vgl. BAG, Urt. vom 2.11.1961, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1951 „Verhaltensbedingte Kündigung“; BAG Urt. vom 13.3.1987, EzA Nr. 5 zu § 611 BGB „Abmahnung“). Der Arbeitgeber hat in diesem Fall die Leistungsmängel so konkret wie möglich zu bezeichnen.

Die Annahme einer Schlechtleistung ist erst dann möglich, wenn festgestellt werden kann, welche Leistung allgemein von einem vergleichbaren Arbeitnehmer erwartet werden kann und dass die von dem gekündigten Arbeitnehmer erbrachten Leistungen auf Dauer und nicht nur vorübergehend unerheblich unter den als Normalwert anzusehenden Leistungen bleiben. 

Eine Kündigung wegen unzureichender Arbeitsleistung setzt deshalb stets die substantiierte Darlegung des Arbeitgebers voraus, dass der betreffende Arbeitnehmer unterdurchschnittliche Arbeitsleistung erbringt, obwohl er zur besseren Leistung in der Lage wäre. Die substantiierte Mitteilung eines Vergleichsmaßstabes ist außerdem deswegen notwendig, da Fehler nur jenseits bestimmter Toleranzgrenzen kündigungsrechtlich relevant werden können, weil es eine durchgehend fehlerfreie Arbeitsleistung nicht gibt (Berkowsky, Personen - und verhaltensbedingte Kündigung, § 18 Rnr. 5). 

Eine derartige unzureichende Arbeitsleistung der Klägerin konnte die Kammer nach den Ausführungen der Beklagten nicht feststellen. Die Beklagte hat insgesamt acht Gutachten vorgelegt, die im Zeitraum Mai 1992 - November 1994 von der Klägerin angefertigt worden sind. Die Kammer vermag anhand dieser Gutachten nicht zu erkennen, dass eine erhebliche Minder- bzw. Schlechtleistung vorliegt, wobei von einer inhaltlichen Bewertung abgesehen worden ist. Die Beklagte hat keinen Vergleichsmaßstab vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass die beanstandeten Gutachten kündigungsrechtlich erhebliche Leistungsstörungen darstellen. Sie hat nicht vorgetragen, wie viele Gutachten von der Klägerin bis zum Ausspruch der Kündigung durchschnittlich erstattet wurden. Eine Feststellung der erheblichen Minder- bzw. Schlechtleistung kann aber nur dann getroffen werden, wenn die „fehlerhaften“ Gutachten in ein Verhältnis zu den fehlerfreien Gutachten gebracht werden, um eine entsprechende Fehlerquote ermitteln zu können. Die Kammer ist daher nicht in der Lage, ein durchschnittliches Leistungsniveau zu ermitteln. Ohne dieses kann allerdings nicht festgestellt werden, ob die Arbeitsleistung der Klägerin als unterdurchschnittlich angesehen werden kann. Überdies hätte die Beklagte vortragen müssen, wie viele Gutachten von vergleichbaren Kollegen erstattet werden und welche Fehlerhäufigkeit dort zu beachten ist. Hierzu war die Beklagte auch deshalb veranlasst, weil eine dienstliche Beurteilung vom 19.03.1992 mit der Gesamtnote „gut“ ausgefallen ist, ihre Fachkenntnisse sogar mit der Note 1,5 sowie ihre Fähigkeit und Bereitschaft, schnell und sicher eine sinnvolle Entscheidung zu treffen, mit 2,0 bewertet worden ist. Auch der Vorwurf, die Klägerin hätte vorschnell ohne objektive Anhaltspunkte Anzeigen wegen Berufsunfähigkeit getätigt, ist gänzlich unsubstantiiert, insbesondere im Hinblick darauf, dass nach Behauptung der Klägerin die von ihr getätigten Anzeigen z.B. 1992 noch unterhalb des Bundesdurchschnitts gelegen hätten. 

Darüber hinaus können nach Auffassung der Kammer nicht alle oben genannten Gutachten einen unmittelbaren Kündigungsanlass bieten, weil nach dem dem Kündigungsschutzrecht beherrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch Störungen im Leistungsbereich grundsätzlich zunächst abzumahnen sind (vgl. BAG, Urt. v. 18.01.1980, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG „Verhaltensbedingte Kündigung“). Die Abmahnung ist dazu bestimmt, dem Arbeitnehmer durch die Androhung der Kündigung zu verdeutlichen, dass weitere Störungshandlungen der gerügten Art als Anknüpfungspunkt für Kündigungserwägungen genommen werden (vgl. Ascheid, Kündigungsschutzrecht, Rnr. 437). Nach einer erfolgten Abmahnung muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen hinreichenden Zeitraum einräumen, die gerügten Leistungs- oder Verhaltensmängel zu beseitigen (KR-Becker, 3. Aufl. § 1 KSchG, Rnr. 234 m.w.N.). Vorliegend soll nach Vortrag der Beklagten ein Abmahnungsgespräch am 20. Okt. 1994 stattgefunden haben. Mithin liegt dem Gericht lediglich ein Gutachten datierend vom 11. Nov. 1994 vor, das nach einer behaupteten Abmahnung durch die Beklagte in mangelhafter Weise erstellt worden sein soll. Im Bezug auf die übrigen sieben Gutachten hat somit die behauptete Abmahnung nicht die oben genannte - für eine leistungsbedingte Kündigung aber erforderliche - Funktion entfalten können. 

Darüber hinaus bestehen nach Auffassung der Kammer auch bereits Bedenken daran, ob die Klägerin vor Ausspruch der Kündigung am 31. Jan. 1995 überhaupt wirksam abgemahnt worden ist. 

Der Wirksamkeit der mündlichen Abmahnung vom 20.10.1994 steht allerdings nicht § 9 Abs. 2 MDK-T entgegen. Nach dieser § 13 Abs. 2 Satz 1 BAT entsprechenden tariflichen Bestimmung ist die Beklagte verpflichtet, die Klägerin vor Aufnahme ungünstiger Beschwerden und Behauptungen in die Personalakte anzuhören. Diese Anhörungspflicht erstreckt sich auch auf Abmahnungen. Mithin erfasst diese Bestimmung keine mündlichen Abmahnungen.

Soweit der Aktenvermerk vom 1. Dez. 1994 über das Gespräch am 20. Okt. 1994 als Abmahnung anzusehen wäre und die übrigen Wirksamkeitserfordernisse vorliegen würden, ist jedoch nach unbestrittenem Vortrag der Beklagten der in Rede stehende Aktenvermerk vom 1. Dez. 1994 nicht in die Personalakte gelangt. Der Arbeitnehmer ist jedoch lediglich zu einer Abmahnung zu hören, die in die Personalakte aufgenommen werden soll. Selbst wenn der Vermerk zur Personalakte der Klägerin gelangt sein sollte und als wirksame Abmahnung anzusehen wäre, kann dahingestellt bleiben, ob eine Anhörung i.S. des § 9 Abs. 2 MDK-T durch das Gespräch am 20. Okt. 1994 erfolgt ist. Denn auch eine wegen Nichtanhörung des Arbeitnehmers formell unwirksame Abmahnung entfaltet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die regelmäßig vor einer verhaltensbedingten Kündigung erforderliche Warnfunktion (BAG, Urt. v. 21.5.1992, AP Nr. 28 zu § 1 KSchG „Verhaltensbedingte Kündigung“). 

Wegen dieser formellen Rechtswidrigkeit könnte daher eine Abmahnung dennoch verwertet werden. Bedenken bestehen jedoch an der inhaltlichen Bestimmtheit der mündlichen Abmahnung vom 20. Okt. 1994. Das Bestimmtheitserfordernis wird zur Wirksamkeit der Abmahnung gezählt, weil dem Arbeitnehmer aufgegeben werden muss, ein genau bezeichnetes Fehlverhalten zu ändern (Stahlhacke-Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 5. Aufl. Rnr. 10). 

Die Kammer konnte nicht nachvollziehen, ob die Beklagte der Klägerin in dem am 20. Okt. 1994 zwischen den Parteien geführten Gespräch genügend konkret dargelegt hat, welche arbeitsvertraglichen Pflichten sie verletzt hat. Nach der Rechtsprechung des BAG muss der Arbeitgeber in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlicherkennbaren Art und Weise Leistungsmängel beanstanden und damit den Hinweis verbinden, dass im Wiederholungsfall der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist (BAG, Urt. v. 18.1.1980, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG „Verhaltensbedingte Kündigung“; BAG, Urt. vom 27.11.1985, AP Nr. 93 zu § 611 „Fürsorgepflicht“). Für die Frage, wie konkret ein Pflichtverstoß darzulegen ist, muss die Funktion der Abmahnung beachtet werden, die darin besteht, als Voraussetzung für eine spätere Kündigung zu dienen (LAG Düsseldorf, Urt. v. 27.2.1991, LAGE Nr. 29 zu § 611 BGB „Abmahnung“). Der Arbeitnehmer soll deshalb aus der Abmahnung eindeutig und unmissverständlich ersehen können, was ihm zum Vorwurf gemacht wird, welches Verhalten der Arbeitgeber missbilligt und in welcher Hinsicht seine Leistungen nicht dessen Anforderungen entsprechen. Da der Arbeitgeber hinsichtlich des gesamten Kündigungssachverhaltes darlegungs- und beweispflichtig ist, trägt er auch das Risiko der Nachweisbarkeit der Wirksamkeit der Abmahnung. Dem Vortrag der Beklagten ist nicht zu entnehmen, auf welche Mängel in welchem Gutachten im Gespräch am 20. Okt. 1994 Bezug genommen worden ist. Nach dem über das Gespräch angefertigten Vermerk vom 1. Dez. 1994 wurde der Klägerin u.a. mangelhaftes medizinisches Wissen und nicht nachvollziehbare Entscheidungen vorgeworfen. Daraus geht jedoch nicht hervor, aus welchen Umständen sich dieses Wissensdefizit ergeben hat. Es wird auf keine konkreten Gutachten Bezug genommen, an denen der Klägerin aufgezeigt worden ist, dass ihre Entscheidungen nicht nachvollziehbar seien und wie die jeweils richtigen Entscheidungen hätten lauten müssen. Die Beklagte räumt selber ein, der Klägerin im Verlauf des Abmahnungsgespräches keine beanstandeten Gutachten vorgelegt zu haben. Gleiches gilt für die weiteren Vorwürfe, wie mangelhafte Entscheidungsfreudigkeit bezüglich der Beendigung von Arbeitsunfähigkeit, Fixierung der Ursachen im Amalgam- und Lösungsmittelbereich, Fehlen weiterführender Empfehlungen. Mit diesen Vorwürfen ist die Klägerin ohne Vorlage der entsprechenden bemängelten Gutachten konfrontiert worden. Lediglich mit Schreiben vom 27. Okt. 1994 ist der Klägerin eine  Liste mit Patientennamen und Geburtsdaten, die die Klägerin untersucht hat und über die nach Ansicht der Beklagten mangelhafte Gutachten erstellt worden sein sollen, zugesandt worden. In einer dem Aktenvermerk vom 1. Dez. 1994 angefügten „Dokumentation“ über Gutachten der Klägerin im Bezug auf diese Personen sind „Fehler“ aufgelistet, die von der Klägerin bei der Erstellung von Gutachten unterlaufen sein sollen. Allerdings fehlt eine genaue Zuordnung der Gutachten zu den einzelnen in dem Gespräch am 20.10.1994 erhobenen Vorwürfen. In einer Abmahnung kann zwar auf Gespräche und Schreiben Bezug genommen werden, was aus der Abmahnung deutlich hervorgehen muss. Allerdings liegt hier im Aktenvermerk über die Abmahnung vom 1. Dez. 1994 genau der umgekehrte Fall vor, dass in einem Schreiben, das keine Abmahnung sein soll, Bezug auf eine Abmahnung genommen werden soll. Es liegt kein Hinweis dafür vor, dass in dem mündlichen Gespräch am 20.10.1994 Bezug auf die „Dokumentation“ oder ähnliches genommen worden ist, so dass die „Dokumentation“ nichts an der Unbestimmtheit der Abmahnung ändert. Es geht auch aus der der Kammergereichten „Dokumentation“ nicht hervor, dass die in der Auflistung beanstandeten Gutachten Gegenstand des Abmahnungsgesprächs gewesen sind. In diesem Zusammenhang ist der Sachvortrag der Beklagten nur lückenhaft. Durch Bezugnahme auf Anlagen kann die Beklagte jedenfalls den zwingenden Inhalt ihres Sachvortrages nicht ersetzen (vgl. Zöller, Komm, zur ZPO, 18. Aufl. § 130 Rnr. 1 a). Die Beklagte hat der Kammer zum Teil eine Fülle von Gutachten und Stellungnahmen vorgelegt, ohne diese in einen tatsächlich oder rechtlich geordneten Zusammenhang mit den in der Abmahnung gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfen zu bringen. Es ist nicht Aufgabe der Kammer, einem ungeordneten Parteivortrag zu seiner Verständlichkeit zu verhelfen. Im Übrigen bietet eine solche Vorgehensweise der Klägerin keine Möglichkeit der substantiierten Erwiderung und ist demnach ungeeignet, konkrete Feststellung über Art, Inhalt und Ausmaß des Fehlverhaltens der Klägerin zu treffen. 

Darüber hinaus hat die Kammer auch Bedenken daran, ob nach dem 20. Okt. 1994 - die Wirksamkeit der mündlichen Abmahnung vom 20. Okt. 1994 unterstellt - weitere (einschlägige) Leistungsmängel vorgelegen haben. 

Die Beklagte hat lediglich ein Gutachten vorgelegt, das nach dem 20. Okt. 1994 angefertigt worden ist und zwar das Gutachten über die Patientin M.L. vom 11. Nov. 1994 (Bl. 18 ff, des Anlagenordners). Bei der Bewertung dieses Gutachtens muss berücksichtigt werden, dass der Klägerin bei der Erstattung von Gutachten ein gewisser ärztlicher Beurteilungsspielraum zugebilligt werden muss. Gem. § 1 Abs. 2 BÄO ist der ärztliche Beruf seiner Natur nach ein freier Beruf. Grundsätzlich unterliegt zwar der angestellte Arzt dem Direktionsrecht des Arbeitgebers. Mit der Freiheit des ärztlichen Berufs wird aber gewährleistet, dass der Arzt bei seiner ärztlichen Entscheidungen keinen Weisungen unterliegt (Bundesverfassungsgericht Urt. v. 23.7.1963, AP Nr. 30 zu Art. 12 GG). Da die Freiheit ärztlichen Tuns jederzeit gewährleistet sein muss, steht dem Arbeitgeber im medizinisch-fachlichen Bereich auch kein Weisungsrecht zu (Staudinger-Richardi, Kom. zum BGB, Vorbemerkung zu §§ 611 ff., 12. Aufl. Rnr. 1638). 

Der Arzt hat insoweit die selbständige Handlungsverantwortung. Die Wissensentscheidung des einzelnen Berufsangehörigen steht beim ärztlichen Dienst im Zentrum der Arbeit. Das Gutachten vom 11. Nov. 1994 wird von der Beklagten inhaltlich in erster Linie in Bezug auf die richtige Anwendung von § 51 Abs. 1 S. 1 SGB V, eine Ermessensvorschrift, beanstandet. Es heißt dort: „Versicherten, deren Erwerbsfähigkeit nach ärztlichem Gutachten erheblich gefährdet oder gemindert ist, kann die Krankenkasse eine Frist von 10 Wochen setzen, innerhalb der sie einen Antrag auf Maßnahmen zur Rehabilitation zu stellen haben“. 

Die durch die Klägerin im Gutachten vom 11.11.1994 festgestellte Diagnose der „Endogenen Depression“ wird dagegen nicht durch die Beklagte in Frage gestellt. Der Klägerin wird vielmehr vorgeworfen, dass sie im Gutachten die Aussage getroffen hat, die Voraussetzung des § 51 Abs. 1 SGB V lägen nicht vor. Diese seien jedoch nach Auffassung der Beklagten gegeben, eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme sei jedoch nicht sinnvoll (vgl. ... vom 26.4.1995, Bl. 5 des Anlagenordners). Genau diese Aussage sei auch im Gutachten zu tätigen gewesen, z.B. durch die Aussage wie „durch stationäre Reha-Maßnahmen kann die Gesundung z.Zt. nicht beschleunigt werden ...“. 

Diese Aussage hat die Klägerin jedoch gerade in ihrem Gutachten getroffen. So heißt es im letzten Abschnitt: „Durch stationäre Reha-Maßnahmen kann die Gesundung z.Zt. nicht beschleunigt werden“. Auch wenn die Formulierung „die Voraussetzung“ des § 51 Abs. 1 SGB V liege nicht vor, nicht stimmen sollte, ist für die Krankenkasse erkennbar gewesen,1 dass Maßnahmen auf Grundlage von § 61 Abs. 1 SGB V nicht in Betracht kommen. Darin ist jedoch nach Auffassung der Kammer noch kein relevanter Fehler zu sehen. Die weiteren Beanstandungen des Gutachtens sind hingegen formaler Art. So fehlen - nach Vortrag der Beklagten - Ausführung zur Sozial- und Familienanamnese und dazu, wer die Voruntersuchung durchgeführt hat. Auch sei eine Aufteilung in körperlichen, psychischen und neurologischen Befund nicht erfolgt. Hinsichtlich der Bedeutung dieser gerügten Mängel ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Gutachten später inhaltlich überwiegend und in formeller Hinsicht gänzlich ohne jede Veränderung von einem Mitarbeiter der Beklagten an Stelle der Klägerin in Vertretung unterzeichnet und damit übernommen worden ist und an die AOK Mainz-Bingen geschickt wurde. Diese Feststellungen lassen nicht unzweifelhaft auf ein „fehlerhaftes Gutachten“ schließen. 

Hinsichtlich der weiteren Kritikpunkte stellt sich unter dem Gesichtspunkt der ärztlichen Gewissensfreiheit die Frage, ob sich die Klägerin bei ihren Ausführungen nicht im Rahmen des nicht anpassbaren ärztlichen Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum bewegt hat. 

Die Frage der Fehlerhaftigkeit des Gutachtens brauchte jedoch die Kammer nicht abschließend zu. klären, da die Kündigung bereits aus obigen Gründen unwirksam ist. Schließlich würde auch die bei einer verhaltensbedingten Kündigung erforderliche Interessenabwägung ebenfalls zur Sozialwidrigkeit der Kündigung führen. Dabei ist das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung des Arbeitsplatzes dem Interesse des Arbeitgebers an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegenüberzustellen. In diesem Zusammenhang überwiegen nach Auffassung der Kammer die auf Seiten der Klägerin stehenden Interessen. Immerhin arbeitet die Klägerin seit fast 10 Jahren bei der Beklagten und seit 15 Jahren im Öffentlichen Dienst. Ihr früheres Verhalten gab vor dem Gespräch am 20.10.1994 keinen für die Klägerin erkennbaren Anlass zu Beanstandungen. Die Beklagte räumt in ihrem Kündigungsschreiben vom 30. Jan. 1995 ein, dass die Klägerin in den vergangenen Jahren engagiert gearbeitet habe. Die dienstliche Beurteilung aus dem Jahre 1992 attestiert der Klägerin ebenfalls „gute“ Arbeitsleistung. Unter diesen Umständen wäre auch eine einmalige Abmahnung nicht für die Einleitung einer Beendigungskündigung ausreichend. Hinzukommt, dass die 58 Jahre alte Klägerin im Falle einer Kündigung wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben dürfte. Umgekehrt ist für die Kammer nicht ersichtlich, dass die Funktionsfähigkeit der Beklagten durch die Arbeit der Klägerin beeinträchtigt wird. Das Ansehen der Beklagten in der Öffentlichkeit ist wegen der Tätigkeit der Klägerin ebenfalls nicht für die Kammer ersichtlich geschädigt worden.

Die ordentliche Kündigung vom 30. Jan. 1995 ist auch nicht aus personenbedingten Gründen gem. § 1 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt. Soweit die Beklagte ausführt, die Kündigung sei auch aus personenbedingten Gründen erfolgt, kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte die behauptete Minderleistung überhaupt mit psychischen oder physischen Gründen begründet hat. So hat die Beklagte nichts dazu vorgetragen, dass die behaupteten fachlichen Leistungsmängel nicht mangels Beeinflussungsmöglichkeit durch die Klägerin behebbar sein sollen. Die Kammer konnte aber bereits - wie oben dargelegt - eine Minderleistung der Klägerin nicht feststellen. 

Da die ordentliche Kündigung bereits aus diesen Gründen nicht gerechtfertigt gewesen ist, kam es auf eine Überprüfung, ob der Eintritt des Sonderkündigungsschutzes des § 34 Abs. 2 MDK-T treuwidrig verhindert worden ist mit der Folge, dass eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen wäre, der ordnungsgemäßen Anhörung des Personalrats gem. § 82 Abs. 3 und Abs. 4 LPersVG und § 15 SchwbG nicht mehr an.

Nach alle dem war daher der Kündigungsschutzklage stattzugeben. 

Der von der Klägerin geltend gemachte Weiterbeschäftigungsanspruch ist ebenfalls zulässig und begründet.

Ein Weiterbeschäftigungsanspruch kommt im Gegensatz zum Beschäftigungsanspruch im Rahmen eines unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnisses materiell-rechtlich nur für den Zeitraum bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Rechtsstreits in Frage (BAG GS, Urt. v. 27.02.1985, AP Nr. 14 zu § 611 BGB „Beschäftigungspflicht“). Der gestellte Weiterbeschäftigungsantrag war daher dahin auszulegen, dass Weiterbeschäftigung nur bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens begehrt wird.

Da das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis mangels einer wirksamen, ordentlichen Kündigung fortbesteht, ist die Beklagte verpflichtet, die Klägerin zu unveränderten Arbeits- und Vertragsbedingungen weiter zu beschäftigen. Mit der Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 30. Jan. 1995 nicht aufgelöst worden ist, ist auch ein Anspruch der Klägerin auf Weiterbeschäftigung zu den vertraglichen Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses nach §§ 611, 613 BGB i.V. mit § 242 BGB sowie Art. 1, 2 GG gegeben, da nunmehr die Interessen der Klägerin an einer Weiterbeschäftigung die Gegeninteressen der Beklagten überwiegen. Außer der Ungewissheit des endgültigen Prozessausganges - die für sich genommen nunmehr nicht mehr ausreicht - sind besonders belastende Umstände auf selten der Beklagten weder vorgetragen noch sonst ersichtlich (vgl. zum vorstehenden BAG GS, a.a.O.). 

Nach alledem war daher der Klage vollumfänglich stattzugeben. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i.V. mit § 91 ZPO. 

Die Festsetzung des Streitwertes im Urteil ergeht gem. § 61 Abs. 1 ArbGG. Dabei hielt die Kammer für die Kündigungsschutzklage drei Bruttomonatseinkommen für angemessen, § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG. Für den geltend gemachten Weiterbeschäftigungsanspruch war nochmals ein Bruttomonatsgehalt anzusetzen, § 3 ZPO. 



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