Landesarbeitsgericht Sachsen

Beschluss vom - Az: 4 Ta 268/13

Verspätetes Gehalt - Arbeitgeber haftet für erhöhte Steuern

Kommt es zu Gehaltszahlungen für Vorjahre, so können diese Zahlungen zusammen mit den laufenden Gehaltszahlungen im Steuerjahr zu einer progressionsbedingten erhöhten Steuerbelastung führen. Dieser steuerliche Nachteil kann vom Arbeitnehmer als Schaden i. S. d. §§ 249 ff und 286 BGB bei Erfüllung der dort genannten Voraussetzungen geltend gemacht werden (sog. Steuerschaden). Für diesen Steuerschaden ist bei arbeitsrechtlichen Vergütungsansprüchen der Rechtsweg zum Arbeitsgericht gegeben.
(Leitsatz)

Vorliegend hat das Gericht einen Steuerschaden in Höhe von ca. 6.000 € bejaht, weil der Arbeitgeber mit Gehaltszahlungen aus dem Vorjahr in Verzug geraten ist.

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bautzen vom 16.10.2013 - 1 Ca 1116/13 - wird auf Kosten der Beklagten

zurückgewiesen.

2. Der Beschwerdewert wird auf 2.035,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten.

In einem Vorprozess unter dem Aktenzeichen 4 Ca 4223/10 bzw. 2 Sa 80/11 stritten die Prozessparteien einerseits darum, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis besteht und andererseits, ob dieses aufgrund außerordentlicher fristloser Arbeitgeberkündigung mit Schreiben vom 11.12.2009, hilfsweise erklärt zum nächst zulässigen Termin, sein Ende gefunden hat.

Das Arbeitsgericht Bautzen hatte dieser Klage entsprochen. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts wurde rechtskräftig nach mündlicher Verhandlung vom 21. September 2011 zurückgewiesen.

In einem anschließenden Rechtsstreit unter dem Aktenzeichen 4 Ca 4072/12 machte der Kläger nach Obsiegen in der Kündigungsschutzklage Vergütung aus Annahmeverzug für die Jahre 2009, 2010 und 2011 sowie Urlaubsabgeltung und Schadensersatz geltend. Nachdem im Verlaufe des Rechtsstreits teilweise Erledigung in der Hauptsache hinsichtlich der Annahmeverzugsvergütung eintrat, erging am 17.07.2012 - soweit hier von Interesse - folgendes Urteil:

"...

Es wird im Wege des Anerkenntnisurteils festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den Schaden zu ersetzen, der ihm dadurch entstanden ist, dass die Vergütung für die Jahre 2009, 2010 und 2011 nicht in den Jahren 2009, 2010 und 2011, sondern in einer Summe im Jahr 2012 zugeflossen ist.

..."

Dem vorausgegangen waren Vergütungszahlungen im Jahr 2012, die zur Teilerledigung des Rechtsstreits führten und ein entsprechendes Teil-Anerkenntnis zu dem, geschilderten Schadensersatzantrag, der zu dem genannten Teilanerkenntnis- Urteil führte. Das Urteil erlangte Rechtskraft.

Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger von der Beklagten den Ersatz der dem Kläger durch die verspäteten Lohnzahlungen entstandenen Steuerschaden, den er zuletzt auf 6.105,22 € beziffert.

Die Beklagte hält den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig und beantragt, die Verweisung des Verfahrens an das zuständige Finanzgericht.

Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 10.09.2013 (Bl. 73 bis 80 d. A.) und vom 26.09.2013 (Bl. 84 bis 87 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger sieht den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten als gegeben an und verweist darauf, dass es sich vorliegend um die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen als Verzugsschaden für verspätete Lohnzahlungen handele, die dem Grunde nach bereits durch das genannte Anerkenntnisurteil feststünden. Es sei hier lediglich nur noch über die Höhe zu befinden.

Ergänzend wird auf die Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 20.09.2013 (Bl. 89 bis 91 d. A.) Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 16.10.2013 hat das Arbeitsgericht Bautzen den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für zulässig erklärt.

Bezüglich des Inhaltes des Beschlusses vom 16.10.2013 wird auf Bl. 99 bis 103 d. A. verwiesen.

Gegen diesen der Beklagten am 21.10.2013 zugestellten Beschluss ließ die Beklagte durch ihren Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 24.10.2013, beim Arbeitsgericht eingegangen am gleichen Tag, sofortige Beschwerde einlegen und sie mit Schriftsatz vom 03.11.2013 im Einzelnen näher begründen. Bezüglich der Begründung wird auf Bl. 109 bis 112 d. A. verwiesen.

Der Kläger ist der sofortigen Beschwerde der Beklagten mit Schriftsatz vom 12.11.2013 entgegengetreten.

Gemäß Beschluss vom 27.11.2013 hat das Arbeitsgericht Bautzen der sofortigen Beschwerde der Beklagten nicht abgeholfen und sie dem Sächsischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gesamte Akte nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist statthaft (§§ 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG, 48 Abs. 1, 78 Abs. 1 ArbGG). Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 Abs. 1 und 2 ZPO).

2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

Das Arbeitsgericht hat mit in jeder Hinsicht zutreffender Begründung den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für zulässig erklärt. Auf die diesbezüglichen Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung wird daher Bezug genommen.

Auch die Ausführungen in der Beschwerdebegründung rechtfertigen keine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Der rechtliche Ansatz des Arbeitsgerichts ist zutreffend.

Die Zulässigkeit des Rechtswegs folgt aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG. Danach sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis, wobei als Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis alle denkbaren Ansprüche der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber, mithin auch Schadensersatzansprüche, in Betracht kommen (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 8. Auflage, § 2 Rz. 60).

Die Beklagte hat vorliegend die Vergütung des Klägers für die Jahre 2010 und 2011 verspätet, nämlich in einer Gesamtsumme erst im Jahre 2012 gezahlt; sie befand sich damit im Schuldnerverzug.

Die Fälligkeit der Annahmeverzugsvergütung bestimmt sich nach dem Zeitpunkt, in dem die Vergütung bei ordnungsgemäßer Abwicklung fällig geworden wäre. Die Ansprüche entstehen auch während des Kündigungsschutzprozesses unbedingt und werden fällig, wie wenn die Dienste wirklich geleistet worden wären (vgl. nur BAG 10. April 1963 - 4 AZR 95/62 - BAGE 14, 156, 160; 4. Mai 1977 - 5 AZR 187/76 - BAGE 29, 152, 156; Großer Senat 27. Februar 1985 aaO. BAGE 48, 122, 144 f., zu C II 1 b der Gründe). Es bedurfte keiner Abmahnung des Klägers. Die Zahlungen waren nach dem Kalender bestimmt (§ 284 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 614 Satz 2 BGB).

Kommt es zu Gehaltsnachzahlungen für Vorjahre, so können diese Zahlungen zusammen mit den laufenden Gehaltszahlungen im jeweiligen Steuerjahr zu einer progressionsbedingt erhöhten Steuerbelastung führen. Dieser steuerliche Nachteil kann vom Arbeitnehmer als Schaden im Sinne der §§ 249 ff. und 286 BGB bei Erfüllung der dort genannten Voraussetzungen geltend gemacht werden.

Zu dem Verzugsschaden gem. § 286 Abs. 1 BGB kann auch ein durch die verspätete Zahlung entstandener Steuerschaden gehören (vgl. BAG, Urteile vom 23. September 1999 - 8 AZR 791/98 - nv.; vom 23. September 1999 - 8 AZR 792/98 - nv.; vom 27. Mai 1999 - 8 AZR 322/98 - nv.; vom 18. Februar 1999 - 8 AZR 320/97 - nv.; vom 14. Mai 1998 - 8 AZR 633/96 - nv.; vom 14. Mai 1998 - 8 AZR 634/96 - NZA-RR 199, 511; vom 14. Mai 1998 - 8 AZR 158/97 - AuA 1999, 34).

Nach dem im Steuerrecht geltenden "Zuflussprinzip" (§ 11 Abs. 1 Satz 1, § 38 Abs. 2 Satz 2, § 38 a Abs. 1 EStG) sind Arbeitsvergütungen grundsätzlich im Steuerjahr des Zuflusses zu versteuern. Dies gilt auch dann, wenn die Arbeitsvergütung für ein dem Steuerjahr vorangegangenes Beschäftigungsjahr an den Arbeitnehmer nachgezahlt wird. Kommt es danach, wie im Streitfall, zu Nachzahlungen aus den Vorjahren, so kann die einmalige Zahlung zusammen mit der Zahlung der laufenden Arbeitsvergütung im Steuerjahr zu einer "progressionsbedingten" erhöhten Steuerbelastung führen. Auch dieser steuerliche Nachteil kann als Verzugsschaden bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 286 Abs. 1, § 284 Abs. 2 Satz 1, § 285 BGB geltend gemacht werden. Hiergegen lässt sich nicht einwenden, dieser Steuerschaden könne dem Arbeitgeber nicht im Sinne von § 286 BGB normativ zugerechnet werden. Zwar beruht der finanzielle Nachteil des Arbeitnehmers auf einer Anwendung zwingender Steuervorschriften. Zu dem möglichen Steuerschaden ist es aber nur deshalb gekommen, weil die Beklagte als die Arbeitgeberin nicht fristgerecht geleistet hat. Indem das Gesetz dem Arbeitgeber die Erfüllung der steuerrechtlichen Pflichten des Arbeitnehmers treuhänderisch auferlegt, bezweckt es gerade auch den Schutz der steuerlichen Interessen des Arbeitnehmers. Die regelmäßige Zahlung der Bruttovergütung soll ein gleichmäßiges und berechenbares Einkommen des Arbeitnehmers sichern. Die genannten steuerrechtlichen Nachteile sind daher von der Ersatzpflicht mit erfasst. Sie sind das spiegelbildliche Gegenstück für die Anrechnung von steuerlichen Vorteilen im Wege des Vorteilsausgleichs (vgl. BAG, Urteil vom 19.10.2000 - 8 AZR 20/00 - zitiert in juris, hierzu auch BGH 18. Dezember 1969 - VII ZR 121/67 - BGHZ 53, 132, 134).

Vorliegend hat der Kläger mit seiner Klage vom 08.05.2013 von der Beklagten gemäß §§ 286 Abs. 1, 280 Abs. 2 Satz 1, 249 BGB Ersatz des Steuerschadens verlangt. Letztendlich hat die Beklagte dies mit Anerkenntnis, das sich im Anerkenntnisurteil des Arbeitsgerichts vom 17.07.2012 unter Ziff. 1, Az.. 4 Ca 4072/12 befindet, dem Grunde nach diese Ansprüche bereits auch rechtskräftig anerkannt. Bei dem Anspruch des Klägers wegen Steuermehrbelastung bzw. Steuerschadens handelt es sich somit um einen arbeitsvertraglichen Anspruch gem. §§ 280, 249 ff. BGB.

Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausführt, geht es im vorliegenden Rechtsstreit ausschließlich nur noch darum, in welcher Höhe jene Schadensersatzforderungen bestehen.

Eine andere rechtliche Beurteilung des Rechtswegs ergibt sich auch nicht aus der Beschwerdebegründung der Beklagten vom 03.11.2013. Insoweit hat die Beklagte keine neuen Erwägungen zur Zulässigkeit des Rechtswegs mitgeteilt.

Der Schriftsatz der Beklagten verhält sich inhaltlich gerade nicht zu dem Problem der Zulässigkeit des Rechtswegs, sondern die Beklagte macht hier lediglich Ausführungen zu dem materiell-rechtlichen Inhalt der Klageforderung, indem sie die Klage für abweisungsreif hält.

Sofern sich die Beklagte auf materiell-rechtliche Erwägungen zurückzieht, mit dem sie den klägerischen Anspruch zu Fall bringen möchte, ist dies eine Frage der Begründetheit des Anspruches, der dem Hauptsacheverfahren und nicht dem Entscheidungsverfahren über den Rechtsweg vorbehalten bleibt. Nach alledem war daher die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung hat entsprechend § 91 Abs. 1 ZPO zuungunsten der Beklagten auszufallen, weil sie im Beschwerdeverfahren unterlegen ist.

Da nach der gesetzlichen Neuregelung bei dem Zuständigkeitsstreit der Rechtsstreit nicht insgesamt einer Erledigung zugeführt werden kann, ist der Beschwerdewert unterhalb des Hauptsachewerts anzusetzen. Entsprechend gängiger Bewertungsregelung ist eine Festsetzung auf 1/3 des Hauptsachewerts angebracht (vgl. Schneider, Streitwertkommentar, 9. Auflage, Rdnr. 1255).

Ausgehend von der Klageforderung in Höhe von 6.105,22 € beträgt der Beschwerdewert 2.035,00 €.

Diese Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch die Vorsitzende allein ergehen (§§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 568 Satz 1 ZPO, 17 a Abs. 3, Abs. 4 Satz 1, 2 und 3 GVG, 64 Abs. 7, 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG).

Mangels Vorliegen der Voraussetzungen (§ 17 a Abs. 4 Satz 5 GVG i. V. m. §§ 48, 78 ArbGG) bestand keine Veranlassung, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.



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