Arbeitsgericht Koblenz

Urteil vom - Az: 9 Ca 96/03

Vergütungspflicht von Überstunden

Bereitschaftsdienst liegt dann nicht vor, wenn der Arbeitnehmer im unmittelbaren Anschluss an seine regelmäßige Arbeitszeit weiterarbeiten muss. Er leistet dann keinen Bereitschaftsdienst, sondern Überstunden.

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 249,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus § 247 BGB seit dem 16.01.2003 zu zahlen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 249,00 EUR festgesetzt.

III. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Frage, ob dem Kläger weitergehende Vergütungsansprüche für während angeordneten Bereitschaftsdienstes erbrachte Arbeitsleistungen zustehen. Der am ... geborene Kläger ist bei der Beklagten als Anästhesist beschäftigt. Seine durchschnittlichen Bruttobezüge belaufen sich bei Vereinbarung einer tariflichen Arbeitszeit nach dem DRK Tarifvertrag/West von 38,5 Wochenarbeitsstunden auf ca. 2.800,00 EUR. Mit der vorliegend am 10.01.2003 erhobenen und mehrfach geänderten Klage macht der Kläger in zuletzt verbliebenem Anspruchsumfange für den Zeitraum vom 01.01.2002 bis 16.01.2003 die Bezahlung von Überstundenvergütung für während angeordneten Bereitschaftsdienstes erbrachte Arbeitsleistungen insoweit geltend, als diese Arbeiten in der jeweiligen Regelarbeitszeit des Klägers begonnen haben, deren abschließende Erledigung jedoch - ohne zeitliche Unterbrechung - in die Zeit (werktäglich montags bis freitags ab 18.00 Uhr bzw. ab 15.07.2002 ab 18.30 Uhr bzw. samstags und sonntags ab 13.00 Uhr) angeordneten Bereitschaftsdienstes hinein reichen. Hierbei handelt es sich um Arbeiten des Klägers in der Patientenbetreuung, u.a. das Ein- und Ausschleusen der Patienten, die Nachbereitung sowie Vorbereitung weiter anfallender Operationen, die vorzunehmende Dokumentation etc.. Die jeweils gegenüber dem Kläger angeordneten Bereitschaftsdienste (der Stufe B), die die Beklagte gemäß § 14 Abs. 5 i.V.m. § 3 der Anlage 1 zum DRK TV/West vollständig als Bereitschaftsdienst vergütet, schließen sich hierbei zeitlich unmittelbar an die gemäß Dienstplan vorgegebene Arbeitszeit des Klägers an. Die Parteien haben insoweit nach umfänglichem beiderseitigem Vortrag im Prozess zum zeitlichen Umfange der insoweit erbrachten Arbeitsleistungen auf Vorschlag des Gerichts zum Zwecke der Vermeidung einer langwierigen Sachverhaltsaufklärung mit Teilvergleich vom 06.11.2003, der insoweit einen Tatsachenvergleich beinhaltet, folgendes vereinbart: „Die Parteien stellen im Umfange von 30 Zeitarbeitsstunden unstreitig, dass innerhalb des Anspruchszeitraums vom 07.01.2002 bis 16.01.2003 der Kläger im Zeitumfange von 30 Stunden Tätigkeiten innerhalb der Regelarbeitszeit begonnen hat, deren Erledigung in den Bereitschaftsdienst hineingereicht hat, bis diese Arbeiten beendet wurden.“ 

Für entsprechenden Zeitraum beansprucht der Kläger - der Höhe nach unstreitig (falls Anspruchsgrund gegeben) - ihm zustehende Vergütung von à 16,60 EUR brutto für 30 Zeitarbeitsstunden abzüglich gezahlter Bereitschaftsdienstvergütung der Stufe B von 50 % mit einem verbleibenden Betrag von 249,00 EUR brutto. Der Kläger trägt vor, dass entsprechende Arbeitsleistungen als Überstunden vergütungspflichtig seien, wenn sie in die Zeit eines vorher dienstplanmäßig festgelegten Bereitschaftsdienstes fielen. Die Aufnahme einer Arbeitsleistung während des Bereitschaftsdienstes setze hierbei voraus, dass zunächst die reguläre Arbeit beendet worden sei. Insoweit verlagere jedoch die Beklagte in den letzten Jahren zunehmend die „normale“ Arbeitszeit in den Bereitschaftsdienst hinein. Die Beklagte könne hierbei auch nicht ernsthaft behaupten, dass die von ihm insoweit geleisteten Überstunden nicht angeordnet seien; kraft jeweiliger Anweisung der behandelnden Ärzte sei er als diensthabender Anästhesist verpflichtet, die ordnungsgemäße pflegerische Versorgung der Patienten zu gewährleisten. Die Beklagte setze insoweit während der regulären Arbeitszeit jedoch Arbeiten fest, von denen sie im Voraus wisse, dass sei bei ordnungsgemäßer Durchführung in die Zeit angeordneten und sich unmittelbar zeitlich anschließenden Bereitschaftsdienst hinein reichten. 

Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 249,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus § 247 BGB seit dem 16.01.2003 zu zahlen. 

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, dass die jeweils zuvor erfolgte Anordnung von Bereitschaftsdienst der Geltendmachung von Überstunden insoweit entgegenstehe. Der Beginn des Bereitschaftsdienstes verschiebe sich nicht dadurch, dass der Kläger mit Beginn seines Bereitschaftsdienstes die in seiner regelmäßigen Arbeitszeit begonnenen Tätigkeiten fortsetze. Zur Darstellung des Sach- und Streitstandes im Weiteren wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschriften vom 06.02., 03.07. und 06.11.2003 (vgl. Bl. 54-55, 143-145 sowie 158-160 d.A.) Bezug genommen. 

Entscheidungsgründe 

Die Klage ist zulässig und zur Auffassung der Kammer auch in der Sache begründet. 

Für die fraglichen Arbeitsleistungen, die die Parteien für den Anspruchszeitraum vom 07.01.2002 bis 16.01.2003 in zeitlichem Umfange von 30 Zeitarbeitsstunden mit Teilvergleich/Tatsachenvergleich vom 06.11.2003 unstreitig gestellt haben, hat der Kläger nicht etwa Anspruch auf Vergütung von Bereitschaftsdienst der Stufe B gemäß § 14 Abs. 5 DRK TV/West i.V.m. § 3 der Anl. 1 zum DRK TV/West, vielmehr Anspruch auf entsprechende Überstundenvergütung gemäß § 18 DRK TV/West, so dass dem Kläger unter Berücksichtigung als Bereitschaftsdienstvergütung geleisteter Teilvergütung ein Anspruch auf Zahlung restlicher Vergütung von 249,00 EUR brutto gegen die Beklagte zusteht. 

Die Entscheidung des Gerichts beruht auf den nachfolgend gemäß den §§ 313 Abs. III ZPO, 46 Abs. II ArbGG zusammengefassten wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen: Bereitschaftsdienst ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Zeitspanne, während derer der Arbeitnehmer, ohne dass er unmittelbar am Arbeitsplatz anwesend sein müsste, sich für Zwecke des Betriebs an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebs aufzuhalten hat, damit er erforderlichenfalls seine volle Arbeitstätigkeit sofort oder zeitnah aufnehmen kann (BAG 10. Juni 1959 - 4 AZR 567/56 - BAGE 8, 25; 13. November 1986 - 6 AZR 567/83 - AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 27 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 20; BAG Urteil vom 24.10.2000 - 9 AZR 634/99 -; Beschluss vom 18.02.2003 - 1 ABR 2/02). Dem entspricht § 14 Abs. 5 DRK TV. Danach ist der Mitarbeiter bei Bereitschaftsdienst verpflichtet, sich gemäß der Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer von diesem bestimmten Stelle aufzuhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen. Die Bereitschaftsdienste des Klägers als Anästhesist sind mit einer derartigen Aufenthaltsbeschränkung verbunden. Bereitschaftsdienst liegt allerdings zur Auffassung der Kammer dann nicht vor, wenn der Kläger im unmittelbaren Anschluss an seine regelmäßige Arbeitszeit weiterarbeiten muss. Er leistet dann keinen Bereitschaftsdienst, sondern Überstunden. Wird angeordnet, dass der Angestellte über die betriebliche Arbeitszeit hinaus weiter zu arbeiten hat, so ist das nicht die Anordnung von Bereitschaftsdienst, denn dem Angestellten wird nicht die Weisung erteilt, sich an einer vom Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufzuhalten, um erforderlichenfalls die Arbeit aufzunehmen. Vielmehr werden in einem solchen Fall Überstunden angeordnet, denn der Angestellte wird verpflichtet, Arbeitsstunden zu leisten, die über die dienstplanmäßig bzw. betrieblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen (vgl. § 17 Abs. I BAT; zur Anordnung von Überstunden vgl. weiter Urteil des Senats vom 24.10.1990 - 6 AZR 47/89 - AP Nr. 7 zu § 3 BAT; ebenso BAG Urteil vom 26.11.1992 - 6 AZR 455/91 - AP Nr. 20 zu § 17 BAT). 

Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber zuvor in einem Dienstplan Bereitschaftsdienst angeordnet hatte. Der Arbeitgeber darf grundsätzlich in Ausübung seines Weisungsrechts, das Zeit, Ort und Art der Arbeitsleistung umfasst, bestimmen, welche Art von Leistung der Arbeitnehmer zu erbringen hat (vgl. BAG Urteil vom 04.12.1986 - 6 AZR 123/84 - EzBAT SR 2 c Bereitschaftsdienst Nr. 1). Er darf also entweder Bereitschaftsdienst oder Überstunden anordnen und ist auch berechtigt, die in einem Dienstplan im Voraus getroffene Anordnung zu ändern. Statt des zunächst dienstplanmäßig vorgesehenen Bereitschaftsdienstes darf er somit Überstunden anordnen. Gebunden ist der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung nur durch Gesetz, Kollektiv- und Einzelarbeitsvertragsrecht. Tatsächliche Umstände, die unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt zu Bedenken gegen die Wirksamkeit der vom Kläger beanstandeten Anordnungen der Beklagten Anlass geben, sind nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich. Eine Anordnung von Überstunden ist nach § 18 I, II DRK TV/West in dringenden Fällen zulässig. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass diese Voraussetzung gegeben ist, wenn eine Operation nicht innerhalb der regelmäßigen Dienstzeit beendet werden kann oder weitere Operationen vorzunehmen sind. Die Kammer sieht insoweit gegenüber der mit Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 26.11.1992 (a.a.O.) höchstrichterlich entschiedenen Fallkonstellation des Verhältnisses zwischen Überstunden- und Rufbereitschaftsdienstanordnung keinen wesentlichen Unterschied und macht sich insoweit die weiteren Rechtsausführungen des angeführten Urteils des Bundesarbeitsgerichts zu Eigen. Schon begrifflich setzt „Bereitschaftsdienst“ den Aufenthalt des Arbeitnehmers an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebs voraus, damit der Arbeitnehmer seine volle Arbeitstätigkeit „aufnehmen“ kann. Ein „Aufnehmen“ der vollen Arbeitstätigkeit kann jedoch begrifflich nur dann stattfinden, wenn zuvor die „reguläre“ Arbeitstätigkeit beendet wurde. Nach allem war, wie geschehen, zu entscheiden. 

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte als die im Prozess unterlegene Partei gemäß den §§ 91 Abs. I ZPO, 46 Abs. II ArbGG zu tragen. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 3 ZPO, 61 Abs. I ArbGG. 

Die Berufung war gemäß § 64 Abs. III Ziff. 1, 2 ArbGG zuzulassen. Gemäß nachstehender Belehrung hat die Beklagte gegen diese Entscheidung das Rechtsmittel der Berufung.



Sie kennen die Kanzlei Labisch aus folgenden Medien:

Logo SWR1
Logo SWR4
Logo RPR1
Logo Wiesbadener Kurier
Logo Geißener Anzeiger
Logo Wormser Zeitung
Logo Wiesbadener Tagblatt
Logo Main Spitze
Logo Frankfurter Rundschau
Logo Handelsblatt
Logo Allgemeine Zeitung
Logo Darmstädter Echo
Logo Focus
Logo NTV
Logo ZDF WISO
Lexikon schließen
Schließen