Landessozialgericht Baden-Württemberg

Urteil vom - Az: L 8 U 1620/22

Sturz bei Radtour mit potenziellem Mitarbeiter ist kein Arbeitsunfall

1. Zur Ablehnung des Vorliegens eines Arbeitsunfalls bei einem Fahrradausflug, den ein selbständiger Versicherungsmakler an einem Sonntag mit einem ihm bekannten, potentiellen zukünftigen Mitarbeiter/Geschäftspartner unternommen hat.
(Leitsatz des Gerichts)

(2.) Ein Sturz auf dem Heimweg nach einer Radtour mit einem möglichen zukünftigen Mitarbeiter fällt nicht unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn bei der Radtour private Interessen im Vordergrund standen.
(Redaktioneller Orientierungssatz)

Im vorliegenden Fall hatte sich der Kläger, ein selbstständiger Versicherungsmakler, mit einem langjährigen Bekannten zu einer mehrstündigen Fahrradtour verabredet. Während dieser Radtour grillten die beiden und besuchten die Eltern des Klägers. Im Anschluss fuhren beide getrennt nach Hause. Auf dem Nachhauseweg stürzte der Kläger auf einem Feldweg und erlitt einen Unterschenkelbruch. Gegenüber der beklagten Unfallversicherung gab der Kläger an, er habe seinen Bekannten als zukünftigen Geschäftspartner für den Vertrieb und die Kundenberatung gewinnen wollen, sodass die Radtour nicht nur den privaten, sondern auch den betrieblichen Interessen diente. Die Beklagte lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab, da die unfallverursachende Tätigkeit keinen ausreichenden Zusammenhang mit betrieblichen Interessen aufwies – zu Recht.
Die Radtour könne als "Verrichtung mit gemischter Motivationslage" betrachtet werden. Sie sollte sowohl gemeinsamen privaten Interessen als auch nachgeordneten betrieblichen Interessen dienen. Eine solche Verrichtung erfülle den Tatbestand der versicherten Tätigkeit jedoch nur, wenn das konkrete Geschehen hypothetisch auch ohne die private Motivation stattgefunden hätte. Dies sei im konkreten Fall nicht gegeben. Ohne das gemeinsame private Interesse am Radfahren hätten der Kläger und sein Bekannter ihre Begegnung nicht im Rahmen einer Fahrradtour durchgeführt, und es wäre daher auch nicht zu dem Unfall des Klägers auf dem Heimweg von dieser Radtour gekommen.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 28.04.2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Ereignisses vom 12.07.2020 als Arbeitsunfall.

Der im Jahr 1968 geborene Kläger ist als selbstständiger Versicherungsmakler tätig und bei der Beklagten freiwillig unfallversichert. Das Unternehmen wird ausschließlich vom Kläger betrieben, der keine weiteren Mitarbeiter beschäftigt.

Am Sonntag, den 12.07.2020 um 15 Uhr erlitt der Kläger mit seinem E-Bike einen Fahrradunfall. G1, Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfall-, Wiederherstellungschirurgie und Orthopädie, Krankenhaus B1 diagnostizierte im Durchgangsarztbericht vom 12.07.2020 eine Pilonfraktur des OSG rechts und multiple Schürfungen. Der Kläger sei bei einem betrieblichen Ausflug mit dem Fahrrad vom Feld den Berg ca. 5 Meter heruntergestürzt. In der Folgezeit wurde eine dislozierte distale Unterschenkelfraktur rechts mit Gelenkbeteiligung (Pilonfraktur) und Weichteilschaden Grad II im distalen Unterschenkelbereich diagnostiziert.

Der Kläger teilte in der Unfallanzeige vom 18.08.2020 mit, dass er während eines Betriebsausfluges mit dem Rad auf einem Waldweg oberhalb der Weinberge gefahren und durch Unachtsamkeit gestürzt und den Abhang hinuntergerutscht sei und sich überschlagen habe.

Der Kläger gab in einem Fragebogen der Beklagten am 14.09.2020 an, dass neben der ausschließlich aus ihm bestehenden Unternehmensbelegschaft auch ein zukünftiger Mitarbeiter/Geschäftspartner an dem Ausflug teilgenommen habe, den er mündlich hierzu eingeladen habe. Das Programm habe in einem näheren Kennenlernen bestanden. Zweck des Ausflugs sei die künftige Anbindung des potenziellen Mitarbeiters gewesen. In einem weiteren Fragebogen (unterzeichnet am 29.09.2020) gab der Kläger an, dass sich der Unfall zwischen 15 und 16 Uhr auf einem Feldweg zwischen F1 und L1 ereignet habe. Der Kläger habe die Wohnung zwischen 9 und 9.30 Uhr verlassen. "Arbeitsbeginn" sei 10 Uhr gewesen. Die "Arbeitsstätte" sei zwischen 14.30 Uhr und 15.30 Uhr verlassen worden. Ab dem "Ende des Termins" habe der Heimweg ca. 3 km betragen. Die Radtour sei von 13 bis 14 Uhr zwischenzeitlich unterbrochen worden, um dem künftigen Mitarbeiter ein Kundengespräch zu demonstrieren, was der Zweck der Radtour gewesen sei.

In einer telefonischen Befragung des Klägers durch die Beklagte am 13.10.2020 schilderte dieser das Geschehen wie folgt: Er habe sich am Tag des Ereignisses mit R1 verabredet. Dieser sei dem Kläger bereits bekannt gewesen und habe ein neues Betätigungsfeld gesucht. Der Kläger sei auf der Suche nach einem Mitarbeiter für den Vertrieb und die Kundenbetreuung gewesen. Weil beide gern Sport machten und das Wetter schön gewesen sei, habe man sich zu einer Radtour verabredet um nebenbei Geschäftliches zu besprechen. Der Kläger habe seine Wohnung gegen 10 Uhr verlassen um R1 in B2 zu treffen. Von dort seien die beiden über Waldwege zu einem Grillplatz nach S1 gefahren und hätten gegrillt. Im Anschluss habe der Kläger R1 noch zu seinen Eltern mitgenommen, wo er Geschäftliches habe erledigen müssen. Dort habe der Kläger auch sein geschäftliches Verhalten demonstriert. Dies seien für den Kläger vorbereitende Tätigkeiten für ein Arbeitsverhältnis gewesen, welches aber nach dem Unfall nicht zustande gekommen sei. Den Rückweg habe man gemeinsam angetreten, aber noch vor dem Unfall hätten sich die Heimwege getrennt.

Mit Bescheid vom 01.12.2020 lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Es bestehe kein Versicherungsschutz im Rahmen eines Betriebsausfluges, weil ein solcher mangels Mitarbeitern nicht habe vorliegen können. Schließlich dienten Betriebsausflüge der Verbundenheit zwischen Arbeitgeber und Mitarbeitern. Unabhängig davon weise die unfallverursachende Tätigkeit auch keinen ausreichenden Zusammenhang zu betrieblichen Interessen bzw. zur Tätigkeit als Unternehmer auf. Die mehrstündige Fahrradfahrt mit Grillen an einem Sonntag entspringe einer rein privaten Motivation. Selbst wenn man den Besuch bei den Eltern als "dienstliche Angelegenheit" werte, gelte dies für die Fahrradtour nicht. Der auf die private Fahrradtour mit Grillen entfallende Zeitanteil sei um ein Mehrfaches höher als der Zeitanteil des Gespräches mit den Eltern. Der Schwerpunkt der Veranstaltung habe eindeutig auf der freizeitsportlichen Betätigung gelegen. Auch das Besprechen dienstlicher Belange für eine mögliche Einstellung von R1 sei weder wesentlicher Bestandteil des Ausfluges noch Ursache des Sturzes gewesen. Weil der Ausflug nicht im Wesentlichen aus betrieblichen Gründen durchgeführt worden sei, bestehe auch kein Versicherungsschutz auf dem Heimweg über die Wegeunfallversicherung. Ein Betriebsweg habe nicht vorgelegen. Betriebswege würden zur Erfüllung einer Pflicht aus einem Beschäftigungsverhältnis zurückgelegt, was hier nicht der Fall sei. Damit bestehe insgesamt kein Versicherungsschutz hinsichtlich des fraglichen Ereignisses.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers legte mit Schreiben vom 11.12.2020 Widerspruch ein. Es könne für das Vorliegen eines Betriebsausfluges keinen Unterschied machen, ob ein bereits beschäftigter Mitarbeiter oder ein nur künftiger Mitarbeiter den Kläger begleitet habe. Zudem seien im Rahmen der Fahrradtour fast ausschließlich betriebliche Belange erörtert worden. Der Ausflug habe ausschließlich hierfür stattgefunden. Es habe daher ein Wegeunfall vorgelegen.

R1 teilte mit Schreiben vom 09.07.2021 auf Anfrage der Beklagten zum Geschehensablauf mit, dass er als eventueller künftiger Verkäufer/Vertriebspartner an der Ausfahrt teilgenommen habe. Diese sei vom Kläger persönlich veranlasst worden. Der Kläger habe ihn zu einem Betriebsausflug mit dem Rad zu einer Radtour mit Grillen, Essen und Trinken eingeladen. Er habe ihm ein Rad stellen wollen. Dies habe Herr R2 abgelehnt, da er selbst ein eigenes, sehr hochwertiges E-Bike besitze und dies lieber mitbringen wolle. Beginn sei am 12.07.2020 um 10 Uhr gewesen mit Treffpunkt in B2, Abfahrt nach S1 - Waldspielplatz. Dort hätten sie gegessen, getrunken und gegrillt. Später seien sie nach F1 mit den Rädern zu einem Mustertermin gefahren, um ihm verschiedene Vorgehensweisen der Tätigkeit des Klägers zu zeigen. Nach etwa 1 bis 2 Stunden seien sie mit den Rädern wieder Richtung B2 zur Beendigung der Veranstaltung gefahren. Auf dieser Fahrt sei der Unfall passiert. Die Veranstaltung habe dem geschäftlichen Kennenlernen sowie dem Besprechen der Arbeitsabläufe, der gegenseitigen Erwartungen und Provisionsverhandlungen gedient. Im Vordergrund habe das Essen, Grillen, Reden, einander besser Kennenlernen, konkrete Vorgehensweisen Besprechen und einen Workflow Planen gestanden. Hauptbeweggrund sei das bessere, gegenseitige Kennenlernen gewesen, um gemeinsam zu entscheiden, ob sie beruflich zusammenpassten. Da hier eine sehr enge Zusammenarbeit entstehe, sei der persönliche Faktor für beide sehr wichtig.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2021 zurück. Bei einem Ausflug mit einem nur potenziellen Geschäftspartner liege kein Betriebsausflug vor. Aus den objektivierbaren Anhaltspunkten lasse sich auch nicht auf eine eng mit der Tätigkeit als Versicherungsmakler zusammenhängende Verrichtung vor dem Unfall schließen. Von der freiwilligen Unfallversicherung als Unternehmer seien nur unmittelbar unternehmensdienliche Tätigkeiten erfasst, nicht aber Vorbereitungshandlungen zur Geschäftsanbahnung. Ein Zusammenhang zu dem Unternehmen bestehe hinsichtlich der Radtour weder in zeitlicher noch in räumlicher Hinsicht. Es habe kein echter Kundenkontakt stattgefunden und es sei keine Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert verrichtet worden. Eine Terminplanung mit schriftlicher Einladung - wie im geschäftlichen Bereich üblich - habe ebenfalls nicht stattgefunden. Auch eine konkrete Zusammenarbeit mit R1 habe am 12.07.2020 nicht bestanden, weshalb es sich bei dem Gespräch nur um eine nicht versicherte Vorbereitungshandlung gehandelt habe.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat am 03.11.2021 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Der Unfall habe sich im Rahmen eines Gesprächs mit einem künftigen Mitarbeiter für Vertrieb und Kundenbetreuung, R1, ereignet. Bei dem mit dem künftigen Mitarbeiter geführten Gespräch seien ausschließlich betriebliche Belange erörtert worden. Hintergrund sei gewesen, sich geschäftlich Kennenzulernen und Arbeitsabläufe und finanzielle Gestaltung des Arbeitsverhältnisses auszuarbeiten. Um dem künftigen Mitarbeiter die Arbeitsweise im Betrieb des Klägers zu erläutern, habe ein Gespräch bei Kunden stattgefunden, um R1 die erwartete Arbeitsweise darzulegen. Dies werde von der Beklagten nicht bestritten. Diese sehe jedoch den wesentlichen Anteil an der Zusammenkunft im privaten Bereich, was nicht zutreffend sei. Die Tatsache, dass die Besprechung nicht im Betrieb des Klägers stattgefunden habe, widerspreche einer betrieblichen Zusammenkunft nicht. Das Unfallgeschehen habe sich im Übrigen bei der Abfahrt vom Kundenbesuch in F1 ereignet, so dass ein Wegeunfall vorliege. Die Beklagte sei daher verpflichtet, die geforderten Versicherungsleistungen zu erbringen.

Die Beklagte hat zur Klageerwiderung vorgetragen, dass die Ablehnung nicht aufgrund der Tatsache erfolgt sei, dass die Tätigkeit nicht im Betrieb stattgefunden habe. Vielmehr sprächen die Gesamtumstände gegen die Verrichtung einer versicherten Tätigkeit.

Auf Nachfrage des SG, welcher konkreten beruflichen Verrichtung der Kläger am 12.07.2020 bei seinen Eltern nachgegangen sei und ob er ein Kundengespräch mit diesen geführt habe, hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 11.02.2022 erläutert, dass die Eltern des Klägers beabsichtigt hätten, ihr Haus zu verkaufen und in eine andere Immobilie zu ziehen. Gesprächsgegenstand mit den Eltern seien unter anderem die Gebäudeversicherung, Hausratversicherung und die Möglichkeit eines Versicherungsumzugsservices gewesen. Es habe sich um ein reines Geschäftskundengespräch gehandelt. Im Hinblick auf den noch nicht feststehenden Umzugstermin habe es sich um eine reine Beratung gehandelt. Es sei naheliegend gewesen, dass der Kläger für ein beispielhaftes Kundengespräch für R1 das mit seinen Eltern ausgewählt habe, da diese keine Einwendungen gegen die Hinzuziehung eines Dritten gehabt hätten.

Auf Nachfrage des SG, ob Unterlagen zu dem Kundengespräch vorlägen, um den Gesprächsinhalt zu belegen und ob es aufgrund des Gesprächs zu einem Vertragsschluss gekommen sei, hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 25.03.2022 mitgeteilt, dass im benannten Kundengespräch zusammen mit R1 die Vorgehensweise für verschiedene Versicherungen anlässlich des Umzugs besprochen worden sei. Den Kunden sei aufgezeigt worden, dass die Gebäudeversicherung nicht gekündigt werde, sondern an den Gebäudeerwerber übergehe und dieser dann die Möglichkeit einer Sonderkündigung des bestehenden Vertrages habe. Der Kunde sei darüber hinaus davon ausgegangen, dass die Hausratsversicherung zum Umzugstermin enden werde. Auch hier sei beraten worden, dass der Vertrag mitgenommen werden müsse und die Versicherungssumme aufgrund der nach dem Umzug geringeren Wohnfläche reduziert werden könne und dass innerhalb von vier Wochen der Umzugszeit an beiden Anschriften vorübergehender Versicherungsschutz bestehe. Es sei ein Fragebogen zur neuen Wohnfläche ausgefüllt worden, welcher in Kopie beigefügt sei. Die Kunden seien darüber hinaus bezüglich des Umzugsservices, der pauschal 75,00 EUR koste und den gesamten Schriftverkehr mit den Versicherungen im Zuge des Umzuges beinhalte, beraten worden. Es sei darauf hingewiesen worden, dass hiervon auch Verträge mit Versicherungen enthalten seien, die außerhalb des Tätigkeitsbereichs des Klägers lägen. Zum Zeitpunkt des Gesprächs habe es sich noch um eine reine Beratung im Hinblick auf den noch nicht feststehenden Umzugstermin gehandelt. Die Prozessbevollmächtigte hat eine Kopie des Fragebogens eingereicht.

Das SG hat zunächst versucht, R1 in der mündlichen Verhandlung als Zeugen zu befragen. Dieser hat mit Schreiben vom 20.04.2022 mitgeteilt, sich längere Zeit im Ausland zu befinden. Seine vollständige Aussage zum Sachverhalt liege der Beklagten vor. Er berufe sich auf diese Aussage in vollem Umfang.

Das SG hat die Klage nach ergänzender Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 28.04.2022 durch Urteil abgewiesen. Das Ereignis vom 12.07.2020 sei nicht während der Ausübung einer versicherten beruflichen Tätigkeit aufgetreten. Der Kläger sei unmittelbar vor dem Sturz vom Fahrrad nämlich nicht als Versicherungsmakler unternehmerisch tätig gewesen, sondern habe sich auf dem Heimweg befunden. Der Umfang der freiwilligen Versicherung bestimme sich nach dem Unternehmensgegenstand, wie er nach der Antragsbezeichnung als abgrenzbarer Tätigkeitsbereich objektiv zu verstehen sei, auch um eine gefahrtarifliche Einstufung zu ermöglichen. Hier sei also auf die Tätigkeit als Versicherungsmakler abzustellen. Dieser Tätigkeit sei der Kläger spätestens seit der Beendigung der gemeinsamen Radtour mit R1 nicht mehr nachgegangen, selbst wenn diese Radtour als unternehmerische Tätigkeit anzusehen wäre.

Es liege auch kein versicherter Wegeunfall vor, weil die gemeinsame Radtour mit R1 keine versicherte Tätigkeit dargestellt hätte. Damit könne auch der Rückweg von dieser Tour nicht versichert sein. Ebenso wie in der gesetzlichen Unfallversicherung von abhängig Beschäftigten sei auch bei versicherten Unternehmern zwischen betrieblichen, das heißt dem Unternehmen zuzurechnenden, und der privaten Sphäre angehörenden Tätigkeiten zu unterscheiden. Zwar stehe es dem Unternehmer frei, in welcher Art und Weise er sein Unternehmen betreibe. Das könne aber nicht dazu führen, dass ein Unternehmer bei jeder Tätigkeit, die auch nur entfernt im Zusammenhang mit seinem Unternehmen stehe, versichert sei. Lediglich die Hoffnung, bei einer privaten Veranstaltung werde sich die Möglichkeit ergeben, Geschäftsbeziehungen zu pflegen oder anzuknüpfen, stelle dabei keinen ausreichenden Zusammenhang mit dem Unternehmen her. Die Auskünfte des Klägers, wonach er und R1 beide gern Sport machten und das Wetter schön gewesen sei, belegten einen freizeitsportlichen Aspekt der Radtour. Hierfür spreche auch der äußere Geschehensablauf (mehrstündige Fahrradtour, an einem Sonntag, mit Grillen und einem Besuch der Eltern). Ob darüber hinaus auch geschäftliche Motive bestanden hätten, sei nach Durchführung der mündlichen Verhandlung zweifelhaft. Der äußere Rahmen belege dies nicht und aus dem Gespräch mit den Eltern sei kein konkreter geschäftlicher Abschluss resultiert. Die Ausführungen des Klägers zu geschäftlichen Motiven seien zudem nicht überzeugend. So habe er gegenüber dem Gericht einerseits erklärt, dringend nach einem neuen Mitarbeiter gesucht zu haben. Andererseits sei es nicht zu einer beruflichen Kooperation mit R1 gekommen und es sei trotz des Zeitablaufes von inzwischen beinahe zwei Jahren seit dem Ereignis auch ansonsten kein Mitarbeiter eingestellt bzw. kein Geschäftspartner gefunden worden. Hierzu befragt habe der Kläger unter anderem auf pandemiebedingte Veränderungen seines Tätigkeitsfeldes (etwa bei Kundenkontakten) verwiesen. Dies überzeuge nicht, nachdem zum Zeitpunkt des Ereignisses bereits der erste Lockdown beendet gewesen und pandemiebedingte Veränderungen längst eingetreten seien. Dennoch habe sich der Kläger mit R1 getroffen. Des Weiteren habe der Kläger eingeräumt, dass er R1 zum Zeitpunkt des Ereignisses aufgrund geschäftlicher Kontakte bereits recht gut gekannt habe. Dies lasse ein geschäftliches Motiv des Kennenlernens wenig plausibel erscheinen.

Das SG könne dahinstehen lassen, ob die dargestellten Zweifel durchgreifen würden. Auch bei Annahme zusätzlicher geschäftlicher Motive sei die Radtour mit Besuch der Eltern nämlich als ein Handeln mit gemischter Motivationslage einzustufen. Bei schlechtem Wetter oder einem Fehlen der freizeitsportlichen Motivation eines Teilnehmers wäre keine Radtour unternommen worden und es wäre damit auch nicht zum Sturz des Klägers vom Rad gekommen. Ein Gespräch mit den Eltern hätte ggf. stattgefunden, nicht aber die Radtour. Eine versicherungsbezogene Handlungstendenz lässt sich unter diesen Umständen objektiv nicht erkennen. Das Absolvieren der Radtour stelle daher keine versicherte Tätigkeit dar, die einen nachgelagerten Schutz in der Wegeunfallversicherung begründen könne. Das Ereignis sei auch weder während eines versicherten Betriebsausfluges noch auf einem Betriebsweg geschehen.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat gegen das ihr am 09.05.2022 zugestellte Urteil am 02.06.2022 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie hat zur Berufungsbegründung im Wesentlichen auf ihr bisheriges Vorbringen verwiesen. Der Kläger habe sich auf dem Heimweg befunden. Dieser sei entgegen den Ausführungen des SG versichert. Der Kläger habe eine Zusammenkunft mit R1 zum Zwecke einer möglichen späteren Zusammenarbeit durchgeführt. Anlässlich dieser Zusammenkunft sei auch ein Kundengespräch durchgeführt worden, um R1 die Abläufe bei einem solchen Gespräch nahezubringen. Die Verbindung mit einer Radtour, d.h. Aufsuchen der Kunden mit dem Fahrrad anstelle des Dienstfahrzeuges ändere nichts an der Geschäftsbezogenheit. Aufgrund der Wetterlage hätte der Kläger das Rad an jenem Tage auch dann benutzt, hätte R1 seinerseits ein anderes Verkehrsmittel gewählt. Der Kläger habe, was zutreffend sei und gegebenenfalls nachweisbar, häufig zu Kundenbesuchen das Fahrrad benutzt, so auch am Unfalltag. Soweit das SG Zweifel an den geschäftlichen Motiven hege, sei dies nicht nachvollziehbar. Dass am selben Tag kein Geschäftsabschluss getätigt worden sei, stehe zum Vorbringen des Klägers nicht im Widerspruch. Ebenso wenig gelte dies aufgrund der Tatsache, dass es nicht zu einer beruflichen Zusammenarbeit mit R1 gekommen sei. Diese sei auch daran gescheitert, dass sich R1 beruflich anderweitig orientiert habe. Unternehmerische Entscheidungen des Berufungsklägers hätten sich in der Folgezeit ebenfalls pandemiebedingt anders entwickelt als zunächst geplant. Zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens sei nicht absehbar gewesen, wie lange die Branche unter den Auswirkungen leiden werde. Das SG gehe daher fehl in der Annahme, dass eine gemischte Motivationslage vorgelegen habe, was die Heimfahrt vom Kundengespräch anbelange.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 28.04.2022 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 01.12.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.10.2021 festzustellen, dass das Unfallereignis vom 12.07.2020 ein Arbeitsunfall in Gestalt eines Wegeunfalls ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat zur Berufungserwiderung auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden sowie im angefochtenen Urteil verwiesen. Zudem hat die Beklagte angeführt, dass die Ausführungen in der Berufungsbegründung mit dem Anschein einer vorrangig geschäftlichen Verrichtung am Unfalltag verwunderten. Der Unfall habe sich an einem Sonntag ereignet und das einzige geplante "Kunden"gespräch habe mittags in 1 bei den Eltern/Kindern des Klägers stattgefunden. Das Gespräch habe nach Angaben des Klägers lediglich dazu dienen sollen, seine Arbeitsweise zu zeigen. Weitere Kontakte mit anderen Personen/Kunden seien an diesem Tag nicht geplant gewesen. Maßgeblich für den Unfall sei eine aus privaten Motiven durchgeführte Tätigkeit. Es liege auch kein Versicherungsschutz im Rahmen einer gemischten Tätigkeit oder einer gemischten Motivationslage vor.

Die Berichterstatterin hat den Rechtsstreit am 24.04.2023 nicht öffentlich mit den Beteiligten erörtert.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 25.05.2023 vorgetragen, dass auch wenn zu den Verrichtungen eines Unternehmers kaufmännische Tätigkeiten und Personalangelegenheiten gehörten, nach objektiver Betrachtungsweise das Fahrradfahren im Rahmen der Fahrradtour als Freizeit- und Sportmöglichkeit nicht im Zusammenhang mit der freiwilligen Unternehmerversicherung für den Unternehmenszweck "Versicherungsagentur" stehe. Die mehrstündige Fahrradtour mit einer längeren Pause zum Grillen überschreite die Grenzen üblicher Personalangelegenheiten in einer Ein-Personen-Versicherungsagentur und damit den inneren Zusammenhang deutlich. Dies insbesondere auch deswegen, weil Art und Weise der Zusammenarbeit mit R1 zu diesem Zeitpunkt noch sehr unbestimmt und offen gewesen sei. Dass der Sportcharakter im Vordergrund des Ausfluges gestanden habe, sei auch daran zu erkennen, dass sich Fahrradfahren aufgrund der erschwerten Kommunikation nicht für umfassende Gespräche geeignet habe und nach Aussage des Klägers im Erörterungstermin dafür die Zeit beim Grillen genutzt worden sei. Selbst wenn man das Beratungsgespräch bei den Eltern des Klägers als versichert ansehe, so wäre auch ohne dieses versicherte Element nach der tatsächlichen Tagesgestaltung der damit verbundene Rückweg nach Hause erfolgt. Der Weg zum Unfallzeitpunkt sei wesentlich von dem Merkmal geprägt gewesen, den mit R1 durchgeführten Fahrradausflug zu beenden. Es sei keine objektiv versicherungsbezogene Handlungstendenz zu erkennen, dass das Fahrradfahren zum Unfallzeitpunkt im inneren Zusammenhang mit der bei der Beklagten versicherten Unternehmertätigkeit stehe. Auch bei teilweiser oder völliger Streckenidentität mit einer versicherten Verrichtung sei die private Handlungstendenz hierdurch nicht aufgehoben worden.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG erklärt.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

 

Gründe

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 01.12.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.10.2021, mit dem die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 12.07.2020 als versicherter Arbeitsunfall abgelehnt hat.

Gemäß § 54 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 56 SGG ist die Kombination einer Anfechtungs- mit einer Feststellungsklage zulässig. Die Anfechtungsklage richtet sich zulässig gegen die Ablehnung des vom Kläger bei der Beklagten verfolgten Anspruchs auf Feststellung des geltend gemachten Arbeitsunfalls. Die Feststellungsklage ist statthaft auf die gerichtliche Feststellung eines konkreten Rechtsverhältnisses i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, nämlich des geltend gemachten Versicherungsfalls, gerichtet. Der Eintritt eines Versicherungsfalls i.S. des § 7 Abs. 1 SGB VII bedeutet die Begründung eines konkreten, nach Inhalt und Umfang durch den Versicherungsfall bestimmten Leistungsrechtsverhältnisses zwischen dem Versicherten und einem bestimmten Unfallversicherungsträger, aus dem konkrete Rechte auf Versicherungsleistungen entstehen können, aber nicht müssen (vgl. BSG, Urteil vom 15.05.2012 – B 2 U 8/11 R –, juris Rdnr. 10 ff.). Zurecht hat auch der Kläger nach dem Hinweis des SG vom 03.12.2021 den Klageantrag auf Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht aufrechterhalten. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. hierzu zuletzt BSG, Urteil vom 16.03.2021 – B 2 U 17/19 R –, juris Rdnr. 14) ist die pauschale Ablehnung aller Leistungen durch den Unfallversicherungsträger in einem die Feststellung eines Versicherungsfalls ablehnenden Bescheid in der Regel nicht als verbindliche Entscheidung über Leistungsansprüche auszulegen.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten gehört nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang). Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; ständige Rechtsprechung vgl. BSG, Urteil vom 30.03.2017 - B 2 U 15/15 R - juris Rdnr. 14 m.w.N.; BSG, Urteil vom 15.11.2016 - B 2 U 12/15 R - juris Rdnr. 14 m.w.N).

Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist erforderlich (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005 – B 2 U 5/04 R –, juris Rdnr. 12 ff.), dass das Verhalten des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Es muss eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der innere bzw. sachliche Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Entscheidend für die Beurteilung, ob eine bestimmte Handlung in einem solchen rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang mit dem Kernbereich der versicherten Tätigkeit steht, ist die Gesamtheit aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalls. Innerhalb dieser Wertung stehen bei der Frage, ob der Versicherte zur Zeit des Unfalls eine versicherte Tätigkeit ausgeübt hat, Überlegungen nach dem Zweck des Handelns mit im Vordergrund. Maßgeblich ist die Handlungstendenz des Versicherten. Die für den Versicherungsschutz notwendige Handlungstendenz kommt in dem von der Rechtsprechung verwendeten Begriff der dem Unternehmen "dienlichen", "dienenden" oder "zu dienen bestimmten" Tätigkeit zum Ausdruck. Die Tätigkeit muss mit einer fremdwirtschaftlichen Zweckbestimmung und nicht zur Verfolgung eigener Angelegenheiten, so genannter höchstpersönlicher bzw. eigenwirtschaftlicher Tätigkeiten, erfolgen. Die Annahme einer auf die Belange des Unternehmens gerichteten Handlungstendenz setzt entsprechend voraus, dass anhand objektiver Kriterien ein nachvollziehbarer Zusammenhang mit dem Unternehmen anzunehmen ist. Wie bei allen anderen Zurechnungsentscheidungen sind für die Beurteilung des Unfallversicherungsschutzes alle Umstände des Einzelfalls und das sich daraus ergebende Gesamtbild in Betracht zu ziehen. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Organisation des Unternehmens einerseits und die Einordnung der Gesamttätigkeit des in diesem Unternehmen wie ein Beschäftigter Tätigen andererseits. Weiter sind Umfang und Zeitdauer der verrichteten bzw. vorgesehenen Tätigkeit(en) zu berücksichtigen (BSG, a.a.O).

Das SG hat in dem angefochtenen Urteil schlüssig und überzeugend ausgeführt, dass der Kläger bei dem Unfallereignis vom 12.07.2020 nicht gesetzlich unfallversichert war, da er weder eine versicherte Tätigkeit verrichtete, noch sich auf einem versicherten Weg befand.

Der Senat stellt zunächst fest, dass sich der Unfall und die Umstände des Radausfluges am 12.07.2020 so zugetragen haben, wie sie vom Kläger sowie von R1 übereinstimmend geschildert wurden. Der Senat hat keine konkreten Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers bzw. des Zeugen R1, so dass es auch keiner nochmaligen Anhörung von R1 durch den Senat bedurfte (vgl. hierzu Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 13. Auflage 2020, § 129 Rdnr. 2c sowie BSG, Beschluss vom 06.10.2020 – B 2 U 127/20 B –, juris m.w.N.), zumal sämtliche Angaben des Klägers und des Zeugen R1 auch durch objektive Kriterien bzw. Indizien gestützt werden. Der Senat legt daher den Geschehensablauf so zugrunde, wie er vom Kläger und von R1 geschildert wurde.

Somit hat der Senat auch die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger aus der Motivation heraus, möglicherweise eine berufliche Kooperation mit R1 anzufangen, die Radtour unternommen hat. Zugleich hat er jedoch auch als Rahmen eine Radtour gewählt, da sowohl er als auch R1 gerne Sport treiben und Rad fahren. Insofern handelt es sich um eine sportliche Freizeitbeschäftigung, welche zudem von Berufstätigen zwar nicht nur, aber überwiegend am Wochenende ausgeübt wird. Durch die gemeinsame Radtour an einem Sonntag konnten beide daher gewissermaßen sowohl ihrem Freizeit- und Sportbedürfnis nachkommen, als auch sich zum Zwecke einer möglichen beruflichen Kooperation näher kennenlernen. Die Radtour stellt somit eine sogenannte "Verrichtung mit gemischter Motivationslage" dar. Der Senat stellt desweiteren fest, dass nach den Einlassungen des Klägers zu den Begleitumständen seines Unfalls die Durchführung der Radtour als Tätigkeit erfolgte, die sowohl gemeinsamen privaten Interessen (Radtouren fahren) als auch – allerdings insoweit untergeordnet bzw. nachrangig – betrieblichen Interessen dienen sollte (gegenseitiges Kennenlernen, Beobachten des Verhaltens bei Kundengesprächen). Dies ergibt sich etwa aus der Schilderung des Klägers vom 13.10.2020, man "habe sich zu einer Radtour verabredet um nebenbei (sic) Geschäftliches zu besprechen". Die gemeinsame Aktivität war im Wesentlichen durch das gemeinsame Interesse des Klägers und R1 am Radfahren als Freizeitbeschäftigung gekennzeichnet, wofür auch der zeitliche Umfang der Fahrradtour im Verhältnis zu dem eigentlichen, simulierten Kundengespräch spricht. Auch der Senat kann unter Berücksichtigung der Umstände der mehrstündigen Tour mit Grillen an einem Sonntag und eingeschobenem Besuch bei den Eltern des Klägers keinen Unterschied zu einer normalen Freizeitbeschäftigung an einem Sonntag feststellen. Die Radtour erfolgte daher nicht aus rein betrieblichen Gründen als alleiniges Motiv, sondern auch zur Freizeitgestaltung.

Von einer – hiervon abzugrenzenden – sogenannten "gemischten Tätigkeit" kann im Gegensatz hierzu nicht ausgegangen werden, denn eine gemischte Tätigkeit setzt (zumindest) zwei gleichzeitig ausgeübte untrennbare Verrichtungen voraus, von denen (wenigstens) eine den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt, etwa das Durchführen eines geschäftlichen Telefonats bei einem privaten Spaziergang (BSG, Urteil vom 26. Juni 2014 – B 2 U 4/13 R –, SozR 4-2700 § 8 Nr 52, Rn. 20). Hier war jedoch die Gesamtunternehmung "Fahrradtour" als Freizeitbeschäftigung mit gleichzeitigem Kennenlernen mit geschäftlicher Motivation ausgestaltet, so dass sich eine eindeutig abtrennbare versicherte Beschäftigung nicht erkennen lässt. Denn auch das Fahrradfahren an sich diente gleichzeitig dem gegenseitigen Kennenlernen und bewirkte dieses.

Demnach lag hier ein Handeln mit gemischter Motivationslage vor, wobei dann erst auf dem Heimweg von diesem Handeln mit gemischter Motivationslage der Unfall des Klägers geschah. Bei einem Handeln mit gemischter Motivationslage wird nur eine einzige Verrichtung ausgeübt, die aber gleichzeitig sowohl einen privatwirtschaftlichen als auch betrieblichen, auf die Erfüllung eines Versicherungstatbestandes gerichteten Zweck verfolgt. Daher wird auch von Tätigkeiten mit einer gespaltenen Handlungstendenz gesprochen (BSG vom 09.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 39 RdNr. 23 und vom 18.06.2013 - B 2 U 7/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 48 RdNr. 14 m.w.N.).

Eine solche Verrichtung mit gemischter Motivationslage erfüllt dann den Tatbestand der versicherten Tätigkeit, wenn das konkrete Geschehen hypothetisch auch ohne die private Motivation des Handelns vorgenommen worden wäre, wenn also die Verrichtung nach den objektiven Umständen in ihrer konkreten, tatsächlichen Ausgestaltung ihren Grund in der versicherten Handlungstendenz findet. Insoweit ist nicht auf Vermutungen über hypothetische Geschehensabläufe außerhalb der konkreten Verrichtung und der objektivierten Handlungstendenz, sondern nur auf die konkrete Verrichtung selbst abzustellen. Es ist zu fragen, ob die Verrichtung, so wie sie durchgeführt wurde, objektiv die versicherungsbezogene Handlungstendenz erkennen lässt (BSG vom 09.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 39 RdNr. 24 m.w.N.; zitiert nach BSG, Urteil vom 26. Juni 2014 – B 2 U 4/13 R –, SozR 4-2700 § 8 Nr. 52, Rn. 20; zuletzt BSG, Urteil vom 28.06.2022 – B 2 U 16/20 R –, juris Rdnr. 16).

Dies ist vorliegend zu verneinen. Die konkret zum Unfall führende Verrichtung hatte keine solche versicherungsbezogene Handlungstendenz. Denn ohne das gemeinsame private Interesse am Radfahren hätten der Kläger und Herr R2 ihr Kennenlernen nicht im Rahmen einer Fahrradtour durchgeführt, und es wäre insofern auch nicht zu dem unfallverursachenden Unfall des Klägers auf dem Heimweg von dieser Radtour gekommen.

Auch kommt weder ein Versicherungsschutz als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung noch als betrieblicher Wegeunfall in Betracht. Hierauf weist das SG ebenfalls zutreffend hin. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass bei versicherten Unternehmern ebenso wie in der gesetzlichen Unfallversicherung von abhängig Beschäftigten zwischen betrieblichen, das heißt dem Unternehmen zuzurechnenden, und der privaten Sphäre angehörenden Tätigkeiten zu unterscheiden ist. Allerdings ist die Abgrenzung hier oft schwieriger, weil es dem Unternehmer freisteht, in welcher Art und Weise er sein Unternehmen betreibt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.04.2011 – L 3 U 238/09 –, juris Rdnr. 27). Das kann aber nicht dazu führen, dass ein Unternehmer bei jeder Tätigkeit, die auch nur entfernt im Zusammenhang mit seinem Unternehmen steht, versichert ist. Es reicht in der Regel nicht aus, um einen Unternehmer als Versicherten zu behandeln, wenn eine Tätigkeit lediglich als Werbung, Kundendienst oder zur Pflege des Ansehens des Unternehmens vorgenommen wird, wie auch reine Freundschafts- und Gefälligkeitshandlungen nicht zur Versicherung des Unternehmers führen, selbst wenn sie in einer dem Betrieb liegenden Tätigkeit bestehen. So ist ein Unternehmer versichert, wenn er unmittelbare Werbung für sein Unternehmen betreibt, Kunden besucht, um die Geschäftsverbindungen aufrecht zu erhalten oder um neue Verbindungen anzuknüpfen. Handelt es sich jedoch um Verrichtungen, welche der privaten Sphäre des Unternehmers zuzurechnen sind, ist der Unternehmer regelmäßig nicht versichert, es sei denn, geschäftliche Dinge stehen erkennbar im Vordergrund. Bei einer privaten Veranstaltung dagegen ist der Unternehmer nicht versichert, auch wenn der Veranstalter ein Geschäftspartner oder möglicher Kunde ist. Hierbei sind die bestehenden oder möglichen geschäftlichen Beziehungen nur der äußere Anlass für eine private, mit dem Unternehmen nicht eng zusammenhängende Tätigkeit. Das gilt auch, wenn bei einer solchen Gelegenheit die eine oder andere geschäftliche Frage besprochen wird, ohne dass dies ausdrücklich oder stillschweigend vorher vereinbart war. Die Veranstaltung verliert dadurch nicht ihr privates Gepräge. Etwas Anderes kann nur gelten, wenn der Unternehmer an einer privaten Veranstaltung in der festen Absicht teilnimmt, die Gelegenheit zu benutzen, um bestimmte, sein Unternehmen betreffende geschäftliche Angelegenheiten zu besprechen. Für ihn steht dann der Unternehmenszweck im Vordergrund. Schließlich ist ein Unternehmer bei einer privaten Veranstaltung auch dann versichert, wenn er nach den Umständen vernünftigerweise damit rechnen muss, er werde seinem Unternehmen schaden, wenn er nicht teilnehme. Auch hier prägt der Unternehmenszweck das Handeln des Unternehmers. Lediglich die Hoffnung, bei einer privaten Veranstaltung werde sich die Möglichkeit ergeben, Geschäftsbeziehungen zu pflegen oder anzuknüpfen, stellt ebenso wenig einen engen Zusammenhang mit dem Unternehmen her, wie der Umstand, dass man sich sehen lässt, um nicht vergessen oder bekannt zu werden. Ein privates Zusammensein unter Geschäftsfreunden oder auch mit anderen, das wesentlich der Unterhaltung, Zerstreuung oder Erbauung dienen soll, ist grundsätzlich der privaten und nicht der geschäftlichen Sphäre der Teilnehmer zuzuordnen (BSG, Urteil vom 30.07.1981 – 8 /8a RU 58/80 –, juris Rdnr. 20 f.).

Der Senat stellt vorliegend fest, dass im Zeitpunkt des Unfalls keine versicherungsbezogene Handlungstendenz vorlag. Der Kläger befand sich nicht mehr bei dem Beratungsgespräch bei seinen Eltern, sondern wieder auf dem Rad auf der Heimfahrt. Somit stand nicht das Näherbringen von Arbeitsweisen und eine mögliche Anstellung von R1 im Mittelpunkt, sondern die Freizeitbetätigung Radfahren. Während des Radfahrens kann zudem eine vertiefte Kommunikation schwerer stattfinden, als bei der Grillpause oder dem Beratungsgespräch bei den Eltern, auch wenn dies von der Streckengestaltung und dem Fahrtempo abhängig ist. Insofern tritt der berufliche Aspekt bei dem konkreten Geschehen, welches zum Unfall führte, hinter den Freizeitaspekt zurück. Der geschäftliche Bezug muss jedoch bei einer gemischten Motivationslage bei der konkreten Verrichtung nach außen erkennbar und eindeutig objektivierbar sein. Hierfür reicht allein eine generelle Geeignetheit der Umstände nicht aus (vgl. so auch Bayerisches LSG, a.a.O. sowie LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.11.2018 – L 6 U 441/18 –, juris Rdnr. 57).

Vorliegend kommt hinzu, dass sich der Unfall zu einem Zeitpunkt ereignet hat, in dem sich der Kläger und R1 bereits getrennt hatten und jeder allein den Rest des Heimwegs auf dem Fahrrad angetreten hatte. Auch die Phase des gegenseitigen Kennenlernens war bereits beendet, als der Unfall geschah. Ein Versicherungsschutz kommt somit auch nicht unter dem Aspekt des Rückweges von einem geschäftlichen Termin in Betracht, da die Radtour als Gesamt-Unternehmung nicht als überwiegend betriebliche Tätigkeit zu qualifizieren ist, sondern wesentlich und überwiegend durch den Freizeitaspekt geprägt war. Somit lag auch bezogen auf die Verrichtung im Zeitpunkt des Unfalls eine rein private Handlungstendenz vor. Dass dies möglicherweise anders zu bewerten wäre, wenn der Kläger während des Beratungsgesprächs einen Unfall erlitten hätte, kann dahingestellt bleiben, da der Kläger sich im Zeitpunkt des Unfalls tatsächlich wieder auf dem Rad befand und sich auch bereits von R1 verabschiedet hatte. Auch soweit der Kläger vorträgt, dass er auch unter der Woche häufig das Rad zu Kundenbesuchen nutze, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Bei einer mehrstündigen Radtour mit Grillen am Sonntag steht der Freizeit- und Sportaspekt eindeutig im Vordergrund und kann daher nicht mit dem Zurücklegen von Betriebswegen mit dem Rad als reines Fortbewegungsmittel unter der Woche verglichen werden.

Der Senat gelangt daher zum Ergebnis, dass der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls vom 12.07.2020 keine versicherte Tätigkeit verrichtet hat und sich auch nicht auf einem versicherten Weg befand und daher der Unfall nicht als versicherter Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 SGB VII anzuerkennen ist.

Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.



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