Landesarbeitsgericht Nürnberg

Urteil vom - Az: 8 Sa 164/22

Sozialplan: Abfindungskürzung für rentennahe Arbeitnehmer kann gerechtfertigt sein

Eine Abfindungsregelung in einem Sozialplan, die für die Arbeitnehmer, die vor Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet haben und die nach dem 24-monatigen Bezug von Arbeitslosengeld I entweder eine vorzeitige Altersrente mit Abschlägen oder die Regelaltersrente in Anspruch nehmen können, eine Kürzung der Standardabfindung auf ¼ vorsieht, stellt eine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nach § 10 Nr. 6 AGG dar. Die Betriebsparteien haben dabei die Höhe der den betroffenen Arbeitnehmern konkret zustehende Altersrente nicht zu berücksichtigen.
(Leitsatz des Gerichts)

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 16.12.2021 - Az.: 5 Ca 86/21 - wird auf Kosten des Berufungsklägers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Höhe der dem Kläger aus dem Sozialplan vom 13.01.2021 zustehenden Abfindung.

Der am 16.12.1958 geborene Kläger war seit 02.01.1995 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Knüpfer zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt in Höhe von EUR 2.494,79 beschäftigt. Mit Schreiben vom 25.01.2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers ordentlich zum 31.08.2021. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.08.2021 steht mittlerweile rechtskräftig fest.

Die Beklagte und der bei ihr gewählte Betriebsrat schlossen am 13.01.2021 einen Sozialplan zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern, die aufgrund der im Interessenausgleich vom 13.01.2021 beschriebenen Maßnahmen betroffen sind, entstehen.

"§ 3 Abfindungen" des Sozialplanes lautet auszugsweise:

(1) Erfasste Arbeitnehmer erhalten zum Ausgleich des Verlustes des Arbeitsplatzes eine Brutto-Abfindung gemäß den nachfolgenden Regelungen, soweit nachfolgend nicht etwas Abweichendes geregelt ist.

(2) Die Höhe der Abfindung berechnet sich wie folgt:

Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsverdienst x 0,6 x Altersfaktor

Die Betriebspartner vereinbaren folgende Altersfaktoren:

• bis zur Vollendung des 61. Lebensjahres: 1,0

• ab Vollendung des 62. Lebensjahres: 0,25

Bis zur Vollendung des 61. Lebensjahres beträgt die Abfindung jedoch höchstens EUR 70.000,00 (brutto), ab Vollendung des 62. Lebensjahres beträgt die Abfindung höchstens EUR 35.000,00 (brutto). Darüber hinausgehende Beträge werden gekappt (Höchstbeträge).

Der Sozialplan trat am 13.01.2021 in Kraft.

Nachdem der Kläger zum Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet hatte, errechnete die Beklagte dessen Abfindung mit einem Altersfaktor 0,25. Dies ergab eine Abfindung in Höhe von EUR 9.249,21. Die Regelaltersrente kann der Kläger ab 01.01.2025 beanspruchen. Laut der von ihm selbst vorgelegten Rentenauskunft weist der Kläger eine Wartezeit von 516 Monaten und damit 43 Jahren auf und kann als langjährig Versicherter eine vorgezogene Altersrente mit Abschlägen ab dem 63. Lebensjahr, d. h. ab 01.01.2022 beanspruchen.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Regelung in § 3 Abs. 2 des Sozialplanes altersdiskriminierend und auch nicht nach § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG gerechtfertigt sei. Es bestünde keine rechtliche Bewertungsgrundlage, dass der Kläger, wenn er zum Beispiel am 01.02.1959 geboren wäre, mehr soziale Absicherung bedurft hätte, als mit seinem Geburtsdatum 16.12.1958. § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG rechtfertige eine Benachteiligung älterer bezüglich Sozialplanleistungen für den Fall, dass sie wirtschaftlich abgesichert seien. Die von den Betriebspartnern gewählte Sozialplangestaltung unterliege jedoch zusätzlich einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 10 Satz 2 AGG. Die Interessen der benachteiligten Arbeitnehmergruppen dürften nicht unverhältnismäßig stark vernachlässigt werden.

Durch die Regelung des § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alternative AGG habe der Gesetzgeber den Betriebsparteien ermöglichen wollen, Arbeitnehmer, die sofort oder im Anschluss an den Arbeitslosengeldbezug vorgezogenes Altersruhegeld beanspruchen können, stärker an den tatsächlich eintretenden wirtschaftlichen Nachteilen zu orientieren, die diesen durch den bevorstehenden Arbeitsplatzverlust und darauf zurückgehende Arbeitslosigkeit drohten. Mit Arbeitslosengeld sei ausschließlich das Arbeitslosengeld I gemeint. Unter Zugrundelegung einer maximalen Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I von 24 Monaten ergebe sich für den Kläger bis zur Rentenberechtigung ein Leerlauf von einem Jahr. Die Unverhältnismäßigkeit des Altersfaktors von 0,25 ergebe sich zudem aus dessen starker und sprunghafter Abweichung zum Standardfaktor im Verhältnis 1 zu 4. Dem § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG sei als Ausnahmevorschrift immanent, dass dieser Differenzierungen zugunsten jüngerer Arbeitnehmer nur in den Grenzen enger Voraussetzungen zulasse. Die hinreichende wirtschaftliche Absicherung der von Leistungen des Sozialplans ausgeschlossenen Arbeitnehmern sei gerade eine solche Voraussetzung. § 3 Abs. 2 des Sozialplans benachteilige gerade nicht nur Beschäftigte, die wirtschaftlich hinreichend abgesichert seien. Die Sozialplangestaltung dürfe die Interessen der benachteiligten Arbeitnehmergruppe nicht unverhältnismäßig benachteiligen. Es sei der Umstand zu beachten, ob die Arbeitnehmer der benachteiligten Altersgruppe lediglich eine gekürzte vorgezogene Altersrente in Anspruch nehmen können. Der Kläger sei nicht durch eine Rentenberechtigung hinreichend abgesichert. Die Regelaltersrente könne er erst ab dem 01.01.2025 in Anspruch nehmen. Er habe ohnehin nur eine Regelaltersrente zu erwarten in Höhe von EUR 745,49. Der Renteneintritt zum 01.01.2022 beziehe sich ausschließlich auf den Fall der Voraussetzungen einer langjährigen Versicherung und führe zu einer erheblichen Kürzung seiner Rente. Der angesetzte Faktor von lediglich 0,25 sei nicht geeignet, die entstehenden wirtschaftlichen Nachteile zumindest ansatzweise auszugleichen. Ihm stünde deshalb eine Sozialplanabfindung in Höhe von insgesamt EUR 36.996,84 brutto zu.

Der Kläger beantragte erstinstanzlich:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Sozialplanabfindung in Höhe von 36.996,84 EUR brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz nach Rechtskraft des Kündigungsschutzklageurteils zu bezahlen.

Die Beklagte beantragte,

die Klageabweisung.

Die in § 3 Abs. 2 des Sozialplans unmittelbar auf dem Merkmal des Alters beruhende Ungleichbehandlung der Arbeitnehmergruppe, die das 62. Lebensjahr vollendet haben, sei nach § 10 Satz 3 Nr. 6 und Satz 2 AGG zulässig. Es sei zulässig, wenn die Betriebsparteien im Rahmen eines Sozialplans geringere Leistungen für Beschäftigte, die bei Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen wegen ihres Alters als rentennah anzusehen seien, vorsehen. Durch den Bezug einer Altersrente, auch einer vorzeitigen Altersrente, würden diese im Vergleich zu jüngeren Beschäftigten typischerweise geringere wirtschaftliche Nachteile erleiden. Dementsprechend könnten die Betriebsparteien typisierend davon ausgehen, dass Arbeitnehmer, die das 62. Lebensjahr vollendet haben, geringere wirtschaftliche Nachteile erleiden. Bei der Beklagten hätten zum vorgesehenen Stichtag elf Arbeitnehmer das 62. Lebensjahr, davon sechs Arbeitnehmer bereits das 63. Lebensjahr und ein Arbeitnehmer bereits das 64. Lebensjahr vollendet und acht Arbeitnehmer Betriebszugehörigkeiten von mehr als 25 Jahren verzeichnet. Ohne den vorgesehenen Altersfaktor wären die rentennahen Jahrgänge überproportional berücksichtigt worden.

Aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Situation der Beklagten seien die finanziellen Mittel für das Sozialplanvolumen sehr begrenzt gewesen. Es habe typisierend davon ausgegangen werden können, dass sämtliche von dem Altersfaktor 0,25 betroffenen Arbeitnehmer nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I eine Altersrente beziehen können. Für den Kläger habe die Möglichkeit bestanden, 24 Monate Arbeitslosengeld zu beziehen und bereits mit 63 Jahren in die vorzeitige Altersrente für langjährig Versicherte zu gehen. Für keinen der vom Altersfaktor 0,25 betroffenen Arbeitnehmer hätte sich eine zeitliche Lücke zwischen dem Ablauf der 24 Monaten Bezugsdauer von Arbeitslosengeld und der Möglichkeit der Inanspruchnahme einer gekürzten oder ungekürzten Altersrente ergeben.

Das in § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alternative AGG verfolgte Ziel sei die Verbesserung der Verteilungsgerechtigkeit zugunsten jüngerer Arbeitnehmer und nicht die tatsächliche wirtschaftliche Absicherung rentennaher Arbeitnehmer. Die stärkere Orientierung von Sozialplanleistungen rentennaher Arbeitnehmer an den tatsächlich eintretenden, d. h. geringeren oder nahezu keinen Nachteilen, sei letztlich Mittel zum Zweck der Verteilungsgerechtigkeit, nicht aber Selbstzweck bzw. Ziel des § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alternative AGG. Die zur Erreichung dieses Zwecks eingesetzten Mittel seien vorliegend auch angemessen und erforderlich. Die Kürzung von Sozialplanabfindungen für rentennahe Jahrgänge bzw. der Ausschluss dieser von Abfindungen sei grundsätzlich geeignet, für andere Arbeitnehmergruppen größere finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen und dienten so dem legitimen Ziel einer bedarfsgerechten Verteilung des begrenzten Sozialplanvolumens. Die Kürzung von Sozialplanabfindungen sei auch erforderlich, da ein anderweitiges Mittel nicht in Betracht käme, zu gewährleisten, dass für diejenigen Arbeitnehmer mehr Geld zur Verfügung stehe, die mangels wirtschaftlicher Absicherung typischerweise einen erhöhten Bedarf an Überbrückungsleistungen haben. Die gerechte Verteilung der zur Verfügung stehenden Sozialplanmittel sei im Rahmen des von den Betriebsparteien verhandelten Volumens zu ermöglichen. Die letztlich für das Sozialplanvolumen zur Verfügung gestandenen finanziellen Mittel in Höhe von 3,3 Millionen haben von der Beklagten selbst nicht aufgebracht werden können, sondern seien von der Gesellschafterin der Beklagten zur Verfügung gestellt worden.

Die Interessen der rentennahen 62- bis 64-Jährigen (ältere Arbeitnehmer habe die Beklagte nicht beschäftigt) seien genügend beachtet worden. Sie seien nicht von Sozialplanleistungen ausgeschlossen worden. Angesichts des vorliegend begrenzten Sozialplanbudgets sei der Faktor 0,25 auch angemessen. Etwaige entstehende wirtschaftliche Nachteile der rentennahen Arbeitnehmer würden zumindest substantiell ausgeglichen.

Zwar könnten Stichtagsregelungen zu einzelnen "Härten" führen, die aber im Interesse der Rechtssicherheit hinzunehmen seien. Auch der EuGH verlange nicht, dass die Abfindung von rentennahen Arbeitnehmern stets die Hälfte der für andere Arbeitnehmer geltenden Abfindungsformel betragen müsse.

Das Arbeitsgericht Bayreuth hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27.07.2021 mit am 16.12.2021 verkündetem Endurteil die Klage des Klägers auf Zahlung einer über EUR 9.249,21 hinausgehenden Abfindung abgewiesen. Das Endurteil wurde am 07.06.2022 der Geschäftsstelle vollständig abgefasst und vom Kammervorsitzenden unterschrieben übergeben und am 13.06.2022 den Klägervertretern zugestellt.

Die Berufung der Klagepartei ging beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 22.04.2022 ein, mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, eine weitere Sozialplanabfindung in Höhe von EUR 27.747,63 brutto zu zahlen und dem Hinweis, dass das ausformulierte Endurteil noch nicht vorliege. Die Berufungsbegründung ging innerhalb der bis 16.08.2022 verlängerten Berufungsbegründungsfrist ein.

Der Kläger begründet seine Berufung damit, dass die Rechtsanwendung des Arbeitsgerichts Bayreuth fehlerhaft sei und dieses unzutreffend nicht von einer Benachteiligung des Klägers wegen Alters ausgegangen sei, sondern fälschlicherweise eine Rechtfertigung dieser Altersdiskriminierung nach § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alternative AGG angenommen habe. Durch die Regelung des § 3 Abs. 2 des Sozialplanes werde der am 16.12.1958 geborene und seit dem 02.01.1995 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigte Kläger gegenüber seinen jüngeren Arbeitskollegen altersdiskriminiert, da seine Sozialplanabfindung auf einen Multiplikationsfaktor von 0,25 anstelle von 1,0 gekappt werde und daher im Vergleich zu anderen Kollegen lediglich ein Viertel betrage.

Der Grundgedanke des Regelungsparagraphen 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alternative AGG sei es, diejenigen Mitarbeiter, die aufgrund ihres Lebensalters durch staatliche Ansprüche bis zum Eintritt in das gesetzliche Rentenalter wirtschaftlich abgesichert seien, von Sozialplanabfindungen auszuschließen. Die soziale Abfindung solle den Zeitraum überbrücken, in dem ein Arbeitnehmer gerade keinen Arbeitslosengeldanspruch habe. In diesem Fall solle eine soziale Abfindung den Arbeitnehmer für die Zeiträume, für die er keine Arbeitslosengeldansprüche habe, so stellen, als würde er arbeiten. Der Bezug von Arbeitslosengeld II solle bei der Prüfung der wirtschaftlichen Absicherung nicht berücksichtigt werden.

Unabhängig von der allgemeinen Möglichkeit einer Begrenzung mit Blick auf die wirtschaftliche Absicherung müsse stets eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall vorgenommen werden. Keine unangemessene Benachteiligung liege vor, wenn die Abfindung aus dem Sozialplan für den Zeitraum zwischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Bezug von Arbeitslosengeld I und dem frühestmöglichen Renteneintrittszeitpunkt den Betrag erreiche, der dem vom Kläger zuletzt bezogenen Bruttoarbeitsentgelt entspreche. Diese Berechnung sei vom Erstgericht nicht vorgenommen worden. Die auf ein Viertel gekappte Sozialplanabfindung könne keine wirtschaftliche Absicherung des Klägers bis zum Renteneintritt bringen. Mit Blick auf die maximale Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I von zwei Jahren bis zum 31.08.2023 und einem frühestmöglichen Renteneintritt in die Regelaltersrente am 01.01.2025 müsse der Kläger mit der Sozialplanabfindung einen Zeitraum von 16 Monaten überbrücken. Die ungekappte Sozialplanabfindung in Höhe von EUR 36.996,84 würde einer monatlichen Einnahme von EUR 2.312,31 entsprechen. Bei der zugesprochenen Abfindung hätte er nur EUR 578,08 brutto zur Verfügung, somit gerade 23,31 % seines bisherigen Bruttogehaltes. Aus diesem Grund könne nicht im Ansatz von einer wirtschaftlichen Äquivalenz ausgegangen werden. Der Kläger sei insofern gegenüber jüngeren Arbeitnehmern unangemessen benachteiligt. Eine generelle Begrenzung der Abfindung auf zwei Bruttomonatsgehälter für rentennahe Arbeitnehmer ergebe sich weder aus dem Gesetz noch aus der Rechtsprechung des BAG. Der vorliegende Sozialplan kürze pauschal und ohne weitere individuelle Berücksichtigung die Abfindung bei Erreichen eines bestimmten Alters. Ganz offensichtlich begründe die Sozialplanabfindung im konkreten Fall keine ausreichende Abfindung, die die zu erwartenden Nachteile bis zur Inanspruchnahmemöglichkeit einer Regelaltersrente nur annähernd ausgleiche.

Die Verteilungsgerechtigkeit sei nicht ausschließlich zugunsten jüngerer Arbeitnehmer herzustellen. Die Interessen der benachteiligten älteren Arbeitnehmer dürften nicht unverhältnismäßig stark vernachlässigt werden.

Der Kläger, der für einen früheren Renteneintritt erhebliche Abzüge in Kauf nehmen müsse, sei auf dieser Grundlage gerade nicht als rentennaher Arbeitnehmer hinreichend abgesichert. Erforderlich sei eine substantielle und spürbare Milderung der den Arbeitnehmern entstehenden wirtschaftlichen Nachteile. Der Sozialplan stelle auch nicht konkret darauf ab, dass Mitarbeiter keine Leistungen aus dem Sozialplan erhalten, wenn sie im Anschluss an das Arbeitslosengeld eine Altersrente (gekürzt oder ungekürzt) in Anspruch nehmen können, sondern ausschließlich auf das Alter der Arbeitnehmer. Der portugiesische Kläger habe nur eine geringe Anzahl an Jahren in das deutsche Rentenversicherungssystem eingezahlt und deshalb nur geringfügige Rentenversicherungsansprüche. Die Beklagte habe für den Kläger im konkreten Fall gerade nicht für eine ausreichende soziale Abmilderung der ihm durch die Kündigung entstandenen wirtschaftlichen Nachteile Sorge getragen; dies zumal mit Blick auf das bei der Beklagten insgesamt niedrige Lohnniveau.

Der Kläger beantragt daher in der Berufungsinstanz:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine weitere Sozialplan-Abfindung in Höhe von EUR 27.747,63 brutto nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über den Basiszinssatz seit 23.02.2022 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, dass nach § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alternative AGG Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen zulässig seien, wenn Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen seien, die wirtschaftlich abgesichert seien, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld rentenberechtigt seien. Als rentenberechtigt anzusehen seien nicht nur Arbeitnehmer, die nach Ablauf des Arbeitslosengeldbezuges einen Anspruch auf Gewährung einer Altersrente wegen Erreichung der Regelaltersgrenze, sondern auch diejenigen, die die Möglichkeit haben, eine Altersrente vorzeitig in Anspruch zu nehmen. Der Kläger verkenne die maßgebliche Intention des Gesetzgebers im Hinblick auf die Regelung des § 10Satz 3 Nr. 6 2. Alternative AGG und die hierzu ergangene Rechtsprechung des BAG. Es ergebe sich hieraus gerade kein Grundgedanke, dass die Abfindung einen rentennahen Arbeitnehmer für Zeiträume, für die er keinen Arbeitslosengeldanspruch habe, so zu stellen habe, als ob er gearbeitet hätte. Das mit der Regelung in § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alternative AGG verfolgte Ziel sei die Verbesserung der Verteilungsgerechtigkeit zugunsten schutzbedürftigerer jüngerer Arbeitnehmer und nicht die vollständige Absicherung rentennaher Arbeitnehmer. Einen vollständigen Ausgleich aller wirtschaftlichen Nachteile müssten die Betriebsparteien angesichts der begrenzt zur Verfügung stehenden Sozialplanmittel und der anderen Arbeitnehmern voraussichtlich entstehenden Nachteile nicht vorsehen. Nach maßgeblicher Rechtsprechung des BAG sei die Möglichkeit des Bezugs einer vorzeitigen Altersrente auch mit Abschlägen eine hinreichende wirtschaftliche Absicherung.

Die vorliegende Begrenzung der den Arbeitnehmern, die das 62. Lebensjahr vollendet haben, gewährten Sozialplanabfindung sei angemessen und erforderlich im Sinne des § 10 Satz 2 AGG zur Erreichung des mit der Regelung des § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alternative AGG verfolgten Zwecks. Der Kläger könne bereits vier Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und bereits 20 Monate vor Ablauf des Bezugszeitraums von Arbeitslosengeld I eine Altersrente beziehen und zwar eine Altersrente für langjährig Versicherte. Nach der vom Kläger selbst vorgelegten Rentenauskunft habe er ab dem 01.01.2022 die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme einer Altersrente für langjährig Versicherte. Die vorzeitige Inanspruchnahme sei nach Vollendung des 63. Lebensjahres möglich. Der Kläger habe zu diesem Zeitpunkt die erforderliche Wartezeit von 35 Jahren, nämlich eine Wartezeit von 516 Monaten, d. h. 43 Jahren, erreicht.

Allein der Umstand, dass eine solche Altersrente für langjährig Versicherte bei vorzeitiger Inanspruchnahme zu Rentenabschlägen führe, könne der Annahme der wirtschaftlichen Absicherung nicht entgegenstehen. Auch nach der Rechtsprechung des BAG müssten die Betriebsparteien einen Ausgleich für die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente angesichts der begrenzt zur Verfügung stehenden Sozialplanmittel nicht vorsehen. Für den Kläger gebe es somit keinen Zeitraum zwischen dem Ende des Arbeitslosengeld I-Bezugszeitraumes und dem frühestmöglichen Zeitpunkt der Inanspruchnahme einer Altersrente. Die Sozialplanregelung sei auch nicht deshalb unwirksam, da sie nicht explizit an die tatsächliche Bezugsmöglichkeit einer gesetzlichen Altersrente anknüpfe.

Der Kläger habe mit einer Abfindung in Höhe von EUR 9.249,21 brutto eine spürbare Milderung der ihm entstehenden wirtschaftlichen Nachteile erfahren.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

A.

Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Vorliegend handelt es sich um ein sogenanntes Urteil ohne Gründe des Arbeitsgerichts Bayreuth, da dieses erst fünf Monate nach Verkündung in schriftlicher Form abgesetzt wurde.

Wird ein Urteil nicht rechtzeitig begründet, so ist der Beschwerte verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten ab der Verkündung Berufung einzulegen und innerhalb von sieben Monaten ab der Verkündung die Berufung zu begründen. Dabei ist ausreichend, wenn in der Berufungsbegründung nur gerügt wird, dass das Urteil nicht innerhalb von fünf Monaten begründet worden ist (BAG, Urteil v. 13.09.1995, Az. 2 AZR 855/94, in juris recherchiert).

Das Berufungsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts Bayreuth als "nicht mit Gründen versehen" zu behandeln, da es auch nicht in vollständiger Form an die Geschäftsstelle innerhalb von fünf Monaten nach der Verkündung übermittelt wurde (BAG, Urteil v. 04.08.1993, Az. 4 AZR 501/92, in juris recherchiert). Die Urteilsgründe bilden somit keine Grundlage für die Überprüfung des Berufungsgerichts.

B.

Die Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine EUR 9.249,21 brutto übersteigende Abfindung aus dem Sozialplan vom 13.01.2021. Die Regelung in § 3 Abs. 2 des Sozialplanes, die für Arbeitnehmer, die am Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet haben, einen Altersfaktor von 0,25 anstatt von 1,0 vorsieht, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

I. Ein Sozialplan ist eine Einigung der Betriebspartner über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen. Die Betriebspartner verfügen insoweit über einen weiten Gestaltungsspielraum nicht nur bei der Entscheidung über die Verfolgung eines bestimmten sozial- und beschäftigungspolitischen Ziels, sondern auch bei der Festlegung der für seine Erreichung geeigneten Maßnahmen (BAG, Urteil v. 16.07.2019, Az. 1 AZR 842/16, in juris recherchiert).

Bei einem Sozialplan gilt es, ein begrenztes Volumen zu verteilen. Die Betriebsparteien müssen die zur Verfügung stehenden Mittel im Hinblick auf den Ausgleich künftiger Nachteile der Arbeitnehmer, die von der Betriebsänderung betroffen sind, optimieren und darauf achten, dass keine Gruppe übermäßig bevorzugt wird (Verteilungsgerechtigkeit). Ob und welche Nachteile ganz oder teilweise ausgeglichen und welche lediglich gemildert werden sollen, liegt ebenfalls im Ermessen der Betriebsparteien (BAG, Beschluss v. 07.05.2019, Az. 7 ABR 54/17, in juris recherchiert).

Ein Sozialplan muss die wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer nicht notwendigerweise möglichst vollständig ausgleichen und alle denkbaren Nachteile entschädigen. Allerdings darf er nicht den Normzweck des § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG verfehlen, die wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer zumindest zu mildern (BAG, Beschluss v. 07.05.2019, a.a.O.). Die Abfindung in Sozialplänen stellt aber weder ein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit geleistete Tätigkeit noch eine Kompensation für den Arbeitsplatzverlust dar, sondern ausschließlich eine Überbrückungshilfe bis zu einer wirtschaftlichen Absicherung (BAG, Urteil v. 16.07.2019, a.a.O.; Urteil v. 23.03.2010, Az. 1 AZR 832/08, in juris recherchiert). Diese Überbrückung kann regelmäßig nur in typisierender und pauschalisierender Form geschehen, weil die Betriebspartner die für den einzelnen Arbeitnehmer zu erwartenden Nachteile nicht konkret voraussehen können (BAG, Urteil v. 08.02.2022, Az. 1 AZR 252/21; Urteil v. 07.12.2021, Az. 1 AZR 562/20, in juris recherchiert). Die durch den Arbeitsplatzverlust eintretenden Nachteile, die bei Arbeitnehmern nach Ablauf des Arbeitslosengeldbezugs eintreten können, sind für die Betriebsparteien bei den Arbeitnehmern, die im Anschluss daran die Möglichkeit haben, eine Altersrente in Anspruch zu nehmen und bei den Arbeitnehmern, die hierüber nicht verfügen, nicht in gleichem Maße abzuschätzen. Bei den rentenfernen Arbeitnehmern ist nicht auszuschließen, dass diese auch nach dem Ende des Arbeitslosengeldbezuges noch beschäftigungslos sind und damit - gegebenenfalls längerfristig - auf den Bezug von staatlichen Unterstützungsleistungen angewiesen sind.

Erhöhen sich die Abfindungen für ältere Arbeitnehmer, weil ein möglicher Rentenbezug nicht berücksichtigt wurde, hat dies einen nachhaltigen Effekt für jüngere Arbeitnehmer, für die die Rente noch in weiter Ferne liegt. Die Abmilderung der wirtschaftlichen Nachteile können die Betriebsparteien somit bei lebensälteren Arbeitnehmern, die kurz vor der Rente stehen, anders berechnen, als bei Arbeitnehmern, die nicht die Möglichkeit haben, in eine Rente, auch nicht in eine vorgezogene Rente zu gehen. Die Kürzung von Sozialplanleistungen für rentennahe Jahrgänge bzw. der Ausschluss dieser von Abfindungen ist grundsätzlich geeignet, für andere Arbeitnehmergruppen größere finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen und so dem legitimen Ziel einer bedarfsgerechten Verteilung des begrenzten Sozialplanvolumens zu dienen. Bei der typisierenden Beurteilung, rentenberechtigte und rentennahe Arbeitnehmer seien im Regelfall wirtschaftlich stärker abgesichert als rentenferne Arbeitnehmer, handelt es sich um eine den Betriebspartnern im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums zustehende tatsächliche Einschätzung (BAG, Urteil v. 20.01.2009, Az. 1 AZR 740/07, in juris recherchiert). Die Betriebsparteien können deshalb zwischen "rentennahen" und "rentenfernen" Jahrgängen differenzieren. Die Betriebsparteien sind auch nicht gehalten, Rentenabschläge auszugleichen. Es genügt grundsätzlich eine substantielle Milderung der wirtschaftlichen Nachteile durch den Sozialplan (BAG, Urteil v. 20.01.2009, a.a.O.; Beschluss v. 24.08.2004, Az. 1 ABR 23/03, in juris recherchiert).

II. Der Sozialplan vom 13.01.2021 erfüllt oben genannte Anforderungen und beinhaltet eine gerechtfertigte Benachteiligung der älteren Arbeitnehmer gemäß § 10 Satz 2 Nr. 6 i.V.m. § 10 Satz 2 AGG.

1. Wie die Präambel des vorliegenden Sozialplans zeigt, sollen dessen Leistungen die den Arbeitnehmern durch die Betriebsstilllegung entstehenden Nachteile nicht vollständig ausgleichen, sondern nur mildern. Einen vollständigen Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile mussten die Betriebsparteien angesichts der begrenzt zur Verfügung stehenden Sozialplanmittel und der anderen Arbeitnehmern voraussichtlich entstehenden Nachteile nicht vorsehen (BAG, Urteil v. 26.03.2013, Az. 1 AZR 857/11, in juris recherchiert). Dass vorliegend die Mittel für das Sozialplanvolumen äußerst begrenzt waren, ergibt sich bereits aus der Kappungsgrenze der Abfindungen für jüngere Arbeitnehmer auf EUR 70.000,--. Die Mittel für den Sozialplan konnte die Beklagte selbst nicht aufbringen, insoweit wurde das finanzielle Volumen von der Gesellschafterin der Beklagte gestellt.

Die Betriebsparteien konnten vorliegend auch im Rahmen der ihnen zustehenden typisierenden und pauschalierenden Betrachtungsweise die den rentenfernen Arbeitnehmern voraussichtlich drohenden wirtschaftlichen Nachteile stärker berücksichtigen. Die Arbeitnehmer bis zur Vollendung des 62. Lebensjahres und die Arbeitnehmer ab Vollendung des 62. Lebensjahres unterscheiden sich dadurch, dass Erstere bei einer längeren - über die Dauer des Arbeitslosengeldbezugs hinaus fortbestehende- Arbeitslosigkeit zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes typischerweise nur die bedarfsabhängige Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II in Anspruch nehmen können. Durch die Verwendung der altersabhängigen Faktoren soll einerseits die bei der Gruppe der bis 62-Jährigen bestehende größere Gefahr nach dem Bezug von Arbeitslosengeld auf den Bezug der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II angewiesen zu sein und andererseits die Möglichkeit bei der Gruppe der Arbeitnehmer ab Vollendung des 62. Lebensjahres, eine gekürzte oder ungekürzte Altersrente in Anspruch nehmen zu können, berücksichtigt werden.

2. Die vorliegende Kürzung der Abfindung auf ¼ für Arbeitnehmer, die das 62. Lebensjahr vollendet haben, bewirkt zwar eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG. Die Benachteiligung wegen Alters ist jedoch vorliegend nach § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alternative i.V.m. § 10 Satz 2 AGG gerechtfertigt.

a) Nach § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alternative AGG können die Betriebsparteien unter anderem Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausschließen, weil diese gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld I rentenberechtigt sind.

Der deutsche Gesetzgeber verfolgt mit dieser Regelung das im Allgemeininteresse liegende sozialpolitische Ziel, den Betriebsparteien zu ermöglichen, Sozialplanleistungen an den wirtschaftlichen Nachteilen zu orientieren, die den Arbeitnehmern drohen, die durch eine Betriebsänderung ihren Arbeitsplatz verlieren. Diese Nachteile sind bei Arbeitnehmern, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie gegebenenfalls nach dem Bezug von Arbeitslosengeld gesetzliche Altersrente in Anspruch nehmen können, geringer, als bei den von längerer Arbeitslosigkeit bedrohten "rentenfernen" Arbeitnehmern (BAG, Urteil v. 26.05.2009, Az. 1 AZR 198/08; Urteil v. 30.09.2008, Az. 1 AZR 68407, in juris recherchiert). Es ist ein legitimes Ziel, diesem Umstand durch differenzierte Sozialplanleistungen Rechnung tragen zu können. Dazu ist es angemessen und erforderlich, den Betriebsparteien entsprechende Sozialplangestaltungen zu ermöglichen. Durch die Reduzierung der Sozialplanabfindungen bei rentennahem Ausscheiden ist es möglich, im Interesse der Verteilungsgerechtigkeit das weitere Anwachsen der Abfindungen trotz abnehmender Schutzbedürftigkeit zu korrigieren (BAG, Urteil v. 26.05.2009, a.a.O.).

Die Vorschrift eröffnet somit einen Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum, der es unter den in ihr bestimmten Voraussetzungen ermöglicht, das Lebensalter als Kriterium für die Gewährung einer Sozialplanabfindung heranzuziehen. Nach § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alternative AGG können Sozialplanleistungen mit entsprechend ihrer zukunftsbezogenen Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion bei "rentennahen" Arbeitnehmern stärker an den tatsächlich eintretenden wirtschaftlichen Nachteilen, die durch den bevorstehenden Arbeitsplatzverlust und eine darauf zurückgehende Arbeitslosigkeit drohen, orientiert werden. Durch diese Gestaltungsmöglichkeit kann das Anwachsen der Abfindungshöhe, das mit der Verwendung der Parameter Betriebszugehörigkeit und/oder Alter bei der Bemessung der Abfindung zwangsläufig verbunden ist, bei abnehmender Schutzbedürftigkeit im Interesse der Verteilungsgerechtigkeit zugunsten jüngerer Arbeitnehmer begrenzt werden (BAG, Urteil v. 09.12.2014, Az. 1 AZR 102/13; Urteil v. 26.03.2013, Az. 1 AZR 857/11, in juris recherchiert).

Die Ausgestaltung des durch § 10 Satz 2 Nr. 6 2. Alternative AGG eröffneten Gestaltungs- und Beurteilungsspielraums unterliegt allerdings einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 10 Satz 2 AGG. Die gewählte Sozialplangestaltung muss geeignet sein, das mit § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alternative AGG verfolgte Ziel tatsächlich zu fördern und darf die Interessen der benachteiligten Altersgruppe nicht unverhältnismäßig stark vernachlässigen (BAG, Urteil v. 09.12.2014, a.a.O.). Geeignet ist ein Mittel bereits dann, wenn das beabsichtigte Ziel erreicht werden kann (BAG, Urteil v. 08.02.2022, Az. 1 AZR 252/21).

b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist die in der vorliegenden Kürzung der Sozialplanleistungen auf ¼ der Standardabfindung liegende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer, die das 62. Lebensjahr vollendet haben, gerechtfertigt.

aa) Die Voraussetzungen des § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alternative AGG liegen vor. Hierfür kommt es nur darauf an, ob die vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmer wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie gegebenenfalls nach dem Bezug von Arbeitslosengeld rentenberechtigt sind. Damit sind nicht nur die Arbeitnehmer erfasst, die nach Ablauf des Arbeitslosengeldbezugs einen Anspruch auf Gewährung einer Altersrente wegen Erreichung der Regelaltersgrenze haben, sondern auch diejenigen, die die Möglichkeit haben, eine Altersrente vorzeitig in Anspruch zu nehmen (BAG, Beschluss v. 07.05.2019, Az. 1 ABR 54/17, in juris recherchiert).

bb) Die Kürzung der Abfindungen für die rentennahen Arbeitnehmer ist im Streitfall auch angemessen und erforderlich im Sinne von § 10 Satz 2 AGG.

(1) Es kommt im Streitfall nicht darauf an, ob § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alternative AGG auch Sozialplanregelungen deckt, in denen zwischen dem Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld I und dem frühestmöglichen Rentenbeginn (und zwar auch bei einer vorzeitigen Rente mit Abschlägen) eine - etwa durch Sozialplanleistungen ganz oder teilweise abgedeckte - zeitliche Lücke besteht. Die Betriebsparteien haben mit dem im Sozialplan festgelegten Stichtag und dem mit den Regelungen verbundenen "Systemwechsel" den insoweit ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum nicht überschritten.

Die Betriebsparteien können in Sozialplänen Stichtage vorsehen, wenn diese selbst und die damit verbundene Grenzziehung am gegebenen Sachverhalt orientiert und somit sachlich vertretbar sind (BAG, Urteil v. 26.05.2009, Az. 1 AZR 198/08, m.w.H., in juris recherchiert). Dies ist hier der Fall. Der auf die Vollendung des 62. Lebensjahres festgelegte Stichtag ist sachgerecht. Er knüpft an die Möglichkeit an, nach vorübergehender Arbeitslosigkeit vorzeitige Altersrente in Anspruch zu nehmen. Zwar mag der Stichtag im Einzelfall dazu führen, dass ein unmittelbar vor der Vollendung des 62. Lebensjahres stehender Arbeitnehmer eine erheblich höhere Abfindung erhält als derjenige, der dieses gerade vollendet hat. Es handelt sich dabei um "Härten", die mit Stichtagsregelungen regelmäßig verbunden sind und im Interesse der Rechtssicherheit hinzunehmen sind (BAG, Urteil v. 20.01.2009, Az. 1 AZR 740/07; Urteil v. 26.05.2009, Az. 1 AZR 198/08, in juris recherchiert).

(2) Die Abfindungsleistungen sollen vorliegend dem Umstand Rechnung tragen, dass jüngere Arbeitnehmer bei einer über die Dauer des Arbeitslosengeldbezugs hinausgehenden fortdauernden Arbeitslosigkeit typischerweise auf die - bedarfsabhängige - Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II angewiesen sind. Die mit den Sozialplanleistungen verfolgte Überbrückungsfunktion bezweckt somit eine Milderung dieses hiermit verbundenen wirtschaftlichen Nachteils. Die Betriebsparteien konnten bei rentennahen Arbeitnehmern davon ausgehen, dass sie selbst im Falle einer nach dem Bezug von Arbeitslosengeld fortbestehenden Arbeitslosigkeit durch die Rentenbezugsberechtigung für die Regelaltersrente und die Möglichkeit zur Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente ausreichend wirtschaftlich abgesichert sind (BAG, Urteil v. 07.05.2019, a.a.O.). Einen darüber hinausgehenden Ausgleich der Abschläge für die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersgrenze mussten die Betriebsparteien angesichts der begrenzt zur Verfügung stehenden Sozialplanmittel und der den anderen Arbeitnehmern voraussichtlich entstehende Nachteile - wie bereits ausgeführt - nicht vorsehen (BAG, Urteil v. 20.01.2009, Az. 1 AZR 740/07, in juris recherchiert).

cc) Die Kürzung der Abfindung auf ¼ der Standardabfindung ist unter den gegebenen Umständen auch angemessen. Die Interessen der vorliegend benachteiligten Arbeitnehmer wurden hinreichend beachtet. Die Kürzung geht nicht über das zur Erreichung des verfolgten Ziels Erforderliche hinaus.

(1) Bei der Rechtfertigung des Ausschlusses gemäß § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG prüft das BAG zwar, ob die Beschäftigten durch die Höhe der staatlichen Leistungen angemessen wirtschaftlich abgesichert sind (BAG, Urteil v. 16.07.2019, Az. 1 AZR 842/16, in juris recherchiert). Allerdings fällt die Höhe der sozialversicherungsrechtlichen Altersabsicherung und Grundsicherung in die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Eine staatliche Unterstützungsleistung ist nicht als wirtschaftlich unangemessen anzusehen. Wird der Vorrang durch die staatliche Absicherung zugelassen, so hat der Gesetzgeber die Entscheidung getroffen, rentennahe Arbeitnehmer von Abfindungen aus Sozialplänen europarechtskonform gerechtfertigt auszuschließen (so auch Prof. Brors, ZESAR 2021, Rz. 378 ff.).

Entgegen der Auffassung des Klägers ist es unionsrechtlich auch nicht geboten, dass er als Abfindung zumindest einen Betrag in Höhe der Hälfte der nach § 3 berechneten Standardabrechnung erhält. Die Ausführungen des EuGH in der Rechtssache Odar (Urteil v. 06.12.2012, Az. C-152/11) lassen ein solches Verständnis nicht zu. Erst recht gibt es für einen Anspruch auf eine Abfindung in Höhe des ursprünglichen Verdienstes für Zeiten, für die kein Arbeitslosengeldanspruch besteht, weder eine gesetzliche Grundlage noch eine aufgrund nationaler oder unionsrechtlicher Rechtsprechung.

(2) Die Betriebsparteien durften vorliegend im Rahmen des ihnen zustehenden Beurteilungsspielraums somit davon ausgehen, dass die hiervon betroffenen 11 Arbeitnehmer durch die Möglichkeit eines solchen Rentenbezugs ausreichend wirtschaftlich abgesichert wären. Dies betrifft nicht nur die Arbeitnehmer, die nach Ablauf des Arbeitslosengeldbezugs berechtigt waren, die Altersrente wegen Erreichens der Regelaltersgrenze ungekürzt zu beziehen, sondern - wie bereits ausgeführt - auch die Arbeitnehmer, für die nur die Möglichkeit bestand, im Anschluss an den Arbeitslosengeldbezug eine Altersrente für langjährig Versicherte bei Erreichung der Wartezeit von 35 Jahren ab Vollendung des 63. Lebensjahres mit Abschlägen in Anspruch zu nehmen (so BAG, Urteil v. 07.05.2019, für einen völligen Ausschluss von Abfindungen für rentennahe Arbeitnehmer).

Der Zeitpunkt des frühestmöglichen gesetzlichen Renteneintritts ist dabei derjenige, zu welchem nach den Vorschriften des SGB VI erstmals eine vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente möglich ist (BAG, Urteil v. 30.09.2008, Az. 1 AZR 684/07, in juris recherchiert).

Angesichts des Alters der 11 betroffenen Arbeitnehmer, dem Zeitpunkt des Ablaufs des 24-monatigen Bezugs von Arbeitslosengeld I und der Möglichkeit für 3 Arbeitnehmer, darunter der Kläger, mit 63 Altersrente für langjährig Versicherte, für 3 Arbeitnehmer Altersrente für besonders langjährig Versicherte und für 6 Arbeitnehmer Regelaltersrente in Anspruch zu nehmen, war die Prognose der Betriebspartner gerechtfertigt, dass die betroffenen Arbeitnehmer auch bei einem vorzeitigen Rentenbezug trotz der verbundenen Abschläge über eine hinreichend wirtschaftliche Absicherung verfügen und die wirtschaftlichen Nachteile - auch des Klägers - durch eine Abfindung in Höhe von EUR 9.249,21 jedenfalls substantiell gemildert werden.

Der Kläger gehörte am maßgeblichen Stichtag unstreitig zu den Arbeitnehmern, die das 62. Lebensjahr vollendet hatten. Die im Sozialplan gezogene Altersgrenze ist mit Vollendung des 62. Lebensjahres erreicht. Die Differenzierung bis Vollendung des 61. Lebensjahres und ab Vollendung des 62. Lebensjahres ist ersichtlich auf die Rentennähe und auf den Zeitpunkt eines möglichen Rentenbezugs nach Ablauf des Arbeitslosengeldbezugs angelegt. Dass sich gegebenenfalls bei der Formulierung eine Lücke von einem Jahr ergibt, spielt vorliegend keine Rolle. Der am 15.12.1958 geborene Kläger fällt eindeutig unter die Gruppe der Arbeitnehmer, die am Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet hatten. Der Kläger hat auch die 35-jährige Wartezeit für langjährig Versicherte erfüllt. Dies ergibt sich aus der von ihm selbst vorgelegten Rentenauskunft.

(3) Die Interessen der Arbeitnehmer, die am Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet haben, sind im Sozialplan bei der Ausgestaltung der sie betreffenden Ausgleichsregelungen auch angemessen beachtet worden. Die Betriebsparteien haben diese Beschäftigungsgruppe der rentennahen Arbeitnehmer nicht von Sozialplanleistungen gänzlichst ausgeschlossen, sondern ihnen einen Anspruch auf eine Abfindung in Höhe von ¼ der Standardabfindung gewährt. Dies ergibt für den Kläger bei einer bisherigen durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung in Höhe von EUR 2.494,-- eine Abfindung von fast 4 Bruttomonatsverdiensten. Dies ist nicht zu beanstanden, da diese Gruppe unmittelbar nach dem Bezug von Arbeitslosengeld zumindest Anspruch auf vorzeitiges Altersruhegeld hat. Dass der Kläger nur eine relativ geringe vorzeitige Altersrente und spätere Altersrente beziehen wird, macht die Regelung des Sozialplans nicht unverhältnismäßig. Auf die konkrete wirtschaftliche Absicherung des Klägers kommt es nicht an. Mit den Vorschriften über die gesetzliche Rentenversicherung und ihre Ausgestaltung hat der Gesetzgeber ein geeignetes Altersversorgungssystem für Arbeitnehmer geschaffen, das nach ihrem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ihren Lebensunterhalt sicherstellt. Durch die von beiden Arbeitsvertragsparteien entrichteten Beiträge erwerben die Arbeitnehmer eine Altersrente, die ihre wirtschaftliche Existenz nach Wegfall des Arbeitseinkommens bilden soll. Die Höhe der sich im Einzelfall aus der gesetzlichen Rentenversicherung ergebenden Ansprüche ist für die Wirksamkeit eines Sozialplans jedoch ohne Bedeutung (so auch LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 10.03.2011, Az. 10 Sa 547/10, in juris recherchiert). Auch der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 12.10.2010 - Az. C-45/09 - erkannt, dass die gesetzliche Altersrente der seit 39 Jahren teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmerin von monatlich ca. EUR 250,-- für ihren Lebensunterhalt zwar völlig unzureichend ist, die fragliche Regelung gleichwohl für angemessen erachtet.

Die dem Kläger durch den Wegfall des Arbeitsentgeltes entstehenden wirtschaftlichen Nachteile werden während des Arbeitslosengeldbezuges durch die Abfindung in Höhe von EUR 9.249,21 zumindest substantiell ausgeglichen (BAG, Urteil v. 23.04.2010, Az. 1 AZR 916/11, für EUR 3.000,-- pro Jahr des Arbeitslosengeldbezuges). Danach gilt der Kläger durch die Möglichkeit des Bezugs einer vorzeitigen Altersrente als wirtschaftlich abgesichert.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts bestand aufgrund ihres Gestaltungsspielraums, keine Verpflichtung der Sozialpartner zu einer weiteren Differenzierung innerhalb der Gruppe der rentennahen Arbeitnehmer zwischen Arbeitnehmern, die nach Ablauf des Arbeitslosengeldbezugs vorzeitige Altersrente mit Abschlägen in Anspruch nehmen können, und Arbeitnehmern mit Anspruch auf Regelaltersrente.

Aus alledem war die Berufung zurückzuweisen.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

D.

Die Revision war zuzulassen nach § 72 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.



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