Arbeitsgericht Trier

Urteil vom - Az: 3 Ca 535/12

"Schlecker"'s Gesamtbetriebsrat existiert gar nicht; Kündigung unwirksam

Ein Gesamtbetriebsrat wird gewählt, wenn in einem Unternehmen mehrere Betriebsräte bestehen (§47 I BetrVG). Von einem Unternehmen, das aus zwei Betrieben besteht, ist jedoch nicht die Rede, wenn die ihm angehörigen "Betriebe" eigenständige Rechtssubjekte sind und selbstständig im Rechtsverkehr, insbesondere als unterschiedliche Arbeitgeber, auftreten. Vielmehr handelt es sich dann um zwei Unternehmen, welche einem Konzern angehören. Ein in dem Konzern gewählter "Gesamtbetriebsrat" kann jedoch rechtlich nicht existieren. Daran ändert sich auch nichts, wenn die einzelnen Betriebsräte ihre Zuständigkeit an den "Gesamtbetriebsrat" delegieren. Unterzeichnet ein solcher "Gesamtbetriebsrat" dennoch einen Interessenausgleich mitsamt namentlicher Bezeichnung zu kündigender Arbeitnehmer im Sinne von §125 InsO, so ist dieser unwirksam. Die Kündigungserleichtertung nach §125 InsO greift demnach nicht ein.
Die betriebsbedingte Kündigung einer Verkaufsstellenverwalterin wegen Schließung der Filiale ist unwirksam, wenn sie die einzige Verkaufsstellenverwalterin ist und die von ihr geleitete Filiale (hier: Drogeriefiliale) weiterhin geöffnet bleibt.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten im Schreiben vom 28.03.2012 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklage.

3. Der Streitwert wird auf 8.364,00 € festgesetzt.

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Ebenso wie das Einzelunternehmen A.S.e.K. (im Folgenden: A.S.e.K.) zählt auch die S.-XL GmbH zum S-Konzern, wobei A.S.e.K. 100%iger Gesellschafter sämtlicher Tochtergesellschaften, so auch der S.-XL GmbH, ist. Die Klägerin war seit dem 17.03.2003 durchgehend bei A.S.e.K. und ab 01.02.2011 bei der S.-XL GmbH zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von zuletzt 2.788,00 € als Verkaufsverantwortliche/Verkaufsstellenverwalterin für die Filiale in V beschäftigt. Einen Versetzungsvorbehalt in andere Filialen der S.-XL GmbH oder gar des A.S.e.K. enthält der Arbeitsvertrag nicht. Mit Beschlüssen vom 28.03.2012 eröffnete das Amtsgericht U um 08.00 Uhr bzw. 08.10 Uhr das Insolvenzverfahren über die Vermögen des A.S.e.K. sowie der S.-XL GmbH und bestellte zum Insolvenzverwalter Herrn T (A.S.e.K.) bzw. den derselben Sozietät zugehörigen Beklagten (S.-XL GmbH).

A.S.e.K. schloss im April 1995 mit der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen einen Zuordnungstarifvertrag gem. § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, der die bundesweit verteilten Filialen als Betriebsteile bezeichnete und in bestimmte Regionen zusammenfasste, die dann jeweils einen Betriebsratsbezirk bildeten. Sofern in den einzelnen Betriebsratsbezirken Betriebsräte gegründet wurden, wurden diese nach Gründung der S.-XL GmbH im Jahre 2006 (unter dieser Bezeichnung allerdings erst ab 2008 firmierend) von Mitarbeitern beider Unternehmen gewählt. Die örtlichen Betriebsräte entsandten Mitglieder in bundeslandweit gebildete sog. Regionalkonferenzen und diese dann wiederum ihrerseits Vertreter in den errichteten Gesamtbetriebsrat. Dieser Gesamtbetriebsrat schloss mit dem Beklagten am Mittag des 28.03.2012 einen Interessenausgleich, dem eine einheitliche, übergreifende Namensliste beigefügt war, die die zwecks wirtschaftlicher Konsolidierung zu kündigenden Arbeitnehmer beider Unternehmen nach Betriebsratsbezirken geordnet aufführte. Auf dieser Liste findet sich für den Bezirk Trier auch der Name der Klägerin. Ebenfalls am 28.03.2012 erstattete der Beklagte der Arbeitsagentur U Massenentlassungsanzeige gem. § 17 KSchG unter Beifügung der Stellungnahme des Gesamtbetriebsrats. Nachdem der örtliche Betriebsrat Trier unter dem 20.03.2012 vom Insolvenzverwalter des A.S.e.K. auf dessen Briefpapier zur Kündigung der Klägerin angehört worden war und keine Stellungnahme abgegeben hatte, gab der Beklagte am 29.03.2012 ein auf den 28.03.2012 datiertes Schreiben zur Post, in welchem er das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich betriebsbedingt zum 30.04.2012 kündigte. Im Anhörungsschreiben an den Betriebsrat heißt es bzgl. der vorgenommenen Sozialauswahl unter anderem:

"Es wurden VVWs und VKs untereinander verglichen. Es wurde dabei kein Unterschied gemacht, inwieweit Mitarbeiter in Teilzeit oder Vollzeit sind und auch nicht hinsichtlich der aktuellen Stundenzahl ... Eher als Grobraster, allerdings nicht mit dem Betriebsrat vereinbart, wurde ein Punkteschema vergeben ... Zugleich wurde aber auch versucht, noch eine ausgewogene Personalstruktur zu schaffen beziehungsweise zu erhalten ... Mit dem Gesamtbetriebsrat wurde ein Interessenausgleich und Sozialtarifvertrag abgeschlossen beziehungsweise wird nach Eröffnung unterzeichnet."

Die Klägerin hält die Kündigung für unwirksam. Sie verweist zunächst darauf, dass - was unstreitig ist - die Filiale V nach wie vor geöffnet hat und unverändert mit einer einzigen Verkaufsstellenverwalterin geführt wird, welche vormals sie war. Daher sei weder das Bedürfnis nach ihrer Weiterbeschäftigung entfallen noch könne sie innerhalb geschweige denn außerhalb der Filiale mit anderen Arbeitnehmern im Rahmen der Sozialauswahl verglichen werden. Ohnehin habe sich die Sozialauswahl auf die S.-XL GmbH zu beschränken und nicht auf Arbeitnehmer des A.S.e.K. zu erstrecken, da sie grds. betriebs- und nicht unternehmensbezogen durchzuführen sei. Ferner sei die Kündigung gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, da der Betriebsrat nicht von ihrem Arbeitgeber, der S.-XL GmbH bzw. dem Beklagten, sondern vom Insolvenzverwalter des A.S.e.K. auf dessen Briefbogen angehört worden sei. Zudem sei der Gesamtbetriebsrat nicht wirksam errichtet worden, da es an einem einheitlichen Unternehmensträger fehle. Vielmehr gebe es mit A.S.e.K. und der S.-XL GmbH mehrere Unternehmensträger. Daher sei die Mitwirkung des Gesamtbetriebsrats im Rahmen von § 17 KSchG wie auch bei Abschluss des Interessenausgleichs mit Namensliste unbeachtlich. Ohnehin könne sich der Beklagte nicht auf die Regelung des § 125 InsO berufen, da der Interessenausgleich vorsehe, den Arbeitnehmern den Wechsel in eine Transfergesellschaft zu ermöglichen, es dazu jedoch nicht gekommen sei. Da dies bei Unterzeichnung des Interessenausgleichs noch nicht festgestanden habe, sondern die diesbzgl. Frist für Herrn S erst am 29.03.2012 abgelaufen sei, habe sich die Lage nach Abschluss des Interessenausgleichs wesentlich i.S.v. § 125 Abs. 1 Satz 2 InsO geändert. Schließlich sei die Kündigungsfrist unzutreffend berechnet, da der Beklagte ihre Betriebszugehörigkeit bei A.S.e.K. nicht berücksichtigt habe.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten im Schreiben vom 28.03.2012, zugegangen am 30.03.2012, nicht aufgelöst worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht,

hilfsweise, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien mit einer Kündigungsfrist von 3 Monaten zum 30.06.2012 endet.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Kündigung für wirksam und behauptet hierzu, infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten des S-Konzerns müssten insgesamt ca. 2.200 Filialen geschlossen werden, wodurch 1.005 Arbeitsplätze bei der S.-XL GmbH und ca. 8.000 bei A.S.e.K. entfielen. Dies ergebe sich aus einem eigens in Auftrag gegebenen Wirtschaftlichkeitsgutachten. Betriebsbedingte Gründe würden im übrigen gem. § 125 Abs. 1 InsO vermutet, ebenso wie die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden könne. Gebildete Vergleichsgruppen seien insoweit die VerkaufsstellenverwalterInnen, VerkäuferInnen/KassiererInnen, Stundenkräfte und die geringfügig Beschäftigten. Springerinnen seien der Gruppe zugeordnet worden, deren Tätigkeit sie ausgeübt hätten. Da beide Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb i.S.v. § 1 Abs. 2 BetrVG bildeten, sei die Sozialauswahl übergreifend durchzuführen. Die Lage habe sich auch nicht im Nachhinein wesentlich geändert, da die Betriebspartner selbst im Bewusstsein des Scheiterns der Errichtung einer Transfergesellschaft den Interessenausgleich genau so abgeschlossen hätten. Obwohl angesichts der den Kündigungen zugrundeliegenden bundesweiten Neustrukturierung der Gesamtbetriebsrat originär zuständig sei, hätten die einzelnen Betriebsratsgremien ihre Zuständigkeit an diesen delegiert. Selbst wenn die Errichtung eines Gesamtbetriebsrats vorliegend nach dem BetrVG nicht zulässig sein sollte, sei die als Gesamtbetriebsrat bezeichnete unternehmensübergreifende Arbeitnehmervertretung anzuerkennen, zumal die Konzeption vom Willen des Betriebsrats getragen sei. Jedenfalls seien die vom Gesamtbetriebsrat abgegebenen Erklärungen nicht rückwirkend unwirksam.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

A. Die Klage ist zulässig und begründet. Die streitgegenständliche Kündigung erwies sich als rechtsunwirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst.

1. Grundsätzlich ist eine auf betriebliche Gründe gestützte Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen, bedingt ist und für den Arbeitnehmer in dem Betrieb oder einem anderen Betrieb des Unternehmens keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht. Insoweit muss der kündigende Arbeitgeber gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG darlegen, aufgrund außer- oder innerbetrieblicher Umstände eine unternehmerische Entscheidung getroffen zu haben, infolge derer ein Überhang an Arbeitskräften im Betrieb entsteht und die den Beschäftigungsbedarf für den gekündigten Arbeitnehmer entfallen lässt (DLW/Dörner, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 9. Aufl. 2011, Kap. 4 Rn. 2404; APS/Kiel, 4. Aufl. 2012, § 1 KSchG Rn. 472 ff.). Diese betrieblichen Erfordernisse müssen zudem "dringend" im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sein, d. h. die Kündigung in dem Sinne bedingen, dass der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs nicht anderweitig abgefangen werden kann, etwa durch betriebsorganisatorische Maßnahmen oder eine sonstige Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers (vgl. BAG 21.04.2005 AP Nr. 79 zu § 2 KSchG 1969; APS/Kiel, § 1 KSchG Rn. 442; KR/Griebeling, 9. Aufl. 2009, § 1 KSchG Rn. 529a). Schließlich ist gemäß § 1 Abs. 3 KSchG auch eine durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingte Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten oder die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.

2. Diesen Anforderungen wird die streitgegenständliche Kündigung nicht gerecht.

a) Es war der Kammer bereits kein dringendes betriebliches Erfordernis erkennbar. Die Filiale V, in der die Klägerin vertragsgemäß ihre Arbeitsleistung erbrachte, war unstreitig weder bei Ausspruch der Kündigung Ende März 2012 noch bei Ablauf der ausgesprochenen bzw. richtigerweise anzusetzenden Kündigungsfrist am 30.04. bzw. 30.06.2012 geschlossen, sondern hatte noch im Zeitpunkt des Kammertermins am 23.08.2012 geöffnet und wurde unverändert mit einer Verkaufsstellenverwalterin fortgeführt. Da dies in der Vergangenheit ebenso unstreitig die Klägerin war, ist ihr Arbeitsplatz nicht entfallen. Eine eventuelle Vermutung betrieblicher Erfordernisse gem. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO griffe vorliegend nicht durch, da eine solche Vermutung widerleglich (BAG 21.02.2002 EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 10; 12.03.2009 AP Nr. 97 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl) und durch die unstreitige Weiterführung der Filiale hier auch positiv widerlegt ist.

b) Gleiches gilt hinsichtlich einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin, die jedenfalls als Verkaufsstellenverwalterin in V arbeitsvertragsgemäß und zweifelsfrei gegeben ist.

c) Hieran ändert sich durch die vorzunehmende Sozialauswahl nichts.

aa) Zwar führt die vom Beklagten vorgelegte Namensliste zahlreiche sozial stärkere Arbeitnehmerinnen als die Klägerin auf. Diese sind jedoch aufgrund der arbeitsvertraglichen Regelung nicht mit ihr vergleichbar. Der zu Kündigende ist im Rahmen der Sozialauswahl nur mit solchen Arbeitnehmern vergleichbar, deren Tätigkeit ihm innerhalb seiner arbeitsvertraglichen pflichten im Rahmen des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts (und nicht erst im Wege einer Änderungskündigung) zugewiesen werden könnte (BAG 17.02.2000, 05.12.2002, 23.11.2004, 02.06.2005, 02.03.2006, 31.05.2007, AP Nr. 46, 60, 70, 75, 81, 93 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; 05.06.2008 AP Nr. 179 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; ErfK/Oetker, 12. Aufl. 2012, § 1 KSchG Rn. 323; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn. 621; DLW/Dörner, Kap. 4 Rn. 2546). Die Klägerin ist nach ihrem Arbeitsvertrag lediglich für die Filiale der S.-XL GmbH in V eingestellt. Einen Versetzungsvorbehalt in eine andere Filiale oder sogar in ein anderes Unternehmen (wie A.S.e.K.), das überhaupt nicht ihr Arbeitgeber ist, enthält der Vertrag nicht. Der Beklagte könnte sie folglich nicht in eine andere Filiale versetzen und hat die Sozialauswahl für sie dementsprechend auf die Filiale V zu beschränken. Da sie dort unstreitig die einzige Verkaufsstellenverwalterin war und der Beklagte nach seinem eigenen Vortrag die VerkaufsstellenverwalterInnen als eigenständige Vergleichsgruppe ansieht, ist die Klägerin letztlich mit niemandem vergleichbar. Da ihr Arbeitsplatz nicht entfallen ist, hat der Beklagte sie folglich dort weiterzubeschäftigen.

bb) Dem steht die Regelung des § 125 InsO nicht entgegen.

aaa) Zum einen konnte der Gesamtbetriebsrat, da er unter Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen errichtet wurde, einen Interessenausgleich von vornherein nicht wirksam abschließen. Nach § 47 Abs. 1 BetrVG wird ein Gesamtbetriebsrat in "einem Unternehmen" errichtet, wobei der Unternehmensbegriff nicht vom BetrVG definiert wird, sondern an die gesetzlich vorgesehenen Rechts- und Organisationsformen anknüpft (BAG 09.08.2000 NZA 2001, 116 f.; 13.02.2007 NZA 2007, 825, 826 f.; 17.03.2010 AP Nr. 18 zu § 47 BetrVG 1972; ErfK/Koch, § 47 BetrVG Rn. 2 f.; Fitting, BetrVG, 25. Aufl. 2010, § 47 Rn. 9). Danach kann ein Unternehmen nur aus einem einzigen Rechtsträger bestehen und sich nicht über dessen Geschäfts- und Tätigkeitsbereich hinaus erstrecken, und zwar unabhängig von etwaigen gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen oder einer Personengleichheit in der Geschäftsführung (BAG 09.08.2000 NZA 2001, 116, 117; 13.02.2007 NZA 2007, 825, 826, 827; 17.03.2010 AP Nr. 18 zu § 47 BetrVG 1972; ErfK/Koch, § 47 BetrVG Rn. 2 f.; DLW/Wildschütz, Kap. 13 Rn. 950; GK-BetrVG/Kreutz, 9. Aufl. 2010, § 47 Rn. 15 ff., 20; Fitting, § 47 Rn. 10 ff.). Maßgeblich ist insoweit allein die einheitliche rechtliche Identität der natürlichen oder juristischen Person des Unternehmensträgers nach allgemeinen zivil- und handelsrechtlichen Grundsätzen, die das Unternehmen gerade vom Konzern unterscheidet, der unter einem Dach mehrere selbständige Rechtsträger, eben mehrere Unternehmen, vereint (BAG 09.08.2000 NZA 2001, 116, 117; 13.02.2007 NZA 2007, 825, 827; 17.03.2010 AP Nr. 18 zu § 47 BetrVG 1972; DLW/Wildschütz, Kap. 13 Rn. 950 f.; Fitting, § 47 Rn. 11; GK-BetrVG/Kreutz, § 47 Rn. 15 ff., 20, 27; ErfK/Koch, § 47 BetrVG Rn. 2 f.). Entgegen der Ansicht des Beklagten gilt dies auch dann, wenn Unternehmen ausschließlich Gemeinschaftsbetriebe nach § 1 Abs. 2 BetrVG unterhalten; sie werden dadurch nicht zu "einem" Unternehmen i.S.v. § 47 Abs. 1 BetrVG (BAG 13.02.2007 NZA 2007, 825, 827; 17.03.2010 AP Nr. 18 zu § 47 BetrVG 1972; DLW/Wildschütz, Kap. 13 Rn. 952; Fitting, § 47 Rn. 80).

Die S.-XL GmbH stellt nun ebenso wie A.S.e.K. als eingetragene Einzelfirma ein eigenständiges Rechtssubjekt dar. Beide Rechtsträger sind trotz aller gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen klar voneinander abzugrenzen und treten selbständig im Rechtsverkehr auf, insbesondere auch als unterschiedliche Arbeitgeber. Damit handelt es sich nicht um zwei Betriebe innerhalb eines rechtsträgeridentischen Unternehmens, sondern um zwei eigenständige Unternehmen innerhalb eines Konzerns. Zutreffend führt der Beklagte selbst in seiner Klageerwiderung vom 25.06.2012 (S. 3 unter 2.2.) aus, dem S-Konzern gehörten unter anderem die Unternehmen S.-XL GmbH und A.S.e.K. an.

Dementsprechend durfte kein Gesamtbetriebsrat gebildet werden, sondern es wäre an einen Konzernbetriebsrat zu denken gewesen. Der gleichwohl gebildete "Gesamtbetriebsrat" ist rechtlich nicht existent und sein Handeln unbeachtlich, insbesondere sind mangels betriebsverfassungsrechtlicher Befugnisse von ihm abgeschlossene Betriebsvereinbarungen unwirksam (hierzu deutlich BAG 17.03.2010 AP Nr. 18 zu § 47 BetrVG 1972). Keine Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass sein Handeln von den Tarifpartnern des Zuordnungstarifvertrages bzw. innerhalb des Konzerns gebilligt wurde, da es sich um eine vom BetrVG nicht vorgesehene Arbeitnehmervertretung handelt und selbst die Tarifvertragsparteien betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheiten nur nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen (§ 3 Abs. 1 BetrVG) gestalten können (BAG 17.03.2010 AP Nr. 18 zu § 47 BetrVG 1972). Daher erwies sich die Unterzeichnung des Interessenausgleichs mit Namensliste durch den "Gesamtbetriebsrat" als unwirksam, weshalb die Regelung des § 125 InsO nicht eingreift (so für den Fall des unzuständigen Betriebsrats ErfK/Gallner, § 125 InsO Rn. 4).

Im übrigen ist nicht ersichtlich, aus welchem Grunde die S.-XL GmbH dem nach § 3 BetrVG geschlossenen Zuordnungstarifvertrag unterfallen soll. Dieser wurde auf Arbeitgeberseite lediglich von A.S.e.K. unterzeichnet und gilt ausweislich seines § 1 Nr. 2 ("sachlicher Geltungsbereich") lediglich "für alle Verkaufsstellen oder Filialen der Fa. A. S. ". Dass und auf welchem Wege das Regelungswerk die erst über zehn Jahre später gegründete S.-XL GmbH erfassen und binden können sollte, ist weder ersichtlich noch vorgetragen.

bbb) Aber selbst wenn man dies anders beurteilen wollte, könnte sich der Beklagte nicht mit Erfolg auf die Regelung des § 125 InsO berufen.

Auch wenn das Gericht die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfen kann, hat der Arbeitgeber bzw. der Insolvenzverwalter, um wenigstens dies zu ermöglichen, auf Rüge des Arbeitnehmers nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (hierzu und zum Folgenden BAG 10.02.1999 NZA 1999, 702, 703; 21.02.2002 EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 10; 22.01.2004 AP Nr. 1 zu § 112 BetrVG 1972 Namensliste; 17.11.2005 NZA 2006, 661, 663 f.; ferner KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn. 703p; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 339 f.) substantiiert die Gründe mitzuteilen, die ihn zu seiner sozialen Auswahl veranlasst haben. Dies schließt insbesondere die Mitteilung ein, auf welchen Organisationsbereich er die Auswahl in betrieblicher Hinsicht erstreckt und welche Arbeitnehmer er gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG, etwa zur Erhaltung oder Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur, aus der Sozialauswahl herausgenommen hat. Erst nach Erfüllung dieser Auskunftspflicht trägt im Rahmen der hier abgestuften Darlegungs- und Beweislast der Arbeitnehmer die volle Darlegungslast für eine grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl. Kommt der Insolvenzverwalter seiner Verpflichtung nicht nach, ist die Kündigung ohne weiteres als sozialwidrig anzusehen, denn der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit ändert nichts an der Verteilung der Darlegungslast.

Den vorstehenden Anforderungen wird der Sachvortrag des Beklagten nicht gerecht:

 (1) Bereits die Bildung der Vergleichsgruppen ist unklar und widersprüchlich. In seiner Klageerwiderung vom 25.06.2012 S. 16 führt er vier Gruppen an (VerkaufsstellenverwalterInnen, VerkäuferInnen/KassiererInnen, Stundenkräfte und geringfügig Beschäftigte), in seinem Anhörungsschreiben an den Betriebsrat benennt er lediglich zwei Gruppen (VVWs und VKs) und verweist sogar ausdrücklich darauf, nicht nach dem Arbeitsumfang zu differenzieren. Nähere Erklärungen, wie die Sozialauswahl letztlich durchgeführt wurde, hat er nicht abgegeben (dies rügt ebenfalls ArbG Stuttgart 24.07.2012 - 16 Ca 2422/12).

 (2) Da ferner jegliche Ausführungen dazu fehlen, aufgrund eines Organisationskonzepts könnten bestimmte Arbeitsplätze nur mit Vollzeit- bzw. Teilzeitkräften besetzt werden, sind hier grds. auch Vollzeit- und Teilzeitkräfte miteinander vergleichbar (hierzu BAG 03.12.1998, 07.12.2006 AP Nr. 39, 88 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 327; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn. 626) und die Bildung von eigenständigen Vergleichsgruppen, wie in der Klageerwiderung vorgenommen, insoweit fehlerhaft. Gleiches gilt für die Differenzierung zwischen "Stundenkräften" und "geringfügig Beschäftigten" (hierzu BAG 15.07.2004 AP Nr. 68 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn. 626; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 327), zumal noch nicht einmal ersichtlich ist, wie der Beklagte diese beiden Gruppen überhaupt voneinander abgrenzen will.

 (3) Abgesehen davon, dass sich der Beklagte schriftsätzlich auf ein nicht mit dem Betriebsrat vereinbartes Punkteschema beruft, das er in der Betriebsratsanhörung lediglich "eher als Grobraster" bezeichnet, führt er weiter schriftsätzlich aus, es solle eine ausgewogene Personal- bzw. Altersstruktur "geschaffen" (Klageerwiderung S. 17 oben) bzw. "(ge)schaffen beziehungsweise ... erhalten" (Anhörung des Betriebsrats) werden. Hier blieb offen, welche Arbeitnehmer diesem Kriterium unterfallen sollen (dies rügt ebenfalls ArbG Stuttgart 24.07.2012 - 16 Ca 2422/12). Sofern man den Interessenausgleich für unwirksam hält, wäre die Sozialauswahl hier auch deswegen fehlerhaft, weil sie gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG - anders als nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO - nicht der Schaffung, sondern lediglich der Erhaltung einer entsprechenden Personalstruktur dienen darf, (BAG 23.11.2000 NZA 2001, 601, 604; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn. 640; DLW/Dörner, Kap. 4 Rn. 2641; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 347b).

 (4) Schließlich ist nicht ersichtlich, dass und inwieweit der Beklagte, wie er in der Klageerwiderung (dort S. 18 oben) ausführt, "im Anschluss an die tabellarische Gewichtung" eine "nochmalige umfassende Interessenabwägung" vorgenommen hätte.

cc) Daher ist die Sozialauswahl in jedem Falle fehlerhaft und die Kündigung auch aus diesem Grunde sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam.

3. Darüber hinaus hat der Beklagte die Vorgaben des § 17 KSchG zum Teil nicht beachtet. Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG muss er der Arbeitsagentur die Stellungnahme des Betriebsrats zuleiten, was - vorbehaltlich der Ausnahmeregelung in § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG - eigenständige Wirksamkeitsvoraussetzung der Anzeige (BAG 11.03.1999 NZA 1999, 761, 762; LAG Düsseldorf 15.09.2010 - 12 Sa 627/10; ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rn. 30 f.; DLW/Baeck/Winzer, Kap. 4 Rn. 2813; KR/Weigand, § 17 KSchG Rn. 73, 91) und damit mittelbar auch der Kündigung (LAG Düsseldorf 15.09.2010 - 12 Sa 627/10; ähnlich BAG 11.03.1999 NZA 1999, 761, 763) ist. Zwar hat der Beklagte der Arbeitsagentur U die Stellungnahme des Gesamtbetriebsrats zugeleitet. Da dieser jedoch mangels wirksamer Errichtung keine wirksamen Erklärungen abgeben konnte und der örtliche Betriebsrat eine diesbzgl. Stellungnahme nicht abgegeben hat, fehlte es an einer solchen. Die vom Beklagten behauptete und von der Klägerin bestrittene Delegation der "Zuständigkeit" durch "die einzelnen Betriebsratsgremien" an den Gesamtbetriebsrat kann in diesem Zusammenhang keine Berücksichtigung finden, da sie vollkommen unsubstantiiert aufgestellt und weder nach Ort, Umständen oder genauem Inhalt und Delegierendem präzisiert wurde. Dem Beweisantritt des Beklagten war hier nicht nachzugehen, da es sich mangels konkreten Sachvortrags um einen reinen Ausforschungsbeweis gehandelt hätte. Ein solcher ist aber unzulässig.

4. Ob die Wirksamkeit der Kündigung zudem an § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG scheitert, weil der örtliche Betriebsrat nicht vom Arbeitgeber der Klägerin bzw. dem Beklagten als Insolvenzverwalter der S.-XL GmbH angehört wurde, konnte vorliegend offenbleiben (vgl. hierzu BAG 27.06.1985 AP Nr. 37 zu § 102 BetrVG 1972 und GK-BetrVG/Raab, § 102 Rn. 74 jew. m.w.N.).

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

C. Der Streitwert wurde in Anlehnung an § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG mit drei Bruttomonatsgehältern veranschlagt.

D. Die Berufung war vorliegend nicht gesondert zuzulassen, da es hierfür an den Voraussetzungen des § 64 Abs. 3 ArbGG fehlt.



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