Arbeitsgericht Trier

Urteil vom - Az: 3 Ca 518/12

Schlecker-Kündigung unwirksam - nicht-existenter Gesamtbetriebsrat - grob fehlerhafte Sozialauswahl

Einzelfall einer betriebsbedingten Kündigung (hier: unwirksam).

Wird in einem Konzern ein Gesamtbetriebsrat -anstatt eines Konzernbetriebsrates- gewählt, so ist dieser rechtlich nicht existent; ein von ihm unterzeichneter Interessenausgleich ist unwirksam. Die Kündigungserleichterung gem. §125 InsO greift folglich nicht ein.

Auch im Rahmen des § 125 InsO hat der Arbeitgeber bzw. Insolvenzverwalter nach höchstrichterlicher Rechtsprechung
auf Rüge des Arbeitnehmers substantiiert die Gründe mitzuteilen, die ihn zu seiner sozialen Auswahl veranlasst haben. Dies schließt insbesondere die Mitteilung ein, auf welchen Organisationsbereich er die Auswahl in betrieblicher Hinsicht erstreckt und welche Arbeitnehmer er gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG, etwa zur Erhaltung oder Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur, aus der Sozialauswahl herausgenommen hat.

Die bei einer betriebsbedingten Kündigung gem. §1 Abs.3 S.2 KSchG durchzuführende Sozialauswahl ist jedenfalls dann grob fehlerhaft, wenn der Arbeitgeber hinsichtlich der gebildeten Vergleichsgruppen sowie in Bezug auf die Berücksichtigung und Gewichtung der einzelnen Auswahlkriterien zum Teil unklaren, zum Teil widersprüchlichen und damit einer gerichtlichen Überprüfung insgesamt nicht zugänglichen Vortrag hält.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 28.03.2012 beendet wurde.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

3. Der Streitwert wird auf 3.471,54 € festgesetzt.

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Das Einzelunternehmen A.S. e.K. (im Folgenden: A.S. e.K.) zählt ebenso wie die S.-XL GmbH zum S.-Konzern, wobei A.S. e.K. 100%iger Gesellschafter sämtlicher Tochtergesellschaften, so auch der S.-XL GmbH, ist. Die Klägerin war seit dem Jahre 2000 durchgehend bei A.S. e.K. zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von zuletzt 1.157,18 € als Verkäuferin/Kassiererin beschäftigt. Ihr Arbeitsvertrag enthält unter anderem folgende Regelung:

"Die Arbeitnehmerin verpflichtet sich, ... sich ggf. in eine andere Betriebsabteilung oder in eine andere Verkaufsstelle am selben Ort versetzen zu lassen."

Mit Beschlüssen vom 28.03.2012 eröffnete das Amtsgericht U um 08.00 Uhr bzw. 08.10 Uhr das Insolvenzverfahren über die Vermögen des A.S. e.K. sowie der S.-XL GmbH und bestellte zum Insolvenzverwalter den Beklagten (A.S. e.K.) bzw. - aus derselben Sozietät - Herrn N (S.-XL GmbH).

A.S. e.K. schloss im April 1995 mit der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen einen Zuordnungstarifvertrag gem. § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, der die bundesweit verteilten Filialen als Betriebsteile bezeichnete und in bestimmte Regionen zusammenfasste, die dann jeweils einen Betriebsratsbezirk bildeten. Sofern in den einzelnen Betriebsratsbezirken Betriebsräte gegründet wurden, wurden diese nach Gründung der S.-XL GmbH im Jahre 2006 (unter dieser Bezeichnung allerdings erst ab 2008 firmierend) von Mitarbeitern beider Unternehmen gewählt. Die örtlichen Betriebsräte entsandten Mitglieder in bundeslandweit gebildete sog. Regionalkonferenzen und diese dann wiederum ihrerseits Vertreter in den errichteten Gesamtbetriebsrat. Dieser Gesamtbetriebsrat schloss mit dem Beklagten am Mittag des 28.03.2012 einen Interessenausgleich, dem eine einheitliche, übergreifende Namensliste beigefügt war, die die zwecks wirtschaftlicher Konsolidierung zu kündigenden Arbeitnehmer beider Unternehmen nach Betriebsratsbezirken geordnet aufführte. Auf dieser Liste findet sich für den Bezirk M auch der Name der Klägerin. Ebenfalls am 28.03.2012 erstattete der Beklagte der Arbeitsagentur U Massenentlassungsanzeige gem. § 17 KSchG unter Beifügung der Stellungnahme des Gesamtbetriebsrats. Nachdem der örtliche Betriebsrat M unter dem 20.03.2012 zur Kündigung der Klägerin angehört worden war und keine Stellungnahme abgegeben hatte, gab der Beklagte am 29.03.2012 ein auf den 28.03.2012 datiertes Schreiben zur Post, in welchem er das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich betriebsbedingt zum 30.06.2012 kündigte. Im Anhörungsschreiben an den Betriebsrat heißt es bzgl. der vorgenommenen Sozialauswahl unter anderem:

"Es wurden VVWs und VKs untereinander verglichen. Es wurde dabei kein Unterschied gemacht, inwieweit Mitarbeiter in Teilzeit oder Vollzeit sind und auch nicht hinsichtlich der aktuellen Stundenzahl ... Eher als Grobraster, allerdings nicht mit dem Betriebsrat vereinbart, wurde ein Punkteschema vergeben ... Zugleich wurde aber auch versucht, noch eine ausgewogene Personalstruktur zu schaffen beziehungsweise zu erhalten ... Mit dem Gesamtbetriebsrat wurde ein Interessenausgleich und Sozialtarifvertrag abgeschlossen beziehungsweise wird nach Eröffnung unterzeichnet."

Die Klägerin hält die Kündigung für unwirksam. Es sei bereits unklar, welche räumlichen Grenzen der Betriebsratsbezirk M aufweise. Zudem habe der Beklagte die Sozialauswahl nicht ordnungsgemäß durchgeführt, da er vergleichbare und sozial schwächere Arbeitnehmerinnen im Gegensatz zu ihr nicht gekündigt habe. Der Gesamtbetriebsrat sei für den Abschluss des Interessenausgleichs nicht zuständig gewesen. Zudem fehle es an einer ordnungsgemäßen Durchführung des Massenentlassungsverfahrens, da die Anzeige der unzuständigen, am Unternehmenssitz befindlichen Arbeitsagentur U erstattet worden sei anstelle der zuständigen Arbeitsagentur, in deren Bezirk der Betrieb liege.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 28.03.2012 beendet wird, sondern unverändert fortbesteht.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Kündigung für wirksam und behauptet hierzu, infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten des S.-Konzerns müssten insgesamt ca. 2.200 Filialen geschlossen werden, wodurch 1.005 Arbeitsplätze bei der S.-XL GmbH und ca. 8.000 bei A.S. e.K. entfielen. Dies ergebe sich aus einem eigens in Auftrag gegebenen Wirtschaftlichkeitsgutachten. Betriebsbedingte Gründe würden im übrigen gem. § 125 Abs. 1 InsO vermutet, ebenso wie die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden könne. Gebildete Vergleichsgruppen seien insoweit die VerkaufsstellenverwalterInnen, VerkäuferInnen/KassiererInnen, Stundenkräfte und die geringfügig Beschäftigten. Springerinnen seien der Gruppe zugeordnet worden, deren Tätigkeit sie ausgeübt hätten. Da beide Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb i.S.v. § 1 Abs. 2 BetrVG bildeten, sei die Sozialauswahl übergreifend durchzuführen. Obwohl angesichts der den Kündigungen zugrundeliegenden bundesweiten Neustrukturierung der Gesamtbetriebsrat originär zuständig sei, hätten die einzelnen Betriebsratsgremien ihre Zuständigkeit auch an diesen delegiert. Der Interessenausgleich sei am 28.03.2012 von 12.00 Uhr bis 13.30 Uhr von Seiten des Gesamtbetriebsrats unterzeichnet und die mit ihm zu einer festen Einheit getackerte und geleimte Namensliste auf jeder Seite paraphiert worden. Die Zuständigkeit der Arbeitsagentur U sei zuvor mit der Regionaldirektion Stuttgart abgestimmt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

A. Die Klage ist zulässig und begründet. Die streitgegenständliche Kündigung erwies sich als unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst.

1. Grundsätzlich ist eine auf betriebliche Gründe gestützte Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen, bedingt ist und für den Arbeitnehmer in dem Betrieb oder einem anderen Betrieb des Unternehmens keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht. Insoweit muss der kündigende Arbeitgeber gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG darlegen, aufgrund außer- oder innerbetrieblicher Umstände eine unternehmerische Entscheidung getroffen zu haben, infolge derer ein Überhang an Arbeitskräften im Betrieb entsteht und die den Beschäftigungsbedarf für den gekündigten Arbeitnehmer entfallen lässt (DLW/Dörner, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 9. Aufl. 2011, Kap. 4 Rn. 2404; APS/Kiel, 4. Aufl. 2012, § 1 KSchG Rn. 472 ff.). Diese betrieblichen Erfordernisse müssen zudem "dringend" im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sein, d. h. die Kündigung in dem Sinne bedingen, dass der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs nicht anderweitig abgefangen werden kann, etwa durch betriebsorganisatorische Maßnahmen oder eine sonstige Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers (vgl. BAG 21.04.2005 AP Nr. 79 zu § 2 KSchG 1969; APS/Kiel, § 1 KSchG Rn. 442; KR/Griebeling, 9. Aufl. 2009, § 1 KSchG Rn. 529a). Schließlich ist gemäß § 1 Abs. 3 KSchG auch eine durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingte Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten oder die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Im Falle eines zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat vereinbarten Interessenausgleichs mit Namensliste kann die soziale Auswahl der dort benannten zu kündigenden Arbeitnehmer gem. § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden, die gegeben ist, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich, insbesondere bei der Gewichtung der Auswahlkriterien, jede Ausgewogenheit vermissen lässt (BAG 21.07.2005 NZA 2006, 162, 165; 20.09.2006 NZA 2007, 387, 390; 12.03.2009 NZA 2009, 1023, 1025; ErfK/Gallner, 12. Aufl. 2012, § 125 InsO Rn. 9; KR/Weigand, § 125 InsO Rn. 22) oder wenn bei der Bestimmung des Kreises vergleichbarer Arbeitnehmer die Austauschbarkeit offensichtlich verkannt wurde (BAG 20.09.2006 NZA 2007, 387, 390).

2. Diesen Anforderungen hält die streitgegenständliche Kündigung nicht stand. Selbst wenn man die vom Beklagten behaupteten dringenden betrieblichen Erfordernisse als gegeben unterstellt oder nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO vermutet, war jedenfalls die Durchführung der Sozialauswahl (grob) fehlerhaft.

a) Es wurde bereits bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung trotz Hinweises der Kammer nicht klar, nach welchen Grundsätzen und Richtlinien der Beklagte die von ihm vorgenommene Sozialauswahl überhaupt durchgeführt hat.

aa) Schon die Bildung der Vergleichsgruppen ist unklar und widersprüchlich. In seiner Klageerwiderung vom 27.06.2012 S. 16 führt er vier Gruppen an (VerkaufsstellenverwalterInnen, VerkäuferInnen/KassiererInnen, Stundenkräfte und geringfügig Beschäftigte), in seinem Anhörungsschreiben an den Betriebsrat benennt er lediglich zwei Gruppen (VVWs und VKs) und verweist sogar ausdrücklich darauf, nicht nach dem Arbeitsumfang zu differenzieren. Ob die Springerinnen jeweils nur als Verkäuferin/Kassiererin bzw. als Verkaufsstellenverwalterin eingesetzt waren oder in beiden Tätigkeitsprofilen springerweise aushelfen konnten, vermochte der Beklagte auf Nachfrage im Kammertermin nicht zu beantworten. Die Klägerin jedenfalls behauptet, die Springerinnen seien "übergreifend", also je nach Bedarf als Verkäuferin/Kassiererin oder als Verkaufsstellenverwalterin eingesetzt worden. Daher blieb unklar, was genau der Beklagte meint, wenn er in seiner Klageerwiderung vorträgt, die Springerinnen seien der jeweils ausgeübten Tätigkeit zugeordnet worden. Im Falle bedarfsorientierter, auch kurzfristig möglicher Wechsel könnte sich danach die Vergleichbarkeit innerhalb der Sozialauswahl täglich geändert haben. Irgendwelche Erläuterungen, wie die Sozialauswahl letztlich durchgeführt wurde, konnte der Beklagtenvertreter nicht abgeben.

bb) Da ferner jegliche Ausführungen dazu fehlen, aufgrund eines Organisationskonzepts könnten bestimmte Arbeitsplätze nur mit Vollzeit- bzw. Teilzeitkräften besetzt werden, sind hier grds. auch Vollzeit- und Teilzeitkräfte miteinander vergleichbar (hierzu BAG 03.12.1998, 07.12.2006 AP Nr. 39, 88 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 327; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn. 626) und die Bildung eigenständiger Vergleichsgruppen, wie in der Klageerwiderung vorgenommen, insoweit fehlerhaft. Gleiches gilt für die Differenzierung zwischen "Stundenkräften" und "geringfügig Beschäftigten" (hierzu BAG 15.07.2004 AP Nr. 68 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn. 626; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 327), zumal nicht ersichtlich ist, wie der Beklagte diese beiden Gruppen überhaupt voneinander abgrenzen will. Auch hierzu konnte der Beklagtenvertreter im Kammertermin keine Erklärung abgeben.

cc) Zudem beruft sich der Beklagte schriftsätzlich auf ein nicht mit dem Betriebsrat vereinbartes Punkteschema, bezeichnet dieses jedoch in seiner Betriebsratsanhörung "eher als Grobraster". Ob und inwieweit er nun die zu kündigenden Arbeitnehmer nach ihren Sozialpunkten oder auch nach anderen Kriterien sortiert hat, blieb damit sowohl dem Betriebsrat wie auch der Kammer unklar. Der Beklagtenvertreter konnte sich hierzu im Kammertermin nicht erklären. Sofern er schriftsätzlich ausführt, es solle eine ausgewogene Personal- bzw. Altersstruktur "geschaffen" (Klageerwiderung S. 16) bzw. "(ge)schaffen beziehungsweise ... erhalten" (Anhörung des Betriebsrats) werden, könnte dies zwar ein solches weiteres Kriterium sein; völlig offen blieb indes, welche Arbeitnehmer hierunter fallen sollen (dies rügt ebenfalls ArbG Stuttgart 24.07.2012 - 16 Ca 2422/12). Zudem dürfte eine solche Auswahl im Rahmen von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG - anders als nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO - auch nicht der Schaffung, sondern lediglich der Erhaltung einer entsprechenden Personalstruktur dienen (BAG 23.11.2000 NZA 2001, 601, 604; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 347b; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn. 640; DLW/Dörner, Kap. 4 Rn. 2641).

dd) Schließlich ist nicht ersichtlich, dass und inwieweit der Beklagte, wie er in der Klageerwiderung (dort S. 17) ausführt, "im Anschluss an die tabellarische Gewichtung" eine "nochmalige umfassende Interessenabwägung" vorgenommen hätte. Auch dazu konnte sich der Beklagtenvertreter im Kammertermin nicht erklären.

ee) Dem steht die Regelung des § 125 InsO nicht entgegen.

aaa) Zum einen konnte der Gesamtbetriebsrat, da er unter Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen errichtet wurde, den vom Beklagten vorgelegten Interessenausgleich von vornherein nicht wirksam abschließen. Nach § 47 Abs. 1 BetrVG wird ein Gesamtbetriebsrat in "einem Unternehmen" errichtet, wobei der Unternehmensbegriff nicht vom BetrVG definiert wird, sondern an die gesetzlich vorgesehenen Rechts- und Organisationsformen anknüpft (BAG 09.08.2000 NZA 2001, 116 f.; 13.02.2007 NZA 2007, 825, 826 f.; 17.03.2010 AP Nr. 18 zu § 47 BetrVG 1972; ErfK/Koch, § 47 BetrVG Rn. 2 f.; Fitting, BetrVG, 25. Aufl. 2010, § 47 Rn. 9). Danach kann ein Unternehmen nur aus einem einzigen Rechtsträger bestehen und sich nicht über dessen Geschäfts- und Tätigkeitsbereich hinaus erstrecken, und zwar unabhängig von etwaigen gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen oder einer Personengleichheit in der Geschäftsführung (BAG 09.08.2000 NZA 2001, 116, 117; 13.02.2007 NZA 2007, 825, 826, 827; 17.03.2010 AP Nr. 18 zu § 47 BetrVG 1972; ErfK/Koch, § 47 BetrVG Rn. 2 f.; DLW/Wildschütz, Kap. 13 Rn. 950; GK-BetrVG/Kreutz, 9. Aufl. 2010, § 47 Rn. 15 ff., 20; Fitting, § 47 Rn. 10 ff.). Maßgeblich ist insoweit allein die einheitliche rechtliche Identität der natürlichen oder juristischen Person des Unternehmensträgers nach allgemeinen zivil- und handelsrechtlichen Grundsätzen, die das Unternehmen gerade vom Konzern unterscheidet, der unter einem Dach mehrere selbständige Rechtsträger, eben mehrere Unternehmen, vereint (BAG 09.08.2000 NZA 2001, 116, 117; 13.02.2007 NZA 2007, 825, 827; 17.03.2010 AP Nr. 18 zu § 47 BetrVG 1972; DLW/Wildschütz, Kap. 13 Rn. 950 f.; Fitting, § 47 Rn. 11; GK-BetrVG/Kreutz, § 47 Rn. 15 ff., 20, 27; ErfK/Koch, § 47 BetrVG Rn. 2 f.). Dies gilt auch dann, wenn Unternehmen ausschließlich Gemeinschaftsbetriebe nach § 1 Abs. 2 BetrVG unterhalten; sie werden dadurch nicht zu "einem" Unternehmen i.S.v. § 47 Abs. 1 BetrVG (BAG 13.02.2007 NZA 2007, 825, 827; 17.03.2010 AP Nr. 18 zu § 47 BetrVG 1972; DLW/Wildschütz, Kap. 13 Rn. 952; Fitting, § 47 Rn. 80).

Die S.-XL GmbH stellt ebenso wie A.S. e.K. als eingetragene Einzelfirma ein eigenständiges Rechtssubjekt dar. Beide Rechtsträger sind trotz aller gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen klar voneinander abzugrenzen und treten selbständig im Rechtsverkehr auf, insbesondere auch als unterschiedliche Arbeitgeber. Damit handelt es sich nicht um zwei Betriebe innerhalb eines rechtsträgeridentischen Unternehmens, sondern um zwei eigenständige Unternehmen innerhalb eines Konzerns. Zutreffend führt der Beklagte selbst in seiner Klageerwiderung (S. 3 unter 2.2.) aus, dem S.-Konzern gehörten unter anderem die Unternehmen S.-XL GmbH und A.S. e.K. an.

Dementsprechend durfte kein Gesamtbetriebsrat gebildet werden, sondern es wäre an einen Konzernbetriebsrat zu denken gewesen. Der gleichwohl gebildete Gesamtbetriebsrat ist rechtlich nicht existent und sein Handeln unbeachtlich, insbesondere sind mangels betriebsverfassungsrechtlicher Befugnisse von ihm abgeschlossene Betriebsvereinbarungen unwirksam (hierzu deutlich BAG 17.03.2010 AP Nr. 18 zu § 47 BetrVG 1972). Keine Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass sein Handeln von den Tarifpartnern des Zuordnungstarifvertrages gebilligt wurde, da es sich um eine vom BetrVG nicht vorgesehene Arbeitnehmervertretung handelt und selbst die Tarifvertragsparteien betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheiten nur nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen (§ 3 Abs. 1 BetrVG) gestalten können (BAG 17.03.2010 AP Nr. 18 zu § 47 BetrVG 1972). Daher erwies sich die Unterzeichnung des Interessenausgleichs mit Namensliste durch den Gesamtbetriebsrat als unwirksam, weshalb die Regelung des § 125 InsO nicht eingreift (so für den Fall des unzuständigen Betriebsrats auch ErfK/Gallner, § 125 InsO Rn. 4).

bbb) Zum anderen wäre die hier vorgenommene Sozialauswahl jedenfalls grob fehlerhaft i.S.v. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO. Auch im Rahmen des § 125 InsO hat der Arbeitgeber bzw. Insolvenzverwalter nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (hierzu und zum Folgenden BAG 10.02.1999 NZA 1999, 702, 703; 21.02.2002 EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 10; 22.01.2004 AP Nr. 1 zu § 112 BetrVG 1972 Namensliste; 17.11.2005 NZA 2006, 661, 663 f.; 20.09.2006 NZA 2007, 387, 390 f.; ferner KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn. 703p; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 339 f.) auf Rüge des Arbeitnehmers substantiiert die Gründe mitzuteilen, die ihn zu seiner sozialen Auswahl veranlasst haben. Dies schließt insbesondere die Mitteilung ein, auf welchen Organisationsbereich er die Auswahl in betrieblicher Hinsicht erstreckt und welche Arbeitnehmer er gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG, etwa zur Erhaltung oder Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur, aus der Sozialauswahl herausgenommen hat. Erst nach Erfüllung dieser Auskunftspflicht trägt im Rahmen der hier abgestuften Darlegungs- und Beweislast der Arbeitnehmer die volle Darlegungslast für eine (dann grobe) Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl. Kommt der Insolvenzverwalter seiner Verpflichtung nicht nach, ist die Kündigung ohne weiteres als sozialwidrig anzusehen, denn der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit ändert nichts an der Verteilung der Darlegungslast. Wie oben ausgeführt, hat der Beklagte hinsichtlich der gebildeten Vergleichsgruppen wie auch in Bezug auf die Berücksichtigung und Gewichtung der einzelnen Parameter zum Teil unklaren, zum Teil widersprüchlichen und damit einer gerichtlichen Überprüfung insgesamt nicht zugänglichen Vortrag gehalten. Bereits aus diesem Grunde erwies sich die Sozialauswahl als grob fehlerhaft.

b) Darüber hinaus ist die Sozialauswahl betriebsbezogen durchzuführen (BAG 03.06.2004 NZA 2005, 175, 176; 28.10.2004 NZA 2005, 285, 288; 02.06.2005 NZA 2005, 1175; 18.10.2006 NZA 2007, 798, 800; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn. 608; DLW/Dörner, Kap. 4 Rn. 2559), und zwar ohne eine Beschränkung auf einzelne Betriebsteile oder -abteilungen (BAG 03.06.2004 NZA 2005, 175, 176 f.; 28.10.2004 NZA 2005, 285, 288; 31.05.2007 NZA 2008, 33, 35; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 319; DLW/Dörner, Kap. 4 Rn. 2566; APS/Kiel, § 1 KSchG Rn. 668; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn. 609). Daher sind - vorbehaltlich der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit - grds. alle Arbeitnehmer eines Betriebs miteinander vergleichbar. Der Beklagte trägt nun selbst ausführlich und nachdrücklich vor, A.S. e.K. bilde mit der S.-XL GmbH einen Gemeinschaftsbetrieb und sämtliche unternehmerischen sowie personellen und sozialen Entscheidungen, insbesondere solche in Arbeitgeberfunktion, würden institutionell übergreifend und einheitlich getroffen. Damit beruft er sich in der Sache auf einen bundesweiten Filialbetrieb mit einziger Leitungszentrale in O. Es ist daher nicht ersichtlich, aus welchem Grunde er die von ihm vorgenommene Sozialauswahl auf den (Betriebsrats-)Bezirk M begrenzt, zumal der Arbeitsvertrag der Klägerin einen Versetzungsvorbehalt bzgl. anderer Verkaufsstellen enthält. Der für §§ 1, 23 KSchG maßgebliche kündigungsrechtliche Betriebsbegriff lässt sich nicht unter Rückgriff auf den Betriebsbegriff des BetrVG, vor allem nicht auf die Regelung des § 3 BetrVG (und damit den Zuordnungstarifvertrag) ermitteln, da der Gesetzgeber mit § 3 Abs. 5 BetrVG die nach § 3 Abs. 1 Nr. 1-3 BetrVG gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten ausdrücklich als Betriebe "im Sinne (des BetrVG)" bezeichnet und die Fiktionswirkung dieser Regelung damit auf das BetrVG begrenzt (BAG 21.06.1995 AP Nr. 16 zu § 1 BetrVG 1972; 20.08.1998 NZA 1999, 255, 257; 31.05.2007 NZA 2008, 33, 35; APS/Kiel, § 1 KSchG Rn. 665). Daher steht auch eine eventuelle betriebsverfassungsrechtliche Eigenständigkeit einzelner Betriebsteile (Filialen/Verkaufsstellen) einer betriebsteilübergreifenden Sozialauswahl nicht entgegen (BAG 03.06.2004 NZA 2005, 175, 177; 31.05.2007 NZA 2008, 33, 35), und zwar ohne dass es insoweit auf die Größe des Betriebs oder die räumliche Entfernung einzelner Filialen ankäme (BAG 28.10.2004 NZA 2005, 285, 288; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn. 609; APS/Kiel, § 1 KSchG Rn. 665). § 23 KSchG stellt vielmehr entscheidend auf die organisatorische Einheit ab, mit der der Unternehmer allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe von sachlichen oder immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt (BAG 21.06.1995 AP Nr. 16 zu § 1 BetrVG 1972; 20.08.1998 NZA 1999, 255, 257; 03.06.2004 NZA 2005, 175, 177; ErfK/Kiel, § 23 KSchG Rn. 4; KR/Weigand, § 23 KSchG Rn. 25). Da der Beklagte selbst vorträgt, sämtliche wesentlichen Entscheidungen würden auch in personellen Angelegenheiten zentral in O und gerade nicht in den einzelnen Filialen getroffen, handelt es sich um einen bundesweiten Filialbetrieb. Die Beschränkung des mit der Klägerin vergleichbaren Arbeitnehmerkreises auf den Bezirk M ist daher unzulässig und zugleich grob fehlerhaft i.S.v. § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO, denn dieser fehlerhafte Zuschnitt springt jedermann unmittelbar ins Auge und verkennt den Kreis der mit der Klägerin vergleichbaren Arbeitnehmer offensichtlich.

3. Darüber hinaus hat der Beklagte die Vorgaben des § 17 KSchG zum Teil nicht beachtet. Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG muss er der Arbeitsagentur die Stellungnahme des Betriebsrats zuleiten, was - vorbehaltlich der Ausnahmeregelung in § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG - eigenständige Wirksamkeitsvoraussetzung der Anzeige (BAG 11.03.1999 NZA 1999, 761, 762; LAG Düsseldorf 15.09.2010 - 12 Sa 627/10; ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rn. 30 f.; DLW/Baeck/Winzer, Kap. 4 Rn. 2813; KR/Weigand, § 17 KSchG Rn. 73, 91) und damit mittelbar auch der Kündigung (LAG Düsseldorf 15.09.2010 - 12 Sa 627/10; ähnlich BAG 11.03.1999 NZA 1999, 761, 763) ist. Zwar hat er der Arbeitsagentur U die Stellungnahme des Gesamtbetriebsrats zugeleitet. Da dieser jedoch mangels wirksamer Errichtung keine wirksamen Erklärungen abgeben konnte und der örtliche Betriebsrat eine diesbzgl. Stellungnahme nicht abgegeben hat, fehlte es an einer solchen. Die vom Beklagten behauptete und von der Klägerin bestrittene Delegation der "Zuständigkeit" durch "die einzelnen Betriebsratsgremien" an den Gesamtbetriebsrat kann in diesem Zusammenhang keine Berücksichtigung finden, da sie vollkommen unsubstantiiert aufgestellt und nicht nach Ort, Umständen oder genauem Inhalt und Delegierendem präzisiert wurde. Dem Beweisantritt des Beklagten war hier nicht nachzugehen, da es sich mangels konkreten Sachvortrags um einen reinen Ausforschungsbeweis gehandelt hätte. Ein solcher ist aber unzulässig. Ob die Anzeige richtigerweise der Arbeitsagentur B-Stadt (Geschäftsstelle M) zu erstatten gewesen wäre, konnte damit offen bleiben.

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

C. Der Streitwert wurde in Anlehnung an § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG mit drei Bruttomonatsgehältern veranschlagt.

D. Die Berufung war vorliegend nicht gesondert zuzulassen, da es hierfür an den Voraussetzungen des § 64 Abs. 3 ArbGG fehlt.



Sie kennen die Kanzlei Labisch aus folgenden Medien:

Logo SWR1
Logo SWR4
Logo RPR1
Logo Wiesbadener Kurier
Logo Geißener Anzeiger
Logo Wormser Zeitung
Logo Wiesbadener Tagblatt
Logo Main Spitze
Logo Frankfurter Rundschau
Logo Handelsblatt
Logo Allgemeine Zeitung
Logo Darmstädter Echo
Logo Focus
Logo NTV
Logo ZDF WISO
Lexikon schließen
Schließen