Verwaltungsgericht Lüneburg

Urteil vom - Az: 3 A 146/22

Reisezeit mit der Bahn ist Arbeitszeit

1. Besteht die Tätigkeit eines Arbeitnehmers darin, Neufahrzeuge auf der eigenen Achse von wechselnden Abholorten zu wechselnden Zielorten zu überführen, rechnen Bahnreisezeiten von seinem Wohnort zum Übernahmeort und vom Zielort zurück zum Wohnort zur Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes. Die An- und Abreise mit der Bahn ist in diesem Fall maßgeblicher Inhalt der Tätigkeit des Arbeitnehmers, der dabei unter anderem Unterlagen und ggf. eine Mautbox mit sich führt.

2. Wird ein Arbeitnehmer bei der Überführung von neuen Sattelzugmaschinen tätig, die noch nicht zum Güterkraftverkehr eingesetzt werden, findet § 21a ArbZG keine Anwendung. Der Anwendungsbereich der RL 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.3.2002 (Fahrpersonal-Richtlinie) ist nicht eröffnet, maßgeblich ist die RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 (Arbeitszeit-Richtlinie).
(Leitsätze des Gerichts)

Die Klägerin betreibt ein Speditionsunternehmen, welches auf die Überführung von neuen und gebrauchten Nutzfahrzeugen Sattelzugmaschinen spezialisiert ist. In der Fahrzeugüberführung setzt die Klägerin Arbeitnehmer ein, die von ihrem Wohnort mit Taxi und Bahn zum jeweiligen Abholort des Fahrzeugs fahren, dieses übernehmen und sodann das Fahrzeug auf der eigenen Achse zum Zielort fahren. Von dort reisen die Arbeitnehmer mit der Bahn zurück zum Wohnort. Das zuständige Gewerbeaufsichtsamt hatte der Klägerin aufgegeben, die zulässigen Höchstarbeitszeiten einzuhalten. Die Bahnreisezeiten, die der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Überführung von neuen Nutzfahrzeugen verbringt, seien als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes zu berücksichtigen. Dagegen wandte die Klägerin ein, dass der Arbeitnehmer während der Bahnfahrt in seiner Zeitgestaltung völlig frei sei, sodass dem Arbeitnehmer lediglich ein „Freizeitopfer“ abverlangt werde.
Das VG Lüneberg teilte die Ansicht der Klägerin nicht. Auch wenn es den Arbeitnehmer obliegt, ihre Zugfahrten selbst zu planen und ihnen damit keine konkrete Zugverbindung vorgeschrieben wird, unterliegen sie während der Fahrtzeiten in vollem Umfang der Weisungsbefugnis der Klägerin. Sie müssen sich während der Fahrtzeit zur Verfügung halten und telefonisch erreichbar sein, um gegebenenfalls umzudisponieren oder die Fahrt abzubrechen. Auch wenn die Arbeitnehmer während der Zugfahrten speisen oder schlafen können, müssen sie sich außerhalb ihres familiären und sozialen Umfeldes aufhalten und stehen der Klägerin als Arbeitgeberin währenddessen zur Verfügung, ohne sich dem entziehen zu können. Aufgrund dieser örtlichen, zeitlichen und sozialen Einschränkungen seien die Bahnfahrtzeiten als Arbeitszeit und nicht als Ruhezeit zu werten.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine feststellende Anordnung des Beklagten zur Berücksichtigung von Reisezeiten ihrer Arbeitnehmer als Arbeitszeit sowie gegen eine Anordnung zur Dokumentation von Arbeitszeiten und der anschließenden Vorlage bei dem Beklagten.

Die Klägerin betreibt ein Speditionsunternehmen, das auf die Überführung von neuen und gebrauchten Nutzfahrzeugen, unter anderem Sattelzugmaschinen, spezialisiert ist. In der Fahrzeugüberführung setzt die Klägerin neben weiteren Fahrern, die nicht aufgrund eines Arbeitsvertrages tätig werden, neun festangestellte Arbeitnehmer ein. Diese fahren von ihrem Wohnort mit Taxi und Bahn zum jeweiligen Abholort des Fahrzeugs, übernehmen dieses und fahren das Fahrzeug anschließend auf der eigenen Achse zum Zielort. Von dort reisen sie wiederum mit der Bahn zurück zum Wohnort. Soweit es sich um noch nicht erstmalig zugelassene Neufahrzeuge handelt, werden hierfür Überführungskennzeichen genutzt. Für die Bahnfahrt verfügen die Angestellten der Klägerin über eine Bahncard 100 in der 1. Klasse, sie müssen die Überführungspapiere, ein Firmenhandy, Schutzbezüge zur Nutzung im Überführungsfahrzeug sowie ausweislich eines von der Klägerin vorgelegten Gutachtens vom 6. April 2023 eine mobile Mautbox mit sich führen. Vorgaben der Klägerin, wie sie die Zeit während der Bahnfahrt einteilen und nutzen, bestehen nicht. Die vorgelegten Arbeitsverträge enthalten unter anderem folgende Regelungen:

"§ 5 Arbeitszeit und Arbeitsort

Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden. Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit werden durch die Disposition des Arbeitgebers bestimmt. ...

Ruhe-, Warte- und Bereitschaftszeiten sowie sogenannte Zeiten nicht zur freien Verfügung (z.B. Beifahrer als Doppelbesetzung, wenn keine firmenrelevanten Tätigkeiten ausgeführt werden müssen), gelten nicht als Arbeitszeit. Das gleiche gilt für An- und Abreisezeiten sowie Zeiten als Mitfahrer.

Das Arbeitsverhältnis bezieht sich auf eine Tätigkeit in ganz Europa. Der Arbeitgeber behält sich vor, den Arbeitnehmer auch außerhalb Europas einzusetzen, soweit dies erforderlich ist."

Auf einem Arbeitsvertrag ist handschriftlich hinzugefügt "kein fester Arbeitsort". Den vorgelegten Speditionsaufträgen aus dem Jahr 2018 sind Start- und Zielorte der Überführungsfahrten aus ganz Europa zu entnehmen.

Aufgrund einer Systemprüfung durch den Beklagten im Betrieb der Klägerin am 29. August 2018 wurden auf Anforderung Unterlagen für sieben Kraftfahrer vorgelegt. Diese Unterlagen waren nach Ansicht des Beklagten zur Auswertung von Arbeitszeiten im Sinne des Arbeitzeitgesetzes (ArbZG) ungeeignet. Zur Beurteilung der Arbeitszeiten forderte der Beklagte stattdessen die Vorlage vorhandener handschriftlicher Arbeitszeitaufzeichnungen an. Diese wurden von der Klägerin nicht vorgelegt, da sie nach ihren Angaben allein der Spesenerfassung dienten. Die Klägerin gab an, dass sie keine expliziten Aufzeichnungen der Fahrer über die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten führe. Ihrer Ansicht nach gelte die Reisezeit bis zum Abholort bzw. ab dem Zielort nach Beendigung des Auftrags nicht als Arbeitszeit.

Mit Schreiben vom 31. Januar 2019 wurde die Klägerin zum beabsichtigten Erlass von Anordnungen zur Dokumentation von Arbeitszeitnachweisen, der Erfassung von Reisezeiten zur Abholung der Fahrzeuge als Arbeitszeit und zur Verwendung von Fahrerkarten bei der Überführung von Altfahrzeugen angehört.

Im Rahmen des Anhörungsverfahrens gab die Klägerin an, die Reisezeiten nicht als Arbeitszeit anzusehen. Sie sagte jedoch zu, bei gebrauchten Fahrzeugen die Reisezeit zukünftig als Arbeitszeit zu erfassen. Es sei aber zwischen der Überführung von Neu- und Altfahrzeugen zu unterscheiden, weil auf erstere die Vorschriften über den Güterkraftverkehr keine Anwendung fänden. Für den Monat Juni 2018 legte die Klägerin der Beklagten schließlich eine summarische Arbeitszeitdokumentation vor, aus der sich tägliche Reisezeiten von 1 bis 9 Stunden ergaben. Im März 2019 führte die Klägerin nach ihren Angaben ein Pilotprojekt zur Arbeitszeiterfassung durch, als dessen Ergebnis sie dem Beklagten eine Dokumentation der Tätigkeitserfassung über einzelne Tage übermittelte.

Mit Bescheid vom 28. Juni 2019 erließ der Beklagte gegenüber der Klägerin, adressiert an ihren Prozessbevollmächtigten, unter Anordnung des Sofortvollzugs folgende Anordnungen:

"1. Ihre Mandantin hat ab sofort sicherzustellen, dass die in § 3 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) genannten zulässigen Höchstarbeitszeiten und die in § 5 ArbZGgenannten Mindestruhezeiten eingehalten werden.

In diesem Zusammenhang ergeht die feststellende Entscheidung, dass die im Betrieb Ihrer Mandantin gegebenen Bahnreisezeiten der auch in der Neufahrzeugüberführung tätigen Kraftfahrer als Arbeitszeit i. S. d. Arbeitszeitgesetzes zu berücksichtigen sind.

2. Ihre Mandantin hat vom 01.09.2019 bis zum 30.03.2020 die tägliche Arbeitszeit Ihrer im Rahmen der Alt- und Neufahrzeugüberführung beschäftigten Kraftfahrer unter Berücksichtigung der nachfolgend genannten Punkte wahrheitsgemäß zu dokumentieren:

- Vor- und Nachname des beschäftigten Kraftfahrers,

- Datum,

- Beginn und Ende der Arbeitszeit unter zusätzlicher Nennung von Beginn und Ende von Reisezeiten zwischen Kunden, Betriebsstätten und Wohnorten innerhalb der Arbeitszeit (siehe feststellende Entscheidung aus Ziffer 1.) und

- Beginn und Ende der jeweiligen Pausenzeiten.

3. Die in Ziffer 2. genannten Arbeitszeitaufzeichnungen sind mir jeweils monatlich zum 15. des Folgemonats, also erstmals zum 15.10.2019 (für den Monat September 2019) und letztmals zum 15.04.2020 (für den Monat März 2020) zu übersenden. Die Aufzeichnungen hat Ihre Mandantin mind. zwei Jahre ab jeweiligem monatlichen Aufzeichnungsbeginn aufzubewahren."

Für den Fall der nicht rechtzeitigen Vorlage der Nachweise gemäß Ziffer 3. wurde die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 5.000,00 EUR angedroht (Ziffer 5. des Bescheides). Zudem wurde bestimmt, dass die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen habe (Ziffer 6. des Bescheides).

Mit weiterem Bescheid vom 1. Juli 2019 setzte der Beklagte Verwaltungskosten in Höhe von 868,11 EUR gegenüber der Klägerin fest.

Die gegen beide Bescheide erhobenen Widersprüche der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2019 zurück. Rechtsgrundlage der Anordnung in Ziffer 1. des Bescheides vom 28. Juni 2019 sei § 17 Abs. 2 ArbZG. Die Nichtberücksichtigung der Bahnreisezeiten als Arbeitszeit führe zu einer Gesamtbelastung der Arbeitnehmer, die über das normale Maß hinausgehe und auf den Einzelfall bezogen rechtswidrig sei. Aus den vorgelegten Dokumentationen ergebe sich, dass die Bahnreisezeiten die tägliche und auch die monatliche Arbeitszeit dauerhaft nicht unwesentlich erhöhten. Hierbei sei auch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 10. September 2015 zu berücksichtigen, wonach Fahrten, die Beschäftigte ohne festen oder gewöhnlichen Arbeitsort zwischen dem Wohnort und dem Standort des ersten und des letzten Kunden des Tages zurücklegen, Arbeitszeiten im Sinne der EU-Arbeitszeitrichtlinie seien. Die Bahnfahrten gehörten im vorliegenden Fall auch untrennbar zum Wesen der betroffenen Arbeitsverhältnisse. Gestützt werde diese Wertung durch die sog. Beanspruchungstheorie. Eine Einordnung der Reisezeiten als Arbeitszeiten sei danach erforderlich, da die Arbeitnehmer der Klägerin bei einer Nichtberücksichtigung über das hinnehmbare Maß hinaus erheblich beansprucht würden. Es könne nicht unterstellt werden, dass die Arbeitnehmer in den Zügen - auch in den ggf. genutzten Ruhebereichen - die erforderliche Ruhe fänden, um diese Zeiten auch als Ruhezeiten anzusehen. Die Regelung des § 21a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ArbZG, wonach die Zeiten nicht als Arbeitszeit anzusehen sind, die Fahrer, welche sich in der Güterbeförderung abwechseln, während der Fahrt neben dem anderen Fahrer oder in der Schlafkabine verbringen, sei nicht übertragbar. Reisezeiten von Fahrern mit der Bahn seien auch nach Art. 9 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006nur dann als Ruhepause anzusehen, wenn die Fahrer Zugang zu einer Koje oder einem Liegewagen hätten. Im Unterschied dazu stehe den Angestellten der Klägerin lediglich ein Sitzplatz in der Bahn zur Verfügung. Die Belastung an einem solchen Platz sei höher als in einem Liegewagen oder als Beifahrer in einem Kraftfahrzeug.

Mit weiterem Bescheid vom 22. August 2019 setzte der Beklagte Kosten für die Durchführung des Widerspruchsverfahrens in Höhe von 1.300,11 EUR gegenüber der Klägerin fest.

Die Klägerin hat am 22. September 2019 Klage gegen alle Bescheide erhoben. Die Reisezeiten ihrer Arbeitnehmer in der Bahn könnten nicht ausnahmslos als Arbeitszeit gerechnet werden, die tatsächliche Belastung bzw. Beanspruchung der Arbeitnehmer weise hier Besonderheiten auf. Die Arbeitnehmer der Klägerin, die diese Reisezeiten passiv verbringen, seien nicht in gleicher Weise belastet wie etwa technische Servicemitarbeiter, welche die Wegstrecke vom Wohnort zu den Kunden und wieder zurück mit einem Firmenwagen selbstlenkend zurücklegen müssten. Jedenfalls seien ihre Arbeitnehmer in der Gestaltung dieser Reisezeit völlig frei (vgl. BAG, Urt. v. 11.07.2006 - 9 AZR 519/05 -). Durch die Beschränkung auf ein öffentliches Verkehrsmittel werde dem Arbeitnehmer lediglich ein "Freizeitopfer" abverlangt. Dieses wiege aber nicht so schwer, dass die Fahrten wie eine Diensthandlung der Interessensphäre des Arbeitgebers zuzurechnen wären. Der Gesetzgeber lasse zudem in § 21a Abs. 3 ArbZG sogar für Arbeitnehmer, die sich während der Lenkung eines Kraftfahrzeuges abwechseln, eine abweichende Beurteilung der Arbeitszeit nach § 2 Abs. 1 ArbZG erkennen. Die hier zu betrachtende Reisezeit sei jedenfalls vergleichbar mit den genannten Beifahrerfällen. Die Bahnsitzplätze seien bequem, für andere Reisende mit Kindern gebe es spezielle Abteile, so dass die Störungen beschränkt seien. Nach einem von einer Fachkraft für Arbeitssicherheit im Auftrag der Klägerin erstellten Gutachten zur Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung lägen die Risiken bei einer Bahnfahrt nahezu ausschließlich im Akzeptanzbereich. Demgegenüber werde das Mitfahren im Pkw (Taxi, Shuttle) als deutlich beanspruchender empfunden. Gleiches ergebe sich auch aus einem wirtschaftspsychologischen Gutachten mit einer Auswertung anderer Gutachten zu Belastungssituationen bei Bahnreisen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 28. Juni 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2019 bezüglich Ziffer 1. und 6. und die Kostenfestsetzungsbescheide vom 1. Juli 2019 und 22. August 2019 aufzuheben,

hinsichtlich der Ziffern 2., 3. und 5. des Bescheides vom 28. Juni 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2019 festzustellen, dass die Anordnungen rechtswidrig gewesen sind.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er nimmt auf die Begründung des Widerspruchsbescheides Bezug und wiederholt und vertieft diese. Ob Strecken durch die Arbeitnehmer selbstlenkend zurückgelegt werden, sei nicht maßgeblich. Auch bei der Überführung von Neufahrzeugen würden während der gesamten Zeit Tätigkeiten oder Aufgaben wahrgenommen. Die Arbeitnehmer hätten währenddessen nicht die Möglichkeit, über ihre Zeit frei zu verfügen und die Fahrten seien untrennbar mit dem Wesen der Aufgabe verbunden. Ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung bestünden zudem Arbeitsanweisungen hinsichtlich der Bahnanreise (Nutzung der DB-Navigator-App mit eigenem Smartphone, Mitführung von Fahrtenbuch, rotem Kennzeichen, Sitzbezug). Die Regelungen des Fahrpersonalrechts seien zwar nicht unmittelbar anwendbar, müssten jedoch Berücksichtigung finden. Nach Art. 9 VO (EG) Nr. 561/2006 sei die Fahrt in einem Zug nur dann keine Arbeitszeit, wenn Zugang zu einer Koje oder einem Liegewagen bestehe. Die hohe Belastung der Arbeitnehmer der Klägerin werde auch nicht durch das vorgelegte Gutachten einer Fachkraft für Arbeitssicherheit widerlegt. Es sei Aufgabe von Betriebsärzten, zu arbeitsphysiologischen, arbeitspsychologischen und sonstigen ergonomischen sowie arbeitshygienischen Fragen - insbesondere zu Arbeitsrhythmus, Arbeitszeit und Pausenregelung, Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung - fachlich zu beraten. Die Gutachterin verfüge nicht über eine gleichwertige Ausbildung. Zudem sei die Aussagekraft des Gutachtens, das nur auf Interviews ohne eingehende Untersuchung der Betroffenen gestützt wurde, fraglich. Aus den von der Klägerin nach Klageerhebung übermittelten Arbeitszeitnachweisen für Alt- und Neufahrzeugüberführungen ergebe sich, dass unter Berücksichtigung der Bahnfahrtzeiten (bei Herausrechnung der Pausenzeiten sowie der Zeiten als Beifahrer) mehrfach Einsatzzeiten der Arbeitnehmer über der Höchstgrenze von 10 Arbeitsstunden täglich hinaus angefallen seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte in dem Verfahren 3 A 150/22 und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.

1. Soweit sich die Klägerin gegen Ziffer 1. des Bescheides vom 28. Juni 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2019 wendet, ist die Klage zulässig, aber unbegründet. Die feststellende Anordnung in Ziffer 1. des Bescheides des Beklagten vom 28. Juni 2019 in Gestalt des zurückweisenden Widerspruchsbescheides vom 20. August 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Hiernach ist die Klägerin verpflichtet, die in §§ 3, 5 ArbZG bestimmten Grenzen einzuhalten und die im Betrieb der Klägerin anfallenden Bahnreisezeiten der in der Neufahrzeugüberführung tätigen Kraftfahrer als Arbeitszeit i. S. d. Arbeitszeitgesetzes zu berücksichtigen.

Die Anordnung unter Ziffer 1. des Bescheides vom 28. Juni 2019, dass "auch [die Bahnreisezeiten der] in der Neufahrzeugüberführung tätigen Kraftfahrer" als Arbeitszeit anzusehen sind, beschränkt sich in ihrer Regelungswirkung bei verständiger Auslegung auf die Neufahrzeugüberführung. Eine darüber hinausgehende und inzidente Regelung in Bezug auf Gebrauchtfahrzeuge vermag die Kammer dem Bescheid auch unter Berücksichtigung der sprachlichen Bezugnahme auf andere Fälle als die Neufahrzeugüberführung ("auch der in der Neufahrzeugüberführung tätigen Kraftfahrer" [Hervorhebung durch die Kammer]) nicht zu entnehmen.

Rechtsgrundlage der Verfügung in Ziffer 1. des streitgegenständlichen Bescheides vom 28. Juni 2019 ist § 17 Abs. 2 ArbZG. Danach kann die Aufsichtsbehörde die erforderlichen Maßnahmen anordnen, die der Arbeitgeber zur Erfüllung der sich aus diesem Gesetz und den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ergebenden Pflichten zu treffen hat. Die Generalklausel des § 17 Abs. 2 ArbZG (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.5.2019 - 8 C 3/18 -, juris Rn. 26) ermächtigt die Behörde auch zu sogenannten gesetzeswiederholenden Anordnungen und zur Feststellung der sich aus dem Arbeitszeitgesetz folgenden Verpflichtungen des Arbeitgebers, wenn Meinungsverschiedenheiten über deren Umfang bestehen (vgl. Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, Stand: 1.3.2023, § 1 ArbzG Rn. 4; BayVGH, Beschl. v. 26.10.2011 - 22 CS 11.1989 -, juris Rn. 14). Die Norm ist daher in zulässiger Weise Grundlage für eine Verfügung, die - wie hier - anordnet, dass der Arbeitgeber sicherzustellen hat, dass die in § 3 ArbZG genannten zulässigen Höchstarbeitszeiten und die in § 5 ArbZG genannten Mindestruhezeiten eingehalten werden. Dies gilt auch für eine - wie hier - feststellende Entscheidung, dass bestimmte Zeiten, die der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der ausgeübten Beschäftigung verbringt, als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes anzusehen sind.

Die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 17 Abs. 2 ArbZG lagen vor. Zwischen dem Beklagten als Aufsichtsbehörde und der Klägerin bestand Streit über die Auslegung des Begriffes "Arbeitszeit" im Sinne von §§ 3, 5 ArbZG und die Auffassung des Beklagten zur Bestimmung der "Arbeitszeit" erweist sich, anders als die Auffassung der Klägerin, als rechtmäßig.

Nach § 3 Satz 1 ArbZG darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer acht Stunden nicht überschreiten; sie kann unter bestimmten Voraussetzungen nach § 3 Satz 2 ArbZG auf bis zu zehn Stunden verlängert werden. Nach § 5 Abs. 1 ArbZGmüssen Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben; Möglichkeiten, hiervon abzuweichen, ergeben sich aus § 5 Abs. 2 und Abs. 3 ArbZG. Grundlage dieser Regelungen sind Art. 5 und Art. 6 lit b) der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (im Folgenden: Arbeitszeitrichtlinie). Nach Art. 6 lit. b) Arbeitszeitrichtlinie darf die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreiten.

Die von den Arbeitnehmern bei der Überführung von Neufahrzeugen bis zur Übernahme der Fahrzeuge und nach der Abgabe am Zielort als Bahnreise zurückgelegten Reise- oder Wegezeiten sind nach Maßgabe dieser allgemeinen arbeitszeitrechtlichen Vorschriften als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes anzusehen.

Als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes gilt nach § 2 Abs. 1 Satz 1, 1. Hs. ArbZG die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen. Die Begriffe des § 2 ArbZG sind im Lichte der Arbeitszeit-Richtlinie zu interpretieren, die gemäß Art. 1 Abs. 1 Arbeitszeit-Richtlinie Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung enthält (vgl. Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, § 2 ArbZG Rn. 2).

Hiernach sind die Bahnreisezeiten der Arbeitnehmer der Klägerin zur Übernahme des jeweiligen Fahrzeuges als Arbeitszeit anzusehen.

Den Begriff der Reise- oder Wegezeit kennt weder das Arbeitszeitgesetz noch die zugrundeliegende europarechtliche Regelung. Der Begriff Wegezeit hat sich jedoch eingebürgert für die vom Arbeitnehmer aufgewendete Zeit, um von der Wohnung zur Betriebsstätte zu gelangen. Diese Wegezeit ist nicht nur arbeitsschutzrechtlich, sondern auch mitbestimmungs- und vergütungsrechtlich keine Arbeitszeit (vgl. BeckOK Arbeitsrecht, a.a.O., § 2 ArbZG Rn. 21; Baeck/Deutsch/Winzer, ArbZG, 4. Aufl. 2020, § 3 Rn. 71, jeweils m.w.N.). Reisezeit lässt sich dagegen definieren als die Zeit, die der Arbeitnehmer aus betrieblichem Anlass zur Überwindung der Entfernung zwischen zwei Punkten aufwendet, wobei jeweils im Einzelfall zu prüfen ist, ob diese Zeit - je nach Normkontext (arbeitsschutzrechtlich, mitbestimmungsrechtlich, vergütungsrechtlich) - der Arbeitszeit zuzurechnen ist (vgl. Baeck/Deutsch/Winzer, Arbeitszeitgesetz, 4. Aufl. 2020, § 2 Rn. 67 ff.; vgl. etwa BAG, Urt. v. 21.12.2016 - 5 AZR 362/16 -, juris Rn. 30).

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts richtet sich die Einstufung von Reisezeit als Arbeitszeit nach der sog. Beanspruchungstheorie (vgl. BAG, Urt. v. 11.7.2006 - 9 AZR 519/05 -, juris Rn. 40). Mit der fraglichen Tätigkeit müsse eine dem Gesundheitsschutz zuwiderlaufende Belastung einhergehen (vgl. BAG, Urt. v. 18.1.2017 - 7 AZR 224/15 -, juris Rn. 27 f.). Nach Maßgabe dessen liegt grundsätzlich Arbeitszeit vor, wenn im Rahmen der Reise ein Fahrzeug selbst gelenkt wird (vgl. BeckOK, Arbeitsrecht, a.a.O., § 2 ArbZG Rn. 22). Gleiches soll für den Beifahrer gelten, wenn er zusätzlich zu dem Fahrer auf den Verkehr achten muss (vgl. Baeck/Deutsch/Winzer, ArbZG, 4. Aufl. 2020, § 3 Rn. 74). Bei Nutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels ist dagegen, wenn keine weiteren Aufgaben für den Arbeitgeber ausgeführt werden, sondern die Zeit während der Fahrt für Schlafen, privates Lesen etc. verwendet werden kann, die Reisezeit arbeitszeitrechtlich nicht als Arbeitszeit einzustufen, da der Arbeitnehmer währenddessen nicht maßgeblich beansprucht wird. Gesundheit und Sicherheit des Arbeitnehmers sind durch ein Überschreiten der täglich zulässigen Höchstarbeitszeit nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts in diesem Fall nicht gefährdet, da es dem Arbeitnehmer auch freistehe, private Angelegenheiten zu erledigen; Dösen und Schlafen seien ebenso gestattet wie die Einnahme von Getränken oder Speisen. Ob diese Zeiten vergütungsrechtlich als Arbeitszeit anzusehen sind (vgl. BAG, Urt. v. 31.3.2021 - 5 AZR 148/20 -, juris Rn. 26; Urt. v. 18.3.2020 - 5 AZR 36/19 -, juris Rn. 16; Urt. v. 17.10.2018 - 5 AZR 553/17 -, Rn. 14), ist hiervon unabhängig zu betrachten. Nach Maßgabe dessen wären die Reisezeiten der Fahrer im vorliegenden Fall - entsprechend der Argumentation der Klägerin - nicht als Arbeitszeit einzustufen. Die Fahrer müssen zwar auf die mitgeführten Gegenstände achten, ihre Beanspruchung beschränkt sich im Übrigen aber auf den Ablauf der Fahrt sowie die Einhaltung etwaiger Umsteigezeiten. Es steht ihnen frei, während der Fahrt zu schlafen, zu essen, zu trinken oder private Angelegenheiten zu erledigen, soweit dies in einem Zug oder anderen öffentlichen Verkehrsmittel möglich ist.

Dass gerade Reisen in öffentlichen Verkehrsmitteln - was gerichtsbekannt ist - auch Belastungen durch Verspätungen, gerade im Fernreiseverkehr, erhöhte Auslastung, Geräuschbelastungen etc. mit sich bringen, denen sich der Betreffende auch nicht entziehen kann, bliebe dabei unberücksichtigt bzw. wiegt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts jedenfalls nicht so schwer, dass in jedem Fall eine dem Gesundheitsschutz zuwiderlaufende Belastung angenommen werden kann.

Aus den von der Klägerin vorgelegten Gutachten ergeben sich jedenfalls keine aussagekräftigen Schlussfolgerungen zu dieser Frage. Ob die Fachkraft für Arbeitssicherheit (B.A. Public Health), die an der Aufstellung der von der Klägerin am 4. November 2019 erstellten Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung beteiligt war, ausreichend qualifiziert ist, kann hier dahinstehen. Jedenfalls ist die in dieser Gefährdungsanalyse enthaltene Angabe, auf welche sich die Klägerin stützt ("Arbeitsinhalte/-aufgabe - Handlungsspielraum: Die Fahrer schätzten im Gespräch das Mitfahren im Pkw (Taxi, Shuttle) als deutlich beanspruchender ein als das Fahren mit Eisenbahnen, Flugzeugen, ÖPNV, da sie über keinen Einfluss auf das Fahrverhalten verfügen und einem riskanten Fahrstil ausgesetzt sein können") im Rahmen der Darstellung psychischer Belastungsfaktoren (S. 24 der Gefährdungs- und Belastungsanalyse) für sich genommen bereits nicht hinreichend aussagekräftig. So wird keine Beziehung zwischen dem subjektiv als riskant empfundenen Fahrverhalten Dritter und der Dauer der jeweiligen Taxi- oder Shuttlefahrt hergestellt. Zudem finden Auswirkungen der Nutzung des ÖPNV auf den Handlungsspielraum der Arbeitnehmer oder die oben erwähnten sonstigen Stressfaktoren keine Erwähnung. Schließlich ist zu beachten, dass lediglich fünf der neun festangestellten Arbeitnehmer der Klägerin an den Interviews teilgenommen haben (S. 5 der Gefährdungs- und Belastungsanalyse), so dass - ungeachtet der ohnehin geringen Anzahl an festangestellten Arbeitnehmern der Klägerin - keine belastbaren Rückschlüsse für die anderen Arbeitnehmer der Klägerin gezogen werden können.

Auch aus dem Gutachten des Wirtschaftspsychologen H. vom 6. April 2023 ergeben sich keine schlüssigen Aussagen dazu, wie groß die Belastung bei den hier zu betrachtenden Bahnreisen anzusehen ist. Eine absolute Aussage zur Belastung durch Bahnfahrten ist, soweit erkennbar, bereits nicht Gegenstand des Gutachtens. Weiterhin ist zu beachten, dass dessen Aussagekraft für den vorliegenden Fall bereits deshalb gering ist, weil sich laut dem Gutachten ein Großteil der wissenschaftlichen Forschung auf Nahverkehrspendler/innen bezieht und nicht auf den Fernverkehr (vgl. S. 4 des Gutachtens). Zudem ist eine zitierte Studie, welche sich mit der Belastung von Beifahrern bei autonomem Fahren befasst (S. 6 des Gutachtens), nicht maßgeblich, weil sich die Vergleichsgruppen insoweit unterscheiden. Letztlich ist dieses Gutachten im Hinblick auf die gezogenen Schlussfolgerungen aber jedenfalls nicht hinreichend schlüssig. Die zusammenfassend getroffene Annahme, Bahnfahrten gingen mit weniger psychischen Belastungen einher als Reisen als Beifahrer in einem Kfz (S. 8 des Gutachtens) lässt sich nach Ansicht des Gerichts den Aussagen der zitierten Studien nicht eindeutig entnehmen. Diese Studien treffen unter anderem auch Aussagen, die gerade für eine starke Belastung durch Bahnreisen im Fernverkehr sprechen (vgl. S. 7 des Gutachtens). So werde allgemein empfohlen, die Reisedauer gering zu halten und im Fall von Bahnreisen das Umsteigen zu vermeiden (S. 5 des Gutachtens). Längere Fahrten führen danach zu einer größeren Belastung des Betreffenden. Weiter wird eine Studie zitiert, wonach Autofahrer/innen auch positivere Emotionen im Vergleich zu Bus- und Bahnreisenden empfänden (S. 5 des Gutachtens). Zusammenfassend werden schließlich Faktoren zur Risikominimierung aufgeführt, die von der Klägerin auch teilweise beachtet werden (zum Beispiel Buchung in der 1. Klasse); andererseits werden aber Risikofaktoren benannt, die sich auch bei Bahnreisen nachteilig auswirken: das Mitführen von betrieblichen Materialien und Unterlagen (Verantwortung), lange Reisezeiten (Konzentrations- und Aufmerksamkeitsniveau), die mögliche Änderung des Überführungsauftrags und des Reiseplans oder Zwischenfälle wie Zugausfälle (wahrgenommene Kontrolle) sowie die mögliche Abarbeitung von Arbeitsaufträgen (Arbeitsbelastung). Diese Risikofaktoren sind nach Ansicht des Gutachters betriebsbedingt und träten auch bei Nutzung anderer Verkehrsmittel auf. Differenzierte Aussagen dazu, wie sich etwa die wahrgenommene Verantwortung für mitgeführte Gegenstände oder die Wahrscheinlichkeit von Zwischenfällen bei Bahnfahrten einerseits und Pkw-Fahrten bei typischer Häufigkeit auswirken, fehlen jedoch. Die gezogene Schlussfolgerung, dass anzunehmen sei, Bahnreisen seien in jedem Fall weniger belastend als Fahrten als Beifahrer in einem Kfz lässt sich nach Ansicht der Kammer danach nicht nachvollziehen.

Jedenfalls gebieten die europarechtlichen Regelungen eine von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im vorliegenden Fall abweichende Betrachtung. Nach Art. 2 Nr. 1 der Arbeitszeitrichtlinie ist Arbeitszeit jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und / oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Der Begriff der Arbeitszeit steht dabei im Gegensatz zur Ruhezeit, beide Begriffe schließen einander aus (EuGH, Urt. v. 10.9.2015 - C-266/14 -, juris Rn. 25; vgl. auch EuGH, Urt. v. 9.9.2003 - C-151/02 -, juris Rn. 48). Die Richtlinie sieht auch keine Zwischenkategorie zwischen Arbeitszeit und Ruhezeit vor (vgl. EuGH, Urt. v. 10.9.2015 - C-266/14 -, Rn. 25 f.).

Nach Maßgabe des Art. 2 Nr. 1 der Arbeitszeitrichtlinie handelt es sich bei den Bahnreisezeiten eines angestellten Fahrers der Klägerin im Rahmen der Neufahrzeugüberführung um Arbeitszeit.

Nach Art. 2 Nr. 1 der Arbeitszeitrichtlinie setzt die Anerkennung als Arbeitszeit zunächst voraus, dass der Arbeitnehmer in der fraglichen Zeit gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und / oder Gepflogenheiten arbeitet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass durch das nationale Recht eine Bestimmung des Begriffes "Arbeitszeit" zulässig ist. Durch die Arbeitszeitrichtlinie sollen Mindestvorschriften festgelegt werden, die dazu bestimmt sind, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer durch eine Angleichung namentlich der innerstaatlichen Arbeitszeitvorschriften zu verbessern. Eine Abweichung von Art. 2 der Arbeitszeitrichtlinie ist daher nicht zulässig (vgl. EuGH, Urt. v. 10.9.2015 - C-266/14 - juris Rn. 25 f. m.w.N.). Die Begriffe "Arbeitszeit" und "Ruhezeit" dürfen nicht nach Maßgabe der Vorschriften der Regelungen der verschiedenen Mitgliedstaaten ausgelegt werden, sondern sie stellen gemeinschaftsrechtliche Begriffe dar, die anhand objektiver Merkmale unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des Zweckes dieser Richtlinie zu bestimmen sind. Auf diesem Weg soll die volle Wirksamkeit der Richtlinie und eine einheitliche Anwendung der genannten Begriffe in sämtlichen Mitgliedstaaten sichergestellt werden (vgl. EuGH, Urt. v. 9.9.2003 - C-151/02 -, juris Rn. 58). Die Mitgliedstaaten dürfen den Anspruch des Arbeitnehmers auf ordnungsgemäße Berücksichtigung der Arbeitszeiten und dementsprechend der Ruhezeiten durch das nationale Recht keinerlei Bedingungen unterwerfen, da dieser Anspruch sich unmittelbar aus den Vorschriften der Richtlinie ergibt (vgl. EuGH, Urt. v. 9.9.2003 - C-151/02 -, juris Rn. 59; Urt. v. 9.3.2021 - C-344/19 -, juris Rn. 31 f.).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe liegt das genannte Merkmal im Fall der angestellten Fahrer der Klägerin im Rahmen der fraglichen Überführungsfahrten vor. Fahrten von Arbeitnehmern, die von ihrem Wohnort direkt zu Kunden fahren, um bei diesen technische Leistungen zu erbringen, stellen das notwendige Mittel für diese (eigentliche) Leistungserbringung dar und sind daher Arbeitszeit (vgl. EuGH, Urt. v. 10.9.2015 - C-266/14 - juris Rn. 32). Die Tätigkeit der angestellten Fahrer der Klägerin ist hiermit vergleichbar. Sie verfügen nicht über einen festen Arbeitsplatz und erbringen ihre Arbeitsleistung nicht in einer Betriebsstätte. Die Einsatzorte variieren vielmehr - wie auch den in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen Speditionsaufträgen zu entnehmen ist - durchgängig. Die eigentliche Tätigkeit als Kraftfahrer beginnt zwar erst mit der Übernahme des zu überführenden Fahrzeugs. Der gesamten Tätigkeit der Fahrer ist in dieser besonderen Fallkonstellation jedoch die Ableistung der Bahnreisezeiten - die ausweislich der nach Bescheiderlass erstellten Übersichten - von weniger als einer Stunde bis zu zwölf Stunden täglich oder mehr umfassen kann, immanent. Die Fahrer werden ausschließlich damit beauftragt, sich zu wechselnden Abholstellen im In- oder Ausland zu begeben, die Überführung eines Fahrzeugs an einen anderen - wechselnden - Ort im In- oder Ausland vorzunehmen und anschließend wieder an ihren Wohnort zu reisen. Wie lang die Anreise zur Übernahme des Fahrzeugs und damit zur Aufnahme der Fahrtätigkeit ist, steht dabei nicht zur Disposition des Arbeitnehmers, sondern richtet sich allein nach der Bestimmung des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer hat - anders als bei einer festen Betriebsstätte, in welcher er seine Arbeitsleistung erbringt - keinen Einfluss darauf, wie weit sein Wohnort von den Start- oder Zielorten der Überführungsfahrten entfernt liegt. Es ist daher nicht der Sphäre der Arbeitnehmer (vgl. für Bereitschaftszeiten: EuGH, Urt. v. - C-344/19 -, juris Rn. 40), sondern der Sphäre der Klägerin zuzurechnen, wieviel Zeit die Bahnanreise und -abreise im Rahmen der Überführung des Fahrzeugs in Anspruch nimmt.

Nach Art. 2 Nr. 1 der Arbeitszeitrichtlinie setzt die Anerkennung als Arbeitszeit zweitens voraus, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung steht. Dabei ist es grundsätzlich entscheidend, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten und sich zu dessen Verfügung zu halten, um gegebenenfalls sofort seine Leistungen erbringen zu können (vgl. EuGH, Urt. v. 10.9.2015 - C-266/14 -, juris Rn. 35 m.w.N.). Jedenfalls kommt es darauf an, wie frei der Arbeitnehmer hierbei über seine Zeit verfügen und eigenen Interessen nachgehen kann (vgl. EuGH, Urt. v. 3.10.2000 - C-303/98 -, juris Rn. 50). Unabhängig davon, dass es den Fahrern der Klägerin obliegt, ihre Zugfahrten selbst zu planen und ihnen damit keine bestimmte Zugverbindung vorgeschrieben wird, unterliegen sie während der Fahrtzeiten in vollem Umfang der Weisungsbefugnis der Klägerin. Sie müssen sich während der Fahrtzeit zur Verfügung halten und telefonisch erreichbar sein, um gegebenenfalls umzudisponieren, die Fahrt abzubrechen oder einen anderen Kunden aufzusuchen, auch wenn dies nur selten vorkommt. Auch wenn die Fahrer der Klägerin während der Zugfahrten essen, trinken oder schlafen können, müssen sie sich außerhalb ihres familiären und sozialen Umfeldes aufhalten (vgl. hierzu EuGH, Urt. v. 3.10.2000 - C-303/98 -, juris Rn. 50; Urt. v. 9.9.2003 - C-151/02 -, juris Rn. 65) und stehen der Klägerin als Arbeitgeberin währenddessen zur Verfügung, ohne sich dem entziehen zu können. Die angestellten Fahrer der Klägerin unterliegen aufgrund ihres Tätigkeitsbildes damit regelmäßig derartigen örtlichen, zeitlichen und sozialen Einschränkungen, dass die Bahnfahrtzeiten der Arbeitszeit und nicht der Ruhezeit zuzuordnen sind.

Weiterhin setzt die Anrechnung als Arbeitszeit nach Art. 2 Nr. 1 der Arbeitszeitrichtlinie voraus, dass der Arbeitnehmer seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Hat ein Arbeitnehmer keinen festen Arbeitsort und nimmt er Aufgaben während der Fahrt zu oder von einem Kunden wahr, arbeitet er während dieser Fahrt. Hat ein Arbeitnehmer keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort, gehört es untrennbar zu dem Wesen seines Arbeitsverhältnisses, dass der Arbeitsort nicht auf die Orte beschränkt werden kann, an denen er für den Arbeitgeber, etwa bei einem Kunden, physisch tätig wird (vgl. EuGH, Urt. v. 10.9.2015 - C-266/14 -, juris Rn. 43; Urt. v. 10.9.2015 - C-266/14 -, juris Rn. 32; vgl. auch für eine Flugreise zu einem Kunden: EFTA-Gerichtshof, Urt. v. 15.7.2021 - E-11/20 -, Rn. 44 ff., abrufbar über eftacourt.int/cases/). Der Tätigkeit der Fahrer der Klägerin ist es in der vorliegenden besonderen Fallkonstellation immanent, dass sie mit ihrer Anreise zu den jeweils wechselnden Orten, an denen sie ein Fahrzeug übernehmen, Aufgaben der Klägerin wahrnehmen. Sie begeben sich - wie bereits oben ausgeführt - nicht nur selbst zum Übernahmeort des Fahrzeugs, sie führen dabei auch die entsprechenden Gegenstände wie Überführungskennzeichen, Sitzschutzbezüge und die Unterlagen zur Fahrzeugübernahme sowie ggf. eine mobile Mautbox mit sich. Außerdem sind sie verpflichtet, ggfs. mit der Klägerin zur Terminabstimmung zu telefonieren.

Dass die Fahrer in den fraglichen Zeiten nicht zusätzlich noch dadurch tätig werden, dass sie selbstlenkend ein Fahrzeug steuern, ist in der vorliegenden Konstellation nicht maßgeblich. Eine besondere Erschwernis oder körperliche Belastung ist gerade kein zwingendes Merkmal des Begriffes der Arbeitszeit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie. Entscheidend sind vielmehr die Bestimmung der im Einzelfall geschuldeten Tätigkeiten des Arbeitnehmers sowie die Beschränkungen, die der Arbeitnehmer dadurch erfährt, dass er nicht frei über seine Zeit verfügen kann (vgl. etwa zu Bereitschaftszeiten EuGH, Urt. v. 9.3.2021 - C-580/19 -, juris Rn. 44; vgl. auch EuGH, Urt. v. 18.1.2011 - C-297/99 -, juris Rn. 23, 28). Vorliegend ist daher maßgeblich, dass die regelmäßig mehrstündige An- und Abreise, die die Fahrer der Klägerin in der Neufahrzeugüberführung absolvieren müssen, einerseits bereits Teil der Leistungserbringung ist und andererseits zu einer maßgeblichen Einschränkung der Freiheit der Fahrer führt, über ihre Zeit selbst zu bestimmen. Die Dauer dieser Anreise können die Fahrer auch nicht durch die Wahl ihres Wohnortes beeinflussen. Diese Auslegung des Begriffes der Arbeitszeit steht auch mit dem Ziel der Arbeitszeitrichtlinie in Einklang, die Sicherheit, die Arbeitshygiene und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit zu verbessern, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen (Erwägungsgrund 4 der Arbeitszeitrichtlinie).

Aus § 21a ArbZG und der europäischen Fahrpersonal-Richtlinie ergibt sich vorliegend nicht anderes.

Die Vorschrift des § 21a ArbZG findet auf die Fallkonstellation der Neufahrzeugüberführung unmittelbar keine Anwendung. Die Norm beruht auf der Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben (Fahrpersonal-Richtlinie). Die Regelungen des § 21a ArbZG weichen teilweise von den allgemeinen Arbeitszeitregelungen der §§ 3 ff. ArbZG ab und nehmen etwa bestimmte Bereitschaftszeiten von Transportarbeitern aus dem Arbeitszeitbegriff aus, wobei gleichzeitig bestimmt wird, dass diese Zeiten nicht zur Ruhezeit zu rechnen sind. Hiermit soll den Besonderheiten des Straßentransportgewerbes Rechnung getragen werden (vgl. Baeck/Deutsch/Winzer, ArbZG, 4. Aufl. 2020, § 21a Rn. 13). Die Vorschrift des § 21a ArbZG ist ausdrücklich nur anwendbar für die Beschäftigung von Arbeitnehmern als Fahrer oder Beifahrer bei Straßenverkehrstätigkeiten im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates (ABl. EG Nr. L 102 S. 1) oder im Sinne des Europäischen Übereinkommens über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR) vom 1. Juli 1970 (BGBl. II 1974 S. 1473). Sowohl die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 als auch das AETR sind in ihrem Anwendungsbereich auf bestimmte Beförderungen im Straßenverkehr beschränkt (Art. 2 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 561/2006 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2002/15/EG (Fahrpersonal-Richtlinie) und Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates vom 20. Dezember 1985 bzw. Art. 4 und Art. 2 AETR). Als "Straßenverkehr" gilt nach Art. 1 Abs. 1 der in Bezug genommenen Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 jede Fortbewegung eines zur Personen- oder Güterbeförderung benutzten leeren oder beladenen Fahrzeugs auf Straßen, zu denen die Öffentlichkeit Zugang hat. Nach Art. 4 lit. a) der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 bezeichnet der Ausdruck "Beförderung im Straßenverkehr" jede ganz oder teilweise auf einer öffentlichen Straße durchgeführte Fahrt eines zur Personen- oder Güterbeförderung verwendeten leeren oder beladenen Fahrzeugs. Neufahrzeuge, die noch nicht in Betrieb genommen sind, sind ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen (Art. 3g der Verordnung (EG) Nr. 561/2006). Nach Art. 4 Satz 2 AETR gilt dieses Übereinkommen unabhängig von der Anwendung strengerer nationaler Vorschriften nur für diejenigen Fahrer, die in Fahrzeugen, welche in einem anderen Vertragsstaat oder Nichtvertragsstaat zugelassen sind, Beförderungen im internationalen Straßenverkehr durchführen.

Wenn durch die Klägerin noch nicht endgültig in Betrieb genommene Neufahrzeuge auf eigener Achse mit Überführungskennzeichen - ohne den Transport von Gütern - vom Händler an einen Empfänger überführt werden, erfüllt dies nicht das Tatbestandsmerkmal der Beförderung im Straßenverkehr. Die Tätigkeit fällt nicht in den Anwendungsbereich der bereichsspezifischen Normen der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 oder des AETR und damit des § 21a ArbZG. Dies gilt zum einen für Fahrzeuge, die aufgrund bauartbedingter Merkmale bereits objektiv nicht zur Beförderung von Gegenständen oder Personen im Sinne der genannten Normen geeignet sind (z. B. Kranfahrzeuge). Zum anderen gilt dies aber auch für Neufahrzeuge wie Sattelzugmaschinen, die zwar typischerweise durch Ergänzung mit entsprechenden Auflieger für Beförderungszwecke eingesetzt werden (vgl. VG Köln, Urt. v. 14.4.2015 - 14 K 3417/11 -, juris Rn. 46 f.), mit denen jedoch bis zur erstmaligen - auch technischen - Inbetriebnahme für Beförderungszwecke, etwa durch Einbau eines Fahrtenschreibers, gerade keine Teilnahme am Straßenverkehr zur Beförderung im Sinne der genannten Vorschriften vorliegt. Der Klägervertreter hat in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass die Aufbereitung der Fahrzeuge für die Inbetriebnahme durch den Übernehmer und damit erst nach Abschluss der Überführungsfahrt erfolge. Erst mit der "Inbetriebnahme" für Transportzwecke wird das Fahrzeug zur Beförderung verwendet im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 561/2006. Auf die Nutzung eines Überführungskennzeichens kommt es dabei nicht maßgeblich an, entscheidend ist, dass das Fahrzeug nicht zuvor bereits im technischen Sinne, durch entsprechende Kalibrierung etc., für Beförderungszwecke in Betrieb genommen oder tatsächlich für Beförderungszwecke genutzt worden war. Bei der Überführung dieser Neufahrzeuge auf der eigenen Achse sind diese selbst der zu "befördernde" Gegenstand. Dabei liegt bereits begrifflich keine Beförderung durch ein Fahrzeug vor, da bei einer Beförderung ein Transportgut mittels eines hiervon zu unterscheidenden Fahrzeugs bewegt wird.

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann die Norm des § 21a ArbZG für die vorliegende Fallkonstellation auch nicht vergleichend herangezogen werden. Nach der Arbeitszeitrichtlinie ist allein zwischen Arbeitszeit und Ruhezeit zu unterscheiden. Mit den Zeiten nach § 21a Abs. 3 ArbZG, die von der Arbeitszeit ausdrücklich ausgenommen werden - unter anderem den Zeiten als Beifahrer - wird dagegen eine dritte Zeitkategorie geschaffen, d. h. es werden Zeiten bestimmt, die weder Arbeits- noch Ruhezeit sind. Diese Zeiten sind nicht allein aufgrund der Bestimmung als "Nicht-Arbeitszeit" im Sinne der bereichsspezifischen Regelung des § 21a ArbZG zwingend der Ruhezeit zuzurechnen. Vielmehr ist zu beachten, dass auch im Geltungsbereich des § 21a ArbZG und der Fahrpersonal-Richtlinie Ruhezeiten einzuhalten sind, die sich von der Arbeitszeit sowie von sonstigen, von der Arbeitszeit ausgenommenen Bereichen, zum Schutz des Fahrpersonals unterscheiden.

2. Soweit die Klage gegen die Ziffern 2. und 3. des Bescheides vom 28. Juni 2019 gerichtet ist, wonach die Klägerin verpflichtet wird vom 1. September 2019 bis zum 30. März 2020 die tägliche Arbeitszeit ihrer im Rahmen der Alt- und Neufahrzeugüberführung beschäftigten Kraftfahrer zu dokumentieren, die Dokumentation monatlich dem Beklagten zu übermitteln und für zwei Jahre aufzubewahren, ist die Klage ebenfalls zulässig, aber unbegründet. Gleiches gilt für die Androhung der Zwangsgeldfestsetzung in Ziffer 5. des Bescheides vom 28. Juni 2019.

Die Anordnungen haben sich mit Ablauf der darin jeweils bestimmten Zeitspanne sowohl für die Anfertigung der Aufzeichnungen, die Vorlage bei dem Beklagten als auch für die anschließende Aufbewahrung der Unterlagen erledigt. Dies gilt ebenso für die Androhung der Zwangsgeldfestsetzung für den Fall eines Verstoßes gegen die vorgenannten Pflichten. Die Klage ist jedoch als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht, wenn sich der Verwaltungsakt vor der Entscheidung über die Anfechtungsklage durch Zurücknahme oder anders erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Die Anordnungen in Ziffern 2., 3. und 5. des Bescheides vom 28. Juni 2019 haben sich durch Ablauf des streitgegenständlichen Zeitraumes erledigt. Das besondere Interesse an einer Feststellung der Rechtswidrigkeit ergibt sich daraus, dass die Klägerin gleichlautende Anordnungen auch künftig zu besorgen hat, insbesondere da der Beklagte die Anordnung, anders als Ziffer 1. des Bescheides, nicht auf die Arbeitszeiten in der Neufahrzeugüberführung beschränkt hat, sondern auf die Arbeitszeiten bei der Überführung von Gebrauchtfahrzeugen erstreckt hat. Anlass für die Anordnung war, dass die Klägerin im Zusammenhang mit der von dem Beklagten durchgeführten Systemprüfung Unterlagen über die Arbeitszeiten der angestellten Kraftfahrer nicht bzw. in nicht aussagekräftiger Form zur Verfügung gestellt hat, so dass dem Beklagten eine Prüfung der Einhaltung der Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes nicht oder allenfalls eingeschränkt möglich erschien. Es ist davon auszugehen, dass der Beklagte unter gleichen Umständen auch zukünftig in gleicher Weise Anordnungen zur Dokumentation gegenüber der Klägerin treffen würde.

Die Klage bleibt jedoch auch insoweit in der Sache ohne Erfolg. Die Anordnungen unter Ziffer 2., 3. und 5. des Bescheides vom 28. Juni 2019 erweisen sich als rechtmäßig.

Rechtsgrundlage der Anordnung zur Dokumentation und Herausgabe der Dokumentationsunterlagen ist § 17 Abs. 4 ArbZG. Danach kann die Aufsichtsbehörde vom Arbeitgeber die für die Durchführung dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen erforderlichen Auskünfte verlangen. Sie kann ferner vom Arbeitgeber unter anderem verlangen, Arbeitszeitnachweise oder Geschäftsunterlagen, die mittelbar oder unmittelbar Auskunft über die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes geben, vorzulegen oder zur Einsicht einzusenden.

Der Beklagte durfte als Aufsichtsbehörde die Vorlage der angeforderten Auskünfte durch den Beklagten für den in dem Bescheid bestimmten Zeitraum anordnen. Diese Auskünfte waren als für die Durchführung des Arbeitszeitgesetzes erforderlich anzusehen, um die Einhaltung der arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen durch die Klägerin überprüfen zu können. Ein Auskunftsverlangen nach § 17 Abs. 4 ArbZGsetzt keinen konkreten Verdacht eines Gesetzesverstoßes voraus. Unzulässig ist nur die allgemeine, ungezielte Ausforschung des Arbeitgebers, die allein die behördliche Aufsicht erleichtern soll (Kock in BeckOK, Arbeitsrecht, a.a.O., § 17 ArbZG Rn. 7; Wank in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Aufl. 2020, § 17 Rn. 4; VG Ansbach, Urt. v. 25.1.2017 - AN 4 K 15.00907 - juris Rn. 67 ff.). Vorliegend bestand ein konkreter Anlass für die Anordnung zur Aufzeichnung und Vorlage der Arbeitszeitnachweise. Im Rahmen der von dem Beklagten vorgenommenen Systemprüfung und auch im Nachgang dazu hatte die Klägerin die von dem Beklagten angeforderten Unterlagen, aus denen sich die Einsatz- und Arbeitszeiten ihrer festangestellten Fahrer ergeben würden, nicht vorgelegt. Vielmehr verweigerte sie die Herausgabe von Spesenabrechnungen, aus denen eventuell Rückschlüsse auf die arbeitszeitrechtlich relevanten Daten hätten gezogen werden können. Zum einen vertrat die Klägerin bei der Neufahrzeugüberführung bereits im Laufe des Verwaltungsverfahrens die Ansicht, dass die Bahnreisezeiten nicht in die Arbeitszeiten einzurechnen seien. Zum anderen sind auch aus den von der Klägerin doch punktuell vorgelegten Aufstellungen jedenfalls Überschreitungen der Höchstarbeitszeit von 10 Stunden zu entnehmen (vgl. Vermerk vom 9.5.2019, Bl. 58 der Beiakte 004).

Die nach § 17 Abs. 4 Satz 1 ArbZG von dem Beklagten getroffene Ermessensentscheidung lässt bei der insoweit - auf den Rahmen des § 114 Satz 1 VwGO - beschränkten gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit keine Fehler erkennen.

Die Anordnung durch förmlichen Bescheid war erforderlich. Die Erforderlichkeit ist nicht deshalb zu verneinen, weil die Klägerin im Laufe des Überprüfungsverfahrens und während der Anhörung zu der beabsichtigten Entscheidung über die Einstufung als Arbeitszeit im Rahmen eines Pilotprojekts für kurze Zeiträume und für bestimmte Arbeitnehmer Nachweise über die Arbeitszeiten und die Reisezeiten vorgelegt hatte. Eine vollständige Überprüfung des Umfangs der Arbeitszeit der angestellten Fahrer war dem Beklagten auf Grundlage dieser Unterlagen gerade nicht möglich.

Die Anordnung zur Vorlage der geforderten Belastungsanalyse war auch verhältnismäßig im engeren Sinn. Wenn eine automatische Erfassung der Lenkzeiten der Fahrer nicht über einen Fahrtenschreiber erfolgt, ist hierfür mehrfach täglich eine Erfassung der Zeiten sowie eine Zusammenstellung durch die Klägerin erforderlich. Angesichts des mit dem Auskunftsverlangen verfolgten Zwecks, die Einhaltung der gesetzlichen Höchstarbeitszeiten zu überwachen und damit die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer sicherzustellen (vgl. § 1 Nr. 1 ArbZG), war der Klägerin dieser Aufwand jedoch zumutbar.

Aus den vorgenannten Gründen erweisen sich auch die Anordnungen, die Aufzeichnungen der täglichen Arbeits- und Ruhepausenzeiten dem Gewerbeaufsichtsamt spätestens bis 15. des Folgemonats zu übersenden als rechtmäßig. Gleiches gilt für die Anordnung, die Aufzeichnungen für die Dauer von zwei Jahren aufzubewahren, die ihre Grundlage in § 17 Abs. 2 ArbZG findet.

Die Zwangsmittelandrohung auf der Grundlage von § 70 des Nds. Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (NVwVG) i. V. m. §§ 64 Abs. 1, 65 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2, 67, 70 des Nds. Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (NPOG) begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

3. Soweit die (Anfechtungs-)Klage gegen die Kostengrundentscheidung in Ziffer 6. des Bescheides des Beklagten vom 28. Juni 2019 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 20. August 2019 sowie gegen die Festsetzung von Verwaltungskosten mit Bescheid vom 1. Juli 2019 und mit weiterem Bescheid vom 22. August 2019 gerichtet ist, ist sie zulässig, aber unbegründet.

Die Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage der Kostengrundentscheidung sind §§ 1 und 5 Abs. 1 Satz 1 des Niedersächsischen Verwaltungskostengesetzes (NVwKostG). Danach ist Kostenschuldner derjenige, der zu der Amtshandlung Anlass gegeben hat. Als Adressatin der Verfügung nach § 17 Abs. 2 ArbZG, die sich nach Vorstehendem als rechtmäßig erweist, hat die Klägerin Anlass zu der Amtshandlung gegeben.

Rechtsgrundlage der Kostenfestsetzung mit Festsetzungsbescheid vom 1. Juli 2019 sind §§ 1, 3, 6 und 13 NVwKostG i. V. m. Ziffer 5.4.1.7 der Anlage zu § 1 Abs. 1 der Allgemeinen Gebührenordnung (AllGO) in der zum maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der Gebührenforderung geltenden Fassung. Danach ist für die Anordnung von Maßnahmen nach § 17 Abs. 2 ArbZG eine Gebühr nach Zeitaufwand, mindestens in Höhe von 350,00 EUR, zu erheben. Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte die Gebührenhöhe nicht zutreffend ermittelt hat, sind weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Auslagenerstattung kann zutreffend nach § 13 NVwKostGverlangt werden.

Rechtsgrundlage der Kostenfestsetzung mit weiterem Festsetzungsbescheid vom 22. August 2019 sind §§ 1, 12 und 13 NVwKostG i. V. m. Ziffer 5.4.1.7 der Anlage zu § 1 Abs. 1 AllGO. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 NVwKostG sowie Ziffer 1.9.1.1 der Anlage zu § 1 Abs. 1 AllGO beträgt die Gebühr für die Entscheidung über einen erfolglosen Rechtsbehelf das Eineinhalbfache der Gebühr, die für die angefochtene Entscheidung anzusetzen war. Der Beklagte hat die Gebühr danach in zutreffender Höhe ermittelt. Hinzu kommen Auslagen nach § 13 NVwKostG. Da sich der zugrundeliegende Bescheid als rechtmäßig erweist, beruht die Kostenfestsetzung auch auf einer rechtmäßigen Kostengrundentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 20. August 2019.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 124a Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.



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