Arbeitsgericht Bochum

Urteil vom - Az: 2 Ca 1482/13

"Praktikantin" erhält 17.000 € nachträglich

(1.) Um ein Arbeitsverhältnis handelt es sich soweit weder eine Qualifikation vermittelt wird (dann Praktikum), noch eine fachlich betreute Ausbildung vorliegt, sondern die Erbringung einer Arbeitsleistung im Vordergrund steht und lediglich der Erwerb von Berufserfahrung ermöglicht werden soll.

(2.) Ein Praktikantenverhältnis setzt voraus, dass bei einer Gegenüberstellung der Anteile „Ausbildungszweck" und „für den Betrieb erbrachte Leistungen und Arbeitsergebnisse" das Erlernen praktischer Kenntnisse und Erfahrungen deutlich überwiegt.

(3.) Es kommt nicht darauf an, ob die Parteien ihr Vertragsverhältnis als Praktikum bezeichnet haben. Entscheidend ist vielmehr, wie das vertragliche Verhältnis tatsächlich „gelebt" wird.

Hier: Die Klägerin verrichtete (über mehr als 8 Monate hinweg) die in einem Einzelhandelsgeschäft typischerweise anfallenden Tätigkeiten einer Verkäuferin wie zum Beispiel Waren ein- und ausräumen, Kassieren, Putzen etc.. Sie war insoweit an die Öffnungszeiten des Betriebes des beklagten Arbeitgebers gebunden und im Hinblick auf die anderen Mitarbeiter arbeitsteilig entsprechend einer durchzuführenden Betriebsorganisation für den Beklagten tätig.
Der Beklagte hat - nach allenfalls kurzer Einarbeitungsphase - die von der Klägerin bereits mitgebrachten körperlich-praktischen Fertigkeiten für sich verwertet, anstatt der Klägerin in einem zeitlich überwiegenden Umfang praktisches Wissen zu vermitteln.

(4.) Die Rechtsnatur eines Vertragsverhältnisses hängt auch nicht davon ab, ob das Vertragsverhältnis von staatlichen Stellen gefördert wird.

(5.) Eine Lohnabrede ist wegen Wucher (§ 138 Abs. 2 BGB) nichtig, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns erreicht und der „Wucherer" die bei dem anderen Teil bestehende Schwächesituation ausbeutet, sie sich also in Kenntnis vom Missverhältnis der beiderseitigen Leistungen bewusst zunutze macht.
Hier: Bejaht, da die wegen ihres Alters unerfahrene Klägerin auf einen Ausbildungsplatz im Betrieb des Beklagten hoffte und deshalb das "Praktikumsverhältnis" einging. Dies nutzte der Beklagte aus.

(6.) Eine Vereinbarung ist wegen Sittenwidrigkeit nichtig, wenn die überlegene Partei mit verwerflicher Gesinnung handelte ( § 138 Abs. 1 BGB). Bei einer Vereinbarung wonach für vollwertige Arbeit kein Entgelt zu leisten ist, ist von einer verwerflichen Gesinnung des Arbeitgebers auszugehen.

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, Vergütung für den Zeitraum 25.10.2012 bis 04.07.2013 von 17.281,50 € brutto nebst jeweils 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus jeweils einem Betrag von 414,50 € brutto ab dem 01.11.2012, aus einem Betrag von 1.601,50 € brutto ab dem 01.12.2012, aus einem Betrag von 1.790,00 € brutto ab dem 01.01.2013, aus einem Betrag von 2.221,50 € brutto ab dem 01.02.2013, aus einem Betrag von 2.003,00 € brutto ab dem 01.03.2013, aus einem Betrag von 2.044,50 € brutto ab dem 01.04.2013, aus einem Betrag von 2.184,50 € brutto ab dem 01.05.2013, aus einem Betrag von 2.473,00€ brutto ab dem 01.06.2013, aus einem Betrag von 2.213,00 € brutto ab dem 01.07.2013 und aus einem Betrag von 320,00 € ab dem 01.08.2013 zu zahlen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 17.281,50 €.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche der Klägerin aus einem beendeten Vertragsverhältnis.

Der Beklagte betreibt unter der Bezeichnung „XXX Markt“ ein Lebensmittelgeschäft in Bochum. Dort beschäftigt er etwa 12 Mitarbeiter.

Im Oktober 2012 bewarb sich die Klägerin bei dem Beklagten um einen Ausbildungsplatz als Verkäuferin. Insofern verständigten die Parteien sich zunächst auf die Durchführung eines Praktikums. Im Zuge dessen schlossen sie fortlaufend diverse Praktikumsverträge, die als Art und Zielsetzung des betrieblichen Praktikums ein „Schnupperpraktikum" vorsahen. Danach sollte die Klägerin einen „Einblick in das Berufsfeld mit seinen Arbeitsbedingungen und Arbeitsanforderungen" erhalten und sollten ihr „Grundkenntnisse des betreffenden Berufsbildes" vermittelt werden.

Der Beklagte schloss parallel mit dem Bildungszentrum des Handels e.V. (im Folgenden: Trägerverein) einen „Rahmenvertrag zur Ableistung eines Praktikums", in dem lediglich von „Teilnehmerinnen" bzw. „Praktikantinnen" die Rede ist, ohne dass die Klägerin namentlich in Bezug genommen wird. Dort heißt es außerdem:

„Der werkpraktische Bereich wird u.a. in Form von Betriebspraktika durchgeführt. Hier sollen die Teilnehmerinnen

- einen Einblick in betriebliche Abläufe und Inhalte erhalten,

- unterschiedliche Berufsfelder mit ihren Arbeitsbedingungen und Arbeitsanforderungen kennen lernen

- eigene Fähigkeiten und Neigungen sowie die Eignung für den jeweiligen Beruf heraus finden, um somit eine realitätsbezogene Berufswahl treffen zu können."

Unter der Überschrift „Vereinbarungen" heißt es weiterhin unter Ziffer 1.:

„Dem Praktikumsbetrieb entstehen keinerlei Kosten."

Die Klägerin war in diesem Rahmen vom 25.10.2012 bis zum 04.07.2013 für den Beklagten tätig. Hierbei verrichtete sie anfallende Tätigkeiten wie Waren ein- und ausräumen, Kassieren, Putzen etc. Die Klägerin erhielt in diesem Zeitraum von der Bundesagentur für Arbeit sog. Berufsausbildungsbeihilfe und von dem Trägerverein Zuschüsse für eine Monatskarte für Fahrten im ÖPNV. In den Monaten November und Dezember 2012 nahm die Klägerin an insgesamt acht Freitagen an einem Unterricht des Trägervereins teil, der in einer Berufsschule erfolgte.

Die Klägerin macht - unwidersprochen - geltend, dass sie während ihres gesamten Tätigkeitzeitraums insgesamt 1.728 Stunden und 15 Minuten vollwertig für den Beklagten gearbeitet habe. Nicht die Ausbildung, sondern die Arbeitsleistung habe dabei im Vordergrund gestanden, so dass ihre Tätigkeit zu entlohnen sei. Dazu hält sie eine Vergütung von 10 € brutto pro Stunde in Anlehnung an die tariflichen Entgeltstrukturen im Einzelhandel NRW für angemessen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, Vergütung für den Zeitraum 25,10.2012 bis 04.07.2013 von 17.281,50 € brutto nebst jeweils 5 %Zinsen über dem Basiszinssatz aus jeweils einem Betrag von 414,50€ brutto ab dem 01.11.2012, aus einem Betrag von 1.601,50 € brutto ab dem 01.12.2012, aus einem Betrag von 1.790,00 € brutto ab dem 01.01.2013, aus einem Betrag von 2.221,50 € brutto ab dem 01.02.2013, aus einem Betrag von 2.003,00 € brutto ab dem 01.03.2013, aus einem Betrag von 2.044,50 € brutto ab dem 01.04.2013, aus einem Betrag von 2.184,50 € brutto ab dem 01.05.2013, aus einem Betrag von 2.473,00 € brutto ab dem 01.06.2013, aus einem Betrag von 2.213,00 € brutto ab dem 01.07.2013 und aus einem Betrag von 320,00 € ab dem 01.08.2013 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, dass es auf der Hand liege, dass Praktikanten einer besonderen Einarbeitung und ständiger Aufsicht bedürften. Dieses sei nur mit einem erhöhten Aufwand des Präktikumsbetriebs zu realisieren. Die durch diesen Aufwand erforderlichen Ressourcen würden wiederum an anderer Stelle fehlen. Die Klägerin habe die verschiedenen Tätigkeitsbereiche, die auf eine Verkäuferin im Lebensmitteleinzelhandel zukämen, sämtlich kennengelernt. Insofern sei sie sowohl durch ihn persönlich wie auch durch den stellvertretenden Marktleiter und weitere Mitarbeiter im Rahmen des durchgeführten Praktikums betreut, begleitet und eingewiesen worden.

Bei dem von der Klägerin absolvierten Praktikum habe es sich um eine sog. berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme gehandelt, weshalb eine Vergütungspflicht nicht in Betracht komme. Zudem sei es der Klägerin jederzeit möglich gewesen, das Praktikum zu beenden. Jedenfalls sei das Praktikum aufgrund der gewährten Berufsausbildungsbeihilfe und der Zuschüsse nicht unentgeltlich erfolgt, sodass insoweit zumindest eine Anrechnung zu erfolgen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Vergütung für die Dauer ihrer Beschäftigung bei dem Beklagten in dem Zeitraum vom 25.10.2012 bis zum 04.07.2013 in Höhe von insgesamt 17.281,50 € brutto gemäß § 612 BGB. Nach § 612 Abs. 1 BGB gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. §612 Abs. 2 BGB bestimmt, dass die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen ist, wenn eine taxmäßige Vergütung nicht existiert. Im zu entscheidenden Fall erweist sich die zwischen den Parteien getroffene Abrede über ein unentgeltliches Tätigwerden der Klägerin als sittenwidrig und rechtsunwirksam, weil die Klägerin im Rahmen der Praktikumsverträge in erheblichem Umfang für den Beklagten wirtschaftlich verwertbare Leistungen erbracht hat, für die dieser ansonsten bezahlte Arbeitskraft einer Verkäuferin oder jedenfalls einer entsprechenden (Aus-)Hilfskraft hätte einsetzen müssen. Rechtsfolge ist, dass der Beklagte gemäß § 612 BGB die eingeklagten 17.281,50 € (brutto) als übliche Vergütung schuldet.

1.

Zwischen den Parteien bestand in dem streitgegenständlichen Zeitraum entgegen der Ansicht des Beklagten kein bloßes (unentgeltliches) Praktikumsverhältnis, sondern vielmehr ein (vergütungspflichtiges) Arbeitsverhältnis. Die Klägerin war Arbeitnehmerin des Beklagten.

a) Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (vgl. etwa BAG 06.07.1995 - 5 AZB 9/93 - NZA 1996, 33). Der Arbeitnehmer erbringt seine vertraglich geschuldete Leistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation. Seine Eingliederung in die Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere daran, dass er einem Weisungsrecht unterliegt, das Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen kann, vgl. § 106 GewO. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (vgl. § 84 Abs. 1 S. 2 HGB). Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls in Betracht zu ziehen und in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Die zwingenden gesetzlichen Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen werden, dass die Parteien ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung geben. Der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrages zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist letztere maßgebend (vgl. etwa BAG 14.03.2007 - 5 AZR 499/06 - NZA 2007, 424; BAG 12.09.1996 - 5 AZR 1066/94 - NZA 1997, 194).

Demgegenüber ist ein Praktikant in aller Regel bloß vorübergehend in einem Betrieb tätig, um sich die zur Vorbereitung auf einen - meist akademischen - Beruf notwendigen praktischen Kenntnisse und Erfahrungen anzueignen. Allerdings findet in einem Praktikantenverhältnis keine systematische Berufsausbildung statt. Vielmehr ist eine darauf beruhende Tätigkeit häufig Teil einer Gesamtausbildung und wird beispielsweise für die Zulassung zu einem Studium oder Beruf benötigt. Demnach steht bei einem Praktikantenverhältnis der Ausbildungszweck im Vordergrund. Die Vergütung ist der Höhe nach deshalb eher eine Aufwandsentschädigung oder Beihilfe zum Lebensunterhalt (BAG 13.03.2003 - 6 AZR 564/01 - juris, m.w.N.; vgl. auch ErfK/Schlachter, 14. Aufl. 2014, § 26 BBiG Rn. 3).

Das bedeutet, dass bei einer Gegenüberstellung der Anteile „Ausbildungszweck" und „für den Betrieb erbrachte Leistungen und Arbeitsergebnisse" das Erlernen praktischer Kenntnisse und Erfahrungen deutlich überwiegen muss (LAG Baden-Württemberg 08.02.2008 - 5 Sa 45/07 - NZA 2008, 768). Soweit also weder eine Qualifikation vermittelt wird, noch eine fachlich betreute Ausbildung vorliegt, sondern die Erbringung einer Arbeitsleistung im Vordergrund steht und lediglich der Erwerb von Berufserfahrung ermöglicht werden soll, handelt es sich um ein Arbeitsverhältnis (LAG Köln 16.05.2008 - 11 Sa 20/08 - juris, m.w.N.; vgl. auch LAG Hamm 29.11.2012 - 11 Sa 74/12 - juris; LAG Berlin-Brandenburg 24.06.2011 - 6 Sa 444/11 und 456/11 -juris, sowie LAG Sachsen-Anhalt 18.05.2009 -6 Sa 432/08 -juris).

b) Nach diesen Grundsätzen ist die Klägerin für den Beklagten im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig geworden.

Die Klägerin hat in persönlicher Abhängigkeit für den Beklagten fremdbestimmte Dienste geleistet. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Parteien ihr Vertragsverhältnis als Praktikum bezeichnet haben. Entscheidend ist vielmehr, wie das vertragliche Verhältnis tatsächlich „gelebt" wurde. Danach war die Klägerin in den Betrieb des Beklagten eingegliedert und diesem gegenüber weisungsgebunden. Nach dem unstreitigen Vorbringen der Parteien verrichtete die Klägerin die in einem Einzelhandelsgeschäft typischerweise anfallenden Tätigkeiten einer Verkäuferin wie zum Beispiel Waren ein- und ausräumen, Kassieren, Putzen etc. und war insoweit an die Öffnungszeiten des Betriebes des Beklagten gebunden sowie im Hinblick auf die anderen Mitarbeiter arbeitsteilig entsprechend einer durchzuführenden Betriebsorganisation für den Beklagten tätig. Damit war die Klägerin als vollwertige Arbeitskraft des Beklagten anzusehen, die dieser zur Verfolgung seines Betriebszweckes einsetzte und wofür er ansonsten eine andere Person hätte einstellen müssen oder dies durch die vorhandenen Mitarbeiter - etwa durch die Erbringung von vergütungspflichtigen Überstunden - hätte aufgefangen werden müssen.

Insoweit bleibt durch den Beklagten unwidersprochen, dass die Klägerin für ihn verwertbare Arbeitsleistungen erbracht und dadurch die Belegschaft des Beklagten insoweit bereichert und unterstützt hat, als dass nicht lediglich ein ausbildungszweckdienliches „Ausprobieren" bzw. „Schnuppern" vorlag. Der Beklagte hätte konkret darlegen müssen, ob und inwieweit die Klägerin unter Anleitung durch ihn oder einen seiner Mitarbeiter gearbeitet habe und welchen Umfang dies im Einzelnen annahm, um einen vordergründigen Ausbildungszweck aufzuzeigen. Das ist nicht geschehen. Ebenso fehlt ein nachvollziehbarer Vortrag des Beklagten, welche Fähigkeiten, Tätigkeiten und/oder Qualifikationen die Klägerin im Rahmen eines Praktikums zu erlernen hatte, sodass sie die Befähigung erlangen konnte, ein Ausbildungsverhältnis einzugehen (vgl. ArbG Kiel 19.11.2008-4 Ca 1187d/08-juris).

Der Beklagte hat in seinem Vortrag nicht erkennen lassen, inwieweit Qualifikationsdefizite der Klägerin im Rahmen eines Ausbildungskonzeptes hätten ausgeglichen werden müssen und dies tatsächlich auch geschehen ist. Vielmehr beschränkte sich sein Vorbringen auf formale Gesichtspunkte, nämlich die Bezeichnung des Vertragsverhältnisses der Parteien als Praktikumsvertrag und den Verweis auf die Rahmenvereinbarung mit dem Trägerverein. Die Rechtsnatur eines Vertragsverhältnisses hängt aber auch nicht davon ab, ob das Vertragsverhältnis von staatlichen Stellen gefördert wird (vgl. ArbG Beriin 08.01.2003 - 36 Ca 19390/02 - juris). Vielmehr ergibt sich auch aus dem Wortlaut des Rahmenvertrages zwischen dem Beklagten und dem Trägerverein, dass dieser nur allgemeine Bestimmungen enthält und lediglich den „Rahmen" für im Einzelnen auszugestaltende Verträge zwischen dem Beklagten und dem jeweiligen Praktikanten bildet. Soweit also dem Praktikumsbetrieb „keinerlei Kosten entstehen" sollten und deshalb gleichsam „automatisch" jede individuelle Vergütungsvereinbarung zwischen dem Beklagten und einem Praktikanten dahingehend laufen sollte, dass eine Unentgeltlichkeit vorliegt, würde es sich - unabhängig von dem Parteiwillen im Einzelnen - um einen unzulässigen Vertrag zulasten Dritter, nämlich eines jeden (potentiellen) Praktikanten handeln.

Selbst wenn man aber den Rahmenvertrag für das Vertragsverhältnis der Parteien als verbindlich zugrunde legen würde, wurden die Vorgaben im Hinblick auf den zu vermittelnden „werkpraktischen Bereich" nicht erfüllt. Die Klägerin hat mehr als nur einen „Einblick" in den Betrieb des Beklagten erhalten. Die Klägerin hat nicht bloß - wie im Rahmenvertrag vorgesehen - die Möglichkeit erhalten, eine „realitätsbezogene Berufswahl" treffen zu können. Vielmehr hatte die Klägerin ihre Berufswahl durch ihre vorangegangene Bewerbung bei dem Beklagten bereits hinreichend getroffen.

Die vom Beklagten vorgetragenen Umstände vermögen daher nicht zu überzeugen. Es ist zudem nicht nachvollziehbar, inwieweit bei einer Gesamtdauer von über acht Monaten und einer vollschichtigen Tätigkeit ein Ausbildungszweck - außerhalb eines Berufsausbildungsverhältnisses - im Vordergrund gestanden haben soll, so dass ein (freiwilliges) Praktikum i.S.d. §§ 17, 26 BBiG vorgelegen haben könnte. Dieser Tätigkeitsumfang spricht vielmehr dafür, dass die Klägerin wie eine Verkäuferin oder eine entsprechende (Aus-)Hilfskraft eingesetzt wurde und demgemäß in den Betriebsablauf des Beklagten eingegliedert und insoweit „verplant" war. Der Beklagte hat nicht aufgezeigt, dass jeweils umfassend zunächst eine Vermittlung praktisch notwendigen Wissens stattgefunden hätte, das danach erst angewendet werden konnte. Dass die Klägerin eingewiesen, angeleitet, kontrolliert wurde, dass ihre Arbeitsergebnisse auf ihre Richtigkeit oder Vollständigkeit hin überprüft wurden, liegt in der Natur der Sache sowohl bei einem Berufsanfänger als auch bei einem neu eingestellten gegebenenfalls schon erfahrenen Arbeitnehmer.

Der Beklagte hat offensichtlich nicht in einem überwiegenden zeitlichen Umfang der Klägerin praktisches Wissen sowie spezifische, nur in der Praxis erfahrbare Zusammenhänge vermittelt, sondern hat - nach allenfalls kurzer Einarbeitungsphase - die von der Klägerin bereits mitgebrachten körperlich-praktischen Fertigkeiten für sich verwertet (vgl. LAG Baden-Württemberg 08.02.2008 - 5 Sa 45/07 - NZA 2008, 768). Es hätte jedoch dem Beklagten oblegen, den Anteil an Ausbildung in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht zu schildern und in Beziehung zu setzen zu dem zeitlichen Umfang praktischer Arbeit. Nur damit wäre die üblicherweise notwendige Einweisung in die zu leistenden Tätigkeiten von einem im Vordergrund stehenden Ausbildungszweck zu unterscheiden gewesen (vgl. LAG Baden-Württemberg 08.02.2008 - 5 Sa 45/07 - a.a.O.). Der Beklagte ist dieser Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen, sondern hat sich lediglich auf allgemeine Erwägungen gestützt, etwa dass es auf der Hand liege, dass Praktikanten einer besonderen Einarbeitung und ständiger Aufsicht bedürften. Diese pauschale Behauptung erlaubt keine Rückschlüsse auf den diesbezüglichen Umfang und ist ohne konkrete Nennung von Beispielen für die Klägerin auch nichteinlassungsfähig.

Der Umstand, dass die Klägerin ihre Tätigkeit für den Beklagten jederzeit hätte beenden können, ist - entgegen der Auffassung des Beklagten - für die Klassifizierung des Vertragsverhältnisses ohne Belang. Ein Arbeitsverhältnis setzt nicht notwendigerweise eine bestimmte Dauer oder die Bindung an eine bestimmte Kündigungsfrist voraus (vgl. ArbG Hamburg 16.10.2012 - 21 Ca 43/12 -juris).

2.

Die Höhe des Zahlungsanspruchs der Klägerin ergibt sich aus § 612 Abs. 2 BGB.

Danach ist hier die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen. Die von den Parteien getroffene Abrede der Unentgeltlichkeit der Arbeitsleistung ist nichtig. Sie erfüllt jedenfalls den Tatbestand des Lohnwuchers im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB.

a) Nach § 138 Abs. 2 BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung liegt vor, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns erreicht (BAG 22.04.2009 - 5 AZR 436/08 - NZA 2009, 837; BAG 24.03.2004 - 5 AZR 303/03 - NZA 2004, 971). Das auffällige Missverhältnis bestimmt sich nach dem objektiven Wert der Leistung des Arbeitnehmers. Ausgangspunkt der Wertbestimmung sind in der Regel die Tariflöhne des jeweiligen Wirtschaftszweigs. Sie drücken den objektiven Wert der Arbeitsleistung aus, wenn sie in dem betreffenden Wirtschaftsgebiet üblicherweise gezahlt werden.

Der Tatbestand des Lohnwuchers setzt zudem voraus, dass der „Wucherer" die bei dem anderen Teil bestehende Schwächesituation ausbeutet, sie sich also in Kenntnis vom Missverhältnis der beiderseitigen Leistungen bewusst zunutze macht (BAG 22.04.2009 - 5 AZR 436/08 - a.a.O.).

b) Danach ist hier sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand des Lohnwuchers nach § 138 Abs. 2 BGB gegeben.

aa) Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ist ohne weiteres zu bejahen.

Die Klägerin hat vollschichtig werthaltige Arbeitsleistung für den Beklagten erbracht. Der Betrieb des Beklagten gehört dem Wirtschaftszweig des Einzelhandels an. In Nordrhein-Westfalen beträgt dort ab dem 01.07.2012 in der untersten Lohngruppe für Tätigkeiten, die ohne handwerkliche Vor- oder Ausbildung ausgeführt werden, die aber gewisse Fertigkeiten erfordern, der tarifliche Monatslohn 1794,00 € brutto. Vorliegend sollte die Arbeitsleistung der Klägerin, die zudem ausweislich der detaillierten und von dem Beklagten nicht substantiiert bestrittenen - mithin gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehenden - Auflistung der geleisteten Stunden in Vollzeit erfolgte, ohne jegliches Arbeitsentgelt erbracht werden. Darin liegt zweifellos ein auffälliges Missverhältnis.

b) In subjektiver Hinsicht hat der Beklagte offensichtlich in Kenntnis dieses Missverhältnisses die Schwächesituation der Klägerin bewusst ausgenutzt.

Insofern ist zu beachten, dass die Klägerin nur deshalb unentgeltlich für den Beklagten tätig geworden ist, weil sie sich hiervon einen Ausbildungsplatz in seinem Betrieb erhoffte. Dabei sind auch das Lebensalter der Klägerin sowie die damit verbundene Unerfahrenheit zu berücksichtigen. Die Klägerin hat sich damit in einer Zwangslage befunden, ihren Berufswunsch als Verkäuferin möglicherweise auf andere Weise nicht verwirklichen zu können. Diese Zwangslage hat der Beklagte im Sinne von § 138 Abs. 2 BGB für sich ausgenutzt, indem er in Kenntnis der Motivation der Klägerin sich den wirtschaftlichen Wert ihrer Arbeitsleistung zunutze machte (vgl. auch § 12 Abs. 2 Nr. 1 BBiG, wonach ein Ausbildungsplatz nicht er- bzw. verkauft werden darf).

Einer verwerflichen Gesinnung des Beklagten bedurfte es dazu in Abgrenzung zum Tatbestand des sog. wucherähnlichen Geschäftes nach § 138 Abs. 1 BGB nicht, sodass diese hier dahin stehen kann, obwohl bei einer vollständigen Unentgeltlichkeit für vollwertige Arbeit durchaus ein besonderes krasses Missverhältnis angenommen und damit eine verwerfliche Gesinnung des Beklagten vermutet werden kann (vgl. BAG 16.05.2012 - 5 AZR 268/11 - NZA 2012, 974; vgl. auch ArbG Eberswalde 10.09.2013 - 2 Ca 428/13 -juris).

Ebenso wenig kommt es darauf an, dass die Klägerin das mit dem Beklagten ab dem 01.09.2013 vereinbarte Berufsausbildungsverhältnis nicht angetreten und damit das Vorhandensein einer Zwangslage gegebenenfalls selbst widerlegt hat. Dies vermag die zuvor bestehende Zwangslage der Klägerin nicht zu entkräften, zumal sie nun mehr praktische Berufserfahrung vorzuweisen hatte und sich deshalb bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt ausrechnen konnte (vgl. LAG Baden-Württemberg 08.02.2008 - 5 Sa 45/07 - NZA 2008, 768).

3.

Die Höhe der seitens der Klägerin mit der Klage geltend gemachten Vergütung ist nicht zu beanstanden.

a) Für Arbeitnehmer ist im Regelfall die tarifliche Vergütung die übliche (ErfK/Preis, 14. Aufl. 2014, § 612 BGB Rn. 37 m.w.N.), wobei das Gericht den angemessenen Lohn auch nach billigem Ermessen gemäß §§ 315, 316 BGB bestimmen und sich hierzu weiterer Quellen und Daten bedienen und etwa einschlägige Lohnspiegel oder aussagekräftige Statistiken zurate ziehen kann (BAG 26.04.2006 - 5 AZR 549/05 - NZA 2006, 1354; BAG 21.11.2001 - 5 AZR 87/00 - NZA2002, 624).

b) Die erkennende Kammer hat sich mit der Klägerin an der einschlägigen tariflichen Vergütung orientiert.

Nach dem räumlich und fachlich einschlägigen Tarifrecht für den Einzelhandel NRW beträgt in der untersten Lohngruppe für Tätigkeiten, die ohne handwerkliche Vor- oder Ausbildung ausgeführt werden, die aber gewisse Fertigkeiten erfordern, der tarifliche Monatslohn ab dem 01.07.2012 1794,00 € brutto. Der Stundenlohn bei einer tariflichen Regelarbeitszeit von 37,5 Stunden in der Woche beträgt damit 11,04 € brutto. Soweit die Klägerin einen Brutto-Stundenlohn von 10,00 € geltend macht, ist dies demnach nicht zu beanstanden und von dem Beklagten im Übrigen auch nicht bestritten worden, mithin gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen. Der Beklagte hätte ansonsten insoweit konkret vortragen müssen, welches Vergütungsgefüge bei ihm und in anderen vergleichbaren Betrieben in der Region gilt und welche Vergütung demnach für die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit anzusetzen wäre. Dem ist der Beklagte jedoch nicht nachgekommen.

4.

Die Klägerin muss sich - soweit in dem streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme im Sinne von § 51 SGB III vorliegen sollte - nicht die von der zuständigen Agentur für Arbeit gewährte Berufsausbildungsbeihilfe nach den §§ 56 ff. SGB III auf die Vergütung anrechnen lassen (vgl. § 67 Abs. 4 SGB III). Soweit die Voraussetzungen des § 51 SGB III nicht vorliegen sollten, mag zwar eine Rückabwicklung zwischen der Klägerin und der zuständigen Agentur für Arbeit in Betracht kommen. Jedenfalls berührt dies vorliegend aber nicht das Vertragsverhältnis der Parteien und die daraus resultierende Vergütungspflicht des Beklagten.

Ein Anspruchsübergang nach § 115 Abs. 1SGB X kommt ebenfalls nicht in Betracht. Die Agentur für Arbeit hat gegenüber der Klägerin offensichtlich keine Sozialleistungen aus dem Grund erbracht, dass der Beklagte deren Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt.

II.

Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt sich aus den §§ 286, 288 Abs. 1, 247 BGB. Gemäß §614 S. 1BGB ist die Vergütung nach der Leistung der Dienste zu entrichten. Ist die Vergütung - wie hier - nach Zeitabschnitten bemessen, ist sie nach dem Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten. Bei der Bemessung der Vergütung nach Zeitabschnitten handelt sich um eine kalendermäßig bestimmte Leistungszeit. Der Arbeitgeber kommt daher auch ohne Mahnung des Arbeitnehmers in Verzug, wenn er am Ende des Zeitabschnitts nicht leistet (s. §286 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Der Verzug ist damit jeweils am Folgetag eingetreten.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Wert des Streitgegenstandes ist gemäß §§ 46 Abs. 2 S. 1, 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO in Höhe des Nominalbetrages der geltend gemachten Klageforderung ohne Berücksichtigung der Zinsen im Urteil festgesetzt worden.



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