Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg

Urteil vom - Az: 26 SaGa 1059/15

Pflegekräfte dürfen für Überlastungsschutz streiken

(1.) Arbeitskämpfe können zur Durchsetzung tariflich regelbarer Ziele geführt werden. Quantitative Besetzungsregeln (z.B. Mindestbesetzungsregeln) sind als tariflich regelbare Ziele durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit langem anerkannt.
Der Regelungsauftrag des Art. 9 Abs. 3 GG bezieht sich immer dann, wenn sich die wirtschaftliche und soziale Seite einer unternehmerischen Maßnahme nicht trennen lassen, zwangsläufig mit auf die Steuerung der unternehmerischen Sachentscheidung. Mit anderen Worten geht die (tarifvertragsfreie) Unternehmensautonomie nicht so weit, dass die Gewerkschaften darauf beschränkt sind, nur soziale Folgewirkungen unternehmerischer Entscheidungen zu regeln.

(2.) Es ist nicht erforderlich, dass Kampfziele so präzise formuliert sind, dass sie mit einem bloßen „ja“ angenommen werden könnten oder dass damit gar ein Tarifabschluss zustande käme (ErfK/Linsenmeier Art. 9 GG Rn. 117; aA. Kissel, Arbeitskampfrecht § 24 Rn. 12; Rieble BB 2014, 949). Linsenmeier weist zutreffend darauf hin, dass dies dem Umstand geschuldet ist, dass jedes Kampfziel erfahrungsgemäß einen Verhandlungsspielraum enthält.

(3.) Bei der Frage, ob die Gewerkschaft ihre Kampfziele dem gegenüberstehenden Arbeitgeber ausreichend bestimmt dargestellt hat, sind auch vorangegangene - hier: jahrelange - Verhandlungen zu berücksichtigten.
(Redaktionelle Orientierungssätze)

Tenor

1. Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. Juni 2015 – 60 Ga 8417/15 - wird zurückgewiesen.

2. Die Verfügungsklägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Verfügungsklägerin auf Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen durch die beklagte Gewerkschaft, mit denen diese im Wesentlichen Mindestbesetzungsregelungen in der Pflege sowie die Einsetzung eine Gesundheitskommission durchsetzen möchte.

Bei der Verfügungsklägerin handelt es sich um die größte Universitätsklinik Europas, bei der Verfügungsbeklagten um die Gewerkschaft ver.di. Die Verfügungsklägerin beschäftigt in der Pflege (ohne Leiharbeitnehmer) 4.074 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf 3.416 Vollzeitstellen.

Im Jahr 2011 trafen die Parteien eine Notdienstvereinbarung für den Streikfall. Im Juli 2011 vereinbarten sie nach einem Arbeitskampf Haustarifverträge (Manteltarifvertrag, Entgelttarifvertrag und Überleitungstarifvertrag). Diese Tarifverträge sind frühestens zum Ablauf des 31. Dezember 2016 kündbar.

Am 18. Juni 2012 forderte die Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin zum Abschluss weiterer Tarifverträge, ua. zum Gesundheitsschutz, auf. Am 17. September 2013 schlossen die Parteien wiederum eine Notdienstvereinbarung für den Streikfall, die der aus dem Jahr 2011 entspricht. In ihrem Positionspapier vom 13. Mai 2014 konkretisierte die Verfügungsbeklagte ihre Forderungen weiter. Insoweit wird Bezug genommen auf die Anlage AS 6 zur Antragsschrift.

Ergebnis einer Schlichtung waren im Oktober 2014 eine sog. „Mehrgliedrige Vereinbarung“ und der „Tarifvertrag zur Einführung einer Gesundheitskommission“. Im Rahmen der Mehrgliedrigen Vereinbarung verpflichtete sich die Verfügungsklägerin zur Schaffung von 80 zusätzlichen Vollzeitstellen und einer Gesundheitskommission. Beide Regelungen liefen bereits Ende 2014 ohne Nachwirkung aus.

Die Tarifkommission der Verfügungsbeklagten stellte ihre Positionen am 3. März 2015 gegenüber der Beklagten dar. Bezüglich der Positionsbestimmung wird auf die Anlage AS 7 zur Antragsschrift der Verfügungsklägerin Bezug genommen. Am 25. März 2015 fand ein Spitzengespräch statt. Die Verfügungsklägerin legte ein Angebot vor. Eine Einigung konnte nicht erzielt werden.

Am 27. und 28. April 2015 kam es zu den ersten Warnstreiks. Am 13. Mai 2015 formulierte/artikulierte die Tarifkommission der Verfügungsbeklagten ihre Forderungen erneut. Zugleich rief die Verfügungsbeklagte ihre Mitglieder zum Streik auf.

In dem Streikaufruf heißt es zu den Streikforderungen:

•  „Regelungen zur Mindestbesetzung in allen patientennahen Bereichen, ganz konkret:

º keine Nacht allein – mindestens zwei Pflegekräfte auf Station in der Nacht

º für den Bereich der Intensivmedizin: einen Personalschlüssel von mindestens 1:2, die Empfehlungen der Fachgesellschaft werden Standard

º ein Personalschlüssel von 1:5 für die Normalpflege oder die Rückkehr zur Personalverordnung (PPP 100+)

• verbindliche Verfahren zur Überprüfung der Belastung für alle anderen Beschäftigungsbereiche, in denen andere Personalschlüssel festgelegt werden können; dazu gehören zB. Radiologie, Kreißsaal, OP und Anästhesie

• verbindliche Verfahren zur Überprüfung der Belastung für alle anderen Beschäftigtenbereiche, in denen keine Personalschlüssel festgelegt werden können; dazu gehören zB. Lehre, Forschung, Ambulanzen, Verwaltung sowie für die Gestellten in den Service-Bereichen

• verbindliche Kontrollmechanismen und Offenlegung von Verstößen

• Standardprozeduren/Ausgleichsmechanismen für den Fall, dass gegen festgelegte Verfahrensweisen verstoßen und Personalschlüssel nicht eingehalten werden.

• eine echte Gesundheitskommission, die Empfehlungen für „gute und gesunde Arbeit“ erarbeitet, deren verbindliche Umsetzung begleitet und als Ansprechpartner für die Beschäftigten fungiert

• einen Gesundheitsfonds, mit dem diese Maßnahmen angemessen finanziert werden können

• der Abschluss eines verbindlichen Tarifvertrages mit individuellen Ansprüchen für Beschäftigte.“

Mit Schreiben vom 5. Juni 2015 forderte die Verfügungsklägerin „im Hinblick auf die Erfahrungen im Rahmen des Warnstreiks“ eine Nachbesserung der Notstandsvereinbarung. Die Forderung konkretisierte sie mit Schreiben vom 9. Juni 2015. Das lehnte die Verfügungsbeklagte am 11. Juni 2015 ab. Eine Einigung konnte auch in der Folgezeit nicht erzielt werden.

Am 15. Juni 2015 setzte die Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin über den für die Zeit ab dem 22. Juni 2015 vorgesehenen unbefristeten Streik in Kenntnis und überreichte die konkrete Aufstellung der geplanten Stations- und Bettenschließungen.

Daraufhin reichte die Verfügungsklägerin am 17. Juni 2015 den vorliegenden Antrag auf Erlass einer Untersagungsverfügung ein.

Die Parteien erklärten in der Berufungsverhandlung übereinstimmend, dass es im Rahmen des Streiks bisher zu keinen Gesundheitsgefährdungen gekommen sei. Die Clearingstelle arbeite einwandfrei. Jedenfalls derzeit werde auch den durch eidesstattliche Versicherungen bekräftigten Anforderungen der Chefärzte genügt. Die Verfügungsbeklagte kündigt die „Schließung von Stationen und Betten“ rechtzeitig an. Alle belegten Betten werden bedient.

Zudem stellte der Vertreter der Verfügungsklägerin klar, dass das Budget der Verfügungsklägerin im Wesentlichen auf das Ergebnis der Pflegesatzverhandlungen zurückzuführen sei. Daneben gebe es Zuschüsse. Die Ausstattung mit Stellen sei insbesondere nicht auf eine Parlamentsentscheidung zurückzuführen. Insoweit gebe es keine Unterschiede zu einem privaten Unternehmen.

Die Verfügungsklägerin hat die Ansicht vertreten, der beabsichtigte Streik sei offenkundig rechtswidrig. Die Streikforderung, deren acht zentrale Punkte sie auf Seite 8 der Antragsschrift darstellt, sei zu unbestimmt. Es fehle bereits an Regelungsvorschlägen bzw. Tarifvertragsentwürfen seitens der Verfügungsbeklagten, die ein einfaches „ja“ der Verfügungsklägerin ermöglichten. Die Stellungnahmen der Tarifkommission ließen Fragen offen.

Die Verfügungsbeklagte verstoße zudem gegen die Friedenspflicht, indem sie eine personelle Mindestbesetzung von Krankenstationen fordere. Dadurch werde das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung tangiert, wie es in den Haustarifverträgen aus dem Jahr 2011 austariert worden sei. Bei der Arbeitsdichte des Pflegepersonals handele es sich um eine Grundlage für das vereinbarte Entgelt. Eine umfangreichere Besetzung führe zu weniger Arbeit. Die geforderten Mindestbesetzungsregelungen führten zu einem Mehrbedarf von ca. 646 Vollzeitkräften. Die Forderung der Verfügungsklägerin hätte Mehrkosten in Höhe von 34,5 Mill. Euro/Jahr zur Folge. Bei der Anwendung des Personalschlüssels auf die vorhandene Bettenkapazität führe das zu einem Mehrbedarf an Personal von 994 Vollzeitkräften, die zu weiteren Personalkosten in der Pflege in Höhe von 52,9 Mill. Euro führten. Der Zusammenhang mit den Vergütungsregelungen ergebe sich deutlich aus der Aussage des Gewerkschaftssekretärs Kalle Kunkel, wonach „die Charité Gewinn ausweise, der bei der Belegschaft ankommen müsse“. Die freiwillige Vereinbarung aus Oktober 2014 stehe dazu nicht im Widerspruch. Zudem stellten der Personalschlüssel und eine Gesundheitskommission keine tariflich regelbaren Ziele dar, weder als Inhalts- noch als Betriebsnorm. Bei diesen zentralen Streikforderungen handele sich um einen grob rechtswidrigen Eingriff in die durch Art. 2 GG und Art. 12 GG geschützte Unternehmerfreiheit. Bei der geforderten Gesundheitskommission mit einer Kompetenz zur Letztentscheidung handele es sich außerdem um ein Schiedsgericht oder eine Schiedsgutachtenstelle. Beides sei tarifvertraglich nicht regelbar, da die Verfügungsbeklagte nach ihrer Vorstellung jedenfalls keinen unabhängigen Vorsitzenden einsetzen wolle. Auch solle bewusst gegen Personalvertretungsrecht verstoßen werden.

Im Übrigen seien die beabsichtigten Streikmaßnahmen unverhältnismäßig. Die derzeit gültige Notdienstvereinbarung sei unzureichend. Das hätten die Erfahrungen anlässlich des Warnstreiks gezeigt. Insoweit nimmt die Verfügungsklägerin Bezug auf eidesstattliche Versicherungen des ärztlichen Personals der Intensivstationen. Sie sei zudem wegen § 27 Abs. 1 Nr. 1 des Berliner Landeskrankenhausgesetzes an den Krankenhausplan gebunden. Dadurch sei sie verpflichtet, jederzeit die für die Notfallversorgung erforderlichen Kapazitäten in allen für das Krankenhaus im Krankenhausplan ausgewiesenen Fachdisziplinen vorzuhalten.

Bezüglich der der erstinstanzlichen Anträge der Verfügungsklägerin wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Die Verfügungsbeklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung gegen Streikmaßnahmen sei nur zulässig, wenn der Arbeitskampf offensichtlich rechtswidrig sei. Die Bewertung einer Arbeitskampfmaßnahme als rechtswidrig komme nur in Betracht, wenn die Arbeitskampfmaßnahme offensichtlich ungeeignet oder unverhältnismäßig sei. Die Tarifziele seien der Verfügungsklägerin angesichts der vorausgegangenen intensiven Verhandlungen seit dem Jahr 2012, der Schlichtung im Jahr 2014 und dem Inhalt der ausgelaufenen Vereinbarungen aus Oktober 2014 durchaus bekannt. Das zeige auch die Stellungnahme der Verfügungsklägerin vom 20. März 2015. Sie (die Verfügungsbeklagte) verstoße auch nicht gegen die Friedenspflicht. Es sei Tarifforderungen allgemein immanent, dass ihre Durchsetzung zu höheren Personalkosten führen könne. Allerdings sei das hier nicht unbedingt notwendig, wenn „das Leistungsgeschehen an das vorhandene Personal angepasst würde“. Bei der Durchsetzung von Mindestbesetzungsregelungen würde es den Beschäftigten ermöglicht, ihre Arbeitsleistung ordnungsgemäß nach den empfohlenen Standards zu erbringen. Personalschlüssel und Gesundheitskommission seien durch Tarifvertrag regelbar, da sie dem Schutz vor psychischer und physischer Überlastung dienten. Die Gesundheitskommission solle gerade nicht mit Letztentscheidungsbefugnissen ausgestattet werden, sondern – wie sich aus dem Streikaufruf ergebe – Empfehlungen erarbeiten und als Ansprechpartner dienen. Im Übrigen habe es entsprechende Regelungen bereits in der sog. „Mehrgliedrigen Vereinbarung“ als auch in dem Tarifvertrag GK aus dem Jahr 2014 gegeben. Sollte es zu Problemen im Rahmen des Warnstreiks gekommen sein, wären diese jedenfalls nicht auf eine unzureichende Notdienstvereinbarung zurückzuführen. Hinsichtlich des Arguments, der Krankenhausplan verlange die Notfallversorgung hat die Verfügungsbeklagte auf die weiteren 42 Notfallkrankenhäuser in Berlin verwiesen. Außerdem gebe es für besondere Belastungssituationen das Instrument der Clearingstelle. Noteinsätze würden im Übrigen durch die zentrale Rettungsleitzentrale gesteuert, was unter den Parteien nicht streitig ist.

Die Notdienstvereinbarung habe sich bei dem Streik im Jahr 2011 bewährt, die aktuelle Fassung aus dem Jahr 2013 zudem auch im Rahmen des Warnstreiks im April 2015.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge der Verfügungsklägerin am 19. Juni 2015 zurückgewiesen und das damit begründet, dass hinsichtlich der angestrebten Ziele nicht auf den Streikaufruf, sondern auf die Verhandlungen im März 2015 abzustellen sei. Ziel sei die Weiterentwicklung dessen, was bereits im Rahmen der Schlichtung als „Mehrgliedrige Vereinbarung“ und „Tarifvertrag zur Einführung einer Gesundheitskommission“ formuliert worden ist. Festlegungen zu personellen Besetzungen betrieblicher Einrichtungen in Tarifverträgen seien als Betriebsnormen nach § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 2 TVG denkbar. Die sogenannte Gesundheitskommission stelle bereits deswegen ein tarifvertraglich regelbares Streikziel dar, weil die Verfügungsklägerin selbst im Oktober 2014 einen „Tarifvertrag zur Einführung einer Gesundheitskommission“ abschlossen habe. Es sei zwar zutreffend, dass schiedsgerichtsartige Einrichtungen in Tarifverträgen nicht geregelt werden könnten. Auch dürfe nicht gegen das Personalvertretungsgesetz verstoßen werden. Das sei im Rahmen der Verhandlungen zu berücksichtigen. Ein Übermaßverbot könne keine Grundlage für die angestrebte Untersagung darstellen. Auch werde nicht gegen die Friedenspflicht verstoßen. Nicht zu folgen sei dem Ansatz der Verfügungsklägerin, bei einem Anstieg des Personaleinsatzes auf den Stationen müssten die Pflegekräfte weniger arbeiten, sodass das Streikziel unmittelbar in den synallagmatischen Zusammenhang zwischen Arbeit und Entgelt eingriffe. Ausschlaggebend sei, dass sich Entgelte und quantitativ/qualitative Personalausstattung nicht unmittelbar entsprächen und nicht offenkundig die zwei Seiten ein und derselben Medaille seien. Der Streik sei auch nicht unverhältnismäßig, da es eine Notdienstvereinbarung gebe, deren Tauglichkeit im Rahmen der bisherigen Streikmaßnahmen belegt sei. Die Hilfsanträge seien aus diesem Grund ebenfalls unbegründet.

Die Verfügungsklägerin hat gegen das Urteil am 20. Juni 2015 Berufung eingelegt. Das Urteil ist ihr am 22. Juni 2015 zugestellt worden. Die Berufungsbegründung der Verfügungsklägerin ist bei dem Landesarbeitsgericht am 22. Juni 2015 eingegangen. Zur Begründung der Berufung wiederholt und vertieft sie unter Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Einzige Informationsquelle hinsichtlich der Streikforderung sei der Streikaufruf. Das reiche nicht. Die Forderung müsse zumindest in den Entwurf eines Tarifvertrages gegossen werden. Es liege ein Verstoß gegen die Friedenspflicht vor, da die Verfügungsbeklagte insbesondere mit der Tarifforderung unmittelbar in das Verhältnis Leistung und Gegenleistung eingreife. Die Tarifverträge seien im Jahr 2011 auch mit Blick auf Maß und Dichte der anfallenden Pflegeleistungen einer Vergütung und Arbeitszeit zugeordnet worden. Mindestbesetzungsregeln stellten weder Inhalts- noch Betriebsnormen dar. Die Stärke der Belegschaft gehöre zur grundrechtlich geschützten Organisationsfreiheit. Sie könne jedenfalls nicht gezwungen werden, Personal einzustellen. Der Personalschlüssel habe sich in den vergangenen Jahren nicht zum Nachteil der Belegschaft verändert. Es könne zudem nicht sein, dass man eine nicht vorhandene Tarifforderung auch noch auf ein zulässiges Maß zurückführen müsse, so die Verfügungsklägerin zum Vortrag der Verfügungsbeklagten zur Gesundheitskommission. Auf frühere Tarifverträge könne nicht zurückgegriffen werden. Das Positionspapier vom 3. März 2015 enthalte keine ausreichend konkreten Forderungen. Sie hält daran fest, dass eine entsprechende tarifliche Regelung gegen das Personalvertretungsrecht verstieße. Hinsichtlich der Tatsache, dass die Notdienstvereinbarung unzureichend sei, habe sie ausreichend unter Beweisantritt vorgetragen. Schon im Jahr 2011 habe es Probleme mit der Notdienstregelung gegeben. Sie habe mit den zuständigen Ärzten ermittelt und im Hilfsantrag aufgelistet, welche Maßnahmen erforderlich seien, um sicherzustellen, dass Notfälle, die zur Gefährdung von Gesundheit und Leben der Patienten führen könnten, sachgerecht behandelt würden. Gefährdungen könnten durch gegenseitigen Respekt und ethisches Handeln des Pflegepersonals nicht ausgeschlossen werden.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. Juni 2015 – 60 Ga 841/15 – abzuändern und

1. der Verfügungsbeklagten zu untersagen, ihre Mitglieder und sonstige Beschäftigte bei der Verfügungsklägerin weiterhin zu einem unbefristeten Streik zur Durchsetzung eines Tarifvertrags Gesundheit und Ausbildungsqualität aufzurufen,

2. die Verfügungsbeklagte zu verpflichten, ihren Streik zur Durchsetzung eines Tarifvertrages Gesundheit und Ausbildungsqualität unverzüglich zu beenden,

3. die Verfügungsbeklagte zu verpflichten, ihren Streikaufruf vom 16. Juni 2015 sowie die Beendigung des Streiks unverzüglich durch Veröffentlichung auf der Startseite ihrer Internetseite www.verdi.de zu widerrufen bzw. zu erklären,

4. der Verfügungsbeklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflichten gemäß Ziffer 1 ein Ordnungsgeld in Höhe von EUR 250.000,00 anzudrohen,

hilfsweise für den Fall, dass den Anträgen zu 1. und 2. nicht stattgegeben werden,

5. der Verfügungsbeklagten zu untersagen, während des unbefristeten Streiks an der Ch. zur Durchsetzung eines Tarifvertrags Gesundheit und Ausbildungsqualität im Rahmen der angekündigten Betten- und Stationsschließungen

am Ch. C. B. F. in den Stationen

• S44i (intensiv/chirurgisch) von den 18 aufgestellten Betten mehr als fünf Betten,

• S44 PACU (post anaesthesia care unit/chirurgisch) von den sechs aufgestellten Betten mehr als ein Bett,

am Ch. C. V. Klinikum in den Stationen

• WAN14i (intensiv/chirurgisch) von den 12 aufgestellten Betten mehr als fünf Betten,

• WAN S1i (intensiv/chirurgisch) von den 15 aufgestellten Betten mehr als sechs Betten,

• WAN 8i (intensiv/chirurgisch) von den 14 aufgestellten Betten mehr als ein Bett,

• WAN-PACU (post anaesthesia care unit/chirurgisch) von den acht aufgestellten Betten mehr als drei Betten,

• WAC/WUC 9i (intensiv/chirurgisch) von den 10 aufgestellten Betten mehr als drei Betten,

• WAC 21i (intensiv/chirurgisch) von den 10 aufgestellten Betten mehr als zwei Betten,

• WNP 43i (intensiv/internistisch) von den 24 aufgestellten Betten überhaupt ein Bett,

• WNP 47i (intensiv/internistisch) von den 16 aufgestellten Betten überhaupt ein Bett,

• WNE S7 (Stroke) von den 38 aufgestellten Betten mehr als 26 Betten,

• 25i (Pädiatrie) von den 12 aufgestellten Betten mehr als vier Betten,

am C. Ch. M. in den Stationen

• MAN 101i + PACU (intensiv chirurgisch + post anaesthesia care unit) von den 16 aufgestellten Betten mehr als sieben Betten,

• MAN 103i (intensiv/chirurgisch) von den 10 aufgestellten Betten mehr als drei Betten,

• MKD 104i (intensiv/internistisch) von den 11 aufgestellten Betten mehr als vier Betten,

• MAC 105i (intensiv/chirurgisch) von den 10 aufgestellten Betten mehr als zwei Betten,

• MNE 106i (intensiv/internistisch) von den 10 aufgestellten Betten mehr als zwei Betten,

• MID 144i (intensiv/internistisch) von den 18 aufgestellten Betten mehr als zwei Betten,

• M 203i (intensiv/chirurgisch) von den 12 aufgestellten Betten mehr als neun Betten,

    zu sperren,

6. die Verfügungsbeklagte zu verpflichten, ihren Streikaufruf vom 16. Juni 2015 unverzüglich durch Veröffentlichung auf der Startseite ihrer Internetseite www.v...de entsprechend anzupassen,

7. der Verfügungsbeklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflichten gemäß Ziffer 5 ein Ordnungsgeld in Höhe von EUR 250.000,00 anzudrohen.

Die Verfügungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie beruft sich weiter auf die Rechtmäßigkeitsvermutung des gewerkschaftlich geführten Streiks. Die Schlichtung sei Ergebnis einer dreijährigen Verhandlung mit der Arbeitgeberseite gewesen. Seit Beginn der Verhandlungen 2012 sei klar, dass die geforderten Regelungen zur Besetzung sich auf die belegten Betten beziehen sollten. Die Überprüfung der Belastung solle aufsetzen auf den bereits im Rahmen der Schlichtung vereinbarten Kriterienkatalog, wonach ua. ein Monitoring anhand der Daten betreffend Arbeitsunfähigkeit, Überstunden, Gefährdungsanzeigen in einzelnen Bereichen erfolgen solle. Die darüber hinaus geforderten Elemente seien bereits im Rahmen ihrer Stellungnahme, dort auf Seite 6, analog bereits bestehender sog. SOP’s konkretisiert. Die Vorstellungen der Verfügungsbeklagten seien nochmals im Gesprächstermin am 4. Mai 2015 erläutert worden. Die Forderung nach einem Gesundheitsfonds gehe auf einen Vorschlag der Verfügungsklägerin vom 5. Mai 2014 zurück. Es habe sich um eine Anschubfinanzierung in Höhe von 300.000 Euro handeln sollen, wobei der Betrag für jeden Monat und jeden nicht besetzten Arbeitsplatz um 4.000 Euro habe erhöht werden sollen. Aus den seitens der Verfügungsklägerin benannten Entscheidungen ergebe sich gerade, dass kein Verstoß gegen die Friedenspflicht vorliege. Im Ergebnis bedeutete die Argumentation der Verfügungsklägerin auch, dass ein Arbeitgeber, der Personalabbau vornehme, gegen die Friedenspflicht verstieße. Bezüglich der geforderten Mindestbesetzungsregeln sei darauf hinzuweisen, dass allein in diesem Jahr bei der Verfügungsbeklagten mehr als 800 Gefährdungsanzeigen seitens der Beschäftigten eingegangen seien. Ein hoher Krankenstand und zahlreiche Überstunden seien ein Indikator für die strukturelle andauernde Überlastungssituation. Außerdem habe die Verfügungsklägerin in den Jahren von 2010 bis 2014 in dem hier maßgeblichen Bereich einen Abbau von 345,8 Stellen vorgenommen, und zwar trotz der 80 Einstellungen anlässlich der Schlichtung im Jahr 2014. Entgegen der Darstellung der Beklagten seien sowohl der Streik im Jahr 2001 als auch der Warnstreik im April 2015 reibungslos verlaufen. Es habe auch bisher keinerlei problematische Situation gegeben, die nicht im Rahmen der Clearingstelle umgehend habe behoben werden können.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird ergänzend Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24. Juni 2015.

Entscheidungsgründe

A. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

B. Die Berufung ist aber unbegründet. Die zulässige Klage ist sowohl hinsichtlich der Haupt- als auch hinsichtlich der Hilfsanträge unbegründet. Das Arbeitsgericht hat es mit Recht abgelehnt, den Streik der Verfügungsbeklagten zu untersagen oder einzuschränken. Die mit der Berufung vorgebrachten Gesichtspunkte rechtfertigen keine andere Beurteilung.

I. Die Verfügungsklägerin hat gegen die Verfügungsbeklagte keinen Anspruch auf Unterlassung des Streiks insgesamt. Der Streik der Verfügungsbeklagten ist nicht rechtswidrig. Ihm steht eine Friedenspflicht nicht entgegen. Die Forderung der Beklagten betrifft die Regelung einer Arbeitsbedingung im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG. Die Forderung ist tariflich regelbar und verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Das Vorgehen der Verfügungsbeklagten ist nicht unverhältnismäßig.

1) Der Erlass einer einstweiligen Verfügung kommt, wie sich mittelbar aus § 62 Abs. 2 ArbGG ergibt, auch im Bereich des Arbeitskampfs in Betracht (allg. Ansicht, vgl. LAG Berlin-Brandenburg 14. August 2012 – 22 SaGa 1131/12, zu 2.2.1 der Gründe).

a) Für den heranzuziehenden Prüfungsmaßstab ist zu beachten, dass eine Unterlassungsverfügung, die auf den Abbruch eines laufenden oder unmittelbar bevorstehenden Streiks gerichtet ist, einer Befriedigungsverfügung gleichkommt. Sie nimmt die Hauptsache regelmäßig vorweg. Deshalb ist an den Erlass einer solchen einstweiligen Verfügung ein strenger Maßstab anzulegen. Die einstweilige Verfügung ist umso eher zu erlassen, je offensichtlicher die Rechtswidrigkeit der Maßnahme ist (vgl. Hessisches LAG 7. November 2014 – 9 SaGa 1496/14, Rn. 228). Mit Blick auf die besondere Bedeutung des Streikrechts (Art. 9 Abs. 3 GG) sowie die mit einem Arbeitskampfgeschehen oftmals schwierigen und komplexen Fragestellungen wird zum Teil vertretener, die Streikmaßnahme müsse offensichtlich rechtswidrig sein (so zB. Hessisches LAG 2. Mai 2003 – 9 SaGa 637/03, Rn. 31; LAG Sachsen 2. November 2007 – 7 SaGa 19/07, Rn. 939), während die Gegenmeinung es ausreichen lässt, dass die Streikmaßnahme (lediglich) rechtswidrig ist (vgl. GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 62 Rn. 113; Korinth, Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren, 2. Aufl. S. 361). ZT. (ErfK/Linsenmaier 15. Aufl. Art. 9 GG Rn. 229) wird vertreten, eine Unterlassungsverfügung setze jedenfalls voraus, dass die Rechtswidrigkeit des Streiks ohne rechtsfortbildende Überlegungen feststellbar sei.

b) Die beantragte Untersagungsverfügung muss zum Schutz des Rechtes am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (§ 823 Abs. 1 BGB) und zur Abwendung drohender wesentlicher Nachteile geboten und erforderlich sein. Besteht ein Verfügungsanspruch, hat zur Prüfung, ob eine auf Unterlassung eines Arbeitskampfes gerichtete einstweilige Verfügung im Sinne des § 940 ZPO zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, eine Interessenabwägung stattzufinden, in die sämtliche in Betracht kommenden materiellrechtlichen und vollstreckungsrechtlichen Erwägungen sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen für beide Parteien einzubeziehen sind. Dabei spielt auch eine Rolle, welchen Umfang die gestellten Anträge haben. Anträge, die den Arbeitskampf insgesamt untersagen wollen, greifen stark in den Kernbereich aus Art. 9 Abs. 3 GG der Gewerkschaft ein. Weniger stark wird eingegriffen, wenn lediglich die Rechtswidrigkeit einzelner Kampfhandlungen im Rahmen der einstweiligen Verfügung geltend gemacht wird (vgl. LAG Baden-Württemberg 31. März 2009 - 2 SaGa 1/09, Rn. 49). Die Anforderungen an Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund sind insgesamt mit besonderer Umsicht zu handhaben, um eine Gefährdung der Koalitionsbetätigungsgarantie aus Art. 9 Abs. 3 GG soweit als möglich auszuschließen (vgl. Hessisches LAG 7. November 2014 – 9 SaGa 1496/14, Rn. 230; ErfK/Linsenmaier 15. Aufl. Art. 9 GG Rn. 228; Schaub/Treber 15. Aufl. § 195 Rn. 58).

c) Der Streik gegen die Beklagte ist nicht generell unzulässig, weil es sich um ein Unternehmen der Daseinsvorsorge handelt. Auch ein Streik in einem Unternehmen der Daseinsvorsorge ist nicht von vornherein unzulässig. Ein solches „Streikverbot“ wäre mit der in Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Koalitionsbetätigungsfreiheit nicht zu vereinbaren (vgl. Hessisches LAG 7. November 2014 – 9 SaGa 1496/14, Rn. 260, mwN.). Teilweise wird im Schrifttum für Betriebe der Daseinsvorsorge eine „verschärfte“ Verhältnismäßigkeitsprüfung gefordert (vgl. von Steinau-Steinrück/Glanz NZA 2009, 113, 115; Jakobs NZA 2008, 325, 331; Sittard, ZTR 2008, 178, 180; zum Ganzen ausführlich: Hessisches LAG 7. November 2014 – 9 SaGa 1496/14, Rn. 260). Der „allgemeine“ Verhältnisgrundsatz bietet ausreichend Möglichkeit, dafür Sorge zu tragen, dass auch die Interessen Dritter im Rahmen einer Streikmaßnahme ausreichend gesichert werden (so zutreffend Hessisches LAG 7. November 2014 – 9 SaGa 1496/14, Rn. 261).

2) Es kann hier offen bleiben, welcher Prüfungsmaßstab (dazu unter B I 1 a) zugrunde zu legen ist. Ein Antrag auf Unterlassung einer Streikmaßnahme erfordert im einstweiligen Verfügungsverfahren neben einem Verfügungsgrund einen Verfügungsanspruch. Daran fehlt es hier. Der Streik ist nicht rechtswidrig.

a) Nicht rechtswidrig sind Eingriffe in den Gewerbebetrieb, wenn sie als Arbeitskampfmaßnahmen zulässig sind (vgl. BAG 22. September 2009 – 1 AZR 972/08, Rn. 23). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts schützt das Doppelgrundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG zum einen den Einzelnen in seiner Freiheit, eine Vereinigung zur Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gründen, ihr beizutreten oder sie zu verlassen. Geschützt ist zum anderen auch die Koalition selbst in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihren Betätigungen, sofern diese der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen (vgl. BVerfG 6. Februar 2007 - 1 BvR 978/05, zu II 2 a der Gründe; BAG 19. Juni 2007 - 1 AZR 396/06, Rn. 11). Der Schutz erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen und umfasst insbesondere die Tarifautonomie. Die Wahl der Mittel, mit denen die Koalitionen die Regelung der Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge zu erreichen versuchen und die sie hierzu für geeignet halten, gibt Art. 9 Abs. 3 GG nicht vor, sondern überlässt sie grundsätzlich den Koalitionen selbst. Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind, werden jedenfalls insoweit von der Koalitionsfreiheit erfasst, als sie erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen (vgl. BAG 19. Juni 2007 - 1 AZR 396/06, Rn. 11). Der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG ist nicht etwa von vornherein auf den Bereich des Unerlässlichen beschränkt (vgl. BAG 22. September 2009 – 1 AZR 972/08, Rn. 33). Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet grundsätzlich auch das von einer Gewerkschaft getragene Kampfmittel des Streiks. Das Recht aus Art. 9 Abs. 3 GG ist ebenfalls nicht uneingeschränkt gewährt. Es kann insbesondere durch andere verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter eingeschränkt werden. Jedenfalls bedarf es eines verhältnismäßigen Ausgleichs (sog. praktische Konkordanz) beider geschützten Interessen (vgl. BVerfG 26. Juni 1991 - 1 BvR 779/85, zu C I 1 a der Gründe). Zentraler Maßstab für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit eines Streiks ist mithin der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BAG 19. Juni 2007 - 1 AZR 396/06, Rn. 22). Eine weitere Grenze eines rechtmäßigen Streiks ist ferner die Wahrung der Friedenspflicht (zum Ganzen: Hessisches LAG 7. November 2014 – 9 SaGa 1496/14, Rn. 233).

b) Der Streik, zu dem die Verfügungsbeklagte aufgerufen hat, ist nicht wegen einer Verletzung der Friedenspflicht rechtswidrig.

aa) Der Arbeitgeber ist durch die sich aus Firmentarifverträgen ergebende Friedenspflicht gegen einen Streik geschützt, der auf den Abschluss von Firmentarifverträgen über dieselbe Regelungsmaterie gerichtet ist. Die Friedenspflicht muss nicht besonders vereinbart werden. Sie ist vielmehr dem Tarifvertrag als einer Friedensordnung immanent. Der Haustarifvertrag schützt den Arbeitgeber davor, hinsichtlich der tariflich geregelten Materie Arbeitskampfmaßnahmen ausgesetzt zu werden (vgl. BAG 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02, Rn. 39). Sofern von den Tarifvertragsparteien nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist, wirkt die Friedenspflicht nicht absolut, sondern relativ. Sie bezieht sich nur auf die tarifvertraglich geregelten Gegenstände. Ihre sachliche Reichweite ist durch Auslegung der tariflichen Regelungen zu ermitteln. Haben die Tarifvertragsparteien eine bestimmte Sachmaterie erkennbar umfassend geregelt, ist davon auszugehen, dass sie diesen Bereich der Friedenspflicht unterwerfen und für die Laufzeit des Tarifvertrags die kampfweise Durchsetzung weiterer Regelungen unterbinden wollen, die in einem sachlichen inneren Zusammenhang mit dem befriedeten Bereich stehen (vgl. BAG 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02, Rn. 39).

bb) Hieran gemessen steht die Friedenspflicht aus den Haustarifverträgen der Parteien aus dem Jahr 2011 dem derzeitigen inzwischen drei Tage währenden unbefristeten Streik der Verfügungsklägerin und den mit ihm verfolgten Zielen nicht entgegen. Die Reichweite der Haustarifverträge aus dem Jahr 2011 erfasst nicht die Regelungsgegenstände, die die Verfügungsbeklagte mit dem aktuellen Streik durchsetzen möchte. Das gilt insbesondere auch für die Entgelttarifverträge. Bei den angestrebten tariflichen Regelungen geht es eindeutig um Überlastungsschutz mit dem Ziel der Anpassung der Arbeitsintensität an die psychischen und physischen Möglichkeiten der Belegschaftsmitglieder, dh. an das Leistbare, und nicht um eine höhere Vergütung für geleistete Arbeit.

 (1) Überlastungsschutz und die damit im Zusammenhang stehende Arbeitsdichte ist in den Haustarifverträgen der Parteien nach ihrem Wortlaut bisher nicht geregelt. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sie ausdrücklicher Gegenstand der Tarifvertragsverhandlungen gewesen wäre. Den Tarifverträgen kann auch bei Berücksichtigung der weiteren Auslegungskriterien nicht entnommen werden, dass sie einen Belastungsschutz der Belegschaftsmitglieder regeln wollten, und zwar weder in der konkreten Situation bei Abschluss der Tarifverträge noch für die Zukunft.

 (2) Es ist allerdings zutreffend, wenn die Verfügungsklägerin argumentiert, dass sich Maßnahmen im Rahmen des Überlastungsschutzes auch notwendig wirtschaftlich auswirken müssen. Es kann auch als richtig unterstellt werden, dass bei Abschluss der Haustarifverträge die Einnahmesituation und das zur Verfügung stehende Budget der Verfügungsklägerin jedenfalls aus deren Sicht Motive für den Abschluss der Tarifverträge gewesen sind.

 (3) Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass sich die Parteien bei Abschluss der Verträge darüber einig waren, dass auch der Gesundheitsschutz abschließend geregelt werden sollte.

 (a) Dem stehen die mit diesem Ziel verbundenen zusätzlichen Kosten, welche mit der Schaffung weiterer Stellen verbunden sind, nicht entgegen. Das könnte nur dann der Fall sein, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang oder aus Sinn und Zweck der Haustarifverträge, ggf. auch der Tarifgeschichte, entnehmen ließe, dass mit ihnen auch der Überlastungsschutz abschließend geregelt werden sollte. Das ist hier aber gerade nicht so. Soweit die Verfügungsklägerin argumentiert, es gebe in den Tarifverträgen zB. auch Regelungen zum Bereitschaftsdienst und zu ähnlichen Fragen, ist es allerdings richtig, dass sich insoweit die Vergütung auch an dem Arbeitsumfang orientiert. Zutreffend ist es auch, dass Urlaubsregelungen im Zusammenhang mit dem Gesundheitsschutz stehen. Daraus ergibt sich aber noch nicht, dass es sich insoweit um abschließende und umfassende Regelungen auch des Gesundheitsschutzes handelt. Es geht um die Vergütung, die – gerade bei Bereitschaftsdiensten oder Rufbereitschaft - auch von der Arbeitsleistung bezogen auf bestimmte Heranziehungszeiten abhängig ist, dies aber nicht vor dem Hintergrund eines Überlastungsschutzes, sondern vor dem einer an der Vollarbeitsleistung orientierten und zu ihr ins Verhältnis gesetzten anteiligen Leistung.

Äquivalent der Vergütung ist eine Arbeitsleistung, die der jeweiligen persönlichen Leistungsfähigkeit entspricht. Die angestrebte Tarifregelung soll sicherstellen, dass die Möglichkeit des Arbeitgebers eingeschränkt wird, den Belegschaftsmitgliedern Arbeitsdichten bzw. –leistungen abzuverlangen, die „vor dem Hintergrund von Sachzwängen“ über das hinausgehen, was der Leistungsfähigkeit und damit der vertraglich an sich geschuldeten Arbeitsleistung entspricht.

 (b) Bei dem Ziel des Überlastungsschutzes geht es also um einen anderen Aspekt als in den bisherigen Tarifverträgen. Das Streikziel setzt an der Beeinflussung der konkreten Arbeitsdichte an. Diese stellt gerade im Klinikbereich ein besonderes Problem dar, das durch die bisherigen Tarifverträge offenbar nicht in den Griff zu bekommen ist. Dieses Streikziele hat zwar als Reflex eine Kostensteigerung zur Folge, zielt aber nicht auf eine höhere Vergütung ab. Es geht der Verfügungsbeklagten gerade nicht darum, die Arbeitsleistung zu verringern, um den Belegschaftsmitgliedern für die Arbeitsleistung eine höhe Vergütung zu verschaffen. Es geht vielmehr darum, einen Gesichtspunkt zu regulieren, der seitens einzelner Belegschaftsmitglieder kaum durchgesetzt werden kann. So können einzelne Schwestern bzw. Pfleger zB. in der Nachtschicht – das gilt im Übrigen auch für den ärztlichen Dienst - nicht sagen, dass sie sich ausschließlich mit einigen Patienten auf der Station befassen werden. Sie gingen regelmäßig das Risiko erheblicher Gefährdungen für den betreuten Personenkreis ein, was mit dem Selbstverständnis des betreuenden Personenkreises nicht in Einklang zu bringen ist. Es gehört zum elementaren Aufgabenbereich gewerkschaftlicher Betätigung, hier kollektive Schutzmaßnahmen zu vereinbaren, um diesen Bereich dem „freien Spiel der Kräfte“ zu entziehen. Die seitens der Verfügungsbeklagten mit ihren Streikzielen beabsichtigten Regelungen greifen danach nicht in das System der bereits vorhandenen Tarifregelungen ein. Sie liegen dahinter. Sie sollen durch ein ausgeklügeltes Erfassungs- und Regulierungsmodell sicherstellen, dass die Belastung der Belegschaftsmitglieder nicht praktisch ungeregelt erhöht werden kann bzw. bei bereits vorhandener Überforderung nach unten angepasst werden kann. Im Ergebnis dienen die Streikziele also dazu, die bereits getroffenen tariflichen Regelungen strukturell zu ergänzen, ohne dass in deren konkrete Inhalte eingegriffen wird.

c) Der Streik ist auch im Hinblick auf die Streikziele nicht rechtswidrig. Es handelt sich um Ziele, die die Tarifvertragsparteien im Rahmen ihrer verfassungsrechtlich verbürgten Tarifautonomie inhaltlich regeln können. Es kann tariflich festgelegt werden, welche Arbeitsintensität einem Belegschaftsmitglied zugemutet werden darf (vgl. dazu BAG 3. April 1990 – 1 AZR 123/89, Rn. 17). Auch können Maßnahmen zur Verhinderung einer strukturellen Überlastung der Belegschaft geregelt werden.

aa) Arbeitskämpfe können zur Durchsetzung tariflich regelbarer Ziele geführt werden (vgl. BAG 10. Dezember 2002 - 1 AZR 96/02, zu B I 3 a der Gründe). Dies folgt aus der Hilfsfunktion des Arbeitskampfs zur Sicherung der Tarifautonomie (vgl. BVerfG 26. Juni 1991 - 1 BvR 779/85, zu C I 1 a der Gründe). Hier bedarf es keiner Erörterung der Frage, ob diese Beschränkung mit den Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus völkerrechtlichen Verträgen, etwa aus Teil II Art. 6 Nr. 4 der Europäischen Sozialcharta, zu vereinbaren ist (vgl. dazu BAG 10. Dezember 2002 - 1 AZR 96/02, zu B I 2 a, 3 a der Gründe; 24. April 2007 – 1 AZR 252/06, Rn. 79) .

bb) Streikziele der Verfügungsbeklagten sind quantitative Besetzungsregelungen und eine strukturell angelegte Sicherstellung ihrer Umsetzung. Die Verfügungsbeklagte hat ihre Ziele in dem Streikaufruf vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Verhandlungen ausreichend konkret formuliert.

 (1) Die Kampfziele müssen so klar formuliert sein, dass die Gegenseite sinnvoll reagieren kann und auch eine Rechtmäßigkeitskontrolle möglich ist. Nicht erforderlich ist es entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin, dass diese so präzise formuliert sind, dass sie mit einem bloßen „ja“ angenommen werden könnten oder dass damit gar ein Tarifabschluss zustande käme (ErfK/Linsenmeier Art. 9 GG Rn. 117; aA. Kissel, Arbeitskampfrecht § 24 Rn. 12; Rieble BB 2014, 949). Linsenmeier weist zutreffend darauf hin, dass dies dem Umstand geschuldet ist, dass jedes Kampfziel erfahrungsgemäß einen Verhandlungsspielraum enthält.

 (2) Diesen Anforderungen an die Darstellung der Kampfziele genügen die Angaben der Verfügungsbeklagten im Streikaufruf vor dem Hintergrund der – zuletzt auch nochmals in der Berufungsverhandlung dargestellten - jahrelangen Verhandlungen, die insoweit nicht ausgeblendet werden können. Die Verfügungsbeklagte fordert – zT. sogar sehr konkret – quantitative Besetzungsregelungen und eine strukturell angelegte Sicherstellung ihrer Umsetzung. Welche Folgen mit der Forderung verbunden sind, ist für die Verfügungsklägerin ausreichend deutlich erkennbar. Sie hat es im Rahmen des Verfahrens auf die Stelle genau errechnet und vorgetragen.

cc) Im Lichte der Tarifautonomie kann Art. 12 GG nicht jede Einschränkung der Berufsausübung verhindern. Die Tarifvertragsparteien sind im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG vielmehr befugt, die allgemeinen Arbeitsbedingungen zum Schutze der einzelnen Arbeitnehmer und zur Ordnung des Arbeitslebens zwingend auszugestalten, wodurch stets die Privatautonomie (Art. 2 GG) und die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) eingeschränkt werden. Der Ausgleich der insoweit widerstreitenden Grundrechte ist im Wege der praktischen Konkordanz nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu suchen (vgl. BAG 25. Oktober 2000 – 4 AZR 438/99, Rn. 51; dazu auch Kühling, Bertelsmann, NZA 2005, 1017, 1023). Nicht nur Individualinteressen, sondern auch Belange der Koalition, zB. unter dem Gesichtspunkt der Solidarität, und Gesamtinteressen, zB. Schutz der Bevölkerung bei Versorgungsunternehmen, Krankenanstalten und Verkehrsgewerbe, können im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips gewichtet werden. In diesem Rahmen lassen sich auch berechtigte Interessen der einzelnen Arbeitnehmer berücksichtigen (vgl. BAG 25. Oktober 2000 – 4 AZR 438/99, Rn. 51).

dd) Quantitative Besetzungsregeln sind vor diesem Hintergrund als tariflich regelbare Ziele durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit langem anerkannt (vgl.BAG 17. Juni 1999 – 2 AZR 456/98, Rn. 16, zu quantitativen Besetzungsregelungen, die die Mindestanzahl der an bestimmten Maschinen zu beschäftigenden Hilfskräfte festlegen, mwN.; 19. Juni 1984 – 1 AZR 361/82, Rn. 52, zur Stärke der Cockpitbesatzung; 11. Dezember 2012 – 1 ABR 81/11, dort als selbstverständlich unterstellt; ErfK/Schmidt Art. 12 GG Rn. 45). Dabei handelt es sich zumindest auch um Betriebsnormen iSv. § 1 Abs. 1 Alt. 4, § 3 Abs. 2 TVG. Da sich die in Betracht kommenden Besetzungsklauseln auf die Anzahl der auf bestimmten Arbeitsplätzen zu beschäftigende Belegschaftsmitglieder beziehen, können sie nur einheitlich für Organisierte und Nichtorganisierte gelten, die jeweilige Regelung kann sinnvoll nur einheitlich für alle Arbeitnehmer erfolgen (vgl. BAG 17. Juni 1999 – 2 AZR 456/98, Rn. 16). Der Regelungsauftrag des Art. 9 Abs. 3 GG bezieht sich immer dann, wenn sich die wirtschaftliche und soziale Seite einer unternehmerischen Maßnahme nicht trennen lassen, zwangsläufig mit auf die Steuerung der unternehmerischen Sachentscheidung (vgl. BAG 3. April 1990 – 1 AZR 123/89, Rn. 29). Die tarifvertragsfreie Unternehmensautonomie geht nicht so weit, dass die Gewerkschaften darauf beschränkt sind, nur soziale Folgewirkungen unternehmerischer Entscheidungen zu regeln (vgl. BAG 3. April 1990 – 1 AZR 123/89, Rn. 29). Das macht deutlich, dass es einen durch einen Arbeitskampf durchsetzbaren Einfluss auf die Arbeitsintensität gibt, der insbesondere auch nicht darauf beschränkt ist, eine (noch) weitere Arbeitsverdichtung zu verhindern, sondern es auch ermöglicht, Entlastungsregeln zu verlangen.

Dem steht auch nicht entgegen, dass das Bundesarbeitsgerichts (vgl. zB. BAG 24. April 1997 – 2 AZR 352/96, Rn. 15) im Rahmen von Kündigungsschutzprozessen eine unternehmerische Entscheidung idR. unangetastet lässt, mit der der Arbeitgeber festlegt, mit welcher Anzahl von Arbeitskräften er die vorhandene Arbeitsmenge erledigen möchte. Der Arbeitgeber hat nur die Umsetzungsmöglichkeit der Entscheidung darzulegen, will er im Prozess obsiegen. Allerdings macht der Umstand, dass der Arbeitgeber ohne entsprechende Tarifregelungen freier ist in seinen Gestaltungsmöglichkeiten als bei Existenz solcher, den Hintergrund von Sinn und Zweck des Tarifsystems insoweit deutlich. Eine Gewerkschaft ist nicht gehindert, in einem solchen Fall quantitative Besetzungsregelungen zur Beeinflussung der Arbeitsintensität mit dem Ziel des Überlastungsschutzes im Wege eines Arbeitskampfs durchzusetzen. Will der Arbeitgeber zB. mit einem neuen Personalbemessungssystem die Kriterien verändern, nach denen festgelegt wird, welche Arbeitsmenge einem Arbeitnehmer bei durchschnittlicher Leistung zugemutet werden kann, will er damit zugleich den Personalbestand und die Personalkosten verringern. Dies kann zugleich eine Arbeitsverdichtung für die weiterbeschäftigten Arbeitnehmer bewirken. Es ist nicht einzusehen, weshalb dies der alleinigen Entscheidung des Arbeitgebers vorbehalten sein soll (vgl. BAG 3. April 1990 – 1 AZR 123/89, Rn. 25). Die entgegengesetzte Auffassung würde dazu führen, dass die Gewerkschaft nicht einmal dann auf Entscheidungen des Arbeitgebers einwirken könnte, wenn dieser offenkundig die Arbeitnehmer stärker belasten will, indem er beschließt, bei sonst gleichbleibenden Arbeitsbedingungen die gleiche Arbeitsmenge auf die Hälfte der bisher beschäftigten Arbeitnehmer zu verteilen. Gerade die Einflussnahme des Arbeitgebers auf die Belastung der Belegschaftsmitglieder in einem Personalbemessungssystem kann durch betriebliche Normen geregelt werden. Diese gelten nach § 3 Abs. 2 TVG für alle Betriebe des Arbeitgebers (vgl. BAG vom 3. April 1990 – 1 AZR 123/89, Rn. 25).

ee) Bei den übrigen Streikforderungen, insbesondere hinsichtlich der Gesundheitskommission, handelt es sich um Annexforderungen, die eine effektive Belastungsanalyse und Steuerungen ermöglichen soll. Im Ergebnis der Berufungsverhandlung war nicht erkennbar, dass damit die Forderung nach einer Schiedsstelle oder einer Schiedsgutachterstelle verbunden wäre. Insbesondere gab es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Verfügungsbeklagte der Kommission ein Letztentscheidungsrecht zubilligen möchte. Rechtliche Bedenken gegen eine solche Kommission, insbesondere auch ein Verstoß gegen Personalvertretungsrecht sind nicht erkennbar. Die Kommission bildet vielmehr ein wesentliches Strukturelement bei der Bekämpfung der seitens der Verfügungsbeklagten dargestellten Überbelastung. Ihre Ausgestaltung und Effektivität steht mit den weiteren Zielen in einem engen Zusammenhang. Die Parteien werden dem im Rahmen ihrer weiteren Verhandlungen Rechnung tragen.

d) Der Streik ist nach den derzeitigen Erkenntnissen auch im Übrigen nicht wegen eines Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig. Sie können deshalb nicht insgesamt durch einstweilige Verfügung untersagt werden; auch für die Anordnung von streikbeschränkenden Maßgaben fehlt es an hinreichend konkreten Angaben.

aa) Es ist grundsätzlich den Tarifvertragsparteien selbst überlassen, ihre Kampfmittel an sich wandelnde Umstände anzupassen, um dem Gegner gewachsen zu bleiben und ausgewogene Tarifabschlüsse zu erzielen (vgl. BVerfG 4. Juli 1995 - 1 BvF 2/86 ua., zu C I 1 b der Gründe). Eine Bewertung von Arbeitskampfmaßnahmen durch die Fachgerichte als rechtswidrig kommt deshalb grundsätzlich nur in Betracht, wenn eine Arbeitskampfmaßnahme offensichtlich ungeeignet oder unverhältnismäßig ist. Das Abwägungspostulat der Verhältnismäßigkeit erfordert stets eine Würdigung, ob ein Kampfmittel zur Erreichung eines rechtmäßigen Kampfziels geeignet und erforderlich und bezogen auf das Kampfziel angemessen (proportional bzw. verhältnismäßig im engeren Sinn) eingesetzt worden ist (vgl. BAG 19. Juni 2007 – 1 AZR 396/06, Rn. 25).

bb) Geeignet ist ein Kampfmittel, wenn durch seinen Einsatz die Durchsetzung des Kampfziels gefördert werden kann. Dabei kommt den einen Arbeitskampf führenden Koalitionen eine Einschätzungsprärogative zu. Sie haben einen Beurteilungsspielraum bei der Frage, ob eine Arbeitskampfmaßnahme geeignet ist, Druck auf den sozialen Gegenspieler auszuüben. Die Einschätzungsprärogative ist Teil der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Freiheit in der Wahl der Arbeitskampfmittel. Sie betrifft grundsätzlich nicht nur die Frage, welches Kampfmittel eingesetzt wird, sondern auch, wem gegenüber dies geschieht. Nur wenn das Kampfmittel zur Erreichung des zulässigen Kampfziels offensichtlich ungeeignet ist, kann eine Arbeitskampfmaßnahme aus diesem Grund für rechtswidrig erachtet werden (vgl. BVerfG 10. September 2004 - 1 BvR 1191/03, zu B II 2 b der Gründe).

cc) Erforderlich ist ein Kampfmittel, wenn mildere Mittel zur Erreichung des angestrebten Ziels nach der Beurteilung der den Arbeitskampf führenden Koalition nicht zur Verfügung stehen. Auch insoweit umfasst deren Betätigungsfreiheit grundsätzlich die Einschätzung, ob sie zur Erreichung des verfolgten Ziels das gewählte Mittel für erforderlich oder andere Mittel für ausreichend erachtet (vgl. dazu auch BAG 21. Juni 1988 - 1 AZR 651/86, zu A I 3 der Gründe). Die Grenze bildet auch hier der Rechtsmissbrauch. Ein solcher liegt dann vor, wenn es des ergriffenen Kampfmittels zur Erreichung des Ziels - etwa deshalb, weil der Gegner dazu erkennbar ohnehin bereit ist - offensichtlich nicht bedarf (vgl. BAG 19. Juni 2007 – 1 AZR 396/06, Rn. 27).

dd) Verhältnismäßig im engeren Sinn (proportional) ist ein Arbeitskampfmittel, das sich unter hinreichender Würdigung der grundrechtlich gewährleisteten Betätigungsfreiheit zur Erreichung des angestrebten Kampfziels unter Berücksichtigung der Rechtspositionen der von der Kampfmaßnahme unmittelbar oder mittelbar Betroffenen als angemessen darstellt. Insoweit steht einer Arbeitskampfpartei keine Einschätzungsprärogative zu, geht es doch hierbei nicht um eine tatsächliche Einschätzung, sondern um eine rechtliche Abwägung. Allerdings ist bei dieser stets zu beachten, dass es gerade das Wesen einer Arbeitskampfmaßnahme ist, durch Zufügung wirtschaftlicher Nachteile Druck zur Erreichung eines legitimen Ziels auszuüben. Unverhältnismäßig ist ein Arbeitskampfmittel daher erst, wenn es sich auch unter Berücksichtigung dieses Zusammenhangs als unangemessene Beeinträchtigung gegenläufiger, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützter Rechtspositionen darstellt (vgl. BAG 19. Juni 2007 – 1 AZR 396/06, Rn. 28).

ee) Bei Zugrundelegung dieser Gesichtspunkte und der Anlegung der dargestellten Maßstäbe fehlt es dem Streik weder an der Eignung noch an der Erforderlichkeit zur Erreichung der angestrebten Streikziele. Das gilt auch für die Erforderlichkeit der Forderungen im Zusammenhang mit der Gesundheitskommission und dem Gesundheitsfonds. Wie sich im Rahmen des Verfahrens gezeigt hat, gibt es auch insoweit durchaus Differenzen, auch wenn eine Konfliktlösung in diesen Bereichen nicht ausgeschlossen ist. Die Forderungen stehen im Übrigen in engem Zusammenhang mit den Mindestbesetzungsforderungen der Verfügungsbeklagten und können daher nicht unabhängig von diesen betrachtet werden. Es kommt insoweit der sehr eingeschränkte Prüfungsmaßstab hinzu. Im Übrigen geht aber auch die Verfügungsklägerin von der Eignung und der Erforderlichkeit des Streiks aus.

ff) Umstritten ist hier noch die Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit ieS.) der Streikmittel. Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, die mit der Verfügungsbeklagten für den Streik im Jahr 2011 getroffene und im Jahr 2013 erneut abgeschlossene Notdienstvereinbarung sei nicht ausreichend. Ohne weiter gehende Beschränkungen in Form der Aufrechterhaltung eines bestimmten Bettenbestandes in den Intensivstationen könnten Gefahren für Leib und Leben der Patienten nicht ausreichend sicher vermieden werden. Sie legt insoweit eidesstattliche Versicherungen zahlreicher Chefärzte vor, die – bezogen auf die vergangenen fünf Monate – den prognostizierten Mindestbedarf auf den Stationen benennen. Diese Betten seien erforderlich, um (iSd. § 1 Abs. 1 Satz 1 der Notdienstvereinbarung) sicherzustellen, dass Notfälle, die zur Gefährdung von Gesundheit oder Leben von Patienten führen könnten, sachgerecht behandelt werden.

In der Berufungsverhandlung ist festgestellt worden, dass die Verfügungsbeklagte im Rahmen der Streikaufrufe den Angaben der Chefärzte bisher Rechnung getragen hat. Damit ist dann im Ergebnis auch den Bedenken der Verfügungsklägerin Rechnung getragen. Außerdem wird deutlich, dass die Notdienstvereinbarung entgegen den Befürchtungen der Verfügungsklägerin ausreichend ist. Es geht ihr insoweit auch nur um eine Konkretisierung, nicht um grundsätzliche Bedenken. Im Übrigen besteht unter den Parteien Einigkeit darüber, dass die Clearingstelle sehr gut funktioniert und die seitens der Verfügungsklägerin befürchteten Probleme ausgeblieben sind. Zudem hat sich herausgestellt, dass die Verfügungsbeklagte im Jahr 2011 zu Streikmaßnahmen über einen Zeitraum von fünf Tagen aufgerufen hat und damals noch mehr Betten bestreikt worden sind als aktuell bei vergleichbarer Notdienstorganisation. Damit ist jedenfalls auch in der Daseinsvorsorge ggf. zu stellenden erhöhten Anforderungen Rechnung getragen.

Inwieweit die Verfügungsbeklagte den Regelungen im Krankenhausplan derzeit nicht gerecht werden kann, konnte angesichts des Vortrags der Verfügungsklägerin nicht festgestellt werden, sodass es hierauf nicht ankam.

II. Die Klage ist auch hinsichtlich der Hilfsanträge unbegründet. Die Verfügungsklägerin hat aus den soeben dargelegten Gründen gegen die Verfügungsbeklagte auch keinen Anspruch auf eine konkrete Beschränkung der Streikmaßnahmen, wie sie die Hilfsanträge vorsehen.

C. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

D. Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtmittel nicht vorgesehen.



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