Arbeitsgericht Mainz

Urteil vom - Az: 2 Ca 87/02

Ordentliche Kündigung aufgrund langanhaltender Krankheit

Eine krankheitsbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer bereits seit 7 Monaten krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist. Im vorliegenden Fall wies der Arbeitnehmer eine Betriebszugehörigkeit von 10 Jahren auf.

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 8.250,00 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand 

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 21.12.2001 (Bl. 6 d.A.), dem Kläger zugegangen am 22.12.2002, zum 31.03.2001, die die Beklagte aus krankheitsbedingten Gründen ausgesprochen hat sowie das Begehren des Klägers auf tatsächliche Weiterbeschäftigung. Der am ... geborene, ... Kläger, der nach seinen Angaben ... gegenüber ... ist, nach den Angaben auf der Lohnsteuerkarte nur gegenüber ... unterhaltsverpflichtet ist, ist seit dem 1. März 1991 bei der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin, die mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt, als gewerblicher Arbeitnehmer zu einem Bruttomonatsgehalt von ca. ... Euro tätig.

Der Kläger war im Jahr 1995 aufgrund von zwei Krankheitsperioden von 19 bzw. 4 Arbeitstagen, an insgesamt 23 Arbeitstagen; im Jahr 1996 aufgrund einer Krankheitsperiode an 13 Arbeitstagen; im Jahr 1997 aufgrund von zwei Krankheitsperioden von 6 bzw. 7 Arbeitstagen, an insgesamt 13 Arbeitstagen; im Jahr 1998 aufgrund von drei Krankheitsperioden von 5, 20 bzw. 1 Arbeitstagen, an insgesamt 26 Arbeitstagen; im Jahr 1999 aufgrund von zwei Krankheitsperioden von 28 bzw. 7 Arbeitstagen, an insgesamt 35 Arbeitstagen; im Jahr 2000 aufgrund von zwei Krankheitsperioden von 8 bzw. 15 Arbeitstagen, an insgesamt 23 Arbeitstagen sowie im Jahr 2001 aufgrund von zwei Krankheitsperioden, an insgesamt 211 Arbeitstagen, davon ab dem 24. April 2001 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Auch 2002 war der Kläger noch über den 28. Februar 2002 hinaus arbeitsunfähig erkrankt. Mit E-Mail vom 7. Dezember 2001 (Bl. 22. d. A.) teilte der. Werksarzt der Beklagten mit, dass bei dem Kläger gravierende Gesundheitsstörungen bestünden, die eine erhebliche Minderung der körperlichen Belastbarkeit bedingten. Zukünftig seien nur noch leichte Tätigkeiten zumutbar, ohne Heben und Tragen von Lasten größer 10 kg, ohne häufiges Bücken, im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen. Von einer Wiederaufnahme der bisherigen Tätigkeit als Packer müsse aus arbeitsmedizinischer Sicht dringend abgeraten werden. Laut Auskunft des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung (Bl. 60 d.A.) wurde der Antrag des Klägers auf Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft bereits am 26. Juni 2002 dahingehend beschieden, dass lediglich ein Behinderungsgrad von 20 % festgestellt wurde. Rechtsmittel wurden nicht eingelegt. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 10. Dezember 2001 (Bl. 7 ff. d.A.) den Betriebsrat angehört. Der Betriebsrat hat mit Schreiben vom 14. Dezember 2002 (Bl. 9 d.A.) Stellung genommen und u.a. geltend gemacht, dass in der Wareneingangsprüfung eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestehe, da ein anderer Arbeitnehmer wegen Altersteilzeit ausscheide. Der Kläger bestreitet die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung und erklärt, die Stellungnahme des Betriebsrats vom 14.12.2001 (Bl. 9 d.A.) werde zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Er ist der Meinung, die ausgesprochene Kündigung sei bereits deswegen nichtig, weil er vor Ausspruch der Kündigung die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft beantragt habe und deshalb wie ein anerkannter Schwerbehinderter zu behandeln sei, die Beklagte aber das Integrationsamt nicht angehört habe. Eine negative Zukunftsprognose werde ebenso bestritten wie die Behauptung der Beklagten, er sei nicht mehr im Stande seine Tätigkeit als Packer auszuüben. 

Schließlich gebe es mildere Mittel als die ausgesprochene Kündigung. Bei der Beklagten sei ein anderer Maßstab anzulegen, als sonst üblich. Gemäß der Vereinbarung zur Ausgliederung des Logistikbereichs im Geschäftsbereich Fernglas am Standort Mainz vom 19. Dezember 2001 (Bl. 10 ff., 12 d.A.) sei in Ziffer 4 Nr. 7 geregelt, dass bei sozialen Härtefällen eine Kommission gebildet werde, die diese Fälle einvernehmlich regele, wobei die persönliche Notlage des Mitarbeiters und die Erfolgswahrscheinlichkeit eines Berrentungsverfahrens zu berücksichtigen sei. Diese Regelung entspreche § 75 des Statutes der ... Stiftung. Die Beklagte habe dieses Verfahren nicht berücksichtigt. Auch deshalb scheitere die Kündigung spätestens im Rahmen der Interessenabwägung.

Der Kläger beantragt zuletzt, es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 21.12.2001 zum 31.03.2002 nicht aufgelöst wurde. für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. wird die Beklagte verurteilt, den Kläger tatsächlich als gewerblicher Arbeitnehmer über den 31.03.2002 hinaus weiter zu beschäftigen. 

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet, dass der Kläger einen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter vor Ausspruch der Kündigung gestellt habe und trägt vor, die streitgegenständliche Kündigung sei aus personenbedingten Gründen (Krankheit) berechtigt. Ausgehend von den krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers, insbesondere der ununterbrochenen Arbeitsunfähigkeit im Jahr 2001 sowie unter Berücksichtigung des Attestes des Werksarztes vom 7. Dezember 2001 (Bl. 22 d.A.) sei von einer dauerhaften Unmöglichkeit des Klägers zur Erbringung der arbeitsvertraglichen Pflichten auszugehen. Im Rahmen des Zustimmungsverfahrens gemäß §§ 85 ff, SGB IX am 26. Februar 2002 habe der Kläger des Weiteren mitgeteilt, dass er zwischenzeitlich eine Kurmaßnahme durchgeführt habe. Ausweislich der weiter bestehenden Arbeitsunfähigkeit habe auch diese Maßnahme offensichtlich zu keiner Verbesserung der gesundheitlichen Situation des Klägers geführt, was ihre Beurteilung bestätige, dass dem Kläger die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung dauerhaft unmöglich sei. Dies ergebe sich im Übrigen auch aus der Stellungnahme des Betriebsrats, in der gerade wegen dieser Unmöglichkeit der Einsatz auf eine leidensgerechten Arbeitsplatz verlangt werde. Einen leidensgerechten Arbeitsplatz könne sie dem Kläger indes nicht zur Verfügung steilen, was sich aus folgendem ergebe: Der Kläger sei als Packer, d.h. mit der Tätigkeit Verpacken F-Schirme/Trichter II beschäftigt. Diese Tätigkeit beinhalte das Packen von Bildschirmen und Trichtern für TV-Geräte, die Vor- und Aufbereitung der Verpackungskartonage sowie die Tätigkeit als Springer. Hierbei handele es sich um eine stehend auszuführende Tätigkeit. Zudem beinhalte das Packen der TV-Bildschirme und der Trichter das Heben von Gewichten zwischen 10 und 28 kg. Bei der Vor- und Aufbereitung der Verpackungskartonage seien Paletten von 10 bis 15 kg und Kartons mit einem Gewicht von bis zu 18 kg zu bewegen, wobei für Gewichte von mehr als 18 kg Handlingshilfen zur Verfügung stünden. Sämtliche vorgenannten Tätigkeiten würden von den als Packer, beschäftigten Arbeitnehmer in rollierender Form durchgeführt. Bei der sog. Ablösung ersetze der Springer jeweils die am Band als Packer tätigen Kollegen, die ihren Arbeitsplatz kurzzeitig verließen. Der als Springer eingesetzte Mitarbeiter sei somit ebenfalls als Packer tätig und habe die gleichen Gewichte zu bewegen. Damit beinhalte die vom Kläger geschuldete Tätigkeit als Packer das Heben schwerer Lasten von 10 bis 28 kg. Eben das Heben und Tragen solcher Lasten seien dem Kläger ausweislich des Attestes des Werkarztes vom 17. Dezember 2001 indes nicht mehr möglich. Sie verfüge über keine Arbeitsplätze, die das Heben entsprechender Lasten nicht beinhalte. Auch der vom Betriebsrat in seiner Stellungnahme vom 14. Dezember 2001 angesprochene Einsatz des Klägers in der Wareneingangsprüfung komme nicht in Betracht, da auch im Rahmen dieser Tätigkeit Lasten von bis zu 18 kg (z.B. Paletten und Schleifscheiben) zu heben seien. Zudem sei der Kläger auch aufgrund seiner Qualifikation für diese Stelle nicht geeignet. Für die Ausübung der Tätigkeit seien perfekte Deutschkenntnisse notwendig, da Verpackungsvorschriften, Prüfungsanweisungen, Arbeitsabläufe, Kontrollblätter, Be- und Entladungspläne sowie Liefer- und Produktionspläne zu lesen und auszuwerten seien. Zudem setze die Tätigkeit EDV-Kenntnisse im Bereich Windows, Lotus, Exel und word sowie zusätzliche Facherfahrung von bis zu 5 Jahren, voraus. Ausweislich der Stellenbeschreibung sei zudem eine Zweckausbildung von 2 bis 3 Jahren erforderlich. 

Über sämtliche genannten Qualifikationen verfüge der Kläger nicht, so dass er für die Tätigkeit als Fachkraft in der Wareneingangsprüfung nicht geeignet sei. Unabhängig davon sei in diesem Bereich keine Stelle frei. Entgegen der Darstellung des Betriebsrats scheide der angesprochene Mitarbeiter Merschdorf in naher Zukunft nicht aus. Sonstige leidensgerechte Arbeitsplätze seien bei ihr nicht vorhanden. Die Beklagte ist der Meinung, aufgrund der abgestuften Darlegungs- und Beweislast könne sich der Kläger nicht darauf beschränken, nur die inhaltliche Richtigkeit ihrer Ausführungen in der Betriebsratsanhörung zu bestreiten. 

Im Übrigen sei der Kläger gehalten, darzulegen, weshalb die unbestrittenen Fehlzeiten nicht erheblich sein sollten. Es sei daher Aufgabe des Klägers, die Gründe seiner Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen, damit gegebenenfalls beurteilt werden könne, welche unstreitigen Fehlzeiten für die Beurteilung der Erheblichkeit und damit der negativen Zukunftsprognose (nicht) herangezogen werden könnten. Hierzu zähle auch die Verpflichtung des Klägers, die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Durch die genannten Arbeitsunfähigkeitszeiten seien ihr von 1995 bis 2002 Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von ... Euro entstanden. Der Hinweis des Klägers auf die Regelung in Ziffer 4 Abs. 7 der Betriebsvereinbarung vom 19.02.2001 in Verbindung mit § 75 des Statutes der ... Stiftung sei nicht nachvollziehbar. Vorgenannte Regelungen seien allenfalls im Berrentungsverfahren einschlägig. Voraussetzung für das Eingreifen derartiger Maßnahmen sei mithin der Rentenantrag des jeweiligen Mitarbeiters, den der Kläger vorliegend - aber Unstreitig - nicht gestellt habe. Die Betriebsvereinbarung vom 19.12.2001 sei mithin nicht einschlägig und enthalte zudem keine Regelung zur Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung. Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten und zu den Akten gelangten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. 

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Kündigung ist nicht wegen mangelnder Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam (hierzu unter I.). Ihre Unwirksamkeit ergibt sich auch nicht aus § 102 BetrVG (hierzu unter II.). Die Kündigung erweist sich als sozial gerechtfertigt, da der Kläger der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist (hierzu unter III.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Betriebsvereinbarung vom 19. Dezember 002 (hierzu unter IV.). 

Gemäß § 85 SGB IX bedarf die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Vorliegend behauptet der Kläger selbst nicht, dass er zu irgendeinem Zeitpunkt tatsächlich schwerbehindert gewesen und als schwerbehinderter Mensch anerkannt worden sei. Er trägt lediglich vor, dass er zum Zeitpunkt der Kündigung einen entsprechenden Antrag gestellt habe. Dies löst den Sonderkündigungsschutz jedoch noch nicht aus. Zum einen hat der Kläger trotz des ausdrücklichen Bestreitens der Beklagten bereits schon nicht dargetan, geschweige denn unter Beweis gestellt, dass und wann genau er vor Zugang der Kündigung einen entsprechenden Antrag gestellt haben will. Hat der Arbeitnehmer aber nicht einmal einen entsprechenden Antrag gestellt, so kann er sich auf den Sonderkündigungsschutz selbst dann nicht berufen, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft später rückwirkend auf den Zeitpunkt vor Ausspruch der Kündigung festgestellt wird (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 16. August 1991, NZA 1992, 23). Selbst dann, wenn der Kläger rechtzeitig vor Zugang der Kündigung einen Antrag gestellt hätte, folgt hieraus nichts anderes. Der Sonderkündigungsschutz setzt nämlich nicht nur voraus, dass rechtzeitig ein Antrag auf Anerkennung gestellt wird, sondern dass die Schwerbehinderung objektiv auch im Zeitpunkt der Zugang der Kündigung bestand, mag sie auch erst danach rückwirkend festgestellt werden (statt vieler Bundesarbeitsgericht Urteile vom 23. Februar 1978, AP Nr. 4 zu § 12 SchwbG; 5. Juli 1990, AP Nr. 1 zu § 15 SchwbG 1986). Auch dies ist hier nicht der Fall. Der Kläger war zu keinem Zeitpunkt schwerbehindert; schon gar nicht im Zeitpunkt der Kündigung. Den durch die Mitteilung des Landesamtes belegten Vortrag der Beklagten, bei dem Kläger sei mit rechtskräftigen Bescheid vom 26. Juni 2002 lediglich eine MdE von 20 % festgestellt worden, hat dieser nicht bestritten. 

Die Kündigung ist auch nicht wegen fehlender bzw. fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats (§ 102 BetrVG) unwirksam. Gemäß § 102, Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Auch eine fehlerhafte Betriebsrat Anhörung führt zu ihrer Unwirksamkeit. Vorliegend ist unstreitig, dass die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat mit Schreiben vom 10. Dezember 2001 (Bl. 7 ff. d.A.), mithin rechtzeitig und diesem Inhalt angehört hat und der Betriebsrat hierzu mit Schreiben vom 14. Dezember 2001 (Bl. 9 d.A.) abschließend Stellung genommen hat. Bei dieser Sachlage (rechtzeitige Betriebsratsanhörung unter Darlegung des Inhalts und rechtzeitige, abschließende Stellungnahme des Betriebsrats) wäre es sodann Sache des Klägers gewesen, konkret darzutun, weshalb die unstreitig - stattgefundene Betriebsratsanhörung auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der subjektiven Determination unzureichend gewesen sein soll (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 16. März 2000, DB 2000, 1524). 

Die streitgegenständliche Kündigung erweist sich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Darlegungs- und Beweislast bei einer krankheitsbedingten Kündigung, der die Kammer folgt, im Ergebnis als sozial gerechtfertigt.

Die Überprüfung einer krankheitsbedingte Kündigung hat in drei Stufen zu erfolgen. Zunächst bedarf es einer negativen Prognose hinsichtlich des weiteren Gesundheitszustandes des zu kündigenden Arbeitnehmers. Sodann ist zu prüfen, ob die entstandenen und prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. In der dritten Stufe wird mit einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung geprüft, ob die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden betrieblichen oder wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen (KR-Etzel, § 1 KSchG, Rnr. 347, m.w.N.). Bei der Überprüfung der krankheitsbedingten Kündigung in drei Stufen ist zwischen einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen, einer Kündigung wegen einer langanhaltenden Krankheit, einer Kündigung wegen krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit und einer Kündigung wegen krankheitsbedingter Minderung der Leistungsfähigkeit zu unterscheiden.

Bei einer Kündigung wegen langanhaltender Erkrankung ist, ebenso wie bei einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose erforderlich. Die Arbeitsunfähigkeit muss im Zeitpunkt der Kündigung noch bestehen und für voraussichtlich längere oder nicht absehbare Zeit andauern (KR-Etzel, a.a.O., Rnr. 389, m.w.N.). Es ist streitig, wie lange die Erkrankung bereits angedauert haben muss. Teils wird verlangt, dass dies erst nach Ablauf der Sechs-Wochenfrist für die Entgeltfortzahlung möglich ist (ErfK-Ascheid, Rnr. 232). Teilweise wird dies für unerheblich gehalten (KREtzel, a.a.O.), da es für die vom Arbeitgeber zu beweisende Prognose hierauf nicht ankomme. Grundsätzlich gilt, je länger das Arbeitsverhältnis gedauert hat, desto, länger muss der Arbeitgeber mit einer Kündigung zuwarten (LAG Köln Urt. vom 25. August 1995, NZA-RR 1996, 247: vier Monate bei zehnjähriger Beschäftigung unter Hinzurechnung früherer Erkrankungen aus demselben Grundleiden; Schaub, § 129 II. 8 c). Zudem ist eine bisher lang anhaltende Erkrankung zugunsten des Arbeitgebers bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Steht fest, dass der Arbeitnehmer auf Dauer arbeitsunfähig sein wird, lässt das Bundesarbeitsgericht stets eine ordentliche Kündigung zu, weil das Arbeitsverhältnis damit seinen Sinn verloren hat (ständ. Rspr.: Bundesarbeitsgericht Urteil vom 3. Dezember 1998, DB 1999, 589; 11. August 1994, NZA 1995, 1052; 21. Mai 1992, NZA 1993, 479). Ein solcher Tatbestand wird angenommen, wenn in den nächsten 24 Monaten nicht mit einer Besserung gerechnet werden kann (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 29. April 1999, BB 2000, 49).

Ausgehend von den vom Arbeitgeber vorgetragenen Fehlzeiten der Vergangenheit und seinem übrigen Vorbringen unter Berücksichtigung der Einlassung des Arbeitnehmers hierzu ist die Prognose für die künftige Gesundheitsentwicklung des Arbeitnehmers und die daraus folgende Gesamtbeeinträchtigung des Arbeitgebers vorzunehmen. Sie hat aufgrund objektiver Kriterien zu erfolgen (z.B. Art und Ursache der Krankheit, frühere gleichartige Erkrankungen, Alter und Disposition des Arbeitnehmers). Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG hat der Arbeitgeber die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen. Dazu zählt auch die negative Gesundheitsprognose. Dabei kann sich der Arbeitgeber zunächst auf die Angabe der in der Vergangenheit liegenden Fehlzeiten beschränken. Dabei sagt die Dauer der bisherigen Arbeitsunfähigkeit noch nichts über die Entwicklung in der Zukunft aus, entfaltet jedoch eine gewisse Indizwirkung. Daraufhin muss der Arbeitnehmer gemäß § 138 Abs. 2 ZPO dartun, weshalb mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist. Auch an seine Darlegung ist aufgrund fehlender medizinischer Fachkenntnisse kein zu strenger Maßstab anzulegen (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 25. November 1982, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10). Deshalb genügt der Arbeitnehmer bei unzureichender Kenntnis seiner Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er die Behauptung des Arbeitgebers bestreitet und gleichzeitig die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 23. Juni 1983, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 26). Hat der Arbeitgeber seiner Darlegungslast genügt und entbindet der Arbeitnehmer den Arzt nicht von der Schweigepflicht, so geht die prozessuale Beweislast auf ihn - der Kläger - über (LAG Berlin 27. November 1989, DB 1990, 1621). Die dauernde Unmöglichkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, führt auf Dauer zu einer erheblichen Störung des Arbeitsverhältnisses. Auf eine negative Prognose hinsichtlich künftiger Krankheitszeiten kommt es daher nicht mehr an. Die auf Dauer bestehende. Leistungsunfähigkeit muss aber vom Gericht festgestellt werden. Fehlt hierzu die erforderliche Sachkunde, muss es ein Sachverständigengutachten einholen (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 28. Februar 1990, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 5). Damit ist regelmäßig auch eine erhebliche betriebliche Beeinträchtigung verbunden. Eine betriebliche Beeinträchtigung ist aber ausnahmsweise dann zu verneinen, wenn die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber überhaupt keinen Wert hat, d.h. überflüssig ist. Für einen solchen Ausnahmetatbestand ist der Arbeitnehmer Darlegungsgrund beweispflichtig (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 28. Februar 1990, a.a.O.).

Unter Berücksichtigung der der vorstehenden Grundsätzen, denen die Kammer folgt, erweist sich die vorliegende ordentliche Kündigung als sozial gerechtfertigt. Die Beklagte hat im Hinblick auf die im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung durchgehend mehr als sieben Monate bestehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers sowohl die Voraussetzungen für eine langhaltende Kündigung, als auch im Hinblick auf ihren weiteren Vortrag (Stellungnahme des Werksarztes, des Betriebsrats und die Entwicklung nach Kündigungszugang unter konkreter Darstellung der vom Kläger geschuldeten Arbeitsleistung) die Voraussetzung für eine dauernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers dargetan hat und damit ihrer Darlegungslast genügt. Demgegenüber hat der Kläger diese Behauptungen ohne jeglichen Tatsachenvortrag lediglich pauschal bestritten. Trotz einer entsprechender Rüge der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 28. Januar 2002 (Bl. 19 ff. d.A.) und einer diesbezüglichen Auflage des Gerichts im Gütetermin vom 5. März 2002 (Bl. 30 f. d.A.) hat der Kläger weder behauptet, die behandelnden Ärzte hätten ihm gegenüber eine positive Prognose bekundet, noch wenigstens die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. Damit ist der Kläger seiner oben unter I.1. dargestellt - prozessualen - Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen, so dass die Kammer von einer dauernden Arbeitsunfähigkeit des Klägers auszugehen hatte.

Damit ist auch von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen. Die dauernde Unmöglichkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, führt auf Dauer zu einer erheblichen Störung des Arbeitsverhältnisses. Damit ist regelmäßig auch eine erhebliche betriebliche Beeinträchtigung verbunden. Eine betriebliche Beeinträchtigung ist nur dann ausnahmsweise zu verneinen, wenn die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber überhaupt keinen Wert hat, d.h. überflüssig ist. Für einen solchen Ausnahmetatbestand ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 28. Februar 1990, a.a.O.). Auf einen solchen Ausnahmetatbestand hat sich der Kläger selbst nicht berufen, so dass auch diese Voraussetzung als erfüllt anzusehen ist. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob die von der Beklagten dargelegten wirtschaftlichen Belastungen auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass als kündigungserheblich nur Entgeltfortzahlungen von mehr als sechs Wochen jährlich angesehen werden (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 29. Juli 1993, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 40) ausreichen würden, oder ob es weiteren Vortrages etwa zu Betriebsablaufstörungen bedurft hätte.

Ist die Kündigung danach wie hier - an sich personenbedingt - kann eine Interessenabwägung nur in seltenen Ausnahmefällen zugunsten des Arbeitnehmers ausfallen. Ein solcher ist nach Überzeugung der Kammer vorliegend auch unter Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit und der Sozialdaten des Kläger, auch wenn man eine ... unterstellt, insbesondere im Hinblick auf das Lebensalter, des Klägers nicht gegeben.

Auch bei einer krankheitsbedingten Kündigung hat der Arbeitgeber stets zu prüfen, ob der Arbeitnehmer auf einem seinem Leistungsvermögen entsprechenden anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann, auf dem er voll einsatz- und leistungsfähig sein könnte. Hierbei hat der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer auch einen leidensgerechten Arbeitsplatz freizumachen, wenn er den dort beschäftigten Arbeitnehmer im Rahmen seines Direktionsrechts auf einen anderen freien Arbeitsplatz umsetzen bzw. versetzen kann. Im Kündigungsschutzprozess hat der Arbeitgeber zunächst darzulegen, dass eine anderweitige Beschäftigung nicht möglich oder zumutbar ist. Der Arbeitnehmer hat seinerseits darzulegen, wie er sich seine weitere Beschäftigung vorstellt, es kann von ihm jedoch nicht verlangt werden, dass er bestimmte offene Arbeitsplätze benennt. Der Arbeitgeber hat vielmehr ggf. darzulegen und zu beweisen, dass ein entsprechender freier Arbeitsplatz nicht vorhanden ist. Vorliegend hat der Kläger selbst keine Angaben darüber gemacht, wie er sich eine Weiterbeschäftigung vorstellt. Er hat indes Bezug genommen auf die Stellungnahme des Betriebsrats, der eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in der Wareneingangsprüfung geltend gemacht hat. Dies hat die Beklagte erheblich bestritten, in dem sie nicht nur dargetan hat, dass entgegen der Behauptung des Betriebsrats der betreffende Arbeitnehmer in absehbarer Zeit nicht in Altersteilzeit geht, sondern auch im Einzelnen unter ordnungsgemäßen Beweisantritt dargelegt hat, aufgrund welcher Umstände dem Kläger die Qualifikation zur Ausübung dieser Tätigkeit fehlt. Dieses Vorbringen hat der Kläger nicht, schon gar nicht substantiiert bestritten. Nach alledem erweist sich die streitgegenständliche Kündigung als im Ergebnis sozial gerechtfertigt, so dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien beendet wurde. 

Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus der vom Kläger in Bezug genommenen Betriebsvereinbarung. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass nach dem in Ziffer 2 geregelten Geltungsbereich nicht ersichtlich ist, aufgrund welcher Umstände die Betriebsvereinbarung vom 19.12.2001 vorliegend einschlägig sein soll. Die Betriebsvereinbarung enthält zudem ersichtlich keine Regelung zur Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung. Der Hinweis des Klägers auf die Regelung in Ziffer 4 Abs. 7 der Betriebsvereinbarung vom 19.02.2001 in Verbindung mit § 75 des Statutes der Carl-Zeiss-Stiftung ist daher auch für die Kammer nicht nachvollziehbar. Selbst falls die vorgenannten Regelungen - wie auch die Beklagte meint - im Zusammenhang mit einem Berrentungsverfahren einschlägig sein sollten, wäre die Voraussetzung für das Eingreifen derartiger Maßnahmen nicht gegeben, da der Kläger unstreitig keinen Rentenantrag gestellt hat. 

Der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers wurde ausdrücklich unter der zulässigen prozessualen Bedingung des Obsiegens mit der Kündigungsschutzklage gestellt. Da diese Bedingung aber - wie oben dargestellt - nicht eingetreten ist, ist der Antrag nicht rechtshängig geworden, so dass über ihn nicht zu entscheiden ist. 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 3 ZPO, wobei die Kammer einen Streitwert i.H.v. geschätzten drei Bruttomonatsgehältern als angemessen erachtet. 



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