Verwaltungsgericht Berlin

Urteil vom - Az: 4 K 311.22

Online-Möbelvertrieb: Keine Sonntagsarbeit im Kundenservice

1. Die Vorschrift des § 13 Abs. 5 ArbZG, nach der eine Ausnahmen für das Verbot
der Beschäftigung von Arbeitnehmern am Sonn- und Feiertag bewilligt wird, gilt
nicht nur für das produzierenden Gewerbe, sondern gleichermaßen für den
Dienstleistungssektor.

2. Die gesetzlich zulässige wöchentliche Betriebszeit liegt bei 144 Stunden. Wird
nachts grundsätzlich nicht gearbeitet, wird die zulässige wöchentliche Betriebszeit
nicht weitgehend ausgenutzt.

3. Der klare Wortlaut von § 13 Abs. 5 ArbZG lässt eine Einschränkung der Norm
auf betriebswirtschaftlich sinnvolle Arbeitszeiten nicht zu. Das Betriebskonzept
eines jeden Betriebs hat sich am Sonn- und Feiertagsschutz auszurichten, nicht
aber umgekehrt muss sich dieser neuen Geschäftsideen unterordnen (hier:
Sonntagsarbeit für Kundenservice im Home-Office für Internet-Möbelvertrieb).

4. Ein dringendes öffentliches Interesse für eine Ausnahme vom Verbot der
Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen liegt nur vor, wenn die
zu erledigenden Aufgaben einem erheblichen Teil der Bevölkerung dienen.
Größere Annehmlichkeiten für Einzelne reichen demgegenüber nicht aus.
(Leitsätze des Gerichts)

Die Klägerin, die Möbel und Einrichtungsgegenstände im Internet vertreibt, beantragte beim Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit (im Folgenden: LAGetSi) die Beschäftigung von Mitarbeitenden im Homeoffice an Sonn- und Feiertagen. Zur Begründung führte die Klägerin an, dass an Sonntagen die Nachfrage an den Kundendienst besonders hoch sei. Müssten Kunden warten, um Unterstützung und Hilfe vom Kundendienst zu erhalten, würde dies nicht nur das Erwerbsinteresse potenzieller Kunden nachteilig beeinflussen, sondern auch zum Vorteil konkurrierender Unternehmen führen, die ihren Kundenservice von Montag bis Sonntag von 06:00 bis 22:00 Uhr anbieten. Das LAGetSi lehnte den Antrag der Klägerin ab. Die Klägerin nutze die gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten, die grundsätzlich 144 Stunden betrage, nicht weitgehend aus – so das LAGetSi. Dies sei jedoch Voraussetzung für die Ausnahmebewilligung, die beim Kundenservice nicht vorliege. Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben – jedoch ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht Berlin teilt die Ansicht des LAGetSi und gibt zur Begründung an, dass die Klägerin mit einer wöchentlichen Betriebszeit von 90 Stunden und damit einer Ausnutzung von lediglich ca. 62 % die erforderliche Schwelle zur gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeit deutlich unterschreite. Zwar könne der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums Ausnahmen vom Beschäftigungsverbot zum Schutz von Grundrechten und sonst gewichtigen Rechtsgütern („Arbeit trotz des Sonn- und Feiertags“) und zur Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Auftrags („Arbeit für den Sonn- und Feiertag“) regeln. Einer solchen Ausnahme bedürfe es jedoch eines dem Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrundes. Ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse des Unternehmens und ein alltägliches Erwerbsinteresse potenzieller Kunden genügen jedoch nicht, um Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz der Arbeitsruhe und der Möglichkeit zu seelischer Erhebung an Sonn- und Feiertagen zu rechtfertigen. Darüber hinaus sei es der Klägerin zumutbar, telefonische Auskünfte erst an den folgenden Werktagen zu erteilen. Auf die Frage, ob die Konkurrenzfähigkeit der Klägerin beeinträchtigt werde, komme es somit nicht an.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Bewilligung der Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen, die im Kundenservice in Sachsen tätig sind bzw. werden sollen.

Die Klägerin vertreibt Möbel und Einrichtungsgegenstände im Internet. Sie gehört zu einem weltweit operierenden US-amerikanischen Unternehmen. Mit einem Umsatz zwischen ca. 19 Millionen und 38 Millionen Euro monatlich in Deutschland zählt sie eigenen Angaben zufolge zu den größten Online-Möbelhäusern in Deutschland und Europa. Der Hauptsitz der Klägerin befindet sich in Berlin. In Deutschland beschäftigt sie eigenen Angaben zufolge insgesamt 1.635 Arbeitnehmer, wovon 215 im Kundenservice tätig sind, davon wiederum sieben im Bundesland Sachsen. Der Kundenservice unterfällt in einen „Einkaufsbegleitungsservice“ („pre-sale-service“) und einen „Kundenservice“ („after-sale-service“), der bislang an Sonn- und Feiertagen von den in Polen, Irland und Großbritannien befindlichen eigenen Callcentern durch deutschsprachige Beschäftigte abgedeckt wird.

Mit E-Mail vom 15. Dezember 2021 beantragte die Klägerin beim Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit (im Folgenden: LAGetSi) die Beschäftigung von Mitarbeitenden an den Homeoffice-Standorten im Bundesland Sachsen an Sonn- und Feiertagen. Geplant sei der Einsatz von insgesamt 14 Beschäftigten. Zur Begründung verwies sie darauf, dass sich an Sonntagen durchschnittlich 550 Kunden an den Kundendienst wendeten, um Unterstützung und Hilfe zu erhalten. Müssten diese hierbei warten, gefährde dies „die Qualität ihres Einkaufserlebnisses“, was unter Umständen dazu führen könne, dass diese in Zukunft nicht mehr bei ihr einkaufen würden. Unterbrechungen des Betriebsablaufs müssten so gering wie nötig gehalten werden. Sie stehe in Konkurrenz zu anderen Unternehmen mit ähnlicher Ausrichtung. Ihr größter Konkurrent, das Unternehmen R ... in München, sei mit seinem Kundenservice von Montag bis Sonntag von 6.00 bis 22.00 Uhr erreichbar. Andere Konkurrenten wie etwa Amazon operierten vom Ausland her und böten daher ihren Kundenservice rund um die Uhr an.

Auf Rückfrage der Behörde konkretisierte die Klägerin die näheren Umstände der gegenwärtigen Tätigkeit des Kundencenters und führte aus, die dort Beschäftigten arbeiteten ausschließlich im Home-Office. Ein Betriebsrat bestehe nicht. Es gebe auch keinen Tarifvertrag. Der Kundendienst sei bislang werktäglich von 8.00 bis 22.00 Uhr besetzt. Typischerweise befasse sich der Kundendienst mit der Entgegennahme und der Bearbeitung von Bestellungen. Dies betreffe auch die Assistenz bei Stornierungen und Rückerstattungen. Zur Frage nach konkurrierenden ausländischen Standorten von Callcentern gab die Klägerin den Namen eines Callcenters in den USA an sowie diejenigen zweier in Kronberg und Gütersloh ansässiger Callcenter. Die eigenen Callcenter, welche die deutschsprachigen Kunden von Irland und Polen aus betreuten, könnten den tatsächlichen Bedarf nicht abdecken.

Mit Bescheid vom 16. Februar 2022 lehnte das LAGetSi den Antrag der Klägerin ab und setzte zugleich eine Gebühr in Höhe von 220,35 Euro fest. Zur Begründung führte die Behörde aus, eine Beschäftigung der Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen sei nicht zu bewilligen, da die Klägerin nicht die gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten weitgehend ausnutze. Dies setze die Arbeit in einem vollkontinuierlichen Schichtbetrieb von Montag bis Samstag voraus, der beim Kundenservice nicht vorliege. Die gesetzlich zulässige Betriebszeit betrage 144 Stunden, von einer weitgehenden Ausnutzung könne daher erst ab 128 Stunden gesprochen werden. Die in der Antragstellung angegebene werktägliche wöchentliche Betriebszeit der Klägerin liege mit 75 Stunden und 15 Minuten unter der Schwelle der weitgehenden Ausnutzung. Selbst wenn man die begehrten sonntäglichen Betriebszeiten auf die Werktage umlege, würden nur 85 Stunden und 15 Minuten erreicht. Ob die übrigen Voraussetzungen für eine Bewilligung vorlägen, könne daher dahinstehen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 9. Mai 2022 Widerspruch. Sie beanstandete hierbei im Wesentlichen, die Behörde habe nur pauschal das Tatbestandsmerkmal der weitgehenden Ausnutzung der gesetzlich zulässigen Betriebszeiten geprüft, ohne dabei den vorrangigen Zweck des § 13 Abs. 5 ArbZG und ihre – der Klägerin – konkrete Tätigkeit zu berücksichtigen. Vorrangiger Zweck der Vorschrift sei es, den Wettbewerbsvorteil, den ausländische Konkurrenten durch Sonn- und Feiertagsarbeit hätten, auszugleichen; damit diene die Vorschrift dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers, und sie verfolge überdies den Zweck der Arbeitsplatzsicherung. Entgegen der Auffassung im angefochtenen Bescheid nutze sie die gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten aus. Die gesetzlich zulässige Betriebszeit von 144 Stunden in der Woche dürfe nicht mit der Produktionszeit verwechselt werden. Es gebe keine ausdrückliche gesetzliche Festlegung, welche Betriebszeit in der Zeit von Montag bis Samstag erforderlich sei, um das Kriterium der weitgehenden Ausnutzung der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten zu erfüllen. Die Vorschrift sei nicht erst dann anwendbar, wenn Montag bis Samstag durchgearbeitet werde. Das OVG Münster lasse etwa bereits die Ausnutzung von durchschnittlich 121 Wochenstunden ausreichen. Nach der Auffassung der Behörde könne § 13 Abs. 5 ArbZG erst Anwendung finden, wenn sie Montag bis Samstag Nachtschichten einführe, um so auf die im Ausgangsbescheid geforderten 144 Wochenstunden zu kommen. Dies widerspreche aber dem Zweck eines an sieben Tagen erreichbaren Kundendienstes. Ihre Kunden schliefen überwiegend nachts. Würde man für eine Anwendbarkeit von § 13 Abs. 5 ArbZG im telefonischen Kundenservice eine Öffnung des Kundencenters montags bis samstags über 144 Stunden fordern, hätte ein Arbeitgeber mit Kundenservicemitarbeitenden nie die Möglichkeit, die Voraussetzungen für die Bewilligung der Sonn- und Feiertagsarbeit nach § 13 Abs. 5 ArbZG zu erfüllen. Die Anwendung von § 13 Abs. 5 ArbZG wäre letztlich nur auf das produzierende Gewerbe im Schichtsystem beschränkt. Das sei vom Gesetzgeber aber erkennbar nicht gewollt. Bei der Auslegung der Vorschrift sei zu berücksichtigen, welche Betriebszeiten für den jeweiligen konkreten Betriebszweck überhaupt betriebswirtschaftlich sinnvoll seien. Da Serviceleistungen von den Kunden in aller Regel nur zwischen 8:00 und 22:00 Uhr in Anspruch genommen würden, nutze sie die gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten weitgehend aus.

Andere Konkurrenten dürften demgegenüber einen sonntäglichen Kundendienst anbieten, etwa F ... als einer ihrer größten Konkurrenten an sieben Tage der Woche und 24 Stunden am Tag. Das Unternehmen O ... mit Hauptsitz in London – ebenfalls ein direkter Konkurrent – biete auf seiner digitalen Plattform ebenfalls Möbel und Dekoartikel an. Deren Kundenservice sei an sieben Tagen der Woche von 8.00 bis 21.00 Uhr erreichbar. Der Kundenservice des französischen Konkurrenten R ... sei ebenfalls sonntags von 9:00 bis 15:00 Uhr erreichbar. Ihr eigener Kundenservice in Irland habe Betriebszeiten von Montag bis Sonntag von 8.00 bis 24.00 Uhr, und in Polen arbeiteten die Beschäftigten von Montag bis Sonntag von 8.00 bis 18.00 Uhr, demnächst sogar bis 22.00 Uhr, um den bestmöglichen Service bieten zu können. Die Unterbrechung der Beschäftigung ihrer Kundenservicemitarbeiter an Sonn- und Feiertagen in Sachsen beeinträchtige ihre Konkurrenzfähigkeit erheblich. An Sonn- und Feiertagen wendeten sich durchschnittlich 550 Kunden an den Kundendienst und erwarteten eine schnelle Bearbeitung ihrer Bestellungen und Anfragen. Die Kunden seien von ihren – der Klägerin – Konkurrenten gewöhnt, dass der Kundenservice auch an Sonn- und Feiertagen erreichbar sei. Anderenfalls würden ihre Kunden beim nächsten Mal bei der Konkurrenz einkaufen. Durch die Genehmigung der Sonn- und Feiertagsarbeit in Sachsen für die Mitarbeiter des Kundenservice könnten die sieben bestehenden Arbeitsplätze gesichert und künftig weitere geschaffen werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2022, zugestellt am 31. Mai 2022, wies das LAGetSi den Widerspruch unter Bezugnahme auf die Gründe des Ausgangsbescheides zurück, wobei die Behörde vorab zunächst klärte, dass es sich bei der beantragten Beschäftigung nicht um einen Notdienst i.S. von § 10 ArbZG handele. Ergänzend führte sie aus, selbst bei Zugrundelegung der im Widerspruch genannten Betriebszeiten von Montag bis Samstag 8:00 bis 22:00 Uhr ergebe sich eine wöchentliche Ausnutzung von insgesamt 84 Stunden, welche weit unterhalb des Wertes von 144 Stunden und der im Widerspruch genannten Schwelle von 121 Stunden liege. Die Vorschrift gehe nicht von betriebswirtschaftlich sinnvollen Betriebszeiten aus, sondern von den gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten. Es erschließe sich nicht, warum eine Ausweitung der genannten Betriebszeiten nicht sinnvoll sein solle. In der Nachtzeit könnten wegen des begrenzten Umfangs eingehender Kundenanrufe Anfragen per E-Mail oder aus dem Chat beantwortet oder aufgelaufene Probleme gelöst werden. Aus welchen Gründen es mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden sein solle, wenn Kundenanfragen nicht an Sonn- und Feiertagen beantwortet werden, erschließe sich nicht. So könnten die Schichten an Montagen personell verstärkt werden, um dem verstärkten Arbeitsanfall gerecht zu werden.

Hiergegen hat die Klägerin am 30. Juni 2022 Klage erhoben. Sie vertieft die Gründe des Widerspruchs und meint im Übrigen, Wortlaut und Sinn und Zweck der Vorschrift unter Berücksichtigung der Berufs- und Eigentumsfreiheit sprächen gegen eine absolute, rein zeitlich vollständige Bemessung der wöchentlichen Betriebszeiten. Andernfalls sei es für Unternehmen mit telefonischem Kundenservice unmöglich, unter betriebswirtschaftlich zumutbaren Bedingungen eine Ausnahmebewilligung für die Sonn- und Feiertagsarbeit zu erlangen. Auch stehe die Gesetzgebungsgeschichte einer solchen Auslegung nicht entgegen. Auszugehen sei stets vom individuellen Fall und unter Berücksichtigung der unternehmerischen Freiheit. Das Wirtschaftsleben habe sich seit Inkrafttreten der Regelung im Jahr 1993, als sie im Kern auf Produktionsbetriebe im Schichtsystem Anwendung gefunden habe, gewandelt. Dem müsse die Auslegung der Vorschrift Rechnung tragen. Bei Anlegung dieses Maßstabs nutze sie mit ihren derzeitigen Betriebszeiten des Kundenservice von 8.00 bis 22.00 Uhr die gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten weitgehend aus. Ein Rückgriff auf Nachtschichten und eine Aufstockung des Personals verkenne die betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten. Die Kunden erwarteten eine umgehende Bearbeitung ihrer Anliegen auch an Sonn- und Feiertagen, da sie an diesen Tagen Zeit für die Abwicklung privater Online-Käufe hätten. Dies seien sie im Versandhandel gewohnt. In Nachtzeiten sei dagegen kein Kundenaufkommen und damit kein Servicebedarf zu erwarten. Anderenfalls sei ihre Konkurrenzfähigkeit unzumutbar beeinträchtigt. Sie verweist nochmals auf die Konkurrenten R ... und T ..., deren Kundencenter ebenfalls sonntags ganztätig bzw. jedenfalls überwiegend erreichbar seien. Schließlich werde durch die Bewilligung Beschäftigung durch den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen in Sachsen gesichert. Der Kundenservice in Sachsen sei zwischenzeitlich sogar an sechs Werktagen für 15 Stunden erreichbar, wodurch sich eine wöchentliche Arbeitszeit von 90 Stunden ergebe. Damit werde bei 144 zulässigen Betriebsstunden 62,5 % der Arbeitszeit genutzt. Auch das OVG Bautzen gehe in einer Entscheidung vom August 2021 davon aus, dass Dienstleistungserbringer, wenn ihre Erreichbarkeit an Sonn- und Feiertagen von zentraler Bedeutung sei, nicht auf die vollständige Ausnutzung der gesetzlich zulässigen Betriebszeiten verwiesen werden könnten. Werde sie – die Klägerin – darauf verwiesen, die sonntäglichen Anfragen erst am Montag zu bearbeiten, führe dies zu einem Rückstau, der zu Verzögerungen und in Folge wiederum zu einer erhöhten Unzufriedenheit der Kunden führen könne, was sie gegenüber ausländischen Unternehmen in ihrer Konkurrenzfähigkeit beeinträchtigen werde. Zum Beleg der Kundenanfragen an Sonntagen im Zeitraum zwischen August 2022 und November 2022 hat die Klägerin eine detaillierte Aufstellung der an diesen Tagen erfassten Anliegen übersandt. Ihre Konkurrenzfähigkeit sei unmittelbar beeinträchtigt, weil zwischen dem Inlands- und dem Auslandsbetrieb ein Konkurrenzverhältnis bestehe. Dies gelte auch für das Konkurrenzverhältnis zwischen zwei Betriebsstätten eines Konzerns. Denn an diesen Standorten würden geringere Löhne gezahlt. Die Beeinträchtigung sei unzumutbar, weil sich ihre Betriebssituation aufgrund des Nichtanbietens von Betriebszeiten am Sonntag auf absehbare Zeit verschlechtern werde. Eine Existenzgefährdung sei nicht zu fordern.

Hilfsweise müsse das Vorliegen der Voraussetzungen von § 15 Abs. 2 ArbZG geprüft werden. Sie habe einen Anspruch auf eine Bewilligung nach dieser Vorschrift, da das Ermessen der Behörde insoweit auf Null reduziert sei. Das dringende öffentliche Interesse hierfür liege in der Erhaltung bestehender und der Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Landesamtes für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit vom 16. Februar 2022 in der Fassung des Widerspruchsbescheides dieser Behörde vom 23. Mai 2022 zu verpflichten, ihr die Beschäftigung von 14 Arbeitnehmern im Homeoffice an Sonn- und Feiertagen an ihrem Standort im Bundesland Sachsen gemäß ihres Antrags vom 15. Dezember 2021 zu bewilligen,

hilfsweise, ihr eine Ausnahme von dem Verbot der Beschäftigung von 14 Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen nach § 15 Abs. 2 ArbZG zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die Ausführungen in Bescheid und Widerspruchsbescheid. Eine Beeinträchtigung in Art. 12 und 14 GG lege die Klägerin nicht dar. Ungeachtet dessen komme auch dem Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe, den § 13 Abs. 5 ArbZG einfachgesetzlich umsetze, Verfassungsrang zu. Der damalige Gesetzgeber habe von der ursprünglichen Formulierung von § 13 Abs. 5 ArbZG, der auf die unzumutbare Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Ausland abgestellt habe, im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich Abstand genommen. Die aktuelle Gesetzesfassung habe der Rechtsausschuss verfassungsrechtlich nicht beanstandet. Dem Gesetzgeber sei das Phänomen von Dienstleistungsunternehmen, die telefonische Bestellungen aufnähmen, bereits bekannt gewesen, als das Gesetz in Kraft getreten sei. Er habe damit seinerzeit allein das produzierende Gewerbe vor Augen gehabt. Jedenfalls habe der Gesetzgeber seinerzeit die Sonntagsarbeit nur ausnahmsweise zulassen wollen.

Die an Sonn- und Feiertagen zulässigen Arbeiten habe der Gesetzgeber in § 10 ArbZG festgelegt. Diese Vorschrift lasse die Entscheidung des OVG Bautzen außer Acht. Dienstleistungen von Callcentern außerhalb dieses Anwendungsbereichs seien nach dem Gesetz bewilligungsbedürftig. Es sei deshalb Sache des Gesetzgebers, etwa zulässige Tätigkeiten in diesem Rahmen zu regeln. Ein Abstellen auf eine betrieblich sinnvolle Ausnutzung der wöchentlichen Betriebszeiten würde das grundsätzliche Beschäftigungsverbot an Sonn- und Feiertagen unterminieren. Es obläge anderenfalls allein dem Arbeitgeber, den Rahmen einer betrieblich sinnvollen Ausnutzung zu bestimmen, ohne die Interessen der Arbeitnehmer berücksichtigen zu müssen. Auszugehen sei immer von der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Arbeitszeit von 144 Stunden. Die von der Klägerin angeführte Entscheidung des OVG Bautzen sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil es sich dort um ein reines Callcenter gehandelt habe.

Einen Antrag nach § 15 Abs. 2 ArbZG habe die Klägerin bei der Behörde nicht gestellt. Schon deshalb sei darüber nicht zu befinden. Jedenfalls fehle es diesbezüglich aber auch an einem dringenden öffentlichen Interesse.

Wegen der übrigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes verweist das Gericht auf den Inhalt der Streitakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist im Hauptantrag (1.) zulässig, aber unbegründet; der Hilfsantrag (2.) ist bereits unzulässig.

1. Der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Sie hat keinen Anspruch auf die begehrte Bewilligung zur Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen. Anspruchsgrundlage hierfür ist § 13 Abs. 5 des Arbeitszeitgesetzes vom 6. Juni 1994 (BGBl. I S. 1170, 1171, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3334) – ArbZG –. Danach hat die Aufsichtsbehörde abweichend von § 9 ArbZG die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zu bewilligen, wenn bei einer weitgehenden Ausnutzung der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten und bei längeren Betriebszeiten im Ausland die Konkurrenzfähigkeit unzumutbar beeinträchtigt ist und durch die Genehmigung von Sonn- und Feiertagsarbeit die Beschäftigung gesichert werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

a) Nach § 9 Abs. 1 ArbZG dürfen Arbeitnehmer an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen von 0 bis 24 Uhr grundsätzlich nicht beschäftigt werden. Eine Ausnahme nach § 10 ArbZG liegt nicht vor, was die Beteiligten nicht in Abrede stellen. Insoweit kann das Gericht auf die zutreffenden Ausführungen des Widerspruchsbescheides Bezug nehmen (§ 117 Abs. 5 VwGO).

b) Es fehlt für den Anspruch auf eine Bewilligung bereits an einer weitgehenden Ausnutzung der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten. Zur Betriebszeit gehören nach allgemeiner Auffassung sämtliche Zeiten, in denen Arbeiten verrichtet werden, die dem Zweck des jeweiligen Betriebes dienen (Baeck/Deutsch/Winzer, ArbZG, 4. Auflage 2020, § 13, Rn. 70). Die gesetzlich zulässige wöchentliche Betriebszeit ergibt sich daher nach Abzug der nach § 9 Abs. 1 ArbZG vorgeschriebenen Betriebsruhe an Sonn- und Feiertagen und beträgt grundsätzlich 144 Stunden (NK-ArbR/Wichert, 2. Aufl. 2023, ArbZG § 13 Rn. 39; Baeck/Deutsch/Winzer, ArbZG, 4. Auflage 2020, § 13, Rn. 71 m.w.N.; OVG Münster, Beschluss vom 9. Januar 2023 – 4 B 415/22 – juris, Rn. 4; OVG Bautzen, Beschluss vom 16. August 2021 – 6 B 63/21 – juris, Rn. 22).

Diese Betriebszeiten nutzt die Klägerin selbst unter Zugrundelegung der zuletzt von ihr angeführten 90 Stunden derzeit nicht weitgehend aus.

aa) Bereits der Wortlaut der „weitgehenden Ausnutzung“ in Relation zur Bezugsgröße der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten von 144 Stunden spricht für ein Verständnis, dass die verfügbare Betriebszeit nahezu vollständig bzw. beinahe völlig ausgeschöpft werden muss. Dass sich der Gesetzgeber des Ausdrucks „weitgehend“ im Vergleich zu den insoweit schwächeren und regelmäßig gesetzlich niedergelegten Ausdrücken „überwiegend“ oder „erheblich“ bedient hat, zeigt, dass an das Überschreiten einer im Einzelfall zu bestimmenden Schwelle strenge Anforderungen zu stellen sind. Auch wenn der Begriff „weitgehend“ nicht „vollständig“ bedeutet (Neumann/Biebl/Biebl, 16. Aufl. 2012, ArbZG § 13 Rn. 23), muss die tatsächliche Inanspruchnahme einer Betriebszeit daher möglichst nahe an die gesetzliche zulässige Betriebszeit von 144 Stunden herankommen (Baeck/Deutsch/Winzer, 4. Aufl. 2020, ArbZG § 13 Rn. 72). In der Rechtsprechung ist dies bei der Ausnutzung von durchschnittlich 121, 127, 124 und 137 Wochenstunden in den vier dem Antrag vorangehenden Quartalen bejaht worden (vgl. VG Arnsberg, Urteil vom 11. Dezember 1996 – 1 K 4697/96 – BeckRS 1996, 31149735, bestätigt vom OVG Münster, Urteil vom 10. April 2000 – 4 A 756/97 – juris). Von einer weitgehenden Ausnutzung der Betriebszeiten kann demgegenüber schon dann nicht mehr die Rede sein, wenn nachts grundsätzlich nicht gearbeitet wird (NK-ArbR/Wichert, 2. Aufl. 2023, ArbZG § 13 Rn. 40; Neumann/Biebl/Biebl, 16. Aufl. 2012, ArbZG § 13 Rn. 23).

bb) Ein derartiges Wortlautverständnis fügt sich auch in den systematischen Kontext des § 13 Abs. 5 ArbZG ein. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um einen Ausnahmetatbestand zu der grundsätzlich in § 9 Abs. 1 ArbZG vorgeschrieben Betriebsruhe an Sonn- und Feiertagen. Das im ArbZG angelegte Regel-Ausnahme-Verhältnis zur Zulässigkeit von Arbeit an Sonn- und Feiertagen gebiet eine enge Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Vorschriften, die eine Abweichung von diesem Grundsatz ermöglichen. Dies verdeutlicht der den Regelungen vorangestellte § 1 Nr. 2 ArbZG, der den Zweck des Gesetzes dahin normiert, den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung der Arbeitnehmer zu schützen. Nach der Normsystematik des ArbZG handelt es sich bei dem Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit um ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt. Die gesetzliche Systematik des ArbZG spiegelt das (wortgleiche) verfassungsrechtliche Gebot des Sonn- und Feiertagsschutzes aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV wieder. Art. 139 WRV enthält einen Schutzauftrag an den Gesetzgeber, der für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen unter anderem ein Regel-Ausnahme-Verhältnis statuiert. Grundsätzlich hat daher die typische "werktägliche Geschäftigkeit" an Sonn- und Feiertagen zu ruhen. Der verfassungsrechtlich garantierte Sonn- und Feiertagsschutz ist nur begrenzt einschränkbar. Ausnahmen von der Sonn- und Feiertagsruhe sind zur Wahrung höher- oder gleichwertiger Rechtsgüter möglich; in jedem Falle muss der ausgestaltende Gesetzgeber aber ein hinreichendes Niveau des Sonn- und Feiertagsschutzes wahren (BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 – 1 BvR 2857/07 – juris, Rn. 152). Im Rahmen seines Gestaltungsspielraums kann der Gesetzgeber Ausnahmen vom Beschäftigungsverbot zum Schutz von Grundrechten und sonst gewichtigen Rechtsgütern („Arbeit trotz des Sonn- und Feiertags“) und zur Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Auftrags („Arbeit für den Sonn- und Feiertag“) regeln. Eine Ausnahme bedarf eines dem Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrundes. Ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse und ein alltägliches Erwerbsinteresse ("Shopping-Interesse") potenzieller Käufer genügen aber grundsätzlich nicht, um Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz der Arbeitsruhe und der Möglichkeit zu seelischer Erhebung an Sonn- und Feiertagen zu rechtfertigen (BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 – 1 BvR 2857/07 – juris, Rn. 157). Die Erfüllung des in der Sonn- und Feiertagsgarantie begründeten Schutzauftrags unter anderem durch die §§ 9, 13 Abs. 3 Nr. 2 b) ArbZG und deren Anwendung im Einzelfall dient nicht nur dem Schutz der Arbeitnehmer und ihrer individuellen Rechte, sondern auch der Stärkung des Schutzes derjenigen Grundrechte, die in besonderem Maße auf Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung angewiesen sind, sowie der sich aus ihnen ergebenden staatlichen Schutzpflicht (OVG Münster, Urteil vom 11. Dezember 2019 – 4 A 738/18 – juris, Rn. 49).

cc) Der Sinn und Zweck der Norm bestätigt das gefundene Auslegungsergebnis. Sinn und Zweck der ausnahmsweisen Bewilligung der Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen in § 13 Abs. 5 ArbZG ist vornehmlich die Sicherung von Beschäftigung zur Erreichung des Sozialstaatsgebots nach Art. 20 Abs. 3 GG (BT-Drs. 12/5888, S. 31). Damit einher geht der Schutz der wirtschaftlichen Existenz des Arbeitgebers für die dort Beschäftigten (Artt. 12, 14 GG). Die Norm enthält jedoch keinen Konkurrenzschutzgedanken (Baeck/Deutsch/Winzer, ArbZG, 4. Auflage 2020, § 13, Rn. 68). Der Gesetzgeber will erst dann den Grundsatz des Beschäftigungsverbots an Sonn- und Feiertagen zurückstehen lassen, wenn der fast vollständige Rückgriff auf die gesetzlich verfügbaren werktäglichen Betriebszeiten nicht mehr ausreicht, um Beschäftigungsplätze zu sichern oder zu schaffen (BT-Drs. 12/5888, S. 31). Es kommt hinzu, dass mit der Vorschrift Nachteile ausgeglichen werden sollen, die durch Betriebsunterbrechungen typischerweise im produzierenden Gewerbe entstehen können, ohne das Maß des § 10 Abs. 1 Nr. 16 ArbZG („Gefahr der Zerstörung oder Beschädigung von Produktionseinrichtungen“) zu erreichen. Eine längere Betriebszeit hat unmittelbar eine bessere Nutzung des in die Produktionslage investierten Kapitals zur Folge. Daneben entfallen Kosten für das An- und Abfahren der Anlage sowie für das Misslingen von Arbeitsergebnissen wegen Arbeitsunterbrechung an Sonn- und Feiertagen (OVG Münster, Urteil vom 10. April 2000 – 4 A 756/97 – juris).

dd) Das enge Verständnis des § 13 Abs. 5 ArbZG wird schließlich durch die Gesetzgebungshistorie gestützt. Im ursprünglichen Regierungsentwurf (BT Dr. 12/5888, S. 9) hieß es:

„Die Aufsichtsbehörde hat abweichend von § 9 die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zu bewilligen, wenn nachweisbar die Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Ausland wegen längerer Betriebszeiten oder anderer Arbeitsbedingungen im Ausland unzumutbar beeinträchtigt ist und durch die Genehmigung von Sonn- und Feiertagsarbeit die Beschäftigung gesichert werden kann.“

Das Merkmal der weitgehenden Ausnutzung der gesetzlich zulässigen Betriebszeiten wurde dann aber – nachdem der Bundesrat zunächst die gänzliche Streichung der Vorschrift verlangt hatte [Arg: „§ 13 Abs. 5 stellt aber keine Modernisierung des Sonn- und Feiertagsschutzes dar, sondern stellt diesen vielmehr in Frage.“] (vgl. BT-Drs. 12/5888, S. 44) – auf Beschluss des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zusätzlich eingefügt (vgl. BT-Drs. 12/5888, S. 9 und BT-Drs. 12/6990, S. 17), um den Kreis möglicher Antragsteller wirksam zu begrenzen. Der Begriff „weitgehend" sei erforderlich, um bestimmte Stillstandszeiten, z. B. bei Betriebsurlaub oder Umrüstungsarbeiten, berücksichtigen zu können. Das antragstellende Unternehmen müsse aber die gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten von 144 Stunden weitgehend ausschöpfen (BT-Drs. 12/6990, S. 41).

c) Soweit die Klägerin lediglich die weitgehende Ausnutzung der betriebswirtschaftlich sinnvollen zulässigen Betriebszeit für maßgeblich hält, geht dies fehl. Gegen die Heranziehung einer solchen Betriebszeit als Bezugsgröße spricht schon der eindeutige Wortlaut des Gesetzes, der von der gesetzlich zulässigen Betriebszeit spricht und über den das Gericht nicht hinweggehen kann. Auch in den Gesetzgebungsmaterialien wird die konkrete Zahl von 144 Stunden der maximal zulässigen Betriebszeit genannt (BT-Drs. 12/6990, S. 41). Dafür, dass das Merkmal der weitgehenden Ausnutzung einer je nach Art des antragstellenden Unternehmens einer wirtschaftlichen oder branchentypischen Betrachtungsweise unterliegen soll, bestehen auch keine Anhaltspunkte im Gesetzestext. Bei Schaffung der Norm hatte der Gesetzgeber zwar wohl überwiegend das Produktionsgewerbe vor Augen, bei dem eine Austauschbarkeit der werktäglichen Produktion und derjenigen an Sonn- und Feiertagen besteht; gleichwohl waren im Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes bereits zwei Drittel aller Beschäftigen im Dienstleistungssektor tätig, was dem seinerzeitigen Gesetzgeber nicht verborgen geblieben sein kann (zur Statistik vgl. https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61698/erwerbstaetige-nach-wirtschaftssektoren/). Weder aus dem Gesetz selbst noch aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich daher, dass die Anwendung des § 13 Abs. 5 ArbZG im Fall der Erbringung von Dienstleistungen – auch wenn diese üblicherweise nicht zur Nachtzeit nachgefragt sein mögen – einem anderen Verständnis unterliegen sollte. Damit muss für die Klägerin derselbe Maßstab zur weitgehenden Ausnutzung der gesetzlich zulässigen Betriebszeiten gelten.

Für die tatsächlich weitgehende Ausnutzung der gesetzlich zulässigen Betriebszeiten kann die Klägerin nicht zu ihren Gunsten den Umstand ins Feld führen, dass bei ihrem Kundenservice im Online-Versandhandel schwerpunktmäßig ein Bedarf an Sonn- und Feiertagen bestehe. Würde man dieser Argumentation folgen, führte dies dazu, dass für Unternehmen, die aus vermeintlichen oder tatsächlichen Gründen der Nachfrage von Verbrauchern ein Bedürfnis für Sonn- und Feiertagsbeschäftigung haben, die Anforderungen an die weitgehende Ausnutzung i.S.v. § 13 Abs. 5 ArbZG automatisch abgesenkt wären. Das würde jedoch auf Ebene der Gesetzesanwendung das verfassungsrechtlich bedingte Regel-Ausnahme-Verhältnis zur Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen zu Lasten des Sonn- und Feiertagsschutzes verschieben. Denn mit Verweis auf eine bestehende Verbrauchernachfrage an den geschützten Sonn- und Feiertagen und einem Bedürfnis nach Beschäftigung könnte jedes Unternehmen die weitgehende Ausnutzung der wöchentlichen Betriebszeit i.S.v. § 13 Abs. 5 ArbZG damit begründen, dass in Sonn- und Feiertagen ein nicht erschöpftes unternehmerisches und wirtschaftliches Potential stecke. Das widerspricht der gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Konzeption des Sonn- und Feiertagsschutzes. Sonn- und Feiertagsarbeit ist die ausnahmsweise Folge der Bewilligung nach § 13 Abs. 5 ArbZG, nicht aber Voraussetzung. Die Kammer kann keinen Maßstab anlegen, der dem Auslegungsergebnis der gesetzlichen Vorschrift des § 13 Abs. 5 ArbZG entgegenläuft und den verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz des Sonn- und Feiertagsschutzes durch eine zu weite Auslegung einer Ausnahmevorschrift aushöhlen würde. Vielmehr ist es aus Gründen der Gewaltenteilung und des Parlamentsvorbehalts Aufgabe des Gesetzgebers, veränderte gesellschaftliche und wirtschaftliche Umstände in Bezug auf die Sonn- und Feiertagsbeschäftigung in den gesetzlichen Vorschriften zur Kenntnis zu nehmen und ggf. durch eine Änderung der gesetzlichen Vorschriften abzubilden, wobei der ihm dabei eröffnete Gestaltungsspielraum den oben dargelegten verfassungsrechtlichen Grenzen unterliegt (BVerfG, Urteil vom 9. Juni 2004 – 1 BvR 636/02 – juris, Rn. 179, 184).

Dabei ist der Kammer bewusst, dass aufgrund eines gewandelten Verbraucherverhaltens ein unternehmerisches Bedürfnis nach Beschäftigung an diesen Tagen bestehen könnte, um die von der Klägerin belegte Nachfrage an ihren Kundenservice am Sonntag zu bedienen. Das Absatzinteresse von Unternehmen und das Erwerbsinteresse potenzieller Kunden genügen aber nach den vorgenannten Grundsätzen nicht, um Ausnahmen von Sonn- und Feiertagsschutz zu rechtfertigen. Zwar mag die Freizeit an einem Sonn- und Feiertag vermehrt auch dazu genutzt werden, die Angebote des Online-Versandhandels in Ruhe zu sichten und Kaufentscheidungen zu treffen. Hieran hindert das Verbot der Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen im Kundenservice die Kunden der Klägerin bereits nicht. Die Erteilung von Auskünften oder von sonstiger Beratung erst an den folgenden Werktagen ist der Klägerin demgegenüber ohne Weiteres zumutbar. Dem Bedürfnis nach Auskünften oder Beratung muss gerade nicht sofort nachgegangen werden. Diese Tätigkeiten sind eng der werktäglichen Geschäftigkeit und den alltäglichen Erwerbswünschen zuzurechnen. Die Verbraucher haben ihren Aufschub hinzunehmen, ohne dass der Freizeitwert von Sonn- und Feiertagen erheblich eingebüßt wäre (vgl. zu § 13 Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 2 ArbZG: BVerwG, Urteil vom 26. November 2014 – BVerwG 6 CN 1.13 – juris, Rn. 55 - 56). Das von der Klägerin selbst gewählte Unternehmenskonzept, das bei einem Online-Versandhandel mit Kundenservice auf die freie Zeit potentieller Kunden an Sonn- und Feiertagen zur Befriedigung von Erwerbsinteresse setzt, kann ihr in der Frage der weitgehenden Ausnutzung der gesetzlich zulässigen Betriebszeiten und der Erteilung einer Ausnahmebewilligung nicht zum Vorteil gereichen. Schon bei Wahl eines bestimmten Geschäftskonzeptes ist der Grundsatz des Sonn- und Feiertagsschutzes angemessen zu berücksichtigen. Ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse des Unternehmens daran, an unrealistischen Lieferversprechen festhalten zu wollen, und ein alltäglich zu befriedigendes Erwerbsinteresse potenzieller Kunden genügen grundsätzlich nicht, um Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz der Sonn- und Feiertage zu rechtfertigen (vgl. zu § 13 Abs. 3 Nr. 2b ArbZG: OVG Münster, Urteil vom 11. Dezember 2019 – 4 A 738/18 – juris, Rn. 71, bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2021 – BVerwG 8 C 3.20 – juris, Leitsatz: „Besondere Verhältnisse nach § 13 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ArbZG sind vorübergehende Sondersituationen, die eine außerbetriebliche Ursache haben. Sie dürfen nicht vom Arbeitgeber selbst geschaffen sein.“).

Ein anderes Verständnis der Norm ist auch nicht deshalb geboten, weil die in Rede stehende Tätigkeit am Sonntag – zumal sie im Home-Office eines jedes einzelnen Beschäftigen erfolgen soll – nach außen kaum sichtbar in Erscheinung treten wird. Der Gesetzgeber hat mit dem generellen sonntäglichen Beschäftigungsverbot des § 9 Abs. 1 ArbZG und den dazu ergangenen Ausnahmevorschriften der §§ 13, 15 ArbZG das Schutzniveau des Sonntagsschutzes gesetzlich ausgestaltet, ohne auf die öffentliche Wahrnehmbarkeit der Sonntagsarbeit abzustellen. Eine Verringerung des Schutzniveaus der Sonn- und Feiertagsgarantie bei der Erteilung von Einzelbewilligungen lässt sich aus der fehlenden öffentlichen Wahrnehmung der Sonntagsarbeit in Callcentern nicht ableiten (BVerwG, Urteil vom 6. Mai 2020 – BVerwG 8 C 5.19 – juris, Rn. 18).

Mit einer Ausnutzung von lediglich ca. 62 % der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeit unterschreitet die Klägerin die nach den vorgenannten Ausführungen erforderliche Schwelle deutlich. Selbst der in diesem Zusammenhang ergangenen und von der Klägerin angeführten Entscheidung des OVG Bautzen (Beschluss vom 16. August 2021 – 6 B 63/21 – juris; unkritisch übernommen von BeckOK ArbR/Kock, 67. Ed. 1.3.2023, ArbZG § 13 Rn. 26) lag eine Konstellation zugrunde, die mit der hiesigen nicht vergleichbar ist, weil das Callcenter, dem behördlicherseits Sonntagsarbeit bewilligt worden war, eine Betriebszeit von 114 Stunden und damit 79 % der gesetzlich zulässigen Arbeitszeit ausnutzte. Ungeachtet dessen vermögen die Ausführungen in dem Beschluss dieses Gerichts die Kammer auch in der Sache nicht zu überzeugen. Das Oberverwaltungsgericht argumentiert, Dienstleistungserbringer könnten, wenn ihre Erreichbarkeit an Sonn- und Feiertagen von zentraler Bedeutung sei, grundsätzlich nicht auf die vollständige Ausnutzung der gesetzlich zulässigen Betriebszeiten verwiesen werden. Damit entfernt sich die Entscheidung vom Wortlaut der Norm und stellt stattdessen eigene rechtspolitische Erwägungen an, die jedoch dem Gesetzgeber vorbehalten sind. Mit dem Kriterium einer „Erreichbarkeit am Sonn- und Feiertag von zentraler Bedeutung“ missachtet das Gericht die Vorgabe, dass sich das Betriebskonzept eines jeden Betriebs am Sonn- und Feiertagsschutz auszurichten hat, nicht aber umgekehrt sich dieser neuen Geschäftsideen unterzuordnen hätte. Mit dem Argument, Hotlines seien in der Woche oft schwer zu erreichen, weshalb ein Bedarf für sonntägliche Beschäftigung bestehe, unterliegt das Gericht schließlich einem Zirkelschluss, weil der Bedarf insoweit durch weitere in der Woche tätige Arbeitskräfte gedeckt werden könnte.

d) Das Gericht kann in Ermangelung der Ausnutzung der weitgehenden Ausnutzung der zulässigen Betriebszeiten offenlassen, ob die übrigen Voraussetzungen der Norm erfüllt sind. Die Kammer hat allerdings – ohne dass diese hier entscheidend ist – gewisse Zweifel daran, ob die Konkurrenzfähigkeit der Klägerin tatsächlich unzumutbar beeinträchtigt wäre, wenn die hier in Rede stehende Sonntagsarbeit nicht bewilligt wird (Übersicht zum Meinungsstand zum Begriff der Unzumutbarkeit bei OVG Münster, Urteil vom 10. April 2000 – 4 A 756/97 – juris). Denn abgesehen davon, dass auch ihre Konkurrenten nach den vorgenannten Maßstäben keinen Kundenservice am Sonntag durch im Inland beschäftigte Personen anbieten dürfen, deckt die Klägerin die Nachfrage an Sonn- und Feiertagen bereits jetzt durch Kräfte im Ausland ab. Überdies bleibt es den Kunden der Klägerin unbenommen, ihre Anliegen an den Kundenservice auch sonntags per E-Mail vorzutragen und um persönliche Kontaktaufnahme an einem darauffolgenden Wochentag zu bitten. Die zeitliche Verzögerung eines direkten Kontaktes stellt sich aus Sicht der Kammer als so geringfügig dar, dass eine hieraus resultierende Unzufriedenheit kaum messbar einen merklichen und kausalen Umsatzrückgang zur Folge haben dürfte.

2. Soweit die Klägerin (erst) im Rahmen des Klageverfahrens hilfsweise eine Ausnahme nach § 15 Abs. 2 ArbZG beantragt hat, ist die Klage unzulässig. Ihr fehlt insoweit das Rechtsschutzbedürfnis. Dies ist der Fall, wenn sich der Kläger mit seinem Begehren nicht zuvor an die Behörde gewandt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. November 2007 – BVerwG 6 C 42.06 – juris, Rn. 22). So liegt der Fall hier. Die Klägerin hat diesen Antrag erstmals im gerichtlichen Verfahren gestellt und sich zuvor gerade nicht an das LaGetSi gewandt. In der E-Mail vom 15. Dezember 2021 war nämlich ausdrücklich nur davon die Rede, dass der Antrag auf § 13 Abs. 5 ArbZG gestützt werde (S. 2 des Verwaltungsvorgangs). Ein anderes Begehren war daher im ursprünglichen Antrag nicht enthalten. Ungeachtet dessen lagen aber die Voraussetzungen für eine solche Ausnahme nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann die Aufsichtsbehörde über die in diesem Gesetz vorgesehenen Ausnahmen hinaus weitergehende Ausnahmen zulassen, soweit sie im öffentlichen Interesse dringend nötig werden. An einem öffentlichen Interesse fehlt es hier aber. Öffentliche Interessen sind nur Interessen der Allgemeinheit. Es kommt in Betracht bei dringenden Bedürfnissen der Bevölkerung, wie der Sicherung der Ernährung, der Versorgung mit Elektrizität, Gas und Wasser, mit Post- und Telekommunikationsdiensten (vgl. Art. 87 f. GG), mit Lebensmitteln oder Rohstoffen, bei Maßnahmen zum Schutz von Lebensmitteln vor dem Verderben, zur Aufrechterhaltung des Verkehrs, bei Notfällen und Katastrophen im Ausland, die sofortige Hilfe erfordern, für Belange der Landesverteidigung sowie für Dienst-, Werk- und Sachleistungen, die im Rahmen notstandsrechtlicher Regelungen zu erbringen sind (Baeck/Deutsch/Winzer, 4. Aufl. 2020, ArbZG § 15 Rn. 33 m.w.N.). Dagegen reichen bloß geschäftliche Interessen des Arbeitgebers für eine Ausnahmebewilligung nicht aus (Neumann/Biebl/Biebl, 16. Aufl. 2012, ArbZG § 15 Rn. 9 m.w.N.). Das öffentliche Interesse muss darüber hinaus ein gewisses Gewicht haben. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die Maßnahmen einem erheblichen Teil der Bevölkerung dienen (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 17. August 1982 – Bf VI 5/82 – juris; Anzinger/Koberski, § 15 Rn. 29). Ein gewichtiges öffentliches Interesse liegt dagegen dann nicht vor, wenn mit Hilfe der Ausnahme allein größere Annehmlichkeiten für die betroffenen Gruppen bewirkt werden sollen (Baeck/Deutsch/Winzer, 4. Aufl. 2020, ArbZG § 15 Rn. 33). Der Erhalt von Arbeitsplätzen kann eine Arbeitszeitverlängerung rechtfertigen, soweit ein Bezug zum öffentlichen Interesse besteht. Insbesondere bei Betriebsänderungen (Massenentlassungen) kann wegen der daraus regelmäßig folgenden finanziellen Lasten für die öffentliche Hand ein solcher Bezug zwar grundsätzlich gegeben sein (Baeck/Deutsch/Winzer, 4. Aufl. 2020, ArbZG § 15 Rn. 33 m.w.N.). Dieses Maß ist hier aber nicht ansatzweise erreicht, da von der Entscheidung insgesamt nur maximal 14 Personen betroffen sind, von denen die Hälfte noch nicht eingestellt ist und die Entlassung der übrigen sieben Kräfte erkennbar nicht im Raum steht.

Die Gebühr in Höhe von 220,35 Euro beruht auf §§ 1, 3 und 4 der Verordnung über die Erhebung von Gebühren im Arbeitsschutz (Arbeitsschutzgebührenordnung – ArbSchGebO, GVBl. 2017,587) und der Tarifstelle 71040 des dazu ergangenen Gebührenverzeichnisses sowie – was die Widerspruchsgebühr angeht – § 16 des Gesetzes über Gebühren und Beiträge. Der Gebührenrahmen der Tarifstelle beträgt bei der Zulassung von Ausnahmen nach § 13 ArbZG 60 – 5.800 Euro; nach § 4 Abs. 1 S. 1 der ArbSchGGebO werden ein Zehntel bis fünf Zehntel der vollen Gebühr erhoben, wenn der Antrag auf Vornahme einer Leistung abgelehnt wird. In diesem Rahmen bewegt sich die erhobene Gebühr ebenso wie die Widerspruchsgebühr.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 ZPO.



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