Arbeitsgericht Siegburg

Urteil vom - Az: 4 Ca 1240/20

Kurzarbeit muss vereinbart sein

Ein Arbeitgeber darf einseitig Kurzarbeit nur anordnen, wenn dies individualvertraglich, durch Betriebsvereinbarung oder tarifvertraglich zulässig ist. Bei einer Anordnung ohne rechtliche Grundlage besteht kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld und Arbeitnehmer behalten ihren vollen Lohnanspruch gegen den Arbeitgeber.
(Redaktioneller Orientierungssatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat März 2020 einen Betrag von 2.100,00 Euro brutto abzüglich gezahlter 1.475,74 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2020; für den Monat April 2020 einen Betrag von 2.100,00 Euro brutto abzüglich gezahlter 1.116,64 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2020; für den Monat Mai 2020 einen Betrag von 2.100,00 Euro brutto abzüglich gezahlter 1.211,60 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2020 und für den Monat Juni 2020 einen Betrag von 1.050,00 Euro brutto abzüglich gezahlter 518,72 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2020 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger über jede auf die vorgenannte Schuld erfolgte Zahlung eine Abrechnung zu erteilen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger nach erfolgter Zahlung auf die vorgenannte Schuld den Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2020 unter Berücksichtigung dieser Zahlung auszuhändigen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

5. Streitwert: 7.850 Euro.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über rückständiges Arbeitsentgelt nach angeordneter Kurzarbeit.

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.12.2019 als Omnibusfahrer beschäftigt. Sein Bruttomonatsgehalt betrug 2.100,00 Euro. Ein Betriebsrat ist bei der Beklagten nicht gebildet. Mit Schreiben vom 16.03.2020 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung wegen negativer Beeinflussung von Kollegen und teilte ihm im gleichen Schreiben im vorletzten Absatz mit, dass Kurzarbeit in verschiedenen Bereichen des Betriebes angemeldet werden müsse und, dass der Kläger "zunächst in der Woche vom 23.03. bis zum 28.03.2020" für Kurzarbeit vorgesehen sei. Eine Vereinbarung über Kurzarbeit wurde mit dem Kläger nicht geschlossen. Der Kläger bot dem Beklagten seine Arbeitsleistung an. Die Beklagte kürzte ab März 2020 einen Teil des Gehaltes des Klägers und bezeichnete die Zahlung in der erteilten Abrechnung als "Kurzarbeitergeld". Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten selbst fristlos zum 14.06.2020.

Mit seiner am 27.05.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage sowie Klageerweiterungen vom 08.06.2020 und 21.09.2020 begehrt der Kläger sein volles Gehalt in Höhe von 2.100,00 Euro brutto sowie korrigierte Abrechnungen und einen korrigierten Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2020. Der Kläger ist der Auffassung, dass Kurzarbeit für ihn nicht wirksam vereinbart worden sei und die Beklagte ihm den vollen Lohn zahlen müsse.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat März 2020 Entgelt in Höhe von 2.100,00 Euro brutto abzüglich gezahlter 1.475,47 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2020 und für den Monat April 2020 in Höhe 2.100,00 Euro brutto abzüglich gezahlter 1.116,64 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2020, für Mai 2020 Entgelt in Höhe von 2.100,00 Euro abzüglich gezahlter 1.121,60 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2020 und für Juni 2020 Entgelt in Höhe 1.050,00 Euro brutto abzüglich bereits gezahlter 518,72 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2020 zu zahlen.

2. Die Beklagte zu verurteilen, ihm über jede auf die vorgenannte Schuld erfolgte Zahlung eine Abrechnung zu erteilen.

3. Die Beklagte zu verurteilen, ihm nach erfolgter Zahlung auf die vorgenannte Schuld einen Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2020 unter Berücksichtigung dieser Zahlung auszuhändigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, durch die Mitteilung im Abmahnungsschreiben vom 16.03.2020 Kurzarbeit sei vorgesehen, sei eine wirksame Vereinbarung über die Kurzarbeit zustande gekommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitig ausgetauschten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

 

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

Die Klage ist auch im Hinblick auf den Klageantrag zu 3) zulässig. Insbesondere ist der Weg zu den Arbeitsgerichten eröffnet nach § Abs. 1 Nr. 3 Buchst. e ArbGG.

Der Streit darüber, ob eine nachträgliche Korrektur einer bereits ausgestellten Lohnsteuerbescheinigung in die Zuständigkeit Finanzgerichte fällt (so BAG 11.06.2003 - 5 AZB 1/03, juris) oder nach Auffassung der hiesigen Kammer richtigerweise in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte fällt (so FG Niedersachsen 01.08.2008 - 11 K 239/08 juris) kann dahin gestellt bleiben, da es vorliegend nicht um die Korrektur einer falsch ausgestellten Lohnsteuerbescheinigung geht, sondern darum, dass weitere Zahlungen, die von der Beklagten erfolgen müssen noch zusätzlich in die Lohnsteuerbescheinigung aufgenommen werden müssen. Es geht damit nicht um die Korrektur der bereits ausgestellten Bescheinigung sondern um eine neue Bescheinigung, in der sämtliche tatsächlich geleisteten Zahlungen vollständig erfasst sind.

II.

Der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrten Zahlungen im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.

1.

Der Zahlungsanspruch des Klägers ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag i.V.m. § 611 a Abs. 2 BGB, § 615 BGB. Die Beklagte befand sich mit einem Teil des Lohns im Annahmeverzug. Kurzarbeit ist im Betrieb der Beklagten für den Kläger nicht wirksam vereinbart worden.

a.

Der Arbeitgeber darf einseitig Kurzarbeit nur anordnen, wenn dies individualvertraglich, durch Betriebsvereinbarung oder tarifvertraglich zulässig ist. Bei einer Anordnung ohne rechtliche Grundlage besteht kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld und Arbeitnehmer behalten ihren vollen Lohnanspruch gegen den Arbeitgeber wegen Annahmeverzugs des Arbeitgebers (vgl. Geulen/Vogt, ArbRAktuell 2020, 181; Petrak, NZA-Beil 2010, 44). Besteht ein Betriebsrat, hat dieser gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei der Einführung der Kurzarbeit.

b.

Die Anordnung der Kurzarbeit war weder individualvertraglich, noch durch Betriebsvereinbarung noch tarifvertraglich zulässig. Die Beklagte hat mit dem Kläger keine wirksame Individualvereinbarung zur Kurzarbeit geschlossen. Einen Betriebsrat gibt es bei der Beklagten nicht und damit auch keine Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit; ebenso wenig gibt es eine entsprechende tarifvertragliche Vorschrift. Bereits nach dem eigenen Vortrag der Beklagten ist gerade keine Vereinbarung mit dem Kläger über Kurzarbeit geschlossen worden, ihm wurde lediglich im Abmahnungsschreiben vom 16.03.2020 angekündigt, dass voraussichtlich im März Kurzarbeit zu leisten sei. Diese einseitige Mitteilung über eine "voraussichtliche Kurzarbeit" an einigen Tagen im März stellt keine Vereinbarung über Kurzarbeit für die Monate März bis Juni 2020 dar. Unstreitig hat der Kläger seine Arbeitsleistung angeboten und sich zur Arbeit bereitgehalten.

2.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Aushändigung der Abrechnungen nach erfolgter Zahlung gemäß den § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO.

3.

Der Kläger hat auch einen Anspruch auf Ausfüllung der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung nach erfolgter Zahlung. Diese Pflicht des Arbeitgebers ergibt sich aus der Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis (BAG 11.06.2003 - 5 AZB 1/03, juris).

III.

1.

Die Beklagte hat als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO).

2.

Der Zinsausspruch folgt aus den §§ 286,288 BGB.

3.

Den gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzenden Streitwert hat das Gericht mit der Höhe der bezifferten Forderung sowie 500,00 Euro die Arbeitspapiere (§ 3 ZPO) bemessen.



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