Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 5 Sa 386/14

Kündigung wegen Privatentnahme aus der Barkasse trotz Rückerstattung

(1.) Verletzt ein Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt-oder Nebenpflichten erheblich und ist eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten, ist eine verhaltensbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KschG).
Dies gilt nicht, wenn bereits mildere Reaktionen - z.B. eine Abmahnung - den Arbeitnehmer zur künftigen Vertragstreue veranlassen würden.

(2.) Liegt ein massiver Vertrauensmissbrauch vor, dessen erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist, so ist eine Abmahnung entbehrlich.

Vorliegend wurde der Klägerin, die als Sachbearbeiterin in einer Finanzabteilung angestellt war, ordentlich gekündigt, weil sie ohne Zustimmung € 445,59 aus einer Barkasse für private Zwecke entnommen hatte.
Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin dadurch eine Pflichtverletzung begangen, die ausschließlich in den Vertrauens- und Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben fallen.
Im Bereich der Finanzbuchhaltung müsse der Arbeitgeber unbedingtes Vertrauen in seine Angestellten haben, welches bei der Klägerin nicht wiederhergestellt werden könne.
Dass die Klägerin den Betrag alsbald rückerstattet hat und kein Schaden entstanden ist, ändere nichts am Vertrauensmissbrauch gegenüber ihrem Arbeitgeber.

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 30. Januar 2014, Az. 9 Ca 1889/13, abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von zwei ordentlichen Arbeitgeberkündigungen vom 01.10. zum 31.12.2013 und vom 26.11.2013 zum 31.03.2014.

Die Klägerin (geb. 1957, verheiratet) war seit 02.11.2010 in der Landesverbandsgeschäftsstelle des Beklagten als Sachbearbeiterin in der Finanzabteilung zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt € 3.269,- beschäftigt. Der Beklagte beschäftigt ca. 250 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat. Die Klägerin ist mit einem GdB von 40 behindert. Ihr Verschlimmerungsantrag vom Frühjahr 2013 wurde abgelehnt, der hiergegen erhobene Widerspruch zurückgewiesen. Das beim Sozialgericht Mainz anhängige Klageverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Am 03.06.2013 nahm die Zeugin H. ihre Arbeit als Leiterin der Finanzabteilung beim Beklagten auf. Da die Klägerin ab 10.06. bis 24.06.2013 Urlaub hatte, übergab sie am Freitag, dem 07.06.2013, ihrer neuen Vorgesetzten drei Barkassen, die im Tresor verwahrt wurden. Eine dieser Barkassen, die die Klägerin verwaltete, war für das Projekt "V.-Mobil" eingerichtet worden. Seit Ende 2012 gab es keine Kassenbewegungen mehr, weil das Projekt eingestellt worden war. Zuletzt wies die Kasse einen Bargeldbestand iHv. € 445,59 aus.

Am 03.06.2013 wurde dem Girokonto des Beklagten bei der Kreissparkasse (Kontoauszug 42, Bl. 21 d.A.) ein Betrag iHv. € 250,- gutgeschrieben, dessen Eingang die Klägerin am 08.07.2013 buchte. Die Überweisung erfolgte vom Privatkonto der Klägerin mit dem Vermerk: "Bank an Kasse". Den Bargeldbetrag iHv. € 250,- hatte die Klägerin - ohne vorherige Zustimmung ihrer Vorgesetzten - nach ihren Angaben am 03.06.2013 der Kasse entnommen.

Am 21.08.2013 wurde dem Girokonto des Beklagten ein Betrag iHv. € 195,95 gutgeschrieben, dessen Eingang die Klägerin am 28.08.2013 buchte. Die Überweisung erfolgte erneut vom Privatkonto der Klägerin, diesmal mit dem Vermerk: "Kasse an Bank - Auflösung Kasse Mobil" (Kontoauszug 6, Bl. 22 d.A.). Die Klägerin hatte der Kasse nach ihren Angaben am 20.08.2013 einen Bargeldbetrag iHv. € 195,59 entnommen. Für diese Entnahme erstellte sie eine Beleg-Abrechnung mit Datum vom 20.08.2013 (Bl. 23 d.A.), die sie selbst als Zahlungsempfängerin und als Zweck den Vermerk: "Auszahlung Kassenbestand mobil - Auflösung Kasse" auswies. Den Vermerk: "sachlich und rechnerisch richtig" unterschrieb die Klägerin selbst.

Am 09.09.2013 legte die Klägerin ihrer Vorgesetzten eine Zahlungsanweisung über € 0,36 mit dem Verwendungszweck: "Rückzahlung zuviel überwiesener Betrag zur Auflösung Kasse mobil" zur Unterschrift vor (Bl. 24 d.A.). Als Zahlungsempfängerin wurde die Klägerin aufgeführt. Hintergrund war offenbar ein Zahlendreher, weil die Klägerin € 195,59 der Kasse entnommen, aber € 195,95 überwiesen hatte.

Diese Zahlungsanweisung machte die Vorgesetzte misstrauisch, die daraufhin die Transaktionen der Klägerin überprüfte. Mit Schreiben vom 23.09.2013 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung an. Der Betriebsrat teilte mit Schreiben vom 26.09.2013 mit, dass er der beabsichtigten Kündigung nicht zustimme. Die Klägerin habe durch ihr Vorgehen zwar einen Formfehler begangen, dem Beklagten aber keinen Schaden zugefügt.

Mit Schreiben vom 01.10.2013 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der einzelvertraglich vereinbarten Kündigungsfrist zum 31.12.2013. Für den Fall, dass die Klägerin als schwerbehinderter Mensch anerkannt werden sollte, beantragte er vorsorglich die Zustimmung des Integrationsamts. Das Integrationsamt stimmte mit - rechtskräftigem - Bescheid vom 29.10.2013 einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung zu. Daraufhin kündigte der Beklagte nach nochmaliger Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 26.11.2013 das Arbeitsverhältnis erneut ordentlich, diesmal zum 31.03.2014. Die Klägerin wendet sich mit ihrer am 16.10.2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen und am 03.12.2013 erweiterten Klage gegen beide Kündigungen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestands und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 30.01.2014 (dort Seite 2 bis 5) Bezug genommen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 01.10.2013 zum 31.12.2013 noch durch diejenige vom 26.11.2013 zum 31.03.2014 beendet worden ist.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Mainz hat der Klage stattgegeben und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, die zwei ordentlichen Kündigungen des Beklagten seien mangels vorausgehender Abmahnung sozial nicht gerechtfertigt. Die Klägerin habe sich zwar mit der zweimaligen Entnahme von Bargeld aus der Barkasse vertragswidrig verhalten, weil ihr Vorgehen notwendigen Gepflogenheiten bei der Kassenführung widersprochen habe. Es sei dem Beklagten jedoch zuzumuten, die Klägerin weiterzubeschäftigen und es bei einer Abmahnung als Reaktion zu belassen (vgl. BAG 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 - im Fall Emmely). Das Fehlverhalten der Klägerin habe zu keinem messbaren wirtschaftlichen Schaden des Beklagten geführt. Ihr Vorgehen zeige, dass sie nicht in Schädigungs- bzw. Bereicherungsabsicht gehandelt habe. Auch wenn man zu Gunsten des Beklagten unterstelle, die Klägerin habe im August 2013 entgegen der Weisung der Leiterin der Finanzabteilung gehandelt, sei ihr Verhalten nicht so schwerwiegend, dass objektiv betrachtet eine Abmahnung nicht ausgereicht hätte, um das vollständige Vertrauen wiederherzustellen. Das allein in formaler Hinsicht fehlerhaften Verhalten der Klägerin sei weder auf Heimlichkeit noch auf den vorübergehenden Entzug finanzieller Mittel beim Beklagten oder die Erzielung eines finanziellen Vorteils ausgerichtet gewesen. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 5 bis 9 des erstinstanzlichen Urteils vom 30.01.2014 Bezug genommen.

Gegen das am 30.05.2014 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit am 26.06.2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 01.09.2014 eingegangenem Schriftsatz, innerhalb der bis zum 01.09.2014 verlängerten Begründungsfrist, begründet.

Der Beklagte macht geltend, das Verhalten der Klägerin rechtfertige eine ordentliche Kündigung ohne vorausgehende Abmahnung. Das Arbeitsgericht sei ungeprüft davon ausgegangen, dass die Klägerin die Barentnahme von € 250,- erst nach Überweisung auf sein Girokonto am 03.06.2013 getätigt habe. Die substanzlose Behauptung der Klägerin, sie habe die Überweisung vom 03.06.2013 vor der Entnahme durchgeführt, hätte nicht zur Grundlage der Verhältnismäßigkeitsprüfung gemacht werden dürfen. Ihm sei naturgemäß nicht möglich, den Entnahmezeitpunkt genau darzulegen, um so den Eintritt eines Schadens nachzuweisen. Auch die Erwägung des Arbeitsgerichts, dass die Entnahme vom 20.08.2013 zu keinem Schaden geführt habe, weil die Barkasse keine Erträge erwirtschaftet habe, sei unrichtig. Es sei zu einem Substanzschaden in Höhe des entnommenen Geldbetrages, wenn auch nur für einen Tag, gekommen. Damit sei jedenfalls der objektive Tatbestand der Untreue erfüllt. Der Umstand, dass der bereits eingetretene Schaden nachträglich wiedergutgemacht worden sei, lasse das grundsätzliche Entstehen unberührt.

Es könne keine Rede davon sein, dass die Klägerin lediglich einen formalen Fehler begangen habe. Selbst nach Auffassung des Arbeitsgerichts habe sie jedenfalls am 20.08.2013 einen Betrag iHv. € 195,59 der Barkasse entnommen und für sich vereinnahmt. Dies entgegen einer ausdrücklichen Weisung ihrer Vorgesetzten, über die sie sich schlicht hinweggesetzt habe. Eine derart eigenmächtige Kassenführung stelle einen erheblichen Vertragsverstoß dar. Die Klägerin habe sein Vertrauen nicht lediglich durch einen einmaligen "Ausrutscher" erschüttert, sondern durch wiederholtes Verhalten.

Dieser Vertrauensverlust sei nicht durch den Ausspruch einer Abmahnung wiederherzustellen, denn die Klägerin habe nicht annehmen können, ihr Verhalten werde von ihm toleriert. Er müsse sich darauf verlassen können, dass sich Mitarbeiter der Finanzabteilung im Umgang mit seinem Geld korrekt verhalten und sich keine Unregelmäßigkeiten zu Schulden kommen lassen. Dies betreffe den Kernbereich der Arbeitsaufgaben. Anders als in der "Emmely"-Entscheidung des BAG könne sich die Klägerin nicht auf ein langes und unbeanstandetes Arbeitsverhältnis berufen. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Schriftsätze des Beklagten vom 01.09.2014 und 17.11.2014 Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt zweitinstanzlich, das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 30.01.2014, Az. 9 Ca 1889/13, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 08.10.2014, auf die Bezug genommen wird, als zutreffend. Sie habe erstinstanzlich mehrfach eingeräumt, dass ihre Vorgehensweise bei den Bargeldentnahmen vom 03.06. und 20.08.2013 nicht den notwendigen Gepflogenheiten bei der Kassenführung entsprochen habe. Im Nachhinein sehe sie ihr Vorgehen als fehlerhaft an. Sie könne deshalb nicht nachvollziehen, dass der Beklagte weiterhin davon ausgehe, sie hätte nach Ausspruch einer Abmahnung ihr Verhalten nicht geändert.

Die Unterstellung des Beklagten, sie habe zu einem viel früheren Zeitpunkt Bargeld aus der Kasse entnommen als von ihr angegeben, sei nicht gerechtfertigt. Sie habe dargelegt, wann und auf welche Weise die Barentnahmen erfolgt seien. Die Tatsache, dass sie zunächst € 250,- von ihrem Privatkonto überwiesen habe, mache deutlich, dass sie ausschließlich mit dem Ziel gehandelt habe, den Bargeldbestand in der nicht mehr benötigten Kasse zu reduzieren und das Geld auf das Konto des Beklagten bei der Kreissparkasse zu transferieren. Entgegen der Ansicht des Beklagten habe das Arbeitsgericht auch zutreffend ausgeführt, dass die Entnahme vom 20.08.2013 zu keinem Schaden geführt habe, weil die Barkasse keine Erträge erwirtschaftet habe. Im Übrigen habe sie die Überweisung von ihrem Konto bereits am 20.08.2013 veranlasst, lediglich die Wertstellung seitens der Bank sei erst am 21.08.2013 erfolgt, so dass aufgrund der bereits ausgeführten Überweisung ein Substanzverlust nicht eingetreten sei.

Sie habe ihrer neuen Vorgesetzten am 07.06.2013 vor ihrem Urlaubsantritt die Barkasse mit dem entsprechenden Überweisungsbeleg übergeben, so dass für diese erkennbar gewesen sei, in welcher Form sie die Reduzierung des Bargeldbestandes vorgenommen habe. Da sie im August 2013 lediglich die Anweisung erhalten habe, die Barkasse endgültig aufzulösen und der Vorgang vom 03.06.2013 nicht gerügt worden sei, habe sie bei der Überweisung und Entnahme am 20.08.2013 keine Veranlassung gehabt, davon auszugehen, dass ihr Verhalten als gravierendes Fehlverhalten angesehen würde. Entgegen der Behauptung des Beklagten habe sie keine ausdrückliche Anweisung erhalten, wie die Barkasse aufgelöst werden sollte.

Die Berufungskammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Leiterin der Finanzabteilung des Beklagten als Zeugin. Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 20.11.2014. Auch im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und inhaltlich ausreichend begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II. Die Berufung des Beklagten hat in der Sache Erfolg. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die erste Kündigung des Beklagten vom 01.10.2013 mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31.12.2013 aufgelöst worden. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist deshalb abzuändern und die Klage abzuweisen.

1. Die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 01.10.2013 ist aus Gründen im Verhalten der Klägerin iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt.

a) Eine Kündigung ist gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers „bedingt“, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich - in der Regel schuldhaft - verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten ist. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die - fristgemäße - Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen - wie etwa eine Abmahnung - von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (vgl. BAG 10.04.2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 13 mwN; 11.07.2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 20 mwN; jeweils Juris).

b) Im vorliegenden Fall hat die Klägerin, die als Sachbearbeiterin in der Finanzabteilung des Beklagten angestellt war, ihre arbeitsvertraglichen Hauptpflichten erheblich verletzt, weil sie der von ihr verwalteten Barkasse "V.-Mobil", die ihr dienstlich anvertraut und zugänglich war, Geldbeträge in einem Gesamtvolumen von € 445,59 entnommen und für private Zwecke verwendet hat. Zwar hat sie von ihrem Privatkonto auf das Girokonto des Beklagten bei der Kreissparkasse in zwei Tranchen am 03.06.2013 (dem ersten Arbeitstag ihrer neuen Vorgesetzten) und am 21.08.2013 Beträge iHv. € 250,- und € 195,95 überwiesen, dies ändert aber nichts daran, dass sie das Bargeld ohne Kenntnis, ohne Erlaubnis und im zweiten Fall gegen die ausdrückliche Anweisung ihrer neuen Vorgesetzten nach eigenem Gutdünken in ihre Verfügungsgewalt gebracht und gemäß ihren Vorstellungen verwendet hat. Dieses Verhalten stellt nicht nur einen "Formfehler" dar, sondern einen massive Vertrauensmissbrauch im Umgang mit fremdem Geld. Es spricht auch nicht für, sondern gegen die Vertrauenswürdigkeit der Klägerin, dass sie die Belege über die nicht genehmigten Privatentnahmen aus der ihr anvertrauten Barkasse selbst erstellt und sich selbst als "sachlich und rechnerisch richtig" bescheinigt hat. In dieser Eigenmächtigkeit durch Missbrauch der Vertretungsmacht liegt eine erhebliche Pflichtverletzung.

Die Klägerin konnte auch nicht annehmen, ihre neue Vorgesetzte gestatte ihr Privatentnahmen aus der Barkasse und die Überweisung der Geldbeträge auf das Girokonto des Beklagten. Die erste Transaktion führte die Klägerin am 03.06.2013, dem ersten Arbeitstag ihrer Vorgesetzten, aus und verheimlichte ihr dies. Eine aufrichtige und ehrliche Arbeitnehmerin hätte so nicht gehandelt, zumal keinerlei Notwendigkeit bestand, just an diesem Tag den Kassenbestand - ohne Kenntnis und Erlaubnis der neuen Vorgesetzten - um € 250,- zu reduzieren. Zudem ist nicht erklärlich, weshalb die Klägerin, die nach ihren Angaben aus uneigennützigen Motiven "pragmatisch" gehandelt haben will, die Barkasse - hinter dem Rücken ihrer Vorgesetzten - nicht auf einmal, sondern in zwei Schritten aufgelöst hat.

Bei der zweiten Transaktion am 21.08.2013 über den Restkassenbestand iHv. € 195,59 setzte sich die Klägerin sogar über die ausdrückliche Weisung ihrer Vorgesetzten hinweg, die sie aufgefordert hatte, den Bestand der V.-Mobil-Kasse einer anderen Barkasse zuzuführen. Dies steht zur Überzeugung der Berufungskammer nach dem Ergebnis der zweitinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme fest (§ 286 ZPO).

Die Vorgesetzte der Klägerin hat während ihrer Zeugenvernehmung bekundet, dass ihr die Klägerin am 07.06.2013, dem Freitag ihrer ersten Arbeitswoche, anlässlich der Urlaubsübergabe der Barkasse für das eingestellte Projekt "V.-Mobil" auf die Frage, weshalb diese Kasse noch nicht aufgelöst worden sei, geantwortet habe, dass es Schwierigkeiten gebe, das Bargeld auf ein Konto einzuzahlen. Sie habe der Klägerin daraufhin erklärt, dass sie das Bargeld aus der V.-Mobil-Kasse in die Barkasse des Landesverbandes einzahlen soll. Die Klägerin habe ihr bei dieser Gelegenheit nicht offenbart, dass sie der V.-Mobil-Kasse bereits Bargeld entnommen hatte, um den Betrag von ihrem Privatkonto auf das Girokonto des Beklagten zu buchen. Sie sei auf den Vorgang erst aufmerksam geworden, als ihr die Klägerin die Zahlungsanweisung vom 09.09.2013 (mit dem Vermerk: "Rückzahlung zuviel überwiesener Betrag zur Auflösung Kasse mobil") zur Unterschrift vorgelegt habe, wonach ein Betrag von € 0,36 auf das Privatkonto der Klägerin überwiesen werden sollte. Dies sei ihr merkwürdig vorgekommen, zumal sie der Klägerin aufgegeben habe, den Bargeldbestand der V.-Mobil-Kasse in die Barkasse des Landesverbandes einzahlen, die im gleichen Tresor verwahrt worden sei. Deshalb habe sie die Klägerin aufgefordert, ihr den Vorgang zu erklären. Die Klägerin habe ihr eröffnet, dass sie die Barkasse "V.-Mobil" aufgelöst habe, sie habe an diesem Tag Bargeld benötigt, sich deshalb Geld aus der Kasse genommen und dann von ihrem Privatkonto zurücküberwiesen. Daraufhin habe sie [die Zeugin] die Unterlagen des V.-Mobil-Kontos überprüft und sei auf die Überweisung vom 03.06.2013 gestoßen. Hieran könne sie sich gut erinnern, weil sie sich sehr geärgert habe. Zum einen, weil sich die Klägerin über ihre Anweisung, das Bargeld in die Barkasse des Landesverbandes einzuzahlen, hinweggesetzt habe, zum anderen, weil sie ihr, bei der Beantwortung der Frage, weshalb ein Betrag von € 0,36 auf ihr Privatkonto überwiesen werden solle, verschwiegen habe, dass sie das schon einmal gemacht habe, und zwar am 03.06.2013. Den Vorhalt der Klägerin, sie habe ihr am Freitag vor dem Urlaubsantritt, dem 07.06.2013, bei der Übergabe der V.-Mobil-Kasse mitgeteilt, dass eine Kontobewegung vorliege, die von ihr stamme, hat die Zeugin ausdrücklich verneint.

Bei der Vernehmung der Zeugin H. sind keinerlei Umstände zu Tage getreten, die ihre Aussage als unglaubhaft erscheinen ließen. Vielmehr hat die Zeugin ruhig, sachlich und erkennbar aus eigener Erinnerung heraus das Geschehene bekundet, sie machte auf die Berufungskammer einen uneingeschränkt glaubwürdigen Eindruck. Ihre Aussage war in sich stimmig und widerspruchsfrei sowie für die Berufungskammer plausibel nachvollziehbar.

Im Verlauf der Beweisaufnahme musste die Klägerin einräumen, dass sie Belege über ihre Privatentnahmen aus der Kasse sowie den Kontoauszug Nr. 42 vom 03.06.2013 nicht in die Barkasse eingelegt hat, was vom Arbeitsgericht als unstreitig angesehen worden ist, sondern in einem Kassenordner abgeheftet hatte. Entgegen der Hypothese des Arbeitsgerichts konnte die Vorgesetzte den Verbleib des Bargeldes nicht durch einen bloßen Blick in die Geldkassette nachvollziehen. Zweifel an der Aufrichtigkeit der Klägerin ergeben sich auch daraus, dass sie im Termin der Berufungsverhandlung neue Belegabrechnungen vom 03.06.2013 und vom 20.08.2013 (Bl. 191, 192 d.A.) vorgelegt hat, die sie offenbar nach der Entdeckung ihrer Privatentnahmen zu ihrer Entlastung angefertigt und um Eintragungen und Unterschriften ergänzt hat.

c) Die Pflichtverletzung der Klägerin bei der Führung der Barkasse ist von solchem Gewicht, dass sie auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und aller Umstände des vorliegenden Falls zum Überwiegen des berechtigten Interesses des Beklagten führen, das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zu beenden.

aa) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die ordentliche Kündigung vom 01.10.2013 nicht bereits wegen des Fehlens einer Abmahnung unverhältnismäßig.

Dem Arbeitsgericht ist zuzugeben, dass eine Kündigung nicht als Sanktion für eine bereits begangene Pflichtverletzung erfolgen darf. Eine Abmahnung ist daher in den Fällen erforderlich, in denen es dem Arbeitgeber zumutbar ist, dem Arbeitnehmer die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens sowie die Einordnung dieses Verhaltens durch den Arbeitgeber aufzuzeigen. Folglich ist eine Abmahnung dann entbehrlich, wenn der Arbeitnehmer die Rechtswidrigkeit einer schweren Pflichtverletzung ohne weiteres erkennen und mit deren Hinnahme durch den Arbeitgeber unter keinen Umständen rechnen kann. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt die Anwendung milderer Mittel, sofern diese gleich geeignet wie eine Kündigung sind, eine weitere einschlägige Pflichtverletzung des Arbeitnehmers zu verhindern. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. BAG 11.07.2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 21 mwN, Juris).

So liegt der Fall hier. Die Klägerin konnte unter keinen Umständen damit rechnen, dass der Beklagte ihr Verhalten toleriert. Die Klägerin hat mit dem Bargeld aus der ihr anvertrauten Kasse "jongliert", indem sie für private Zwecke Geld entnommen und Transaktionen über ihr Privatkonto durchgeführt hat. Der Klägerin hätte bewusst sein müssen, dass sie durch derartige Eigenmächtigkeiten im Umgang mit Geld ihren Arbeitsplatz in der Finanzabteilung aufs Spiel setzt. Sie hat bei der gebotenen objektiven Betrachtung das für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen restlos zerstört. Eine Abmahnung war daher im vorliegenden Fall nicht geeignet, das verlorene Vertrauen des Beklagten in die Zuverlässigkeit und Redlichkeit der Klägerin wiederherzustellen.

bb) Im Rahmen der Interessenabwägung im engeren Sinn berücksichtigt die Kammer zu Gunsten der Klägerin ihr Lebensalter von 56 Jahren bei Ausspruch der Kündigung, ihre Unterhaltspflicht gegenüber dem Ehemann und ihre Behinderung, die zu einem (derzeit festgestellten) GdB von 40 geführt hat. Die Kammer verkennt nicht, dass der Verlust des Arbeitsplatzes die Klägerin hart trifft, weil ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch ihr Lebensalter und die Behinderung eingeschränkt sind. Gleichwohl sind die Interessen des Beklagten höher zu bewerten. Die Klägerin hat nach dreijähriger Betriebszugehörigkeit noch keinen erheblichen Besitzstand erworben. Zu Lasten der Klägerin fällt entscheidend ins Gewicht, dass ihre Pflichtverletzungen ausschließlich den Vertrauensbereich und den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben berühren. Bei dem Vermögen des Beklagten handelt es sich um Mitgliedsbeiträge, die durch den Landesverband treuhänderisch für die Kreis- und Ortsverbände verwaltet werden. Der Beklagte muss sich darauf verlassen können, dass sich die Klägerin im Umgang mit dem anvertrauten Geld absolut korrekt verhält und sich keine Unregelmäßigkeiten zu Schulden kommen lässt. Ein weiteres Festhalten am Arbeitsverhältnis - über den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist hinaus - ist dem Beklagten nicht zuzumuten. Im Bereich der Finanzbuchhaltung muss der Arbeitgeber unbedingtes Vertrauen in die Zuverlässigkeit seiner Angestellten haben. Es bestehen keine begründeten Anhaltspunkte dafür, dass der von der Klägerin selbst verursachte Vertrauensverlust in Zukunft wieder behoben werden könnte. Die nach Aufdeckung ihrer Machenschaften erfolgte Beteuerung der Klägerin, dass sie sich eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei Erteilung einer Abmahnung vorstellen könne, ist für den verursachten Vertrauensverlust auf Seiten des Beklagten unerheblich.

2. Der Beklagte hat die ordentliche Kündigungsfrist eingehalten. Die Parteien haben im schriftlichen Arbeitsvertrag vereinbart, dass die Kündigungsfrist nach zwei Beschäftigungsjahren zwei Monate zum Quartalsende beträgt. Die Kündigung vom 01.10.2013 zum 31.12.2013 wahrt diese Frist.

3. Die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 01.10.2013 scheitert nicht an einer fehlerhaften Betriebsratsanhörung iSd. § 102 Abs. 1 BetrVG.

Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat Der Beklagte ist seiner Mitteilungspflicht aus § 102 Abs. 1 BetrVG inhaltlich ausreichend nachgekommen. Er hat dem Betriebsrat mit Schreiben vom 23.09.2013 den seiner Kündigungsentscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt unter Angabe konkreter Tatsachen geschildert.

Die Rüge der Klägerin, der Beklagte habe dem Betriebsrat ihre Sozialdaten nicht vollständig mitgeteilt, führt nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Der Beklagte hat den Betriebsrat im Anhörungsschreiben über das Geburtsdatum der Klägerin (15.04.1957), den Eintrittstermin (02.11.2010) und den GdB von 40 sowie über seine Absicht unterrichtet, vorsorglich die Zustimmung des Integrationsamts für eine beabsichtigte zweite Kündigung einzuholen, falls eine Änderung des GdB eintreten sollte. Die unterbliebene Information über den Familienstand der Klägerin (verheiratet) ist unschädlich. Der Arbeitgeber braucht dem Betriebsrat Sozialdaten nicht mitzuteilen, wenn und soweit sie - für den Betriebsrat erkennbar - für seinen Kündigungsentschluss völlig unmaßgeblich sind (vgl. BAG 23.04.2009 - 6 AZR 516/08 - Rn. 22 mwN, NZA 2009, 959). So liegt der Fall hier. Der Familienstand der Klägerin war nicht nur aus Sicht des Arbeitgebers für den Kündigungsentschluss unerheblich.

4. Da das Arbeitsverhältnis durch die erste Kündigung vom 01.10.2013 zum 31.12.2013 beendet worden ist, kommt es auf die Wirksamkeit der zweiten Kündigung vom 26.11.2013 zum 31.03.2014 nicht an. Sollte auf den Verschlimmerungsantrag der Klägerin, den sie bereits im Frühjahr 2013 gestellt hatte, im Rechtsstreit vor den Sozialgerichten ein GdB von mind. 50 und damit eine Schwerbehinderung iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX festgestellt werden, wäre die erste Kündigung mangels Zustimmung des Integrationsamts gem. § 85 SGB IX unwirksam, weil die Ausnahmevorschrift des § 90 Abs. 2a Alt. 2 SGB IX nicht greift. In diesem Fall endet das Arbeitsverhältnis durch die zweite Kündigung der Beklagten vom 26.11.2013 zum 31.03.2014, weil die rechtskräftige Zustimmung des Integrationsamts mit Bescheid vom 29.10.2013 vorliegt. Die Anhörung des Betriebsrats zur zweiten Kündigung ist gem. § 102 Abs. 1 BetrVG am 15.11.2013 erfolgt.

III. Als unterlegene Partei hat die Klägerin gem. § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz zu tragen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.



Sie kennen die Kanzlei Labisch aus folgenden Medien:

Logo SWR1
Logo SWR4
Logo RPR1
Logo Wiesbadener Kurier
Logo Geißener Anzeiger
Logo Wormser Zeitung
Logo Wiesbadener Tagblatt
Logo Main Spitze
Logo Frankfurter Rundschau
Logo Handelsblatt
Logo Allgemeine Zeitung
Logo Darmstädter Echo
Logo Focus
Logo NTV
Logo ZDF WISO
Lexikon schließen
Schließen